Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Mittwoch, 16. 06 10

16.06.10, 01:57 | 'Strippen und so'
Das Telefon ist endgültig am Ende. Bitte benutzen Sie die bekannten anderen Wege, um mich in den nächsten Tagen zu erreichen, bis ich das behoben habe. Daß die anderen Wege in den meisten Fällen nicht taugen, tut mir leid, ist aber nicht zu ändern.
(Man sollte nie, nie, niemals vorsichtshalber einen Ersatzakku bestellen. Sowas kann ja gar nicht gutgehen.)
# |  6 RauchzeichenGas geben


15.06.10, 10:58 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Ich habe die Zeit verloren. Irgendwo in dieser letzten Woche muß sie sein, aber den Teufel werde ich tun und sie suchen gehen. Ich mag das so, dieses Zeitlose. Ich weiß das Datum, weil ich das ständig auf die Rapportzettel kritzle, und ich weiß die Uhrzeit, weil sie in irgendeinem der drei Dutzend Displays angezeigt wird und ich immer wieder überschlage, eine Stunde noch hier, dann eine dort, eine für die Fahrt und eine zum Fallenlassen, dann könnte ich in vier Stunden vielleicht da sein, und oft genug funktioniert das genau so, wer hätte das gedacht.
Aber die Wochentage, die weiß ich nicht mehr.

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Schlechtes Karma, denke ich, als mir das knurrige "Lichtmaschine lädt nicht" entgegenblinkt. Keilriemen, denke ich. Mitten in der Nacht. Die Wasserpumpe hängt am selben Riemen, denke ich, da schlägt die Temperaturanzeige auch schon aus. Ich flitze aus dem Silo und aus dem Weg, stelle ab, und um mich wird es dunkel.

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Ich bin eben zum Häckslerfahrer aufgestiegen und klage ihm mein Leid, da beginnt es zu schrubben und zu rauschen. Wir schauen uns an, er drückt den Not-Aus. Die Häckseltrommel sitzt fest, für heute ist Feierabend. Ich überlege, ob ich nicht besser nach hause laufen sollte, um größere Schäden zu vermeiden.

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Das nächtliche Zerlegen.

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Ich darf Lehrer sein, und ich mag das ja, wenn mir jemand mit offenem Mund zusieht. Aber wie das Wickeln erklären? Mach es richtig, sage ich, und mach es langsam. Schnell wird es von alleine. Und dann erzähle ich von den Kettengliedern und den kantigen Ballen, vom Seitenhang und vom Ärger im Regen.
Da lernst Du bei dem Rechten, sagt einer, und sowas trage ich zu gern am Revers.

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Zwischendurch immer wieder Schmerzen in der Brust, und Hunger hatte ich sowieso nie, soweit ich mich erinnern kann.

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"War was Besonderes?" werde ich gefragt. Nein, sage ich langsam, mir fällt nichts ein. Tausend Kleinigkeiten, mit einer Rundballenpresse verwechselt worden zu sein, wie der tote Fuchs, an dem ich heute beim Albaufstieg schon vier Mal vorbeigefahren bin. Knoter reinigen, Ballenmaße einstellen, Kleinigkeiten, Details.
"Habe ich etwas vergessen?" frage ich, doch damit wartet niemand bis zum Abend, das bekommt man sofort aufs Brot geschmiert.
Er grinst verschmitzt und nennt einen Namen. Ich hirne weiter. Nichts besonderes, nein. Und daß ich irgendwo in diesem Seitental fast ertrunken wäre, das ist jetzt auch schon wieder einen Tag her. Zwei? Ich weiß es nicht, ich habe nur noch das Bild vor mir, wie sich die Räder in den Schlamm bohren und stehenbleiben, Keile vor sich her schieben, und ich einfach das Pedal durchtrete und den Hebel nach vorn drücke, weil es mehr nun mal nicht zu tun gab.
Ich weiß es immer noch nicht und gebe auf, zucke die Schultern. Er grinst immer noch.
"Ach", sagt er, "Du hast da was gepresst, da ist ein 'extra hangtauglicher Fahrer' verlangt worden."
Aha, sage ich lahm, aber so merkt man erst, wie weit man schon ist.

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Wie sie beide das Problem erkennen, und sich trotzdem die Schuld zuschieben.

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Es ist Freitag, es ist sechs, ich bin mit meiner Liste durch. "Fertig", sagt er, und "Wie jetzt?" frage ich.
Es ist lange still im Telefon, und das ist ja auch so eine Nebenwirkung dieser Flatrates, daß ich neuerdings ständig ein Ladegerät um mich haben muß. Draußen ist es heiß, hier drinnen bläst die Lüftung kalt über meine verschwitzten, schmutzigen Arme, und die auslaufende Schwungmasse schaukelt mich sanft und langsam im Sitz.
Freibad! rufe ich nach meiner Gedenkminute, Freibad, da war ich schon Jahre nicht mehr! Er lacht und meint, ich solle doch zuerst das Fahrzeug zurückbringen. Das mache ich, und wie in Trance, immer noch entgeistert, stehe ich eine halbe Stunde später am Drehkreuz und schaue auf das große Becken. Es hat nur wenige Besucher, und so drehe ich glücklich meine Runden in der Sonne, schaue blinzelnd hinauf zur Ruine, schwimme vorwärts und rückwärts, bis die Schatten die halbe Bahn bedecken und mich der Bademeister aus dem Becken ruft. Ende der Badezeit, und er kann gar nicht verstehen, wie ich da so lachen kann.

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Wir müssen warten, und so sitzen wir da, vor dem Haus im Schatten einer großen, alten Linde, die uns so gelassen hinnimmt wie alles andere in den letzten hundert Jahren. Ich bekomme Kaffee und kraule den Hund, der sich glücklich über den Boden wälzt.
"Wie seltsam," sagt die Bäurin, "die mag eigentlich keine Männer, das Dummerle." Sie hält inne, stockt, ich blinzle sie an, die vor mir in der Sonne steht, ich sage nichts, ich warte ab, verharre.
"Eigentlich", beginnt sie wieder, "eigentlich mag sie nur meinen Mann nicht." Und daß dieser Hund vielleicht so blöd gar nicht ist, das steht da plötzlich, wie in einer Blase, nur zum Lachen ist mir nicht dabei.

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Ans Verlieren denke ich oft in diesen Tagen, ans Verlorenhaben, und wo die Illusionslosigkeit hin ist, die mir neulich attestiert wurde. Ich weiß noch nicht, ob es sich mit oder ohne Hoffnung besser lebt, ich weiß ja noch nicht einmal, auf was man hoffen sollte, oder ob Illusionen irgendwas mit Hoffnungen zu tun haben. Ich weiß überhaupt so wenig.

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Von oben nach unten, so merke ich mir das.

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Zwischendurch bin ich müde, verschwitzt, und fahre mir zum tausendsten Mal mit den schmutzigen Fingern durch die Haare. Die lassen sich ja sowieso nicht bändigen, und nach nächtlichem Duschen und feuchtem Beschlafen gleich zwei Mal nicht. Die Büschel fallen ins Waschbecken, ein sanfter Hauch umschmeichelt meine Ohren. Die Plastiktüte mit den Locken lege ich auf die Briefwaage und schreibe noch kurz an einen Radverrückten: Gewichtseinsparung fast einhundert Gramm, und das mitten in der Nacht!

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"Love is hoping the best for someone, not from someone."

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Eine Domain, ein bißchen Bastelei, und schon steht wieder ein Name im Netz. Ich sage ihm noch, daß er seinen Namen besser in ein Bild verpacken soll, aber ich habe ja auch schon vergeblich Backups gepredigt.
Wir trinken Kaffee, die beiden Kinder toben um uns, und zwischendurch beim Mittagessen erinnert er mich an die Feste des Jahres. Familienfeste, sagt er, nicht vergessen!
Ich schaue ihn groß an, den Bruder meines Vaters, den Patenonkel, den Dot, und sage, daß ich kraft meiner Gene das Recht habe, jedes Datum zu vergessen. Rate nur, sage ich, wie alt ich bin, und er schätzt mich auch nur zwei Jahre jünger. Seine Frau verschluckt sich, und das Datum habe ich schon vergessen.

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Das Mädchen bestellt Espresso, und es scheint nichts dabei zu sein. Wie alt bist Du, frage ich, und bei so vielen Cousinen darf ich auch mal den Überblick verlieren. Dreizehn sagt sie, und hinterlässt mich fassungslos.
Er schlägt mir auf die Schulter, daß ich fast meinen Doppelten fallen lasse, und lacht. Du kannst keine sieben gewesen sein, sagt er, Du hast zur Einschulung schon Kaffee getrunken.
Das wußte ich nicht mehr, sage ich, aber das erklärt doch einiges.
Nun ja, meint er, Du hast ja auch vom ersten Tag an geraucht, zumindest wenn Dein Vater Dich auf dem Arm hatte. Und heute kann ich darüber sogar lachen.

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Es ist ein ruhiger Tag, und das fällt mir erst viel später auf.

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Ich radle hierhin und dorthin. Dort pflanzen sie ihren Garten ein. Anderswo wird Holz abgeladen, ein Treppchen geschweißt. Ein Bohrer läuft heiß, und grüßend fahre ich weiter.
Einem will ich zum Geburtstag gratulieren, und dort wollte ich auch noch ein Schwätzchen halten. Der Funk versagt, also radle ich auch dort noch hin.

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Irgendwo bleibe ich sitzen, das muß noch am Vortag gewesen sein, denn ich trage noch meine Badehosen. Wir spielen Volleyball, bis ein Glas umfällt. Dann grillen und trinken wir. Wieder fällt ein Glas um. Da trinken wir nur noch, und es ist in dieser Woche schon die zweite Nacht, die man draußen sitzend verbringen kann, und doch gibt es noch so viel zu sagen, so viel zu lachen, wir werden gar nicht fertig damit.

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Ach je, und über dem müden Fußballspiel schlafe ich dann ein.

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Auf dem Straßenfest grüße ich in alle Richtungen, bekomme ein Schauspielerbier und meine Fladenkuchen.

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Radeln, und heute sind wir zu zweit. Sauerstoff, ruft er, und daß wir so schnell noch selten auf der Alb waren. Einige Kilometer weiter rauscht die Presse an uns vorbei. Ich winke.
Am Waldrand sitzen wir und sehen dem Regen zu. Fahren im Regen. Sitzen an einer Hütte und sehen wieder dem Regen zu. Mir ist elend kalt, als er erzählt, doch da ist wieder Hoffnung in seiner Stimme, und wenn es nur das ist, was uns wärmt, und das bißchen Kleingeld, das ich aus meiner Satteltasche krame und das uns zwei Wasser oder ein Bier reichen könnte, es würde mir reichen bis zum Ende.

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Unter der Dusche auftauen. Im Juni.

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Ich backe, ich großer Zuckerbäcker, und diesmal gelingt alles. Man sollte Rezepte immer ein zweites Mal versuchen, denke ich, schichte die Kekse zu einem schönen Stapel und stelle sie auf den Tisch. Stillsitzen konnte ich ja noch nie, alsomache ich ein Bild von den Cookies und schicke es weg. Denke ich, falsch gedacht, denn tatsächlich kommt die Nachricht in eine Warteschleife, und erst hier werde ich stutzig. Sanft klopfe ich das Telefon an die Tischkante, dann heftiger, dann rufe ich mich an. Einmal, zweimal, dreimal. Nichts. Als es klingelt, erschrecke ich. "Wo warst Du, wo bist Du, ich hab's hundert Mal probiert!"
Ich tippe auf ein Netzproblem, ein paar Stunden später, und da tauchen ein dutzend Hände in ein dutzend Taschen, ein dutzend kleiner Schirme leuchten, und aus allen Ecken schellt es. Mein Telefon bleibt dunkel und stumm. Ich gebe nach. Mein Telefon ist kaputt.
Und ich habe an ein ruhiges Wochenende geglaubt.
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