19.09.23, 09:41
In den letzten Tagen habe ich nicht nur die Donau schwimmend durchquert, was eine Tätigkeit ist, die durchaus an unterschiedlichen Stellen und zu unterschiedlichen Jahreszeiten verschieden zu werten ist. Doch eine Idee von Strömung bekommt man auch im Sommer und in Unterhosen, die man irgendwann auch noch mit einer Hand festhalten muss, weil ausgeleierte Gummibänder im Wasser sehr schnell noch mehr ausleiern, während man mit der verbleibenden Hand unauffällige Schwimmbewegungen ausführt, um zumindest grob Kurs zu halten. Kurs zu halten auf ein unbewegtes Ziel, eine kleine Sandbank am anderen Ufer, bedeutet auch, daß man sich selbst immer weiter dreht, immer mehr gegenan schwimmen muss, während einen die Strömung mehr und mehr am gewünschten Ziel vorbeitreibt. Und sie scheint einen auch zurück zur Mitte des Stroms zu ziehen, stelle ich irgendwann fest, und intensiviere meine kläglichen Schwimmbewegungen, nachdem ich die Unterhose zwischen den Hinterbacken gesichert habe. Und erst, als ich tatsächlich Grund unter den Füßen spüre, als ich fest stehe, spüre ich die Kraft und Geschwindigkeit des Flusses, der mir zuvor immer noch sanft vorgekommen war. Aloha heja hey, murmle ich und ziehe den Bauch ein, als ich aus dem Wasser steige und mich umdrehe, um die Nachfolgenden zu beobachten und zu begrüßen.
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Wieder im Bus sitzend drehe ich mein Bier in der Hand, schaue aus dem Fenster, trockne so vor mich hin und denke an die Geschichte vom ruhenden Beobachter. Das ist eine Gedankenfigur aus der Physik, die ein Ruhesystem aus Koordinaten mit sich herumträgt und sich darin nicht bewegt. Von einem anderen Koordinatensystem ausgehend kann sich der Beobachter, nun zum Beobachteten geworden, durchaus bewegen. Es gibt dazu das Beispiel des Kindes, das im Zug durch den Gang nach vorn rennt und fragt, wie schnell es sich denn nun bewegt. Dabei wirft es noch einen Ball nach oben und fängt ihn wieder auf, und vermutlich muss es im Beispiel deshalb ein Kind sein, weil man als Erwachsener wohl keinen Ball mehr im Zug werfen darf. Ich weiß ja wenig über Erwachsene. Nun, der Ball, das Kind, der Zug, sie bewegen sich alle, wenn man am Bahnsteig steht. Ganz langsam bewegen sich die Kontinentalplatten unter ihnen, und selbst die Schienen haben immer wieder Ausgleichselemente, weil sie sich bewegen. Man kann nun durchaus sagen, daß derart langsame Bewegungen ja keine Bedeutung hätten. Doch wer dies beklagt, hat wohl noch nie dem Stundenzeiger einer Uhr zugeschaut. A propos Uhr: Daß selbst die Zeit in jedem System anders vergeht, ist ein Element der Realitätstheorie, von dem mir nur die Hoffnung bleibt, daß ich einst in meinem System genug Zeit haben werde, um auch das noch zu verstehen. Zum Glück braucht man die im Alltag selten, bewegen wir uns doch meist viel zu gemächlich darin. Ein Glück also, diese langsamen Bewegungen, auch wenn wir auf einer Kugel sitzen, zumindest näherungsweise einer Kugel, zugegeben, und vielleicht sitzen wir ja auch gar nicht alle ständig, und doch bewegt sich diese Kugel, während wir sitzen. Sie rotiert und taumelt und macht komplizierte Dinge, und es bringt uns Tage und Nächte und Sommer und Winter, und davon brauchen wir dann doch einige, bis wir zumindest diese Bewegungen grob verstanden haben. Nun bewegen wir uns auch noch samt der Sonne, samt der Galaxie, und da gehen mir irgendwann die Systeme aus, und vielleicht hört genau dann die Wahrnehmbarkeit der Bewegung auf, auch wenn die Bewegung selbst uns vielleicht nur verborgen bleibt.
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Jedenfalls, so drehe ich mein Bier weiter in der Hand, denke ich über Gelesenes nach, was bei einer Busfahrt eine gute Idee ist, denn beim Lesen selbst wird mir doch gern schlecht dabei. Am Bier kann es nicht liegen, nein. Daß sich jemand nicht bewegt hätte, habe ich gelesen, sondern die Welt um ihn, um sie herum. Die Welt als politisches System, und daß dieses in Bewegung ist, kann sicher keiner bestreiten, ist doch die Welt als Grundlage der Politik, ganz sicher in Bewegung, besteht sie doch aus den Menschen und ihrem Zusammeleben. Politik, das sind die Regeln, die wir aushandeln, die wir annehmen, die wir aufschreiben und uns ausdenken. Den eigenen Stillstand wahrzunehmen in einem bewegten System ist eine Aufgabe, über die ich gerne nachdenke. Vielleicht sind es am ehesten die eigenen Leitsätze, die Mantren, die man sich ausdenkt und mit sich nimmt, an denen man sich ausrichtet, statt am vorüberziehenden Wind. Als Moral und Haltung werden sie oft bezeichnet, sind in ihrer Unkonkretheit, in ihrer Ungestalt doch dabei niemals greifbar, immer formbar, und so ganz sicher kein Maßstab für die eigene Bewegung. Das ist Absicht, das ist Politik, und das ist ganz sicher ein Grund zur Vorsicht im Umgang mit jenen, die Moral und Haltung vor sich hertragen, statt sie zu festzuhalten. Konkret muss der Leitsatz also sein, und ein Bezugssystem braucht er dazu. Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher geschimpft habe, das Benzin müsse doch fünf Mark kosten, damit endlich Schluss sein möge mit der unsinnigen Fahrerei. Diesen Leitsatz habe ich verloren auf dem Weg, und gar nicht so sehr, weil ich selbst zu fahren begann, unsinnig vielleicht, weil hin und her, vor und zurück, wenn man nur weit genug von oben draufschaut. Sondern mehr, weil es den Bezug nicht mehr gibt, weil die Mark nicht mehr ist, und selbst ihre Nachfolgerin so schnell an Wert verliert, daß ich nicht mehr sicher bin, ob zuerst mein sinnloses Fahren aufhört, weil ein Preis erreicht wird, oder ob uns doch irgendwann der Sprit ausgehen muss dafür. So hat sich mein Leitsatz nicht verändert, und doch seinen Sinn verloren. Ein abstrakteres Konzept fällt mir noch ein, und zwar die vielzitierte Menschenwürde, deren wichtigstes Verdienst vielleicht darin besteht, daß Menschen über ihre Würde nachdenken. Doch auch dieses abstrakte Konzept ist wandelbar, was man unzweifelhaft daran erkennt, daß es sie vor wenigen tausend Jahren noch gar nicht gab. Doch lebe ich samt meinen Überzeugungen noch keine tausend Jahre, und so sollte ich vielleicht einen kürzeren Bezugszeitraum auswählen. Und es ist noch keine zehn Jahre her, da bestand die Menschenwürde darin, daß man eine Altersangabe nicht mit einem Röntgenbild nachprüfen durfte, um herauszufinden, welche Gesetze denn nun anzuwenden wären. Darin bestand die Würde derer, die aus Kriegen flohen, so die Haltungsträger, und heute hat sich der Krieg geändert, und so schicken wir Menschen, die vor diesem anderen Krieg fliehen, zurück, um drin zu kämpfen und zu sterben. Ein sehr wandelbares Konzept, ganz zweifellos, diese Menschenwürde, und mit ihr alle Leitsätze, die ich mir daraus zusammengereimt habe. Zum Beispiel der, daß Krieg durch Waffen nicht kleiner wird, nicht gerechter, nicht weniger tödlich, denn liefern wir doch zu den Menschen auch die Waffen, und scheint er doch nicht weniger zu werden, dieser Krieg, nicht kürzer und nicht weniger tödlich. Für die andern natürlich, und vielleicht ist ein Leitsatz auch immer einer, der den Beobachter zum solchen macht, ihn abgrenzt vom System, in dem er sitzt und sich doch bewegt, darin und mit ihm, strampelnd und hoffend, daß es der Krieg der andern bleiben möge. Und so bewege ich mich und finde einen neuen Leitsatz der Bewegung für mich: Daß alle sich bewegen, so gut sie können, in ihren Systemen, die sich wiederum bewegen, und daß, wenn zwei aufeinanderstoßen, vielleicht der Impuls berechenbar, doch der Grund und das Ergebnis oft unbestimmt bleiben.
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Wieder im Bus sitzend drehe ich mein Bier in der Hand, schaue aus dem Fenster, trockne so vor mich hin und denke an die Geschichte vom ruhenden Beobachter. Das ist eine Gedankenfigur aus der Physik, die ein Ruhesystem aus Koordinaten mit sich herumträgt und sich darin nicht bewegt. Von einem anderen Koordinatensystem ausgehend kann sich der Beobachter, nun zum Beobachteten geworden, durchaus bewegen. Es gibt dazu das Beispiel des Kindes, das im Zug durch den Gang nach vorn rennt und fragt, wie schnell es sich denn nun bewegt. Dabei wirft es noch einen Ball nach oben und fängt ihn wieder auf, und vermutlich muss es im Beispiel deshalb ein Kind sein, weil man als Erwachsener wohl keinen Ball mehr im Zug werfen darf. Ich weiß ja wenig über Erwachsene. Nun, der Ball, das Kind, der Zug, sie bewegen sich alle, wenn man am Bahnsteig steht. Ganz langsam bewegen sich die Kontinentalplatten unter ihnen, und selbst die Schienen haben immer wieder Ausgleichselemente, weil sie sich bewegen. Man kann nun durchaus sagen, daß derart langsame Bewegungen ja keine Bedeutung hätten. Doch wer dies beklagt, hat wohl noch nie dem Stundenzeiger einer Uhr zugeschaut. A propos Uhr: Daß selbst die Zeit in jedem System anders vergeht, ist ein Element der Realitätstheorie, von dem mir nur die Hoffnung bleibt, daß ich einst in meinem System genug Zeit haben werde, um auch das noch zu verstehen. Zum Glück braucht man die im Alltag selten, bewegen wir uns doch meist viel zu gemächlich darin. Ein Glück also, diese langsamen Bewegungen, auch wenn wir auf einer Kugel sitzen, zumindest näherungsweise einer Kugel, zugegeben, und vielleicht sitzen wir ja auch gar nicht alle ständig, und doch bewegt sich diese Kugel, während wir sitzen. Sie rotiert und taumelt und macht komplizierte Dinge, und es bringt uns Tage und Nächte und Sommer und Winter, und davon brauchen wir dann doch einige, bis wir zumindest diese Bewegungen grob verstanden haben. Nun bewegen wir uns auch noch samt der Sonne, samt der Galaxie, und da gehen mir irgendwann die Systeme aus, und vielleicht hört genau dann die Wahrnehmbarkeit der Bewegung auf, auch wenn die Bewegung selbst uns vielleicht nur verborgen bleibt.
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Jedenfalls, so drehe ich mein Bier weiter in der Hand, denke ich über Gelesenes nach, was bei einer Busfahrt eine gute Idee ist, denn beim Lesen selbst wird mir doch gern schlecht dabei. Am Bier kann es nicht liegen, nein. Daß sich jemand nicht bewegt hätte, habe ich gelesen, sondern die Welt um ihn, um sie herum. Die Welt als politisches System, und daß dieses in Bewegung ist, kann sicher keiner bestreiten, ist doch die Welt als Grundlage der Politik, ganz sicher in Bewegung, besteht sie doch aus den Menschen und ihrem Zusammeleben. Politik, das sind die Regeln, die wir aushandeln, die wir annehmen, die wir aufschreiben und uns ausdenken. Den eigenen Stillstand wahrzunehmen in einem bewegten System ist eine Aufgabe, über die ich gerne nachdenke. Vielleicht sind es am ehesten die eigenen Leitsätze, die Mantren, die man sich ausdenkt und mit sich nimmt, an denen man sich ausrichtet, statt am vorüberziehenden Wind. Als Moral und Haltung werden sie oft bezeichnet, sind in ihrer Unkonkretheit, in ihrer Ungestalt doch dabei niemals greifbar, immer formbar, und so ganz sicher kein Maßstab für die eigene Bewegung. Das ist Absicht, das ist Politik, und das ist ganz sicher ein Grund zur Vorsicht im Umgang mit jenen, die Moral und Haltung vor sich hertragen, statt sie zu festzuhalten. Konkret muss der Leitsatz also sein, und ein Bezugssystem braucht er dazu. Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher geschimpft habe, das Benzin müsse doch fünf Mark kosten, damit endlich Schluss sein möge mit der unsinnigen Fahrerei. Diesen Leitsatz habe ich verloren auf dem Weg, und gar nicht so sehr, weil ich selbst zu fahren begann, unsinnig vielleicht, weil hin und her, vor und zurück, wenn man nur weit genug von oben draufschaut. Sondern mehr, weil es den Bezug nicht mehr gibt, weil die Mark nicht mehr ist, und selbst ihre Nachfolgerin so schnell an Wert verliert, daß ich nicht mehr sicher bin, ob zuerst mein sinnloses Fahren aufhört, weil ein Preis erreicht wird, oder ob uns doch irgendwann der Sprit ausgehen muss dafür. So hat sich mein Leitsatz nicht verändert, und doch seinen Sinn verloren. Ein abstrakteres Konzept fällt mir noch ein, und zwar die vielzitierte Menschenwürde, deren wichtigstes Verdienst vielleicht darin besteht, daß Menschen über ihre Würde nachdenken. Doch auch dieses abstrakte Konzept ist wandelbar, was man unzweifelhaft daran erkennt, daß es sie vor wenigen tausend Jahren noch gar nicht gab. Doch lebe ich samt meinen Überzeugungen noch keine tausend Jahre, und so sollte ich vielleicht einen kürzeren Bezugszeitraum auswählen. Und es ist noch keine zehn Jahre her, da bestand die Menschenwürde darin, daß man eine Altersangabe nicht mit einem Röntgenbild nachprüfen durfte, um herauszufinden, welche Gesetze denn nun anzuwenden wären. Darin bestand die Würde derer, die aus Kriegen flohen, so die Haltungsträger, und heute hat sich der Krieg geändert, und so schicken wir Menschen, die vor diesem anderen Krieg fliehen, zurück, um drin zu kämpfen und zu sterben. Ein sehr wandelbares Konzept, ganz zweifellos, diese Menschenwürde, und mit ihr alle Leitsätze, die ich mir daraus zusammengereimt habe. Zum Beispiel der, daß Krieg durch Waffen nicht kleiner wird, nicht gerechter, nicht weniger tödlich, denn liefern wir doch zu den Menschen auch die Waffen, und scheint er doch nicht weniger zu werden, dieser Krieg, nicht kürzer und nicht weniger tödlich. Für die andern natürlich, und vielleicht ist ein Leitsatz auch immer einer, der den Beobachter zum solchen macht, ihn abgrenzt vom System, in dem er sitzt und sich doch bewegt, darin und mit ihm, strampelnd und hoffend, daß es der Krieg der andern bleiben möge. Und so bewege ich mich und finde einen neuen Leitsatz der Bewegung für mich: Daß alle sich bewegen, so gut sie können, in ihren Systemen, die sich wiederum bewegen, und daß, wenn zwei aufeinanderstoßen, vielleicht der Impuls berechenbar, doch der Grund und das Ergebnis oft unbestimmt bleiben.
11.09.23, 11:52
Für Dich#
Und immer für Dich
Für immer und Dich
Es gibt diese Lieder, die mich aus meiner Bahn in eine ganz andere werfen. So stehe ich am späten Sonntagabend in der Küche, wie ich es früher so oft getan habe, schäle heiße Kartoffeln und höre Radio dazu. Es wird eine Aufnahme aus dem vergangenen Sommer angekündigt, und ich denke wieder daran, daß ich nicht so recht teilgenommen habe an diesem Sommer. Es ist ein leicht schräger Beat, der etwas durchhängt, und ich nicke mit dem Kopf dazu. Ein Gesang zwischen Selbstgespräch und Liebeserklärung. Ich schwinge das Messer durch die Luft und hoffe auf den Refrain, wie ich ja immer darauf hoffe, daß sich das Gute wiederholt.
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Ein Kofferraum voller Werkzeug für ein paar Steckdosen. Es eile nicht, hat man mir gesagt, es hätte doch ein paar Wochen Zeit. Darauf folgt üblicherweise nach zwei, drei Tagen die Nachfrage, ob ich denn nicht vergessen hätte, und so zerre ich alles, was ich zu brauchen glaube, ins Auto und fahre die drei Kilometer. Schalter ausbauen, Tapeten abziehen, ein bißchen über der Verteilerdose sinnieren. Vorsichtig die Kabel freilegen unterm Putz, Hammer und Meißel und Staub. Eine Schalterdose, ein neues Kabel für die Steckdosen. Hier soll ein Bett stehen, und daß um Betten herum zig Steckdosen positioniert werden, ist nun nicht ganz neu, aber in der Menge doch erstaunlich. Ich kenne Häuser, da hatten die Zimmer nur je eine Steckdose, unterm Lichtschalter an der Tür angebracht, und die war für den Staubsauger reserviert, wenn der wöchentlich durchs Haus gezerrt wurde.
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Ich finde noch einen passenden Schalter in einer Kiste, denn die Schalterserien und ihre Nachfolger bleiben mir trotz aller Suchen ein Rätsel. Überall sind Nummern auf dem Kunststoff, und sie führen doch nie zu einer Serie, sondern immer nur zum gleichen Teil zurück. Und der Online-Katalog dieses deutschen Herstellers, ach hören Sie mir auf damit. Die Serien haben Abkürzungen, nach denen alles sortiert ist, und doch haben die Nummern nie mit den Serien zu tun. Es muß ja immer alles schwierig sein.
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Vorsichtiges Dosenbohren. Die Dose passt, die Leitungen sind abisoliert, ich putze alles ein. Ich sammle die Brocken auf, ich sauge den Dreck ein. Dann lassen wir mal alles trocknen, denn nach der ersten Realisierung kommt stets eine Findungsphase. Wollten wir das wirklich so?
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Es war einst mein Kinderzimmer, und an der geschwungenen, dunklen Türklinke klebt noch ein Sternchen aus einem Material, das im Dunkeln ein wenig nachleuchtet. So konnte ich im Dunkeln die Tür finden, denn Licht in der Nacht, oder gar ein Geräusch, das habe ich mir in diesem Haus ganz abgewöhnt. Es war notwendig, es war natürlich, und selbst heute noch bin ich manchmal ganz erstaunt, wenn abends noch das Telefon klingelt oder ich mich selbst dabei ertappe, um acht nicht ruhig sitzend auf den nächsten Tag zu warten. Nun soll es ein Schlafzimmer werden, ein Elternschlafzimmer, im fernen Blick ein Pflegezimmer, und es fällt mir schwer, auszudrücken und einer Planung zu folgen, die das Unerwünschte, Unaussprechliche so sinnig mit einbezieht, weil es ja doch unausweichlich sein wird, irgendwann. Ein Sterbezimmer, vielleicht, und da ist noch Aberglauben genug, daß ich mich scheue, dieses Wort da hinzuschreiben, auf daß es nie passieren möge.
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Am Sonntagmorgen stehe ich im Wald. Ich trage Stiefel und ein Funkgerät, melde die ankommenden Teilnehmer eines Laufs, damit weiter unten für sie eine Straße gesperrt wird, die sie queren müssen. Die Sonne wird in viele kleine Strahlen zerteilt von tausend Ästen und Zweigen, durch die sie scheint. Am Boden ist es immer dunkler, liegt ein dichter Teppich aus dürren Nadeln, Blättern, glänzendem Moos. Durch die Wipfel zieht ab und an ein Hauch, den ich nur als Rascheln wahrnehme, und wo es raschelt, trudeln einige Blätter schräg hinab zum Boden. Wie unterschiedlich sie sterben, die Blätter. Da sind die, die sich verfärben, gelb und rot und braun, die ganz langsam das Grün und das Leben verlieren. Da sind die andern, die an ihrer Wurzel noch sattgrün sind und am Leben, und von den Rändern frisst sich dunkelbraun und mürbe der Tod herein. Ob sie verzagen und sich fallenlassen, irgendwann? Ob der Baum sie abschüttelt und abwirft, um sich zurückzuziehen für den Winter? Ich sehe den Blättern zu und melde ab und an einen Läufer, ich denke nicht groß drüber nach, was ich da tue und weshalb, in Zeiten, in denen die Vereine ihr Leben verlieren und ihre Mitglieder, weil sich niemand mehr finden mag, der an einem Sonntagmorgen ein paar Stunden irgendwo stehen möchte. Und vielleicht denken auch die Blätter und die Bäume ja gar nicht groß nach, wenn sie gelb werden oder tote Ränder bekommen, vielleicht merken sie es erst, wenn sie stürzend trudeln, am Boden liegen, wo es dunkel ist, und vielleicht ist es auch eine Gnade, den eigenen Verfall nicht wahrzunehmen.
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Bis über die Wolken schaffen wir es nicht, aber ich stehe doch auf einem Flugplatz, einer dichten Wiese, deren Gras überraschend hoch steht. Man geht robust mit den kleinen Flugzeugen um, routiniert setzen sich die Piloten hinein, hantieren, schließen die Hauben, werden von der Winde in den Himmel gezogen, zwischendurch fast senkrecht, wie es aussieht. Ich trage einen Fallschirmrucksack, ich setze mich und versuche, die Finger und die Füße von allem zu lassen, was mit dem Flugzeug zu tun hat. Wir werden von einem Motorsegler angezogen, der von einem kleinen Automotor angetrieben wird. Autos kenne ich. Der Abgasstrahl schüttelt uns, der Knüppel zwischen meinen Knien bewegt sich, wir werden ruhiger. Ich werde erst ruhiger, als ich ein wenig abschätzen kann, welches Schütteln zum Fliegen gehört. Natürlich jedes, aber dieses Wissen ist abstrakt. Wir sind hoch, ich schaue aus dem Fenster. Die Alb, die Täler, die ewig dunklen Wälder. Die scharfe Kante des Albtraufs, die gut bekannten Plätze von oben. Unter einer Wolke kreisen wir nach oben und nennen dieses Wunder Thermik. Ich übernehme das Steuer, versuche mich am Geradeaus, was gar nicht so einfach ist, und denke mir, während ich all die Anzeigen und den Himmel und den Horizont und das Wunder des Fliegens zu verstehen versuche, daß alles nicht so einfach ist mit dem Geradeaus, und dann fliegen wir einfach eine Kurve, eine zweite, wieder Thermik, und ich habe völlig vergessen, auf den Kompass zu schauen. Ich sehe die anderen Flugzeuge kaum, die um uns kreisen, und ich ignoriere den, der Kunstflug übt, obwohl ich gesagt bekomme, das könnten wir auch. Nein, aber nein, danke. Ein bisschen Faxen machen wir dann doch zum Schluss, und ich bin baß erstaunt, was so ein Flugzeug alles kann, vor allem Fliegen, auch wenn einer vorn am Knüppel reißt und vor Freude übers Trudeln jubelt. Nun bin ich nicht der Pilot und kann wenig tun als mich zu wundern, wie schnell der Boden naht, wie groß der Steinbruch plötzlich ist, der sich seit Jahrzehnten durch den Berg frisst, den er als sanften Hügel Abraum hinter sich zurücklässt. Dann ist die Erde wieder, wo sie hingehört, nämlich unter uns, der Horizont voll blau, Flugrichtung Süden, eine Kurve über einer Gaststätte, auch wenn mir gerade nicht nach Essen ist, ein Funkspruch, Landeanflug, sanft setzen wir auf, gleiten durchs Gras, ich bin geflogen. Ich bedanke mich für den Flug, für die Erklärungen, für alles, und stelze etwas wacklig davon, während sie schon wieder die Vorbereitungen durchgehen. Gurte, Prüfungen, Funkspruch, ein Flug.
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Mehr Strom, murmle ich, am Seil hängend, und erinnere mich an alte Zeiten, als wir die Sechs dadurch beschrieben haben, daß sie immer geht. Über eine Sechs nicht nachdenken, eine Sechs zwischendurch klettern, eine schöne und eine weniger schöne vielleicht, aber doch stets nur eine Sechs. Ich bin nun einige Zeit bei den Sechsen geblieben, aus der Idee der Gewöhnung heraus, und doch sind sie mir nicht leichter gefallen, daß ich mir die Sieben wieder zutrauen würde, von der einst erkämpften Acht ganz zu schweigen. Und doch steige ich ein und spüre sofort wieder die Leichtigkeit der Bewegung, denn wie früher zwingt mich die Sieben einfach, leuchtet mir ein, führt mir den Weg, und natürlich wird sie mir im Überhang zu schwer, ich sitze im Seil und sammle Kräfte, rede den faulen Unterarmen gut zu und sage leise Geht los, als ich mich wieder an die Griffe ziehe, das Seil entlaste und noch einen Versuch wage. Es ist banal und doch eine Erkenntnis, daß eine Sieben nur klettert, wer eine Sieben versucht. Um schwer zu klettern, mußt Du schwer klettern, erklärte eins ein Meister in einer Zeitschrift, und manchmal sind Erkenntnisse vielleicht wirklich einfach zu formulieren, aber so schwer zu verstehen. Ein bisschen Kraft sammeln in der Sechs, denke ich dann, als ich verzweifelt meine Körperspannung suche, und vielleicht sind die Sechser ja doch für etwas gut.
07.09.23, 08:37
Ich habe einen Silotag vor mir und freue mich. Die Scheiben sind frisch geputzt, und an den Blinkern sind alle Sicherungen durchgebrannt. Dann eben freundlich winken, freue ich mich.
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Sitz, Lenkrad, Klima, Radio, Spiegel. Bevor ich noch recht vom Hof bin, passt das Fahrzeug wieder zu mir, und jeder andere, der drauf sitzen müsste, würde fluchen. Hydraulik, Getriebe, Anzeigen und Messgrößen während der Anfahrt, damit das Fahrzeug auch zur Arbeit passt. Durchs Heimatdorf mit blitzenden Rundumleuchten, es ist ein fahrendes Freudenhaus an diesem Sonnentag.
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Im toten Funkwinkel der Alb kann ich die Feindsender aus Bayern nicht mehr empfangen, wechsle also zu den einheimischen Propagandisten. Am Dialekt kann man sie sowieso nicht unterscheiden, am ehesten noch an der Musik, die sie spielen. So findet man hier ein riesiges Loch zwischen totgespielter vierzig Jahre alter Pop- und herber Zwölftonmusik auf hundert Jahre alten Instrumenten, während man dort fröhlich rauf und runter spielt, was sich Begeisterte und Bekiffte aus der Heimat so ausgedacht haben. Vielleicht gibt es hier keinen Musikunterricht mehr, denke ich manchmal, denn ich kann ja auch kein Instrument wirklich spielen, und singen will mich auch niemand hören. Dazu passt mein fahrendes, verglastes Eckbüro ganz vorzüglich, denn ich klappe den Beifahrersitz zusammen und singe friedlich und allein vor mich hin. So könnte ich Tage verbringen und bin froh, daß ich so manche Tage verbringen kann, die pure Passion kaum versteckt unter dem Mäntelchen des Müssens. Das Schöne wird nur noch schöner für uns Schwaben, wenn wir es auch noch müssen dürfen.
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Ein gemächlicher Einstieg, zwei enge Silos mit hohen Wänden. Meine Einfahrt kreuzt die Hofeinfahrt, wo die Automaten stehen. Den ganzen Tag über Besuch, man trifft sich dort, um Kälbchen anzuschauen, Stallduft zu schnuppern, Eis und Milch und Käse, Nudeln und Wurst einzukaufen, und diese kleine Automatenstation hat sich gemausert in den letzten Jahren, wurde ergänzt um Brotverkauf aus einem Verkaufswagen, ein winziger Markt am letzten Bach, der noch eine Furt als Überfahrt bietet. Nicht, daß wir diese Überfahrt je gebraucht hätten, führt sie doch nur zu einem Schuppen auf der anderen Seite, aber versucht haben wir sie doch, bei allen Wasserständen, und vielleicht ging dabei einst einiges schief, doch sind wir stets davongekommen, herausgekommen, lachend, nass und mit nur kleineren Wunden, bis wir dann einen Moment, einen Herbst lang vielleicht, nicht aufgepasst haben, beschäftigt waren, abgelenkt von einer seltsamen Konzentriertheit, und auf einmal waren wir wohl zu alt für sowas. Nun sind wir wohl erwachsen, sitzen nicht mehr so oft in und vor Hütten, brennen unsere Schnürsenkel nicht mehr an Lagerfeuern an, und wenn wir doch noch sitzen, kommen wir mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften oder lassen uns abholen. Ich hoffe, daß niemals jemand ein Taxi rufen wird, und daß wir ewig über Busse lachen können, die da einst kommen sollen, das halte ich für ausgemacht.
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Ich höre Nachrichten, sie strukturieren die Stunden, sie wiederholen sich angenehm, verändern sich tatsächlich nur langsam über den Tag. Dazwischen schweife ich oft ab, konzentriere mich auf meine Silos, Einebnen, Verdichten, und immer wieder ein Wagen, der mir ein Häufchen vor die Verteilwalze spuckt. Oft tauchen Menschen hinter mir auf am Eingang des Silos, halten Kinder an den Händen, wollen zeigen und erklären und sind dann baß erstaunt, daß ein drei Meter breites Gefährt in einem fünf Meter breiten Silo nicht viel Platz lässt für ihre geschätzt drei Meter breiten Egos. Seltsame Überlebensstrategien, die sie da ihrem Nachwuchs beizubringen scheinen, denke ich dann, wenn sie stier an mir vorbeischauen, keinen Augenkontakt aufbauen, nur keine Kommunikation, denn man hat ja Ziel und Auftrag, wie auch ich Ziel und Auftrag habe, und möglichst keine Personen im Silo festzufahren ist nun wirklich nur ein optionaler Nebenauftrag. Mit einem Wagen, der rückwärts ins Silo will, einem Auto, das nur so halb und einem, das gar nicht mehr vorbeipasst, schaffen wir einen veritablen Verkehrsknoten, der zweifellos so heißt, weil sich darin nix bewegt. Dazu kommt als Garnitur ein Radler auf einem der schweren Akkuräder, die sie den Rentnern neuerdings andrehen, weil große Batterien große Reichweiten bedeuten, und große Räder auch irgendwas, und so sinken sie tief in ihre teuren Federn und Dämpfer, halten sich fest an viel zu breiten Lenkern und stellen dann überrascht fest, daß sie nicht mehr zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Autos hindurchpassen. Lenker zu breit, die Beine reichen nicht auf den Boden, ich fahre dann lieber wieder vorwärts ins Silo, bevor einer von unten mein Meine-Güte-Gesicht erkennen kann. Ich überlege noch lang, welche Tiere das waren, die nicht rückwärts können, und ob eine dieser Netzfliegenfallen groß genug auch für Menschen funktionieren könnte, aber vermutlich stecken wir alle längst in diesen Fallen und finden nur nicht mehr heraus. Wieder Nachrichten.
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Manche Meldungen behalte ich im Gedächtnis, und ich behaupte, das nicht einmal zu wollen, ich memoriere keine Nachrichten, ich habe mit physikalischen Gesetzen und den Regeln zu ihrer Anwendung nun wirklich genug zu tun, ich kann mir ja kaum meinen Namen merken. Etwas bleibt trotzdem hängen, und dann muß ich immer nachschauen, wann das denn nun vermeldet wurde, denn meist fehlen mir Zeiten und Zusammenhänge, so wie Nachrichten nun eben nur noch Schlagzeilen sind, so funktioniert wohl auch mein Gedächtnis. Feststellen, seufzen. Dann laufen wieder Nachrichten.
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Über den Tag hinweg immer wieder ein Bericht über ein Kind, umgebracht in einem Krieg, der schon anderthalb Jahre Menschen zermalmt, und ich will gar nicht wissen, ob sie die geschätzte Million an Menschen schon vernichtet haben, für die sie vorgeben zu kämpfen, genau wie die Quadratmeter Landfläche, die sie ebenso vernichten, wie sie drum kämpfen. Ich habe keine Ideen mehr zu diesem Krieg, und so bleibt mir nur, stumpf und immer stumpfer zu warten, bis nach den Ideen auch die Munition ausgeht, oder vielleicht auch die Menschen zuerst, wer weiß das schon. "Nachrichten von ausschließlich regionaler Bedeutung", murmle ich, wie zur Abwehr gegen das Ertragenmüssen dieser Grausamkeit, und als Fetzen fällt mir das ein, so hat einst eine Nachrichtenredaktion ihre Weigerung begründet, sich mit einer anderen Grausamkeit zu befassen.
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Der Kanzler spricht, mit einer Augenklappe, wird vermeldet, und ich bin dann doch überrascht, denn seine Augen sind mir bislang nicht als sprechend aufgefallen, wie überhaupt der Kanzler wenig spricht in meiner Wahrnehmung, und vielleicht ist das sogar klug und richtig so, denke ich dann, und deshalb muss ich alle Stunde Nachrichten hören, weil ich darüber doch immer wieder den Faden verliere. Er spricht auf jeden Fall von einer Wirtschaftskrise, bei nur wenigen Zehntelprozenten statistischer Verluste von irgendwelchen Werten, deren Berechnung und Bewertung ich nicht verstehe. Ich kann mich doch an die erinnern, die diese wenigen Prozentpunkte als unbedeutend abgetan haben, als heilsam gar, und ob sie heute vielleicht anders denken, wo die ganze deutsche Welt sich um diese Zehntelprozente, Promille also, zu drehen und in Schmerzen zu winden scheint? Ich kann mich außerdem erinnern an die, die andere Zahlen aus den Hüten zogen, die von Stabilität zu künden schienen, und ich höre Crisis, what crisis?! ohne zu wissen, wo ich das denn nun wieder gehört haben könnte. Auf einem Silo, vermute ich dann, aber jedenfalls scheint es nun amtlich, wenn es selbst der Kanzler aus der Augenklappe spricht: Krise.
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Er wendet sich dann an die Bürgerinnen und Bürger mit einer Aufforderung oder einem Angebot, so ganz einig sind sich die Nachrichten über den Tag hinweg dann doch nicht damit, und ich denke an Angebote, die eine Aufforderung sein könnten, ich denke an enggeschnallte Gürtel und einbetonierte Füße, denn so richtig gute Angebote habe ich nicht mehr im Kopf, wenn ich Radionachrichten höre. Das könnte daran liegen, daß manche Sender vor den Nachrichten keine Werbung einblenden.
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Am Nachmittag dann bin ich über den Silowänden, brauche mehr Kraft und Konzentration, der Schlepper braucht mehr Luft, als er durch seine Gitterchen bekommen kann, und ich putze und fahre und puste und fahre wieder, denke an Zwänge und Notwendigkeiten, sehe dieses kleine Silo und alle, die um diesen Hof herum arbeiten von weit oben, sehe den kleinen Sinn des guten Futters in einem schlechten Futterjahr, und sehe ebenso die Studien, wir sollten doch alle einfach anders und weniger essen, sie nennen es die Klimadiät, dann würde es doch für alle reichen, Beispiel Saarland. Ja wirklich, eine der zitierten Studien bezieht sich auf das Saarland, aber auch das habe ich wieder nur irgendwo gelesen, ich lese ja Studien, wenn ich mal nicht im Silo bin oder vielleicht was anderes lese. Klimawandel, jedenfalls, und so beginnt ein Beitrag zur Apfelernte um den Bodensee. Die fällt gut aus, wird berichtet; Aber das hätte auch ganz anders ausgehen können, droht der Sprecher, wegen Klimawandel. Er sagt das wirklich so, und ich stutze schon gar nicht mehr wegen der Grammatik, Verzeihung, wegen Grammatik, wissenschon, sondern wegen Zusammenhang. Was will er damit sagen, frage ich mich, gibt es denn am Bodensee keinen Klimawandel, oder nur bei den Äpfeln nicht? Der Beitrag holt nun aus, das nasse, kühle Frühjahr, der heißeste Sommer seit einhundertundzwanzigtausend Jahren auf der Welt, aber eher nicht am Bodensee, ich war nämlich dort und habe blaugefrorene Kinder aus dem Wasser steigen sehen, die furchtbare Trockenheit dann, und nun die Ernte. Es gibt ein Zentrum, dessen Name ich vergessen habe, das sich mit dem Anbau von Obst unter wechselnden Bedingungen beschäftigt, und das Empfehlungen herausgibt, wie auch in Zukunft noch Äpfel geerntet werden sollen. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und für eine Beitragslänge habe ich Hoffnung, dass es uns noch lange einen Apfel reichen wird und für mich ein bisschen Wiesengras, wo es doch Tiere gibt, die sich damit besser auseinandersetzen können als wir Menschen. Wir rauchen das Gras ja lieber, und ich wollte längst einmal nachgeschlagen haben, was denn diese "Raucherclubs" bedeuten sollen, deren Schwaden vor einiger Zeit durch die Nachrichten gezogen sind.
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Ein Streitgespräch dann, ein kultiviertes, mit einem kultivierten Thema, der Zukunft des Liberalismus nämlich. Darin eine Philosophin, die so oft betonen muß, keine Politikwissenschaftlerin zu sein, daß ich sie glatt unter Politikwissenschaften im Gedächtnis behalten werde. Behalten durch Negieren, und vielleicht könnte man draus lernen in der Kommunikation, ich weiß ja nicht. Dazu hat sie eine wundervolle Stimme, die sie modulieren kann, daß ich mich plötzlich aufrecht setzen mag, wen sie den Druck erhöht, nur ganz leicht erhoben spricht, in den Momenten wichtiger Gedanken, oder wenn wieder einer der Herren ansetzt, sie zu unterbrechen. Es gelingt ihnen nicht, und auch die Süffisanz, mit der einer dazwischen anmerkt, es gelänge ihm wohl nicht, seine Meinung auszudrücken, worauf sie ihm Zeit lässt, seinen Gedanken noch mehr zu konfusionieren und ihm selbst zu widersprechen. Kein guter Redner, denke ich, und doch ist der Kern des Gesprächs ein glühender, ein blasenwerfender, und einer, um den ich noch einige Tage kreisen werde. Die Freiheit als Ziel, als Ziel für alle, oder doch nur für einige Gemeinte? Und durchgesetzt gerade durch wohldosierte Einschränkungen der Freiheit - frei zum Leben zu sein bedeutet ja, daß auch andere frei sind, zu leben, daß also ihr Leben vor meiner Freiheit geschützt wird. Und es kommt nun der Gedanke auf, daß wir diese Freiheit anders definieren. So sagen die einen, Freiheit bestünde auch darin, sich alles kaufen zu können. Nein nein, sagen die anderen, man kann nicht alles kaufen, und komischerweise sind das diejenigen, die allen Geld geben wollen, um sich mehr kaufen zu können. Freiheit als Chancengleichheit, sagen die einen wieder, und dann sehe ich mich als alten, faulen Silosack am Fels hängen, neben einer jungen, kräftigen Beweglichen, die über Griffe turnt, die ich nicht kriegen kann. Ich hätte vielleicht mal gekonnt, oder vielleicht mal nur dafür üben können, und so ist Freiheit auch immer eine Folge von Entscheidungen und Einschränkungen, und stets begleitet selbst im größten Freiheitsglück die Notwendigkeit, von der wir uns nie lösen können. Freiheit also, denke ich so vor mich, fordert einen Kanon von Begriffen, mit denen wir die Freiheit markieren, die wir meinen. Und ob dazu die Zukunft gehört, die ein Recht haben soll, eine Zukunft und frei zu sein, kann durchaus eine Einschränkung bedeuten. Die Philosophin beschreibt den Liberalismus dann als optimistisch, auf Verbesserung hinwirkend, und genau an diesem Punkt entzündet sich im Gespräch der Konflikt zwischen purer Beschränkung und dem Freiheitsgedanken, für diese freie Zukunft Neues zu schaffen. An wen sich die Freiheit richten soll, und welche Begriffe sie umfasst, das wären Themen für Liberale, denke ich dann, aber ich bin selbst schon einmal in einem Porsche gefahren und kann verstehen, daß man dabei nicht an anderes denken mag.
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Das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen sei die Schweiz, berichtet man, und liefert die Gründe gleich mit: Eine ähnliche Sprache, was ich als Dialketsprecher mit angeheirateter Schweizer Verwandtschaft nun einfach mal zur Kenntnis nehme, gute Bildung für die Kinder und die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Ob das die ganzen Studienersteller gerne hören, die über Jahre erklärt haben, es gäbe keine Pullfaktoren, man habe einfach keine finden können? Merken durch Negieren, das hatte ich heute schon einmal, ebenso wie die Notwendigkeiten, die selbst in der Freiheit stecken, und vielleicht hätte man aus diesen ganz verständlichen Faktoren ja etwas Nützliches lernen können, und mit nützlich meine ich von Nutzen, wie so eine Kartoffel nützlich sein kann, wenn man eine pflanzt und viele erntet und mit Pommes Glück erzeugt? Stattdessen haben wir die Kartoffel zum Schimpfwort gemacht und streiten drum, welch Armseligkeit unserer armen Seelen.
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Wie alle Tage endet dieser, ich klopfe Filter aus und puste in Kühler, verfrachte allen Dreck von dort auf mich, auf dass er mich kratzen und beißen solle bis zur Dusche. Doch vor der Halle steht ein Bänkchen, ein Feuer knistert unterm Rost, und dann sitze ich doch und schaue lang ins Abendrot und noch viel länger in die blaue Stunde hinein, und nicht zuletzt bin ich froh, daß ich nicht immer Nachrichten hören muß, sondern hier sitzen darf am Tagesende.
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Sitz, Lenkrad, Klima, Radio, Spiegel. Bevor ich noch recht vom Hof bin, passt das Fahrzeug wieder zu mir, und jeder andere, der drauf sitzen müsste, würde fluchen. Hydraulik, Getriebe, Anzeigen und Messgrößen während der Anfahrt, damit das Fahrzeug auch zur Arbeit passt. Durchs Heimatdorf mit blitzenden Rundumleuchten, es ist ein fahrendes Freudenhaus an diesem Sonnentag.
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Im toten Funkwinkel der Alb kann ich die Feindsender aus Bayern nicht mehr empfangen, wechsle also zu den einheimischen Propagandisten. Am Dialekt kann man sie sowieso nicht unterscheiden, am ehesten noch an der Musik, die sie spielen. So findet man hier ein riesiges Loch zwischen totgespielter vierzig Jahre alter Pop- und herber Zwölftonmusik auf hundert Jahre alten Instrumenten, während man dort fröhlich rauf und runter spielt, was sich Begeisterte und Bekiffte aus der Heimat so ausgedacht haben. Vielleicht gibt es hier keinen Musikunterricht mehr, denke ich manchmal, denn ich kann ja auch kein Instrument wirklich spielen, und singen will mich auch niemand hören. Dazu passt mein fahrendes, verglastes Eckbüro ganz vorzüglich, denn ich klappe den Beifahrersitz zusammen und singe friedlich und allein vor mich hin. So könnte ich Tage verbringen und bin froh, daß ich so manche Tage verbringen kann, die pure Passion kaum versteckt unter dem Mäntelchen des Müssens. Das Schöne wird nur noch schöner für uns Schwaben, wenn wir es auch noch müssen dürfen.
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Ein gemächlicher Einstieg, zwei enge Silos mit hohen Wänden. Meine Einfahrt kreuzt die Hofeinfahrt, wo die Automaten stehen. Den ganzen Tag über Besuch, man trifft sich dort, um Kälbchen anzuschauen, Stallduft zu schnuppern, Eis und Milch und Käse, Nudeln und Wurst einzukaufen, und diese kleine Automatenstation hat sich gemausert in den letzten Jahren, wurde ergänzt um Brotverkauf aus einem Verkaufswagen, ein winziger Markt am letzten Bach, der noch eine Furt als Überfahrt bietet. Nicht, daß wir diese Überfahrt je gebraucht hätten, führt sie doch nur zu einem Schuppen auf der anderen Seite, aber versucht haben wir sie doch, bei allen Wasserständen, und vielleicht ging dabei einst einiges schief, doch sind wir stets davongekommen, herausgekommen, lachend, nass und mit nur kleineren Wunden, bis wir dann einen Moment, einen Herbst lang vielleicht, nicht aufgepasst haben, beschäftigt waren, abgelenkt von einer seltsamen Konzentriertheit, und auf einmal waren wir wohl zu alt für sowas. Nun sind wir wohl erwachsen, sitzen nicht mehr so oft in und vor Hütten, brennen unsere Schnürsenkel nicht mehr an Lagerfeuern an, und wenn wir doch noch sitzen, kommen wir mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften oder lassen uns abholen. Ich hoffe, daß niemals jemand ein Taxi rufen wird, und daß wir ewig über Busse lachen können, die da einst kommen sollen, das halte ich für ausgemacht.
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Ich höre Nachrichten, sie strukturieren die Stunden, sie wiederholen sich angenehm, verändern sich tatsächlich nur langsam über den Tag. Dazwischen schweife ich oft ab, konzentriere mich auf meine Silos, Einebnen, Verdichten, und immer wieder ein Wagen, der mir ein Häufchen vor die Verteilwalze spuckt. Oft tauchen Menschen hinter mir auf am Eingang des Silos, halten Kinder an den Händen, wollen zeigen und erklären und sind dann baß erstaunt, daß ein drei Meter breites Gefährt in einem fünf Meter breiten Silo nicht viel Platz lässt für ihre geschätzt drei Meter breiten Egos. Seltsame Überlebensstrategien, die sie da ihrem Nachwuchs beizubringen scheinen, denke ich dann, wenn sie stier an mir vorbeischauen, keinen Augenkontakt aufbauen, nur keine Kommunikation, denn man hat ja Ziel und Auftrag, wie auch ich Ziel und Auftrag habe, und möglichst keine Personen im Silo festzufahren ist nun wirklich nur ein optionaler Nebenauftrag. Mit einem Wagen, der rückwärts ins Silo will, einem Auto, das nur so halb und einem, das gar nicht mehr vorbeipasst, schaffen wir einen veritablen Verkehrsknoten, der zweifellos so heißt, weil sich darin nix bewegt. Dazu kommt als Garnitur ein Radler auf einem der schweren Akkuräder, die sie den Rentnern neuerdings andrehen, weil große Batterien große Reichweiten bedeuten, und große Räder auch irgendwas, und so sinken sie tief in ihre teuren Federn und Dämpfer, halten sich fest an viel zu breiten Lenkern und stellen dann überrascht fest, daß sie nicht mehr zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Autos hindurchpassen. Lenker zu breit, die Beine reichen nicht auf den Boden, ich fahre dann lieber wieder vorwärts ins Silo, bevor einer von unten mein Meine-Güte-Gesicht erkennen kann. Ich überlege noch lang, welche Tiere das waren, die nicht rückwärts können, und ob eine dieser Netzfliegenfallen groß genug auch für Menschen funktionieren könnte, aber vermutlich stecken wir alle längst in diesen Fallen und finden nur nicht mehr heraus. Wieder Nachrichten.
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Manche Meldungen behalte ich im Gedächtnis, und ich behaupte, das nicht einmal zu wollen, ich memoriere keine Nachrichten, ich habe mit physikalischen Gesetzen und den Regeln zu ihrer Anwendung nun wirklich genug zu tun, ich kann mir ja kaum meinen Namen merken. Etwas bleibt trotzdem hängen, und dann muß ich immer nachschauen, wann das denn nun vermeldet wurde, denn meist fehlen mir Zeiten und Zusammenhänge, so wie Nachrichten nun eben nur noch Schlagzeilen sind, so funktioniert wohl auch mein Gedächtnis. Feststellen, seufzen. Dann laufen wieder Nachrichten.
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Über den Tag hinweg immer wieder ein Bericht über ein Kind, umgebracht in einem Krieg, der schon anderthalb Jahre Menschen zermalmt, und ich will gar nicht wissen, ob sie die geschätzte Million an Menschen schon vernichtet haben, für die sie vorgeben zu kämpfen, genau wie die Quadratmeter Landfläche, die sie ebenso vernichten, wie sie drum kämpfen. Ich habe keine Ideen mehr zu diesem Krieg, und so bleibt mir nur, stumpf und immer stumpfer zu warten, bis nach den Ideen auch die Munition ausgeht, oder vielleicht auch die Menschen zuerst, wer weiß das schon. "Nachrichten von ausschließlich regionaler Bedeutung", murmle ich, wie zur Abwehr gegen das Ertragenmüssen dieser Grausamkeit, und als Fetzen fällt mir das ein, so hat einst eine Nachrichtenredaktion ihre Weigerung begründet, sich mit einer anderen Grausamkeit zu befassen.
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Der Kanzler spricht, mit einer Augenklappe, wird vermeldet, und ich bin dann doch überrascht, denn seine Augen sind mir bislang nicht als sprechend aufgefallen, wie überhaupt der Kanzler wenig spricht in meiner Wahrnehmung, und vielleicht ist das sogar klug und richtig so, denke ich dann, und deshalb muss ich alle Stunde Nachrichten hören, weil ich darüber doch immer wieder den Faden verliere. Er spricht auf jeden Fall von einer Wirtschaftskrise, bei nur wenigen Zehntelprozenten statistischer Verluste von irgendwelchen Werten, deren Berechnung und Bewertung ich nicht verstehe. Ich kann mich doch an die erinnern, die diese wenigen Prozentpunkte als unbedeutend abgetan haben, als heilsam gar, und ob sie heute vielleicht anders denken, wo die ganze deutsche Welt sich um diese Zehntelprozente, Promille also, zu drehen und in Schmerzen zu winden scheint? Ich kann mich außerdem erinnern an die, die andere Zahlen aus den Hüten zogen, die von Stabilität zu künden schienen, und ich höre Crisis, what crisis?! ohne zu wissen, wo ich das denn nun wieder gehört haben könnte. Auf einem Silo, vermute ich dann, aber jedenfalls scheint es nun amtlich, wenn es selbst der Kanzler aus der Augenklappe spricht: Krise.
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Er wendet sich dann an die Bürgerinnen und Bürger mit einer Aufforderung oder einem Angebot, so ganz einig sind sich die Nachrichten über den Tag hinweg dann doch nicht damit, und ich denke an Angebote, die eine Aufforderung sein könnten, ich denke an enggeschnallte Gürtel und einbetonierte Füße, denn so richtig gute Angebote habe ich nicht mehr im Kopf, wenn ich Radionachrichten höre. Das könnte daran liegen, daß manche Sender vor den Nachrichten keine Werbung einblenden.
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Am Nachmittag dann bin ich über den Silowänden, brauche mehr Kraft und Konzentration, der Schlepper braucht mehr Luft, als er durch seine Gitterchen bekommen kann, und ich putze und fahre und puste und fahre wieder, denke an Zwänge und Notwendigkeiten, sehe dieses kleine Silo und alle, die um diesen Hof herum arbeiten von weit oben, sehe den kleinen Sinn des guten Futters in einem schlechten Futterjahr, und sehe ebenso die Studien, wir sollten doch alle einfach anders und weniger essen, sie nennen es die Klimadiät, dann würde es doch für alle reichen, Beispiel Saarland. Ja wirklich, eine der zitierten Studien bezieht sich auf das Saarland, aber auch das habe ich wieder nur irgendwo gelesen, ich lese ja Studien, wenn ich mal nicht im Silo bin oder vielleicht was anderes lese. Klimawandel, jedenfalls, und so beginnt ein Beitrag zur Apfelernte um den Bodensee. Die fällt gut aus, wird berichtet; Aber das hätte auch ganz anders ausgehen können, droht der Sprecher, wegen Klimawandel. Er sagt das wirklich so, und ich stutze schon gar nicht mehr wegen der Grammatik, Verzeihung, wegen Grammatik, wissenschon, sondern wegen Zusammenhang. Was will er damit sagen, frage ich mich, gibt es denn am Bodensee keinen Klimawandel, oder nur bei den Äpfeln nicht? Der Beitrag holt nun aus, das nasse, kühle Frühjahr, der heißeste Sommer seit einhundertundzwanzigtausend Jahren auf der Welt, aber eher nicht am Bodensee, ich war nämlich dort und habe blaugefrorene Kinder aus dem Wasser steigen sehen, die furchtbare Trockenheit dann, und nun die Ernte. Es gibt ein Zentrum, dessen Name ich vergessen habe, das sich mit dem Anbau von Obst unter wechselnden Bedingungen beschäftigt, und das Empfehlungen herausgibt, wie auch in Zukunft noch Äpfel geerntet werden sollen. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und für eine Beitragslänge habe ich Hoffnung, dass es uns noch lange einen Apfel reichen wird und für mich ein bisschen Wiesengras, wo es doch Tiere gibt, die sich damit besser auseinandersetzen können als wir Menschen. Wir rauchen das Gras ja lieber, und ich wollte längst einmal nachgeschlagen haben, was denn diese "Raucherclubs" bedeuten sollen, deren Schwaden vor einiger Zeit durch die Nachrichten gezogen sind.
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Ein Streitgespräch dann, ein kultiviertes, mit einem kultivierten Thema, der Zukunft des Liberalismus nämlich. Darin eine Philosophin, die so oft betonen muß, keine Politikwissenschaftlerin zu sein, daß ich sie glatt unter Politikwissenschaften im Gedächtnis behalten werde. Behalten durch Negieren, und vielleicht könnte man draus lernen in der Kommunikation, ich weiß ja nicht. Dazu hat sie eine wundervolle Stimme, die sie modulieren kann, daß ich mich plötzlich aufrecht setzen mag, wen sie den Druck erhöht, nur ganz leicht erhoben spricht, in den Momenten wichtiger Gedanken, oder wenn wieder einer der Herren ansetzt, sie zu unterbrechen. Es gelingt ihnen nicht, und auch die Süffisanz, mit der einer dazwischen anmerkt, es gelänge ihm wohl nicht, seine Meinung auszudrücken, worauf sie ihm Zeit lässt, seinen Gedanken noch mehr zu konfusionieren und ihm selbst zu widersprechen. Kein guter Redner, denke ich, und doch ist der Kern des Gesprächs ein glühender, ein blasenwerfender, und einer, um den ich noch einige Tage kreisen werde. Die Freiheit als Ziel, als Ziel für alle, oder doch nur für einige Gemeinte? Und durchgesetzt gerade durch wohldosierte Einschränkungen der Freiheit - frei zum Leben zu sein bedeutet ja, daß auch andere frei sind, zu leben, daß also ihr Leben vor meiner Freiheit geschützt wird. Und es kommt nun der Gedanke auf, daß wir diese Freiheit anders definieren. So sagen die einen, Freiheit bestünde auch darin, sich alles kaufen zu können. Nein nein, sagen die anderen, man kann nicht alles kaufen, und komischerweise sind das diejenigen, die allen Geld geben wollen, um sich mehr kaufen zu können. Freiheit als Chancengleichheit, sagen die einen wieder, und dann sehe ich mich als alten, faulen Silosack am Fels hängen, neben einer jungen, kräftigen Beweglichen, die über Griffe turnt, die ich nicht kriegen kann. Ich hätte vielleicht mal gekonnt, oder vielleicht mal nur dafür üben können, und so ist Freiheit auch immer eine Folge von Entscheidungen und Einschränkungen, und stets begleitet selbst im größten Freiheitsglück die Notwendigkeit, von der wir uns nie lösen können. Freiheit also, denke ich so vor mich, fordert einen Kanon von Begriffen, mit denen wir die Freiheit markieren, die wir meinen. Und ob dazu die Zukunft gehört, die ein Recht haben soll, eine Zukunft und frei zu sein, kann durchaus eine Einschränkung bedeuten. Die Philosophin beschreibt den Liberalismus dann als optimistisch, auf Verbesserung hinwirkend, und genau an diesem Punkt entzündet sich im Gespräch der Konflikt zwischen purer Beschränkung und dem Freiheitsgedanken, für diese freie Zukunft Neues zu schaffen. An wen sich die Freiheit richten soll, und welche Begriffe sie umfasst, das wären Themen für Liberale, denke ich dann, aber ich bin selbst schon einmal in einem Porsche gefahren und kann verstehen, daß man dabei nicht an anderes denken mag.
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Das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen sei die Schweiz, berichtet man, und liefert die Gründe gleich mit: Eine ähnliche Sprache, was ich als Dialketsprecher mit angeheirateter Schweizer Verwandtschaft nun einfach mal zur Kenntnis nehme, gute Bildung für die Kinder und die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Ob das die ganzen Studienersteller gerne hören, die über Jahre erklärt haben, es gäbe keine Pullfaktoren, man habe einfach keine finden können? Merken durch Negieren, das hatte ich heute schon einmal, ebenso wie die Notwendigkeiten, die selbst in der Freiheit stecken, und vielleicht hätte man aus diesen ganz verständlichen Faktoren ja etwas Nützliches lernen können, und mit nützlich meine ich von Nutzen, wie so eine Kartoffel nützlich sein kann, wenn man eine pflanzt und viele erntet und mit Pommes Glück erzeugt? Stattdessen haben wir die Kartoffel zum Schimpfwort gemacht und streiten drum, welch Armseligkeit unserer armen Seelen.
#
Wie alle Tage endet dieser, ich klopfe Filter aus und puste in Kühler, verfrachte allen Dreck von dort auf mich, auf dass er mich kratzen und beißen solle bis zur Dusche. Doch vor der Halle steht ein Bänkchen, ein Feuer knistert unterm Rost, und dann sitze ich doch und schaue lang ins Abendrot und noch viel länger in die blaue Stunde hinein, und nicht zuletzt bin ich froh, daß ich nicht immer Nachrichten hören muß, sondern hier sitzen darf am Tagesende.
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