Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

03.06.10, 06:55 | 'Highway 61 revisited'
Auf verworrenen Wegen bin ich in diesen - man muß ihn so nennen, wenn man ihm gerecht werden, ihn also korrekt beschreiben will - Schuppen gelangt und habe ein Herz auf die Brust gepappt bekommen. Meine Nummer ist stramm vierstellig, und sie wird während des Abends keine Rolle mehr spielen. Sie trinken schnell. Erwartungsvoll sind sie hier, und entschlossen amüsieren sie sich. Zielgerichtet, möchte ich sagen, aber die Abscheu dagegen ist die meine, nicht die ihre.
Wir treffen eine, zwei, drei, und ständig dazwischen Telefone. Kontakte verwalten, denke ich zwischendurch, denn beim Gespräch bin ich längst abgehängt. Also stehe ich gelassen lächelnd daneben und weiß nicht einmal, ob ich nicht eigentlich in Aufruhr sein sollte. Euphorie? Erwartung? Ich müsste all das aufsetzen, und da bleibe ich lieber stumm und unentschlossen. Man sieht dann auch viel mehr.
So wandern wir zwischen Tisch und Raucherzone, und nur ab und zu werfe ich irgendwas ein. Ein Junggesellinnenabschied kreuzt uns in eigens bedruckten Leibchen, und einer in einheitlichen Schärpen. Die Braut ist unansehnlich, und irgendwie entlastet mich das.
Immer wieder Durcheinander und Dopplungen, und zwischendrin verliere ich meine beiden auch. Die Toilette läuft über. Breitbeinige Stoffel rempeln einander an, und als ich ein schwankendes Mädchen an der Schulter fasse, zischt es mich böse an.
Immer wieder sehe ich diese lächelnde junge Frau an, und dann schweige ich weiter. Es gibt nichts zu sagen. Auf dem Parkplatz Verabschiedungen mit Drücken. Es fällt ein Kuss irgendwo. Keine Befriedigung.

Ich stehe zwischen den Ortschaften, wohin mich neuerdings immer wieder die Qual führt. Ich gebiete Einhalt und steige auf einem Parkplatz aus. Bäume rauschen, Blätter kratzen übereinander, Schlagregen in Böen. Der Asphalt im Scheinwerferlicht scheint immer wieder böse aufzuzischen. Aus dem Wagen dringt laut die Musik einer Band, die keiner mögen will, weil deutsche Popmusik offensichtlich verquast klingen muß, damit man sie intellektuell honorieren kann. Einfach zu mögen, wenn einer von Liebe und Freiheit singt, ganz einfach und gerade deshalb verständlich, mit ganz wenigen, ganz deutlichen Bildern, einfach zu mögen kann man ja hier nicht. Schund muß man englisch singen, dann fällt das vielleicht nicht so auf, was weiß denn ich, denn für mich hört sich "like a satellite" ja immer noch an wie "piep piep, kleiner Satellit", also nur der Text jetzt, und wenn man genau hinhört, ist da auch das Echo des stampfenden Beats, aber an sowas erinnert zu werden, macht ja auch keine Freude.

Die Instrumente glühen in einem gleichmäßigen, hellen Grün. Das Lenkrad ist vertraut, der Schalthebel, die Konsolen. Ich mochte das Reißen des Fronttrieblers früher gerne, doch nach Jahren in einer heckgetriebenen Limousine mit zu großer Bereifung fühlt sich alles seltsam an, was nicht wild untersteuert und durch scharfes Rucken und Wanken in die Spur gezwungen werden will. Hier hält man nur die Lenkkräfte im Zaum, in dem man sich ans Steuer klammert.
Die Reifen sind gut, der Regen peitscht die Scheiben. Ich stelle den Sitz tief und gerade, ziehe den Gurt stramm und reiße einmal daran, um ihn einzurasten. Das vertaute, helle Standgasknistern. Ich drehe die Scheinwerfer ein wenig nach oben. Ich bin allein im Wagen, allein auf der Straße.
Beschleunigen, schalten, wieder schalten. Aus den Kehren springen mich die rotweißen Warnbaken an. Ich brauche sie nicht, ich kenne den Weg. Die Seitenkräfte nehmen leicht ab, als die Gleitreibung einsetzt. Drift. Abfangen. Beschleunigen. Einlenken und dagegen, die Karosse kippt nach außen, die äußeren Federn dürften fast auf Block sein. Eine der beiden großen Nadeln liegt zitternd rechts an, ich schalte hoch. Bergab ist dieser kleine Wagen noch immer eine Raubkatze, denke ich, und daß ich ihn vermissen werde. Sie werden immer seltener auf den Straßen, und noch seltener bekommt man einen zu fahren. Die Gewohnheit eines lange gefahrenen Autos zu verlieren ist ein Phantomschmerz, dessen man sich selten bewußt wird. Ich bin froh, keine Beifahrer zu haben. Kein Verkehr um diese Zeit. Geschwindigkeit bezwingt die Qual, so lange sie wirkt. Bremsen, Beschleunigen, das Zerren am Körper ebenso wie am Fahrzeug.

Ich lasse es langsam ausrollen, durch das nächtliche Dorf, bugsiere die Fuhre auf den Parkplatz und stelle das Radio ab, dann den Motor. Es ist still. Mein Hals kratzt, ich muß sehr laut mitgesungen haben. Der Tag bricht an, als ich gemächlich ins Haus tappe.

Rauchzeichen




huehnerschreck   |   03.06.2010, 13:18   |  
danke fürs teilen.

übrigens: so hatten Sie ja doch beifahrer - zumindest virtuell.





zum musik-thema: das ist einer der gründe, warum ich mittlerweile das radio meide. der dort überwiegend abgesonderte geistige dünnpfiff ist nur dann erträglich, wenn man ihn nicht versteht. diese gabe (des nicht-verstehens) fehlt mir.

herzliche grüße!

texas-jim   |   04.06.2010, 12:44   |  
Och, das Radio ist mir beim Fahren meist ein lieber Zeitvertreib. Gibt ja andere Sender.
Mitrauchen
 

traumzecher   |   03.06.2010, 13:22   |  
"..unentschlossen. Man sieht dann auch viel mehr." - wieder so ein schönes Fundstück.

texas-jim   |   04.06.2010, 12:44   |  
Haben Sie Dank.
Mitrauchen