Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 6. 08 23

06.08.23, 15:10
Heute morgen um drei bin ich wach, um vier hellwach, ich lege mich auf das Sofa, dessen Geschichte ich so gern vor mir wiederhole. Gekauft, für unpassend befunden, für Gäste in den Keller gestellt, bei Hochwasser ohne nasse Füße davongekommen, aber von der Versicherung trotzdem ersetzt worden, stand es am Straßenrand. Ich klingelte, der Besitzer half mir, es übers Geländer zu hieven, dann saß ich drauf, jahrelang. Ein Umzug in einem schnellen Auto, ein Umzug in einem alten Auto, ein halbes Jahr in einem Lager, und am späten Abend, nachdem ich die Farbeimer aufgeräumt, das Gerüst abgebaut, die gewaschenen Vorhänge wieder aufgehängt habe, wird es durch einen langen Flur gezerrt und steht nun versteckt hinterm Ofen, klein in diesem riesigen, hallenhohen Raum. Ich lese ein wenig in einem Kinderbuch, an das ich mich zu erinnern glaubte, aber die Geschichte enthält dann doch weniger Gestrüpp, weniger Schluchten und irgendwie weniger Geschichte als meine Erinnerung daran. Ich sitze, dann liege ich, höre den Pferden zu, die meine Nachbarn sind. Zwar rüttelt der Wind an den Ecken, aber es ist dann doch noch zu warm für ein Ofenfeuer. Wo nur wieder der Sommer hin ist, frage ich mich wie jedes Jahr, wenn er mir wieder entgleitet, bevor ich ihn erhaschen kann. Doch was täte ich mit einem gefangenen Sommertag, ich wüsste nicht viel anzufangen damit, und so soll er denen gehören, die ihn fassen können. Weit oben an der hölzernen Decke sehe ich einen Käfer krabbeln, ganz klein ist er, daß er in den Fugen ganz verschwindet, und doch immer wieder herauskommt, unbeirrbar, nicht abgelenkt von seinem Ziel, das er niemandem verraten und erklären muß. Blitzblank sind die Bretter an der Decke noch, scharf die Kanten, die ich erst abgeklebt, mit Acryl beschmiert und dann überstrichen habe. Spät am Abend erst war ich fertig mit dem Aufräumen und Aufputzen der Hinterlassenschaften, kann ich den Raum als fertig gelten lassen. Ich berühre nichts, möchte nichts verändern, doch schon liegt wieder Staub auf den Fensterbänken, wischt ein unvorsichtiger Vorhang den Staub in den frischgestrichenen Putz. Von der Decke baumeln die beiden Ringe, an denen ich viel öfter üben sollte. Mehr reinigen, mehr erhalten, und doch ist alles vergebens, es kriecht die Zeit, es fällt der Staub, es zieht die Zeit an uns vorbei, durch uns hindurch, sie zieht das Leben heraus aus uns, und sie zeigt uns, daß nichts von Dauer ist, vor allem nicht, was sauber ist. Weiter hinten kann ich die neuen Bretter in der Decke erkennen, schon passen sie ihre Farben an die alten an, und die leicht unterschiedlichen Fugen, mit denen ich so viel Mühe hatte, ich kann sie im Dunkeln nicht unterscheiden. Überhaupt die Mühe an der Arbeit, die Arbeit am Verstecken, der Wille zum letzten unsichtbaren Prozent, der mich so oft an die Säge, auf die Leiter, an meine Willensgrenze trieb. Ich kann es nicht mehr erkennen, es ist eine Holzdecke, wie sie überall in alten Häusern hängt, und selbst den Lampen sieht man es nicht an, daß sie viel zu klein waren für all die Leitungen dahinter, und viel zu selten leuchten sie, weil ich doch allzu gern im Dunkeln tappe. Sehen kann ich meine Arbeit also nicht mehr, am Ergebnis nichts Besonderes, und nur von fern spüre ich noch die Wut, die mich mit Betonbrocken und Meißel auf der Leiter hielt, das Drängen nach irgendetwas Fertigem, das mich planen und bauen und wieder einreißen ließ, als gäbe es etwas Fertiges überhaupt. Die Mühsal verschwindet in mir, und schon in zwei, drei Tagen werde ich vielleicht hier liegen, als wäre es schon immer so gewesen, und in ein paar Jahren werde ich hier vielleicht liegen, auf daß ich einst hinausgetragen werde. Da fällt mir das Treppenhaus ein, und ich lasse das Buch sinken. Im Garten zu sterben, würde wohl vieles leichter machen, und solche Gedanken klingen ganz logisch, morgens um vier, und dann denke ich über ein dafür geeignetes Plätzchen nach, und wie ich dieses mit Mühe und Arbeit in einen Platz verwandeln kann, wo ich einst liegenbleiben kann. Alles fließt, mit diesem Satz hat dieses kleine Weblog vor vielen Jahren hier begonnen, und alles vergeht, möchte ich heute hinzufügen, und obwohl ganz sicher alles vergehen muß, so treibt uns doch etwas an, daß wir nicht umsonst sind, und unsere Mühe nicht vergeblich. Es ist halb fünf am Morgen, die Nachbarpferde scharren unruhig im nassen Sand. Ich mache kein Feuer, ich nehme mir keine Decke, ich wärme den Raum mit Ruhe und warte auf den Morgen, an dem ich einundvierzig Jahre alt werde, und das kommt mir seltsam mühelos vor, wo ich doch kaum mehr weiß, was ich noch vorgestern zum Mittag gegessen habe. Nur der Hunger, der bleibt.
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