Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 18. 08 20

18.08.20, 19:39 | 'Single Trails'
"Jeder Tag ein Abenteuer", sage ich gern, aber was mich dann letzten Endes doch dazu antreibt, hundertunddreißig Kilometer durch die Landschaft zu radeln, weiß ich selbst nicht. Einen Anlass habe ich, trage deshalb zwei Autokennzeichen auf dem Rücken und eine hoffentlich wasserdichte Plastikdose mit den Papieren im Rucksack. Am Morgen klimpert der Regen auf den Fensterbrettern wie Fingernägel auf dem Holztisch, ich ziehe meine knallgelbe Regenjacke über und fahre los. Erst einmal in die nur fast richtige Richtung, was mich zum einen völlig in den Wald und zum anderen nur nach Überwindung von hunderten zusätzlicher Höhenmeter und einer wild durchnässten Schotterstraße zurück auf meinen Weg bringt. Rehe am Waldrand schauen mir versonnen nach. Eine riesige Firma am gegenüberliegenden Waldrand, graue Gebäude und helle Gedanken. Irgendwo esse ich einen Riegel und trinke einen Schluck Wasser, das ich mit einer Magnesiumtablette versucht habe, in Zaubertrank zu verwandeln. Es sind die Geschichten, für die ich fahre, denke ich mir, aber ich erzähle sie ja kaum noch, und bis zu den Enkeln ist es lang hin und außerdem völlig unsicher, welcher Teil ihnen idiotischer vorkommen wird: daß der Opa einst durch irgendeinen Sommerregen geradelt ist, aus dem er das einzige Unwetter aus östlicher Richtung macht, das jemals den ganzen Tag angedauert hat, oder daß er mit dieser ganzen Radlerei nur eines getan hat - ein Auto abzuholen? Ich weiß es nicht, aber ich freue mich jetzt schon auf die Geschichte, die ich mir erradle, und so stehe ich ebenso naß wie fröhlich vor einer Bäckerei, in der ich derzeit nicht essen darf, mit einem tropfnassen Schlauchschal um den Hals, würge an einem trockenen Stück kalter Pizza und ziehe schnell den Schal wieder über den Kopf, was mir die Brillengläser total verschmiert, aber mich wenigstens nicht noch nasser machen kann. Über die Donau also, und das fühlt sich schon nach großer Welt an, und nachdenklich über Feldwege, nachdem ich auf einem Schild gelesen habe, wie wenige Brücken im zweiten deutschen Weltkrieg erhalten geblieben sind. Deutscher Weltkrieg, denke ich über Schotterwege und durch Pfützen holpernd, ist ja auch ein Ausdruck, der mir mal so eingefallen ist, und wäre ich Lehrer, von einer ganzen Division an Schülern in seitenlangen Aufsätzen zu erörtern wäre. Es macht den Kopf frei, dieses lange Radeln, und es lässt mich bissig werden gegenüber allen, die es mir vorab vermiesen wollten mit der Weite und der Nässe und der Unbequemlichkeit, und ich habe in mich hineingebrummt, daß unser Opa jahrelang bis zum Kinn im Eiswasser gesessen sein muß in ebendiesem deutschen Weltkrieg und noch Jahre danach, und natürlich ist das weder wünschenswert, noch irgendwie vergleichbar, und deshalb brumme ich ja nur so für mich und in mich hinein und hoffe doch, daß er mich vielleicht sehen kann in einer Regenpause, und daß er lächelt und den Kopf schüttelt und daß genau das zu mir passt, so fröhlich vor mich hin zu radeln, während mir das Wasser oben von der Nase und unten aus den Schuhen tropft. Komfort, Schmompfor, schimpfe ich fröhlich vor mich hin, als die Sehnen im Knie und die seltsame Stelle am Gesäß wieder zu zwicken beginnen, ganz unterschiedlich und zum Glück auf verschiedenen Seiten, damit ich nicht gar zu ungleichmäßig zu fahren beginne. Ich finde den einzig richtig steilen Hügel im Donauried, ich finde blauweiße Fahnen und irgendwo jemanden, der eben das Vorgewende pflügt und dann aussteigt und auf den frisch gewendeten Schollen herumtritt, wie man das eben so macht beim Pflügen. Denn es kommt ja trocken von unten rauf, wie das so ist im Sommer. Den spüre ich in den Regenpausen, in denen es sofort warm und schwül wird und in denen ich von innen heraus naß werde und außerdem langsam gar in meiner plastikdichten Regenjacke. Gut durch, puste ich mir einen Schweißtropfen von der Nase. Weitab von der Route auf meinem Telefon unterquere ich die Autobahn an einer Auffahrt, die man irgendwie kennt, wenn man mit dem Verkehrsfunk aufgewachsen ist. Dörfer, die nach Stauenden benannt sind, und was es nicht alles gibt. Erstmals die Stadt auf den weißgrünen Schildern, noch zwanzig also. In mir streiten sich die Gelehrten, ob es sinnvoller ist, mich nach oben oder unten hin zu betrügen, denn die Schilder sind sich nicht alle ganz einig mit den Entfernungsangaben, und überhaupt muß ich ja durch die ganze Stadt auch noch, aber vielleicht lag sie ja doch in einem Tal? Wie auch immer, ich radle bis zum Ende, lehne das Rad an eine Säule am Eingang, wo es sofort anfängt, aufgesammelte Dreckbatzen wieder von sich zu werfen, trete ein und werde lachend begrüßt - schau'n se her, das ist der Radler, sagt einer, und dann schau'n se alle her, und irgendwie mache ich es auch dafür, für die Geschichten der anderen, um irgendwie Objekt zu sein, Stein des Anstoßes vielleicht, oder auch nur Anlass zum ein oder anderen Schwank in einem der vielen Häuser dieser Stadt. Ich bekomme Wasser gereicht, bestätige die Entfernung und den Regen, darf mich in der Toilette umziehen und zahle dann mein Auto. Das Geld ist trocken geblieben, nur die Wechselkleidung nicht. Ich bleibe also näherungsweise naß, nur weniger verschwitzt. Irgendwas unterschreibe ich noch, und während ich das Rad in den Kofferraum falte, bringt der Verkäufer meine Kennzeichen an. Mein Auto. Immer noch ist Stolz dabei. Was, fragt er, wenn das Rad nicht reingegangen wäre? Und ich sage, ohne viel nachzudenken, die Wahrheit, daß ich nämlich dann einfach wieder nach Hause geradelt wäre, und deshalb sind wir wohl beide froh, daß es gepasst hat. Ich bekomme noch ein paar Knöpfe erklärt und denke, ich hätte doch besser meine Brille putzen sollen, und dann fahre ich los, verpasse die Einfahrt zur nächsten Tankstelle, fahre dem Navi einfach nach und den anderen Fahrzeugen, die mich allesamt langweilen, nach zehn Minuten schon, wo ich zuvor sechs Stunden begeistert vor mich hin geflucht habe über die schönen Radwege, weil sie früher einmal Bahntrassen waren, und über die schrecklichen Radwege, deren runder Donaukies die Räder umschließt und festhält, daß man nicht weiß, ob man stehen oder stürzen möchte. Immerhin, so denke ich, hat mich die Polizei nicht angehalten mit den Kennzeichen auf dem Rücken, und immerhin komme ich unfallfrei an einer Tankstelle an und tanke, erstmals seit Monaten wieder, fülle Luft in die Reifen und lande schlußendlich in einer Halle, sitze auf dem Gabelstapler und bugsiere ein Ölfass ins Regal, weil wenn ich schon mal da bin. Jeder Tag ein Abenteuer, und auf keinen Fall Komfort, und dann stehe ich komfortabel unter der warmen Dusche, falle ebenso komfortabel vornüber ins warme Bett, und vielleicht suche ich diese Ironien ja auch einfach, statt immer wieder über sie zu stolpern, denke ich noch, aber eigentlich schlafe ich dabei auch schon.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Sonntag, 3. 05 20

03.05.20, 22:35 | 'Single Trails'
Mit krampfender Lunge trete ich in die Pedale, halte den Kurbeltrieb gerade noch so am Laufen. Kiesel knirschen unter den Reifen, der Kalk staubt leicht. Warum Menschen auf Gipfeln stehen wollen, frage ich mich, weit über den Lenker gebeugt, so daß die Schweißtropfen von meinem Kinn auf den Vorbau triefen. Sich selbst oben sehen? Über- oder Weitsicht? Mein Blick folgt den bekannten Wegen, sieht die durchfahrenen Kehren und verfluchten Steigungen von Weitem - von weiter oben und vor allem: von danach. Ich schaue weiter, zu Wegen, deren Verlauf ich aus der Nähe anders aufgenommen hatte. Von dort bin ich also gekommen, und da bin ich hingefahen. War die Kurve doch so eng, waren es doch mehr Kurven als gezählt, und die Route dann vielleicht doch so verschlungen, daß der Weg zum Umweg wurde. Und weiter hinten, neue Wege. Sie spannen mir schon den Fuß im Schuh, denn ich will nun auch die von Nahem sehen, die aus der Ferne ich entdeckte. Ich mag den Wechsel zwischen Fern und Nah, und ich mag die Entdeckungen aus beiden Sichten. Und zuletzt mag ich mich bewegen, mag keinen Tag ganz stille stehen. Drum muß ich los, die Hände an den Lenker. Die Pedale rasten ein, die Beine müssen sich wieder mühen. Es kommt ja immer noch ein Gipfel, und wenn ich nur alle irgendwie erklimmen kann, um mehr zu sehen, nach vorn eben wie nach hinten. Dann will ich alle Tage zufrieden sein.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Donnerstag, 4. 10 18

Deutschland Direttissima III
04.10.18, 11:30 | 'Single Trails'
Morgens mache ich Bilder, mittags möchte ich ankommen. Dabei komme ich nicht an, ich kann ja nur in Etappen fahren. Die Zahl, die mir die Luftlinie zum Ziel anzeigt, sinkt nur langsam ab, und manchmal führen auch die Straßen nicht in Richtung meiner Heimat. Wenn doch einmal die gerade Linie auf meiner Karte genau in Richtung des roten Pfeiles steht, dann freue ich mich sehr und möchte das am liebsten allen erzählen. Allein, meist ist da niemand.



Und wie das württembergische Wappen hierher kommt, ist ein Rätsel, das ich einfach so stehenlasse. Ich mache ein Bild davon, dann radle ich weiter, aber ich grabe nicht drum herum. Das fällt mir viel später erst auf, wie mir vieles erst immer später auffällt. Manchmal fallen mir Liedzeilen ein, die ich dann ein Weilchen vor mich hin singe - es ist ja niemand da außer mir: Die Zeit heilt alle Wunder, singe ich, und zwischendurch Lalala.



Immer wieder Hege und Pflege, und es wundert mich noch, daß mich das wundert, denn das ist doch der Normalzustand für mich. Und die roten Pflöcke vom Vermessen, die von baldigem Baubeginn künden.



Oft denke ich an die Menschen und die Zeit und die Arbeit, die es gekostet haben muß, diese wilden Straßen und Wege anzulegen. An die vielen Räder, die die Steine glattgeschliffen und die Furchen in die Oberfläche gedrückt haben. Ein Weg, eine Straße, das Normalste meiner Welt, sie sind nicht einfach da, sie müssen angelegt und erhalten werden.



Es ist immer noch früher Morgen, die Schatten sind noch lang, der Tau hebt sich als klammer, feuchter Dunst, weicht dann der Sonne und der Klarheit. Ich habe seit meinem Aufbruch keinen Menschen gesehen. Im Kopf habe ich immer die Pegelstände meiner beiden Wasserflaschen und den kargen Rest Nahrung im Rucksack. Jede Gelegenheit nutzen, denke ich. Und sinkende Laune ist immer Hunger.



Aber auch immer: Treten. Einfach weiter treten.



Die Wälder hier sind ungewohnt. Sie sind eben, sie tragen keinen Pelz von Dickicht, sind hoch und licht. Und überall reife Früchte. Es riecht nach Zwetschgen in unterschiedlichen Reifegraden und Verfallsstadien. Reife und Verfall gehen ja ineinander über, sind untrennbar verbunden. Dran denken, versuche ich mir einzuprägen, wenn Du alt bist. Dann fällt mir ein, daß ich alt und älter werde, jeden Tag. Reife und verderbe. Wie schrecklich. Dann, einige Tritte später: Wie schön.



Neige Dein Haupt, kleiner Mensch, der Du zu groß geworden bist!



Schnelle Radwege, auf denen meine groben Reifen Geräusche machen, langsam rattern und schnell surren. Mein rechter Oberschenkel zieht ab und zu, als würde er krampfen wollen, und vom Entlasten zwickt es dann im linken Knie. Krämpfe rechts, Zwicken links, und vielleicht bin ich halt doch Deutschland, denke ich, weil ich ja auch vor mir selbst nur kalauern kann.



Dann überquere ich die Elbe. Grenzübertritt. Bahnlinien, Flüsse, Autobahnen. Die ganzen Verkehrswege sind für mich nun Hindernisse, und so bin ich auf meinem einsamen Weg vielleicht den Tieren näher als den Menschen.

Wasser habe ich noch genug, die rote Flasche ist noch im oberen Träger, denn nur die weiße ist dicht genug, um unten hängen zu können. Es ergibt sich ein Rhythmus daraus, den ich einfach befolge. Zweckmäßig. Irgendwann lande ich mit leeren Flaschen in einem leeren Dorf, aber vielleicht auch an einem anderen Tag. Jetzt schon fängt die Zeit zu fließen an. Ein Kind spielt auf der Straße und schaut mir mit großen Augen nach. Ich biege auf den Friedhof ein, finde dort allerdings nur eine Pumpe am Brunnen. Streife umher, finde die neuesten Gräber mit Inschriften aus dem Jahr zweitausendunddreizehn. Denke dann an Leichensäfte und fülle meine Flaschen am Brunnen. Hier kein Bild, das eiserne Gitter quietscht schwer, als ich es hinter mir zuziehe. Ruht nur, sage ich leise.



Noch einmal die Elbe also, nachdem ich fast auf ihrer Ostseite geblieben wäre. Sie verzweigt sich hier, und vorher habe ich wohl nur einen Seitenarm überquert. Größe ohne Verhältnis, schwer einzuschätzen. Man braucht Maßstäbe im Kopf. Elberadweg, und ich befrage kurz sogar die Suchmaschine, mag aber ihrer Empfehlung nicht folgen. Lieber der dünnen Linie in Richtung Heimat. Ich mag ja Symbole, und über die Tage wird mir klar, wie richtig das ist. Das ist meine Richtung. Heimat. Ich freue mich schon auf den ersten Blick auf die Alb, kann mir mein Jubeln schon ausmalen. Und es bestätigt sich, was ich mir gedacht habe: Heimwärts radelt es sich leichter.

Die Brücke ist lang, der Fußweg sehr schmal, die Dielen alt und zum Teil gebrochen. Zum Glück kommt kein Zug, ich wäre wohl vor Schreck übers Geländer gefallen.



Der Duft von Silageballen. Herrjeh, da war ich ja schon erwachsen, und doch schon so lange her, daß ich diese Auffrischung brauche, um die Erinnerung auftauchen zu lassen. Ich rieche das gärende Gras, höre die ratschende Folie an ihren Spannrollen abgleiten, fühle den Karton, den ich hektisch zerreiße, um die Folienrollen zu wechseln. Was einen halt so prägt, denke ich. Selbstbildnis als Zugtier, und immer wieder der lachende Spruch aus meiner Heimat: Mit den Dummen treibt man die Welt um. Darin nichts Böses, nur lächelnde Selbsterkenntnis.



Plattenwege, industrialisiert, Fortschritt. Die Platten so klein, ich weiß gar nicht, ob sie vor Ort gegossen oder angeliefert worden sind. Ich denke mir daneben die riesigen Fertiger, die heute Autobahnen bauen, und die kleinen, schwitzenden Menschen daneben.



Wer auch immer diese Wege kartiert hat und wozu, darüber denke ich lang nach. Und freue mich mehr an der Nutzung, daran, daß ich sie zur Verfügung habe, bei mir. Diesen Weg wäre ich ohne Karte nicht gefahren, und sonst auch alles anders. Ach, zuviel Symbolik.



Der Tag endet im Nichts, vor dem größten Nichts Deutschlands, das ich mühsam in der Sonne auf dem kleinen Bildschirm erkenne. Ich bekomme es mit der Angst zu tun vor dem Nichts, biege ab entlang einer Bahnlinie, und die Heimatzahl steigt sogar wieder. Dann ein Zimmer, Klamotten waschen, ein teures Bier am Bahnhof, der leere Stadtsee, meine klackenden Schuhe auf dem Teer, leere und dunkle Fenster, ein Bett, ein früher Wecker.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Dienstag, 18. 09 18

Deutschland Direttissima II
18.09.18, 13:25 | 'Single Trails'
Als mich der Wecker aufschreckt von meiner Matte, scheint bereits die Sonne. Ich stehe am Fenster und schaue hinunter auf den Reitplatz und den Bodden. Der Sommer war sehr groß, denke ich.



Nach dem Frühstück fahre ich los. Die Route hat mir keine Ruhe gelassen. Für das Nachfahren der vorgefertigten Tour sprechen die Einfachheit des Folgens und die eingezeichneten Schlafmöglichkeiten. Aber direkt wäre ich schneller, würde ich mich mit jedem Meter der Heimat nähern. Dieser Gedanke siegt, und außerdem wartet noch ein wenig Mais auf mich. Aber zuerst ans Meer.



Ich zeichne die Heimat als Punkt auf der Karte ein und lasse mich einfach von der geraden Linie dorthin leiten. Und immer freue ich mich, wenn ein Weg zufällig genau in meine Richtung führt. Homeward bound, denke ich, und ich würde das auch irgendjemandem erzählen, auch wenn niemand hier von meiner Heimat jemals etwas gehört haben dürfte - allein, es ist niemand hier. Es freut mich, daß noch Bäume gepflanzt werden entlang der Alleen. Oft sind es Obstbäume, und ich rieche die Äpfel und Zwetschgen, wenn ich sie zu Matsch fahre mit meinen breiten Reifen. "Mit dem Reifen durch Deutschland," erinnere ich mich an den kopfschüttelnden Herrn im Zug, und beruhige mich, daß ich ja auf direktem Weg nach Hause radle.



Verfallene Gebäude, sehr leere Dörfer. Vielleicht liegt es am Wochenende, doch die Tafeln mit den Bekanntmachungen sind sehr leer. Einmal sehe ich einen Brief, in dem der Bürgermeister erfährt, daß sich nicht einmal mehr die Anfahrt durch die mobile Sparkasse mehr lohnt. Mit freundlichen Grüßen, vielen Dank.



Ich habe Gegenwind, ich habe Sonne, ich finde doch immer wieder Wasser und etwas zu essen. Heute habe ich noch Kraft und Reserven, trete die kleinen Hügel einfach hoch. Und zwischendurch überlege ich, ob es Kunst sein könnte, tatsächlich alle fünf Kilometer auf dem Weg ein Bild zu schießen. Zu sehr Methode, zu wenig Idee, beschließe ich, und ich möchte auch nicht nach Plan anhalten müssen.



Am Kanal entlang wird es frischer, und ab und zu sehe ich Enten und einen Schwan. Ruhe.



Die einsamen alten Bäume auf den Weiden, und die Sorgsamkeit, mit der sie eingehegt werden, freuen mich sehr.



Ich weiß nicht mehr, ob mich am ersten Tag die Kraft noch den ganzen Tag hindurch trägt. Ich weiß es schon nicht mehr, so ist der Mensch. Es ist jedenfalls, und das wird sich in den nächsten Tagen verstärken, ein einsames Gefühl, ein so weit entferntes Ziel zu haben, kein Heim, keine Tür, und ich singe "Freedom's just another word" vor mich hin, als ich an einem großen Bauernhof vorbei radle und mich entsinne, daß man auf Sportplätzen schauen könnte. In der offenen Verkaufsbude hängt ein Spielplan der Saison 2016/17, der Rasen ist lang nicht gemäht, die Zuschauerbänke hängen durch, die Markierungen kann ich kaum mehr finden, selbst in den Mülleimern ist Leere.



Ich stelle mich in die Mitte des Sportplatzes, sehe die beiden Tore, längst ohne Netze, und dahinter die Bäume ringsum. Stelle mir vor, wie ich einen Anstoß durchführe, das gegnerische Tor als Ziel, wie mir ein Ball die Welt bedeutet auf diesem Sportplatz im Nirgendwo. Zum Glück habe ich kurz zuvor eine Tankstelle gefunden, trinke also auf der Bank mein Bier und esse mein Vesper. Brötchen, Käse, Wurst, ein Apfel. Viel Plastik, denke ich, und dann wasche ich mich und ziehe mich um. Ich bin müde, laufe mit der Bierdose in der Hand noch um den Platz zu dem kleinen Weiher und durch das Wäldchen.



Gerade recht zum Sonnenuntergang komme ich aus dem Gebüsch an einem Weidezaun an. Weit entfernt stehen Kühe.



Dann laufe ich zurück durch die Dämmerung, horche den Geräuschen und steige in meinen Schlafsack. Ich wünsche mir eine gute Nacht, und wach werde ich erst, als ein neugieriger Fuchs dicht vor mir steht.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Freitag, 14. 09 18

Deutschland Direttissima I
14.09.18, 22:32 | 'Single Trails'
Nach dem Tag Null, der Anreise in die große Stadt, die ich im Dunkeln und von mehreren Wolkenbrüchen völlig durchnäßt erreiche, starte ich am Tag Eins zum Bahnhof, schließe dort mein Rad an einen Halter und marschiere durch den ganzen Zug zu meinem Platz in der Ersten Klasse. Wenn man reichlich spontan bucht, kann die nämlich sogar billiger sein als die zweite. Lang ist es leise im Abteil, und meine Nebensitzerin spricht auch nicht. Ich döse, lese im Telefon, spare aber am Akku, denn zuerst finde ich die Steckdose neben dem Sitz nicht, dann stelle ich fest, daß mein Ladekabel noch am Rad hängt. Irgendwann mache ich mich dorthin auf, werde von einer Frauengruppe zum Sekt und von einem Kegelclub zum Bier eingeladen. Es ist laut und voll und herzlich, und es ist auf dem Weg bei Weitem nicht so langweilig wie mit den Erstklässlern. Werde ich mir merken, denke ich, während ich mit Bier und Sekt im Kopf zurückstolpere über die Beine derer, die zwischen den Abteilen an den Türen auf dem Boden sitzen. Ich komme dann doch noch mit meiner Nebensitzerin ins Gespräch, erzähle von Gleichströmen in Batterien und erfahre etwas über energetische Heilung, und daß mit Löwen alles etwas schwieriger ist. Dann setzt sie sich auf die andere Seite, auf der ein Platz freigeworden ist. Ich marschiere irgendwann noch einmal durch den Zug zu meinem Rad, ziehe mich dort um und werde, ein Bein in der Hose, das andere frisch und frei in der Luft haltend, angesprochen. Mit dem Reifen, deutet er auf mein Rad, durch Deutschland. Respekt. Er redet immer von seiner Frau, als sei sie nicht da, und ich komme erst gegen Ende drauf, daß sie neben ihm sitzt, als wir uns verabschieden. Wieder was gelernt, denke ich, und mit Löwen ist es ja eh schwierig, tröste ich die Frau im Stillen. Dann steige ich aus und stehe doof da mit meiner Radhose, weil ich ja gleich mit der Pritsche abgeholt werde. Sofort wieder drin, wenige Worte, wir sind ja nicht umsonst schon so lange Zeit Freunde geblieben über die Entfernung. Ich lade eine Theke mitsamt ihrer ganzen tragischen Geschichte ab, und als sich der Staub verzieht, sitzen wir bei Pizza und Bier und überlegen, wie man im ökologischen Rapsanbau auf den Pflug verzichten kann. Es ist ein sehr trauriger Humor, der uns darauf bringt, daß man in solchen Sommern auch einfach auf den Raps verzichten kann. Ich schaue noch einmal nach den vielen Spinnen in dem lang ungenutzten Zimmer unterm Dach, schaue durchs Fenster auf den Bodden hinaus und schlafe ein.


Der Trecker bereit, die Blumen gegossen, und Spinnweben am Liegestuhl. Symbolbild meiner Bauern.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Dienstag, 13. 09 16

13.09.16, 01:41 | 'Single Trails'
Der Rahmen aus Alu oder Carbon. Sockel für Scheibenbremsen auf jeden Fall. Platz für zweiunddreißig Millimeter breite Reifen. Schutzbleche. Kassette und Schaltwerk aus einer alten neunfachen Ultegra-Serie. Ein gerader Lenker, um die Finger in der Stadt an der Bremse haben zu können. Die Kurbel mal als Einfachkurbel lassen. Zähnezahlen noch zurechtbasteln. Ein schicker Laufradsatz, die Felgen siebzehn Millimeter breit. Vorne unbedingt ein Nabendynamo. Ich glaube, das wird mein nächstes Rad.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Freitag, 9. 09 16

09.09.16, 15:58 | 'Single Trails'
Und warum ich gestern mit meiner wiederentdeckten Liebe zum Baden nicht in den See gehüpft bin, nach sechzig Kilometern auf dem Rad in der Spätsommerhitze, sondern das die Strecke aufzeichnende Telefon im Rucksack geradezu glühend gespürt habe, den Knick in der Geschwindigkeitslinie als Zeichen der Schwäche, als Zeichen für mangelnden Willen, fehlendes Durchhaltevermögen, ich weiß es nicht. Vielleicht waren mir auch nur zu viele Menschen dort.

# |  2 RauchzeichenGas geben

Montag, 18. 07 16

18.07.16, 15:53 | 'Single Trails'
Meine bittere Tirade an die drei Landkreise, die ich auf dem Heimweg zu den Eltern auf dem Rad durchquere. Da ist die große Stadt, für die es ausreichend scheint, daß da irgendwas geteert ist, das muß den Radlern schon ausreichen. Nicht zu vergessen die Radspur, die mitten auf einer großen Kreuzung plötzlich im Nichts endet, zwanzig Meter weiter dann ein Verbotsschild für Radfahrer, die Straße ist vierspurig, in der Mitte Bahngleise, kein Gehsteig, stattdessen eine hohe Mauer am rechten Rand. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lacht er sicher noch heute. Auch ganz wichtig, die Radler stets auf die Hauptstraßen zu lotsen. Sind ja alles gesunde und kräftige Lungen, da passen schon ein paar Kilo Feinstaub rein. So löst man Probleme in der Autostadt. Und wenn im Zuge einer Großbaustelle mal eben eine komplette Brücke gesperrt wird, wer könnte denn böse sein über die Beschilderung, die es ja gar nicht gibt, oder darüber, daß auch der südwärts strebende Radler dann eben mal einige Kilometer in den Norden muß, um den Fluß zu überqueren und anschließend - man ahnt es schon - eine der großen Hauptstraßen der Stadt vorgeführt zu bekommen, deren winziger Gehsteig auch noch von eben jenem riesigen Kran blockiert wird, der zuvor die Brücke abgebaut hat. Oh, the irony.
Oder der angrenzende Landkreis, der stets im Schatten der großen Stadt versinkt. Wie gern würde er selbst einen Schatten werfen, und wenn der nur aus Abgasen bestünde. Wie gern er begehrt wäre, wie gern er nur mehr wäre als das hässliche Anhängsel, das riesige Schlafdorf für die, die sich die Stadt nicht mehr leisten können, und so selbstbezogen führt er die Radler in die Irre: die Schilder lauten Nord und Süd und Ost und West, und daß auch nur einer nicht in einen der vier ach so einfallsreich betitelten Stadtteile radeln wollte, sondern vielleicht in eine ganz andere Stadt, darauf kommt man vielleicht nicht in einem Landkreis, wo Schulen auch nur Backsteingebäude sind, in denen es im Herbst nicht regnet und im Winter warm ist und man deshalb ab und zu hingeht. Vielleicht sucht man auch nur händeringend neue Einwohner, man führt den Radler in die Irre und im Kreis und an der Nase herum, in irgendein "Zentrum", das keines ist und das keiner will, durch öde und trübselige Wohngebiete, in denen nur nachts Autos abgestellt werden und Menschen billig schlafen, um am nächsten Morgen wieder in ihre Autos zu steigen, in die Stadt zu fahren und neue Autos zu bauen, die sie ja brauchen, um wieder aus der Stadt in ihre Schlafdörfer zu fahren. Und irgendwann wird der Radler müde werden, vielleicht fragt er mal hier und dort nach einem Ausgang, vielleicht lernt er irgendwann das hiesige Idiom dabei, und wenn er dann völlig entkräftet und zerrüttet ist, wird er sich hier womöglich ein Häusle bauen, eine Schlafhöhle mit einer großen Garage davor, in der er dann sein Auto stehen hat, um morgens damit in die Stadt zu fahren und Autos zu bauen und abends wieder nach Hause, auf den einsamen Radler schimpfend, der vor ihm irrt und ebenso irrig der Annahme ist, er sei ein gleichwertiger Verkehrsteilnehmer, und immer so weiter, ad infinitum, ach weh.
Zuletzt mein Kreis, die Alb schon im Namen, hier sind sie noch stramm und braungebrannt, die Kerls, und das zeigen sie dem Radler gern, indem sie ihn auch stramm und braun werden lassen auf ihren zahllosen Aufstiegen zum Albtrauf, zu jedem Zeugenberg der Alb und sowieso und überhaupt. Da fließt ein Fluß im Tal, aber wieso sollte ein Radler denn dort bleiben wollen, schau an, sagt der Wegweiser, noch ein Berg, und es ist schön da oben, also husch husch nach oben, auch wenn Du nur am Fluß entlang möchtest. Das geht leider nicht, denn am Fluß, da sind schon eine alte Bundesstraße und eine neue Bundesstraße, und daneben wird jetzt eine noch neuere Bundesstraße gebaut, wie schön, schau nur von oben, wie klein die Autos sind, und wie viele und wie schnell, und dazwischen gar kein Platz für einen Radweg, leiderleider, und ein paar Radwege haben wir ja schon. Mag sein, daß sie steil sind. Mag sein, daß sie nicht ans Ziel führen. Mag auch sein, daß sie Schotterstraßen sind, oder falls geteert, von Einheimischen mit dem Auto genutzt werden, denen es dann doch zu wenige Bundesstraßen gibt. Aber Radwege, jaha.
Sie alle können ja nichts dafür, wie es ist, das mag ja sein, aber sie können etwas dafür, wenn es so bleibt. Und so gehen die heutigen Sonderpreise zum einen an den Herrn, der an einem sonnigen Sonntag seinem Sohn auf einem belebten Radweg das Radeln beibringen wollte und dafür dessen ganze Breite für sich beanspruchte, was er durch ausgestreckte Arme kundtat. Sollten wir uns noch einmal begegnen, dann schauen wir mal, wie das so läuft mit der Impulserhaltung. Sonderpreis angewandte Physik, in Blut getränkt. Der zweite Sonderpreis, diesmal in der Kategorie Slapstick & Prioritäten, geht an die junge Mutter mit dem großen Telefon, die ihrem gestolperten Kind aufhelfen wollte und dabei nicht das Telefon, dafür aber den Kinderwagen loslassen mußte, der wiederum die Gelegenheit nutzte und samt Zweitkind die Flucht ergriff, nur mühsam aufgehalten von einem entgegenkommenden Radler, dem Autor dieser Zeilen, der dafür reichlich rüde angeschnauzt wurde, er könne sich glücklich schätzen, nicht angezeigt zu werden. Dabei war dem Telefon ja gar nichts passiert.
# |  6 RauchzeichenGas geben

Donnerstag, 16. 07 15

16.07.15, 10:47 | 'Single Trails'
Eine neue Straße, leicht bergan, auf siebzig beschränkt, Überholverbot, Gegenverkehr. Irgendwo mittendrin beginnt auf der Gegenseite ein Radweg. Zu dem komme ich aber nicht, weil ich die ganze Zeit knappstens überholt werde, und spätestens zehn Meter nach Beginn des Radwegs muß auch noch jeder Porschefahrer hupen. Deutschland ey.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Mittwoch, 8. 07 15

08.07.15, 18:09 | 'Single Trails'

Als ich neulich einen Platten am Rennrad hatte, da reichte man mir eine Pumpe, die schon reichlich zerschrammt war. Klein und leicht war sie, fast zerbrechlich, und ich war reichlich misstrauisch. Aber falsch - sie schnappt sich das Ventil besser als meine eigene Pumpe, und seitdem kann ich kurze Ventile in den hohen Felgen fahren, und in diesen hocherotischen Laufrädern beeindruckt das sogar mich. Also her damit.
Außerdem bekommt auch das Bergrad noch eine neue Kassette, da die alte ja als Spende an das Stadtrad herhalten mußte, weil es damals ach so eilig war. Und dann ist da noch die kleine Tasche, die eigentlich ins Rahmendreieck gehört, wo sie aber nicht hineinpasst. Sie macht sich auch unterm Rahmen ganz gut, denke ich. Und ob sie beim Tragen stören wird, muß sich noch zeigen.
Jetzt kommt noch ein Gepäckträger ans Rad, und eine kleine Vorrichtung für das Telefon auf den Vorbau. Schauen wir mal.
# |  Rauchfrei | Gas geben

... Rückwärts fahren