Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

06.08.13, 13:02 | 'Single Trails'
Vorab: Die Bilder liegen auf der Speicherkarte, die Speicherkarte wiederum im Fotoapparat, und dieser ganz woanders. Daher vorerst ohne Bilder.

Ich starte am Samstag. Nein, da kaufe ich ein. Dann ist mir aber alles, also Regenjacke und Schlafsack, zu teuer, und ich kaufe stattdessen Schuhe. Einkaufen kann ich nicht.
Dann ist Sonntag, es hagelt mir die Ernte zu Boden, ich will weg. Nur eine Woche, denke ich. Also schnell.
Am Montag fahre ich zurück und kaufe ein. Reumütig bezahle ich, und ebenso reumütig stelle ich fest, daß nicht alles da ist, was ich haben wollte. Also kein Notzelt. Stattdessen lasse ich mir noch schnell einen Reisepass ausstellen und freue mich, als meine Billigbilder aus dem Automaten, den ich auch noch falsch eingestellt hatte, durch die computerisierte Kontrolle gehen, die felsengeschundenen Kletterfinger ebenso, während die Dame am Nachbartisch mit den teuren Fotografenbildern ebenso zu kämpfen hat wie mit den frisch manikürten Fingerchen.
Ich erzähle allen von der Reise, und jetzt muß es ganz schnell gehen. Das hatten wir doch schon. Es regnet immer noch, und am Abend packe ich dann.
Ach, eine Route brauche ich noch. Ich brauche Routen, ich brauche Pfeile, denen ich nachfahren kann. Sonst fahre ich immer nach Hause, ganz von selbst. Und da bin ich ja schon. Also klicke ich mir im Netz in ein paar Minuten einen Blödsinn zusammen, der sich von und zu schreibt. Von Blöd zu Sinn, denn ich will auf das Idjoch. Warum ist mir nicht so ganz klar, aber ich will da jedenfalls hin. So reisen Menschen also, und sonst kann das ja auch selten einer erklären, warum er nach Mallorca fliegt oder auf die Seychellen. Man will halt irgendwo hin, und ich will aufs Idjoch, und das macht mich doch irgendwie normal.
Schlafen kann ich dann trotzdem nicht.

Gegen Mittag komme ich in Sonthofen an. Bei Aldi. Ich kaufe Fladenbrot, Leberkäse und kalten Kaffee. Und fast hätte ich gefragt, ob ich mein Auto stehen lassen darf. Dann doch nicht. Stattdessen irre ich auf der smartphonegeleiteten Suche nach einem Industriegebiet herum, weil man in Industriegebieten parken kann. Das Gebiet wird aber gerade erst geplant und ist umstritten, beherrscht also das Sonthofener Internet und ist nicht beparkbar. Meine Laune sinkt.
Ich fahre nach Fischen, finde einen kleinen schattigen Parkplatz, ziehe die Radelhosen an, baue das Rad zusammen und fahre los. Arschlecken.

Ein paar Ortsnamen sagen mir etwas, und es fühlt sich komisch an, die Strecke wieder zu fahren, die wir vor einem Dreivierteljahr noch zu zweit gefahren sind. Was seither alles passiert ist, herrjeh. Und daß ich den Startpunkt ganz willkürlich auf einen Ort gesetzt habe, dessen Name mir von einem Besuch vor vielen Jahren noch vertraut war, von einem Techtelmechtel, das keines geworden ist, kommt noch dazu. Damals lag Schnee, wir liefen mit dem Hund spazieren, und alles kam mir sehr seltsam vor. Elf Jahre später ist immer noch alles seltsam, und wieder viel mit Hund. Aber jetzt nicht. Jetzt habe ich mich verfahren, auf der bekannten Route. Sowas. Also zurück und auf Schotterwegen entlang kleiner Seen.

Irgendwie verpasse ich Oberstdorf, und irgendwie lande ich im richtigen Tal. Auf Teer überhole ich ein schwitzendes Pärchen und halte erst oben auf einer Hütte an. Ich lasse mich von einem Mädchen mit Wasser aus der Viehtränke bespritzen und von einer Buttermilch überzeugen. Dann spritze ich dem vielen Wasser noch ein wenig Sonnenschutz hinterher, lege den Rucksack wieder an und radle weiter. Schrofenpass steht auf einem Schild.
Den wollte ich doch gar nicht, wird er doch in manchem Bericht als üble Schinderei mit schwerer Tragestrecke beschrieben. Stattdessen trete ich durch ein Viehgatter und schiebe, als der Weg aufhört und in eine schmale Spur übergeht. Ein Benzinkanister liegt in der Weide, irgendwo schneidet jemand recht wahllos an irgendwelchen Sträuchern herum. Ich schiebe noch ein wenig und trage dann. Ein nettes Schild weist mich in bemühten Versen darauf hin, mein Rad links zu tragen. Nun gut. Dann kommt die Aluleiter, unspektakulär und mit Halteseil. Ich freue mich trotzdem, denn mit dem Schrofenpass habe ich immerhin einen Namen auf der Probestrecke, den ich abhaken kann. Zehn Minuten später bin ich in Österreich. Aber meine Kamera mag ich nicht mehr für jedes Bild aus dem Rucksack kramen, also mache ich auch kaum mehr welche. Wenn mich jemand nach überflüssigem Gewicht fragt: Kamera. Und die dritte Unterhose, aber das wird sich erst am Ende zeigen. Außerdem überflüssig ist Buttermilch vor Schiebeschindereien. Aber das weiß man eigentlich zuvor und darf sich dann nicht über einen krampfenden Magen beklagen. Mache ich trotzdem, lautstark und ein wenig undeutlich, und hinterlasse eine kleine Buttermilchlache am Wegesrand.

Ansonsten folge ich brav meinem Telefon, das längst im Flugzeugmodus vor sich hin navigiert. Die ausgedruckte Roadmap habe ich ja liegenlassen. Schon wieder Gewicht gespart, dafür ein wenig Nervosität aufgeladen. Aber ich habe ja einen Ersatzakku dabei. Und sonst so? Was braucht man denn für drei, vier Tage in den Bergen, wenn man Texaner ist und sich für zäh und ausdauernd hält? Ich fahre mein Top Fuel, weil ich es am liebsten mag. Weil ich es genau dafür gekauft habe. Weil es leicht und schnell ist, weil es gut aussieht. Und vor allem, weil ich mich darauf wohl fühle. Ich brauche die Fixierung der Federgabel nicht einmal, am Dämpfer habe ich dafür auf jeder kleinen Abfahrt den Finger. Am Rad ist nichts weiter - nur eine Alutrinkflasche, die generös vor sich hin blubbert, wenn man Getränke mit Kohlensäure erwischt. Im Rucksack habe ich das Ministativ und die Kamera, was sich als unpraktisch erweist. Am Lenker stören die Magnetfüße des Stativs allerdings gern das Telefon, das dort in einer alten Hülle vor sich hin navigiert. Am Rucksack habe ich noch eine Flasche, und somit einen guten Liter Wasser an Bord, der zum Trinken und Waschen reichen muß. Zwei Unterhosen, zwei Unterhemden, ein kurzes Hemd, eine Jogginghose, eine kurze Hose, ein Pullover, die Regenjacke, ein Handtuch, Zahnbürste und zwei Tuben mit Duschgel und Zahnpasta, ein Waschlappen. Ein kleines Taschenmesser, die Stirnlampe, die gleichen Ersatzbatterien für Kamera und Lampe, ein Buff, kurze Radhandschuhe, zwei Paar Socken. Schlafsack und Isomatte hinten drauf, sechs Kilo, und nachmittags noch eine Extraportion Wasser, Wurst und Brot und einige Müsliriegel. Die Zeltfolie fehlt leider, die kam nicht rechtzeitig.

Vor Wart begegne ich ein paar Pfadfindern, die sich auskennen, mir aber trotzdem den Gefallen tun und mein tolles Navitelefon bewundern. Oberhalb von Zürs vespere ich auf einer Bank in der Sonne, mit Blick auf Schöne und Reiche mit Villa und Badeteich, die einen rauchenden Grill bedienen und ihre Hunde aus den Wiesen zurückrufen. Ich möchte gerade nicht tauschen. Ich radle einen Wanderweg nach Zürs entlang. Über mir rauscht der Verkehr im Tunnel gen Arlbergpass, und ich möchte schon wieder nicht tauschen. Ich schiebe noch ein wenig an einem Wildbach entlang, klettere vernünftigerweise nicht über die Felsen und fotografiere dummerweise auch nicht die Lärche, die sich in der Bachmitte auf einem der Felsen festkrallt. Zähes Ding.

Zürs ist tot. Leer und öd, und ich schaue, daß ich weiterkomme. Ein paar Meter auf der Straße, die dann wieder in einem Tunnel verschwindet. Ich verschwinde auch, und zwar auf einen Wanderweg, der im Zickzack ins Tal führt. Zu steil und zu ausgesetzt, um zu radeln, also schiebe und trage ich langsam, bis die Sonne verschwindet und ich mich nach einem Rastplatz umsehe. In der ersten Nacht will ich nicht schon in einer Pension verschwinden, und der nächste Ort ist womöglich noch toter als Zürs im Sommer. Ich quere eine Schfweide und finde das Paradies. Zumindest steht das auf dem hölzernen Schild über der Hüttentür. Niemand zu hause. Ich setze mich auf die Bank vor der Hütte und esse noch einmal. Ich fülle meine Flaschen aus der Tränke neben der Hütte, und als es dämmert, bade ich kurz und bibbernd im Trog. Abtrocknen, frische Klamotten, Matte und Schlafsack auf die Bank. Die Radkleidung hänge ich an ein Stück Schnur, und mit einem zweiten binde ich mir Rad und Rucksack ans Handgelenk. Dann komme ich mir doof vor und löse den Knoten wieder. Der Schlafsack ist warm und verlockend, die Nacht zieht herauf, und was gibt es Schöneres als Schlaf? In der Nacht wache ich mehrmals auf, weil Schafe blöken oder mich die harte Bank ins Kreuz drückt. Ich bin alt, denke ich und schlafe wieder ein.

Rauchzeichen




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