... Vorwärts fahren
02.11.15, 16:11 | 'Egalitaeten'
Am späten Sonntagabend sitze ich im Zug, meinen kleinen Rucksack neben mir, im Abteil außer mir nur noch ein Mann, der laut in einer fremden Sprache telefoniert. Bis in die große Stadt bleiben wir unbehelligt sitzen, nachts scheint kein Schaffner im Zug zu sein. Ich hänge meinen trüben Gedanken nach, wie immer, wenn ich für eine Frage beschimpft wurde, und wie immer war es einer, von dem ich das nicht gedacht hätte. Woher die Wut, warum die Bissigkeit, daß er fast spuckt in seiner Ecke?
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Mit der Kombination aus kurzer Autofahrt, zwei Bahnfahrten und einem längeren Fußmarsch bin ich genau doppelt so lange unterwegs wie mit dem Auto. Würde ich ganz auf das Auto verzichten, wäre es die dreifache Zeit. Und obwohl ich nur für zwanzig der fünfundachtzig Kilometer bezahlen muß, zum gleichen Preis. So funktionieren die Öffentlichen. So hängt man Regionen ab. So erzwingt man Verkehr, und so erzwingt man Städte voller Menschen, die dort eigentlich nicht sein wollen.
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Am Montagmorgen stehe ich an der Haltestelle und suche hastig meine Fahrkarte. Die steckt in der Jacke, seit Freitag schon, und siedend heiß wird mir klar, daß ich diese Jacke in der Bahn gar nicht dabeihatte. Glück gehabt, denke ich.
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Auf dem Weg zum Bürogebäude laufe ich einem jungen Herrn hinterher, weil er einen so schönen Mantel trägt. Im Flur zwei Herren in Windjacken - Smartphonekontrolle. Das Telefon mit den nicht abgeklebten Linsen in meiner Tasche wird siedend heiß, und ich biege unauffällig ab ins Sekretariat, um die Linsen abzukleben. Den Herrn im Mantel halten sie an, die zwei. Glück gehabt.
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Die Schwarzgurtträgerin fragt nach dem Freitagabend, und den hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Schirm. Ich komme spät nach Hause, ich sitze am Rechner oder öffne Post, und dann ist es immer irgendwie Samstag. Stattdessen laufe ich durch den Hinterhof einer aufgegebenen Fabrik. Backsteinmauern, Schuttcontainer, der Eingang zu einer Lokalität, in der ich schon zehn Jahre nicht mehr war. Sie hat hier mal gearbeitet, erzählt sie, und dann lesen junge Menschen Geschichten mit Witzen vor, die derb und längst aus diesem Internet bekannt sind, aber mit Schreiben und Lesen und jungen Menschen bin ich ja immer gutmütig. Nur Herren übrigens, aber das ficht uns nicht an, und wenn ich ehrlich bin, fällt mir das auch erst heute am Montag auf. Was mit Wurst, was mit Sahne, und auf dem Rückweg noch ein saurer Moment im dunklen Hof, als mir die Mehrheitsverhältnisse und die Fluchtmöglichkeiten sehr schnell durch den Kopf schießen, in Adrenalin getränkt als unschöne Gedanken wieder hochgespült werden.
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Samstagsarbeit, und wie ich begeistert über den knurrenden Vierzylinder streiche. Zündfolge und Hubraum trägt er in den Ventildeckel eingegossen, und er treibt einen Generator an. Die Steuerung mag ich, und ich mag das Brummen, und der Geruch von Gas macht mich nervös.
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Ein Anruf, eine kurze Dusche, und schon sind wir unterwegs.
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Sie erzählt in ihrem Dialekt von einer Geschichte, die mich sprachlos zurücklässt. Fernsehprogramm, sage ich, und daß ich davon leider nichts verstehe. Dann halte ich ein wenig mehr Abstand zu ihr und ihrem quergestreiften Kleid. Spät landen wir dann im Jugendclub, noch später im Jugendhaus, und irgendwann sind wir betrunken genug, um ehrlich zu werden.
"Dich können auch viele nicht leiden", sagt er, und ich nicke schluckend. Viele sind für mich ja immer ein Argument, und ein Freund ist ein Argument, und das lässt mich jetzt wieder Tage nicht los.
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Zwillingsgeburtstag, und daß mich die beiden jungen Damen immer noch anspringen wie die Raubtiere, daß sie mich immer noch puscheln und mir das Haar zausen, daß sie immer noch begeistert erzählen und mich anstrahlen.
Spät stehe ich in der Küche. "Für Dich wäre es auch Zeit", sagt er, mit gerötetem Gesicht von der Wärme, und ich nicke. Was soll ich auch sagen?
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Wann ich falsch abgebogen bin? Als ich bei meinen Gedanken blieb, statt bei den Menschen? Als ich mir keine neuen Freunde gesucht habe, und dafür die alten drangegeben hätte? Ich weiß es nicht, es gibt keine Parallele, es gibt keine Wiederholung. Ich schwanke, zweifle an mir, statt an meinen Überzeugungen zu rupfen. Sollen doch die nachgeben, aber das tun sie nie.
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Mit der Kombination aus kurzer Autofahrt, zwei Bahnfahrten und einem längeren Fußmarsch bin ich genau doppelt so lange unterwegs wie mit dem Auto. Würde ich ganz auf das Auto verzichten, wäre es die dreifache Zeit. Und obwohl ich nur für zwanzig der fünfundachtzig Kilometer bezahlen muß, zum gleichen Preis. So funktionieren die Öffentlichen. So hängt man Regionen ab. So erzwingt man Verkehr, und so erzwingt man Städte voller Menschen, die dort eigentlich nicht sein wollen.
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Am Montagmorgen stehe ich an der Haltestelle und suche hastig meine Fahrkarte. Die steckt in der Jacke, seit Freitag schon, und siedend heiß wird mir klar, daß ich diese Jacke in der Bahn gar nicht dabeihatte. Glück gehabt, denke ich.
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Auf dem Weg zum Bürogebäude laufe ich einem jungen Herrn hinterher, weil er einen so schönen Mantel trägt. Im Flur zwei Herren in Windjacken - Smartphonekontrolle. Das Telefon mit den nicht abgeklebten Linsen in meiner Tasche wird siedend heiß, und ich biege unauffällig ab ins Sekretariat, um die Linsen abzukleben. Den Herrn im Mantel halten sie an, die zwei. Glück gehabt.
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Die Schwarzgurtträgerin fragt nach dem Freitagabend, und den hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Schirm. Ich komme spät nach Hause, ich sitze am Rechner oder öffne Post, und dann ist es immer irgendwie Samstag. Stattdessen laufe ich durch den Hinterhof einer aufgegebenen Fabrik. Backsteinmauern, Schuttcontainer, der Eingang zu einer Lokalität, in der ich schon zehn Jahre nicht mehr war. Sie hat hier mal gearbeitet, erzählt sie, und dann lesen junge Menschen Geschichten mit Witzen vor, die derb und längst aus diesem Internet bekannt sind, aber mit Schreiben und Lesen und jungen Menschen bin ich ja immer gutmütig. Nur Herren übrigens, aber das ficht uns nicht an, und wenn ich ehrlich bin, fällt mir das auch erst heute am Montag auf. Was mit Wurst, was mit Sahne, und auf dem Rückweg noch ein saurer Moment im dunklen Hof, als mir die Mehrheitsverhältnisse und die Fluchtmöglichkeiten sehr schnell durch den Kopf schießen, in Adrenalin getränkt als unschöne Gedanken wieder hochgespült werden.
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Samstagsarbeit, und wie ich begeistert über den knurrenden Vierzylinder streiche. Zündfolge und Hubraum trägt er in den Ventildeckel eingegossen, und er treibt einen Generator an. Die Steuerung mag ich, und ich mag das Brummen, und der Geruch von Gas macht mich nervös.
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Ein Anruf, eine kurze Dusche, und schon sind wir unterwegs.
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Sie erzählt in ihrem Dialekt von einer Geschichte, die mich sprachlos zurücklässt. Fernsehprogramm, sage ich, und daß ich davon leider nichts verstehe. Dann halte ich ein wenig mehr Abstand zu ihr und ihrem quergestreiften Kleid. Spät landen wir dann im Jugendclub, noch später im Jugendhaus, und irgendwann sind wir betrunken genug, um ehrlich zu werden.
"Dich können auch viele nicht leiden", sagt er, und ich nicke schluckend. Viele sind für mich ja immer ein Argument, und ein Freund ist ein Argument, und das lässt mich jetzt wieder Tage nicht los.
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Zwillingsgeburtstag, und daß mich die beiden jungen Damen immer noch anspringen wie die Raubtiere, daß sie mich immer noch puscheln und mir das Haar zausen, daß sie immer noch begeistert erzählen und mich anstrahlen.
Spät stehe ich in der Küche. "Für Dich wäre es auch Zeit", sagt er, mit gerötetem Gesicht von der Wärme, und ich nicke. Was soll ich auch sagen?
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Wann ich falsch abgebogen bin? Als ich bei meinen Gedanken blieb, statt bei den Menschen? Als ich mir keine neuen Freunde gesucht habe, und dafür die alten drangegeben hätte? Ich weiß es nicht, es gibt keine Parallele, es gibt keine Wiederholung. Ich schwanke, zweifle an mir, statt an meinen Überzeugungen zu rupfen. Sollen doch die nachgeben, aber das tun sie nie.
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