Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 1. 01 10

01.01.10, 16:00 | 'Harrjah!'


Die Kür zum Ostalb I mit Urkunde.

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Wie sie mich anschreien. Und ich mit ihnen. Ost-Alb! Ost-Alb! Ost-Alb!

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Sekt aus Plastikbechern.

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Feuerwerk bei Vollmond, vom Hügel aus. Wir sind sehr weit weg, und genau da sind wir gern. Irgendwo steigen leuchtende Ballons auf. Sie erreichen die wenigen, hochstehenden Wolken nicht, sie verglimmen vorher.

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Die Jüngsten feiern hinterm Stall.

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Seit langem wieder Raclette. Und zum ersten Mal ein Schokobrunnen. Irgendwann wehre ich japsend ab. Mich verreißt es gleich, jammere ich.

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Wie sie mich aufnehmen, in diese Familie. Wie sie mir das Gefühl geben, daß meine Beine unter diesem Tisch sein dürfen. Sollen. Wie die Nervosität verfliegt. Trotzdem trinke ich drei Liter Wasser. Wer trinkt, sagt nichts Verkehrtes.

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Es wäre zu jedem Zeitpunkt unwichtig, ob man nun den Heimweg anträte oder noch bliebe. Und das ist ein sehr erstrebenswerter Zustand, weil einem dann so gar nichts fehlt.

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Einer fehlt, und den rufe ich an. Hörst Du, rufe ich in den Hörer! Hörst Du, hier spiele ich Helene, und Du bist nicht da! "Und morgen früh küss ich Dich wach" tönt es aus dem Hörer, und ich reiße die Tür auf, wieder hinein in den Lärm, den Dunst, die Hitze des Feierns.

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Der Schub der Schärpe vielleicht, oder doch nur, weil ich nun anerkannt habe, daß ich mich interessiere. "Wie geht es euch?" frage ich am Mädchentisch, und sie stellen sich nacheinander vor.

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Der Kanzler wird unser Trompeter sein.

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Wir läuten, nachts um drei, und wünschen ein gutes Neues an. Sie freuen sich, daß wir kommen, und das unterscheidet sie von denen, die am nächsten Tag darüber reden werden, wie man nachts nur läuten kann. Kein Gram. Kein Neid. Freude am Freuen.

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Im Jugendhaus durch den Gang zu laufen. Endstation, wie immer. Musik, Lichterflackern. Die Alten werfen die Arme hoch, und ich werfe mich in ihre Arme. Von einem zum anderen gereicht, und ich lasse mich heute gern erdrücken.

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Mein rotes Unglück jauchzt und jubelt, und schon tanzen wir. Ich wie der Lump am Stecken, sie balanciert mich elegant aus. Die Hebefigur misslingt kläglich, und auf den Knien lecke ich ihr den Bauch. Immer wieder aufeinander zu, voneinander weg, umeinander herum. Um uns die Alten, ihr fliegendes Haar.

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Noch einige Tanzschritte dort. Silbertänzerin, sagt sie, und mit den Standards konnte ich es noch nie. Ich bin zu behutsam, zu langsam, und nur ihr Blick fesselt mich. Zieht mich an. Ich gehe zu Boden, hebe sie hoch, rutsche, und irgendwo setze ich sie wieder ab. Knapp am Büffet vorbei, und selbst das wäre nicht schlimm gewesen.

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"Muß ich nach hause laufen?"

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Irgendwann ruft eine an, die abgestreift worden ist. Zu hause. Sie ist betrunken, und es fällt ihr selbst gar nicht auf, daß sie sich nur aus Einsamkeit kümmert. Vielleicht ist das richtig, vielleicht ist das sehr arm. Liebe hat nichts mit Verstand zu tun, denke ich, und vielleicht ist das - obwohl im neuen Jahr - die Erkenntnis des alten. Die Planbarkeit, um die ich sie beneidete, sie plant sich selbst, indem man nicht plant. Dazu gehört eine Solidität, die nicht aus dem Kopf kommen kann, und das mag eine sehr abgedroschene Weisheit sein. Aber ich bin ja erst - siebenundzwanzig. Es wird Zeit. Schmeiß den Kopf weg, Kollege, denke ich, und gehe wieder nach drinnen. Der Bildschirm verglimmt, und ich lasse das Telefon wieder in meine Tasche gleiten.

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Der Chef weckt mich, wie jedes Jahr, und er erzählt vom Streuen und vom Bahnen. Rückwärts, sagt er, und mit dem Pflug bremsen. Ich mag das, wenn er so erzählt. Wenn ich so erzählen darf. Funkend scheuerndes Metall auf dem Asphalt. Dann denke ich wieder, ob das werden kann, ob das wieder werden kann. Ich sehe dem Telefon zu, wie es dunkel wird. Ich lehne mich zurück. Ich muß das jetzt nicht entscheiden. Es wird sich zeigen.

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"Kopf gegen Herz, tagein und tagaus.
Deshalb Kopf hoch, und immer gradeaus."

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Nachmittags noch ein Labmagen. Das Werkzeug dringt durch die dicke Haut, als ob man einen Luftballon aufspießte. Nur ohne Knall. Nur das Reißen des gespannten Gewebes. Wir halten sie zu dritt, und als ich abends gehe, ist die Dame schon wieder glockenmunter.

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Im dreckverschmierten, zurückgekrempelten Overall stehe ich an der Theke. Es ist schon alles hergerichtet für den Abend. Ich noch nicht. Ich habe Zeit.

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"Du und Deine Flex" sagt er grinsend, als ich anwackle in meinen riesigen Gummistiefeln, den großen Winkelschleifer in der Hand.
Das zärtliche Durchtrennen. Wie die Scheibe durch den Stahl gleitet. Glühend, mit spritzenden Funken. Flexen und Schweißen, zum Glück habe ich euch gefunden.

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Ich spüre den Neid auf mir liegen. Ich spüre das tumbe Unmögen. Wohlwollen. Die andere Meinung von einem, dessen Meinung mir gewichtig ist. Ich spüre ihre Blicke, aber ich stolpere nicht mehr darüber.
Ich mag ihre Meinungen, weil sie verschieden sind.

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Wie mir alle Tage die Kühe fehlen.

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"Ich wäre nicht stolz auf sowas", sagt er, und ich nehme das zur Kenntnis. Wir beide trennen unser Mögen von unseren Meinungen, und das verbindet uns. Auch wenn uns alles trennt.

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Ich zähle nicht mehr. Ich vergleiche nicht mehr. Telefone sind keine Schwänze, keine Kerben am Bettrand. Nicht mehr.

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Und deshalb das Beste aller Feste. Kein Sinn. Kein Zweck. Kein Plan. Lebenslust. Muß man ja auch mal sagen.

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Auch Ihnen allen ein gutes Neues!

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