Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 2. 09 13

02.09.13, 15:56 | 'Dying to say this to you'
Du liegst da, auf der hochgestellten Lehne, mit einem Kissen und meiner roten Decke, und immer wieder sehe ich weg von dem leuchtenden Bildschirm zu Deinen Augen, die klein und kleiner werden. Zu Deinen Füßen unter der Decke, die sich langsam entspannen und auf meine zu rutschen. Ich nehme sie in die Hand und wärme sie. Davon wachst Du nicht einmal mehr richtig auf.

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Die Eleganz und Schönheit entspannter Muskeln. Zerfließende Härte. Schmelzendes Eis. Darüber bricht Dein panzernder Optimismus, die hochglänzende, dünne Schicht. Ich versuche Trost, ich versuche Zuversicht. Du magst nicht davon trinken, und vorsichtig flöße ich Dir davon ein, wie man einem Kind mit Bauchschmerzen warmen Tee einflößt.

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Es ist nicht der Stau freitagabends, schreibe ich. Ich verbringe einfach gerne Zeit mit Dir.
Dann stehe ich im Stau in der Nachtbaustelle, über meinem Kopf tanzen Wölkchen aus Ironiestaub, und ich lese, daß Du das weißt. Daß Du das schön findest. Mach keinen Blödsinn, schreibst Du noch, dann bin ich zu Hause.

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Ich stehe am Güllefass, die Hand am Kotflügel. Von dort kann ich die Pumpe abschalten, die das Fass füllt. Über den Hof kommt ein junger Mann mit Schultertasche. Unter dem Riemen klemmt seine Krawatte, und ein Hemd trägt er auch. "Finden Sie nicht auch", schreit er durch den Lärm des Sechszylinders und das Röhren der Exzenterpumpe, "daß Gott Ihnen nicht zuhört, wenn Sie mit ihm reden wollen?" Ich haue auf den Knopf, lege Hebel um und löse den Saugschlauch. Es spritzt ein wenig.
Ich schaue wieder hin, ob ich das alles geträumt habe. Er steht immer noch da und streckt mir die Hand hin. Automatisch reiche ich ihm die Hand, und er nimmt sie nicht am Gelenk, wie das alle tun, die auf den Hof kommen, sondern richtig, und zwischen unseren Händen tropft ein wenig Gülle zu Boden. Tut mir leid, sage ich. Ich weiß nicht, ob Gott mir zuhört. Ich weiß auch nicht so recht, was ich ihm sagen sollte. Dann sage ich noch, daß ich ein wenig in Eile bin und zeige dem jungen Mann, wo er sich die Hände waschen kann. Er lässt mir noch eine Zeitschrift da und macht sich zu Fuß wieder auf den Weg, als ich aus dem Hof fahre.

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Auf dem Weg zum Mittagessen sitze ich im Laderaum eines Lieferwagens und winke den hinter uns Fahrenden durch die Heckscheibe. Ich bin einunddreißig, und manchmal muß ich mir das selber sagen.

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Am Nachmittag pflüge ich. Laufe neben dem Schlepper her, der sich einen Weg in der Furche bahnt. Nebenan, in der größten privaten Wirtschaft, die so ein Bauwagen sein kann, kommen Autos an und fahren Autos weg. So können Samstage sein, denke ich, aber vorstellen könnte ich mir das nicht. Ich drehe an Spindeln und klopfe Klemmmuttern fest, springe wieder auf und gebe Gas. Welch wunderschönes Ackerwerk.

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Mitten in der Nacht fahre ich auf den Hof, wasche mich und sage laut in die Dunkelheit, daß wir mal wieder Gehaltsverhandlungen führen sollten. Lachen.

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Wir sind so wenige auf diesem Fest. Dabei habe ich mich so gefreut. Dann stehen wir doch bis um fünf, und eigentlich sollte ich schon wieder im Stall sein.
Als ich ankomme, in sonntäglichen Hausschuhen und Sporthosen, kann ich mich nicht umziehen, weil die Oma alle Eingänge verrammelt hat. Alle. Wir melken also ohne Stiefel heute, lache ich, was will man machen. Aber kalt ist es doch.

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Beim Sonntagsfrühstück sitzend bis elf. Lachend.

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Der Mittagsschlaf im Regen.

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Klettern in der Abendsonne. Ich gehe durch bekannte Vorstiegsrouten, sauber und konzentriert. Was Schlaf mit einem macht, denke ich. Beim Sichern legt sich der Hund neben mich auf den Seilsack. Er begrüßt mich, wenn ich herabschwebe, als hätte er mich neu entdeckt. Nimmt meinen Arm zwischen die Zähne, freut sich, will mir etwas zeigen, bringt mir halbe Bäume mit und muß mir alles lautstark berichten. Hunde sind super.

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Auf dem Heimweg fährt sie vor mir. Ich bin müde, ich fahre in mäßigem Abstand hinterher. Tippe am Radio, stecke das Telefon ans Ladegerät. "Singst Du schön mit?" fragt sie, und ich sehe sie im Rückspiegel lachen. Klar doch, schreibe ich, und irgendwann trennt uns eine Ampel.
Es ist dunkel, als ich nach Hause komme.
# |  Rauchfrei | Gas geben


02.09.13, 15:07 | 'buying in just like a bunch of fools'
Ich bin ja zu doof, um Hosen zu kaufen. Deshalb bekomme ich meistens die abgelegten Hosen meines Vaters geschenkt. Das funktionierte bisher ganz passabel, aber seit der alte Herr nicht mehr raucht, hat er ein wenig zugenommen, und jetzt muß ich also eine Hand in der Tasche halten oder einen Gürtel tragen. Mag ich beides nicht so recht, laufe also des öfteren mit zerschlissenen oder auf Halbmast rutschenden Hosen herum.
Dabei wäre alles so einfach! Ich habe Urlaub - dieser Teil der Geschichte ist schon einige Tage her - und verbringe einen Regentag in der Stadt, um Hosen zu kaufen. Dann noch in einer anderen Stadt, weil es für mich keine Hosen gibt. Denn ich hätte gern eine Hose, bei der sich die Beine abnehmen lassen. Lachen Sie nur, ich habe sowas auch an meinen Arbeitshosen und genieße es sehr, gegen Mittag die Hosenbeine abnehmen und abends wieder anbringen zu können. Das führt dazu, daß nur die Hosenbeine einigermaßen sauber bleiben und sich alle wundern, wie ich denn das wieder geschafft habe. In der Umkleide gelassen, sage ich dann, und alle denken sich ihren Teil.
Diese Hosen möchte ich jetzt umso dringender, als ich demnächst eine Flugreise unternehmen werde. Das Gepäck ist begrenzt, und mit Neoprenanzug und Kletterbedarf komme ich schon dicht genug an die Gewichtsbeschränkung, daß ich selbst an den Unterhosen sparen werde. Oder an den Socken, wie auch immer. Außerdem wird es tagsüber heiß und abends kalt werden, außer der Herr Obama schießt ein paar dutzend Kilometer daneben. Dann wird es generell eher brenzlig werden. Da sieht man mal, was alles passieren kann, wenn ich anfange, Urlaub zu machen und zu fliegen. Aber das soll nicht unser Thema sein, sondern Hosen.
Ich hätte jedenfalls gern ein paar dieser Hosen. Die gefielen mir im Laden, die waren auch in den Läden nicht so furchtbar teuer wie alle anderen, die haben einen Reißverschlüsse an den Hosenbeinen, eine schmutzverzeihende Farbe, was will ich mehr?
Ich probierte also brav in allen Läden die von den Verkaufsdamen abgeschätzte Größe sechsundvierzig an, die sich keine Sekunde an meinen Hüften halten wollte, und auch auf Nachfrage wollte ich keinen Gürtel dazu kaufen, sondern hätte gern eine passende Hose gehabt. Vierundvierzig also, und auch die glitt an mir sanft und fast geräuschlos zu Boden. Immerhin schaffe ich es mit der Größe, meinen Geldbeutel in der Hose zu verstauen, bevor sie den Abgang macht. Dabei ist der nicht besonders schwer, so viel Geld habe ich nicht. Aber die Richtung stimmt, und die Länge auch einigermaßen. Außerdem ist meine Frau Mama ihres Zeichens Schneiderin und mit einer Familie voller unpassender Herren gesegnet, Länge ist also relativ. Relativ egal, womit das dann auch mal abschließend definiert wäre.
Meine Frage nach einer kleineren Größe wird ebenso lachend wie abschlägig beschieden. In jedem einzelnen Laden. Jedem. Einzelnen. Laden. Und jedesmal fangen wir bei sechsundvierzig von vorne an. Ich fange schon an, meine Daten auswendig zu können, so oft bin ich vermessen worden. Außerdem glaube ich, daß nur Menschen solche Hosen kaufen, die doppelt so viel Mensch sind wie ich. Denn in den Größen oberhalb gibt es alles und in allen Farben. Weiße Wanderhosen! Ich habe die Anzahl weißer Socken erfolgreich auf null gesetzt, indem ich anfing, die auch im Stall zu tragen. Innerhalb weniger Wochen waren nur noch schwarze Socken im Schrank, und das war noch zu Zeiten, als meine Mutter sich noch um mein Äußeres sorgte. Ich werde also definitiv keine weißen Hosen kaufen. Keine weißen Hemden. Nicht, solange kein weißer Dreck erfunden wird oder ich auf Maler umschulen muß.
Ich brach also ab, nach zwei Städten und fast zehn Läden, in denen ich mich mit heruntergelassenen Hosen präsentiert hatte, ohne rauszufliegen. Im Gegenteil, die Anwesenden waren stets amüsiert und interessiert. Nur leider wenig hilfreich.
Als Mann der Tat, als Mann des Internets tat ich natürlich erst einmal nichts. Das heißt, ich las die Größentabelle nach. Diese reicht von achtundzwanzig bis vierundvierzig. Und ich hatte sechsundvierzig probiert. Da stimmt doch was nicht. Ich las mich also ein, europäische, amerikanische und französische Größen, und stierte in Statistiken über das Leibeswachstum der Generationen.
Vierundvierzig ist also vierunddreißig, und vierundvierzig war ja schon mal nicht schlecht gewesen. Also suchte ich hin, suchte ich her, und entschied mich dann für zweiunddreißig. Weil kleiner vierundvierzig, und weil vierundvierzig gleich vierunddreißig. Sie verstehen? Ich verstand jedenfalls die Welt nicht mehr, und anprobieren konnte ich ja auch nichts. Außerdem passte weder der Hüftumfang noch die Taille, auch wenn ich mir beim Messen größte Mühe gab. Stellen Sie sich einen Verzweifelten in Unterwäsche vor, der vor dem Schreibtisch steht und ein Maßband hält, die einschlägigen Suchmaschinen um bebilderte Anweisungen befragt und lange Listen voller Zahlen auf einen Zettel kritzelt: Das bin ich. Etwas passendes gibt es also nicht zu kaufen. Daß es sowas auch nur seltenst zu bestellen gibt, gab mir schon zu denken, aber beim großen Auktionshaus wurde ich fündig. Und bekam den Zuschlag. Bezahlt, geliefert, angezogen.
Selbstausziehend.
Ich prüfte die Größe im Einnäher. Ich zog die Hose wieder hoch. Stellte mich ein wenig breitbeinig in Positur. Die Hose glitt an mir ab, als wäre ich teflonbeschichtet. Sauber.
Ich nahm die Hose also mit zu meinen Eltern und erklärte meinem Senior, daß er unbedingt genau diese Hose braucht. Und ich? Ich habe immer noch keine Hose und werde wohl nackt in den Urlaub fliegen müssen. Oder ich kaufe noch einige Sätze dieser billigen Arbeitshosen und lebe damit. Ich könnte auch durchdrehen. Ganz unpassend.
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