04.11.24, 09:18
An der Reihe sein. Aus der Menge heraustreten. Drei, vier zackige Schritte nach vorn, ins Licht eines Scheinwerfers, in die Brandung aus Applaus treten. Das leise Knacken der Bühne geht darin unter, und trotzdem kann ich es hören und in mir aufbewahren. Die Arme ausbreiten, die Handflächen nach vorn, die Finger anliegend. Eine tiefe Verbeugung ins Dunkel vor der Bühne. Drei, vier Schritte rückwärts mit nur einem kurzen Seitenblick. Es fällt schwer, aus dem Rampenlicht zu treten, und deshalb sind meine Schritte schnell und energisch. Ich hebe die Hände und applaudiere dem Nächsten, der sich nach vorn stellen darf für einen Moment. Dann wird es dunkel, und ich verharre für einen Augenblick vor der Kulisse. Der grobe, leicht modrig duftende Stoff, auf den ein Begnadeter unser Dorf als Szene gemalt hat. Der einfache Tisch, an dem ich saß. Der Durchschlupf, durch den ich verschwinden durfte. Die Glocke, die den Tumult zur Ordnung rief. In der Umkleide lege ich ab, ein letztes Mal, ordne Hut und Talar und Kragen für die Wäscherei. Ich durfte schimpfen auf mein Dorf und seine Sturköpfe, und ich durfte ein Loblied singen auf mein Dorf und seine Wunderbaren. Ich sitze auf der hölzernen Bank und trete aus der geschriebenen Rolle wieder in die meine, und ich werde in den nächsten Tagen viel darüber nachdenken, wieviel davon bereits geschrieben steht. Ein Profi beglückwünscht uns im Gewühl der sich Umkleidenden, und als er an mich kommt, spricht er mich an: Das war Dein Moment, sagt er, Das war Deine Improvisation. Ich danke Dir. Vielleicht hat er gesehen, denke ich, wie mich die Idee befallen hat, wie ich mich gelöst habe vom Text und in die Rolle schlüpfen konnte, wie mir Schritte, Gesten, Worte mit einem Mal gelingen konnten.
Es ist ein Wunder im Theater. In einer Gruppe, die ins Wirken kommt, die sich in Zeit und Raum und in eine Geschichte hineinbegibt, bis alle zu ihren Figuren werden. Es ist ein Wunder, aus dem Schatten der Kulisse ins Bühnenlicht zu treten, wo nichts mehr unbeobachtet bleibt und jeder Moment ein erster, einziger Versuch vor aller Augen ist. Ich liebe dieses Leben, summe ich nach einem Popsong meiner Jugend, der den Moment beschreibt, in dem man fällt. Ich liebe den Moment des Absprungs, denke ich, wenn der mühsame Anlauf getan ist, der einen doch so weit beschleunigt, dass man schlussendlich springen muss. In einem Moment ins Scheinwerferlicht. In einer kleinen Turnhalle vor ein paar hundert Leuten, die auf hölzernen Stühlen rutschen. In einem Dorf, das der Welt nichts bedeutet, zu einem Zeitpunkt, der wie jeder andere vergeht. Und auch wenn andere unsere Rollen schreiben, sind es doch wir selbst, die in einem Moment den Absprung wagen, die das Leben lieben für einen solchen Augenblick.
Es ist kalt, als ich nach draußen trete, wo unsere kleine Kirche wacht, und es ist mir wieder ein Moment vergangen, doch ich selbst habe ihn groß und größer gemacht, gelebt, und mir hoffentlich zur Erinnerung verewigt für die Zeit, in der mir keine Momente mehr etwas gelten werden. Der Sommer war sehr groß, sage ich laut in die Nacht, und ein wenig Wärme nehme ich mir davon mit.
Es ist ein Wunder im Theater. In einer Gruppe, die ins Wirken kommt, die sich in Zeit und Raum und in eine Geschichte hineinbegibt, bis alle zu ihren Figuren werden. Es ist ein Wunder, aus dem Schatten der Kulisse ins Bühnenlicht zu treten, wo nichts mehr unbeobachtet bleibt und jeder Moment ein erster, einziger Versuch vor aller Augen ist. Ich liebe dieses Leben, summe ich nach einem Popsong meiner Jugend, der den Moment beschreibt, in dem man fällt. Ich liebe den Moment des Absprungs, denke ich, wenn der mühsame Anlauf getan ist, der einen doch so weit beschleunigt, dass man schlussendlich springen muss. In einem Moment ins Scheinwerferlicht. In einer kleinen Turnhalle vor ein paar hundert Leuten, die auf hölzernen Stühlen rutschen. In einem Dorf, das der Welt nichts bedeutet, zu einem Zeitpunkt, der wie jeder andere vergeht. Und auch wenn andere unsere Rollen schreiben, sind es doch wir selbst, die in einem Moment den Absprung wagen, die das Leben lieben für einen solchen Augenblick.
Es ist kalt, als ich nach draußen trete, wo unsere kleine Kirche wacht, und es ist mir wieder ein Moment vergangen, doch ich selbst habe ihn groß und größer gemacht, gelebt, und mir hoffentlich zur Erinnerung verewigt für die Zeit, in der mir keine Momente mehr etwas gelten werden. Der Sommer war sehr groß, sage ich laut in die Nacht, und ein wenig Wärme nehme ich mir davon mit.
04.11.24, 00:11 | ''S isch wia bei de Maedle au'
Nex em Hira,
Ond no weniger em Ranza.
Ond no weniger em Ranza.
27.10.24, 18:39
Von einer großen Liebe bleibt auch, daß ich durch Zufall auf eine Süßigkeit stoße, in einem Supermarktregal nachts um halb zehn. Du hast sie sehr gemocht, erinnere ich mich, und an Deinen freudigen Ausruf, als wir sie bei einem gemeinsamen Einkauf entdeckten. Vielleicht hätte ich sie öfter für Dich kaufen sollen, denke ich, als ich auf meinem einzelnen hölzernen Klappstuhl in diesem leeren Raum am Tisch sitze. Denn sie schmeckt ja wirklich wunderbar süß, und nur ganz leicht bitter nach Erinnerung.
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Von einem langen Abend mit zwei Freunden und einigen Paketen Parkett bleibt mir für einige Stunden der Sägestaub im Haar hängen, für einige Tage ein etwas lahmer Rücken und hoffentlich für die Ewigkeit ein Gefühl von Freundschaft, von der Freude an der Notwendigkeit, vom Eifer zur schönen Arbeit und von der Wärme, die ein nächtliches Bier in mir verbreiten kann.
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Von einem Telefonat mit einer Begeisterten bleibt mir die Idee, dass immer auch alles ganz, ganz anders sein kann. Lange Strecken durch den Spätherbst radeln. Entfernten Freunden wieder einmal nahekommen. Arbeit am Selbst, Arbeit am Eigenen, anstelle von Abarbeiten des Notwendigen.
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Wenn man mich einst einen Hagenbüchenen nennen wird dürfen, wird dieses Wort wie vieles andere längst verschwunden sein. Mir scheint manchmal, ich ginge um Jahrzehnte nach.
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Im Radio das Lied einer Band, die ich durch eine fand, die mir freund ist. Ich drehe laut und singe meine drei Minuten Schlepperdisco in der Dunkelheit, die den Mittelpunkt meiner vielen Scheinwerfer bildet. Ich sitze im Dunkel der Kabine, ich sitze im Licht des Schleppers. Wie man es nimmt, und irgendwann nehme ich den letzten Fetzen dieses Liedes auf und schicke ihn ihr zum Gruß und zum Gedenken.
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Der frühe Sonntagmorgen sieht mich kaum durch den blickdichten Nebel, der sich vor meinem Frontlader zäh nur öffnet. Ich fahre über leere Landstraßen, räume den letzten, nun wirklich allerletzten Mais der Saison ins Silo. Die Schönheit der Planie, und wie erst ein wirklicher Fahrer aus einem Schlepper eine Maschine macht, die arbeitet. Im Radio ein Beitrag über die Verstorbenen, passend zu Allerheiligen, sagen sie, und der eigentlich passende Feiertag Allerseelen ist damit wohl endgültig verschwunden. Ein seltsames Gebrauchschristentum haben wir uns in den letzten Jahrzehnten gebaut, denke ich mir, als Vehikel für Freizeit und Freude und befreit von aller Mühe. Dann spricht Ringlstetter, der von mir unbemerkt ein Buch geschrieben hat, über seinen verstorbenen Vater, und über meinen Augen liegt ein Film aus salzigem Wasser. Ich blinzle, bewege die Hände und die Füße weiter, ohne nachzudenken, Frontlader hoch und runter, Walze links und rechts, Schlepper vor- und rückwärts, und heule schließlich stumm und bitter in meiner schwankenden Glaskabine, wo ich von allen Seiten sichtbar sitze und wo mich doch niemand sieht. Und weil die Hände ihre Plätze an den Hebeln haben, wie die Füße ihre an den Pedalen, laufen mir dicke Tränen übers Gesicht in breiten Bahnen. Kühle Spuren auf meinen klimatisierten Wangen. Für einen Moment schaue ich nach unten und habe die Knie zusammengeklemmt, damit mir kein Tropfen auf den teuren Sitz gerät. Ich heule, frei und innig und bitter in Erinnerung an die Särge, die ich schon getragen habe, und in Erwartung derer, die ich noch tragen werde müssen. Stets war ich eine Schulter unter vielen, denn als Enkel sind wir zahlreich. Es schlägt mich der Gedanke, dass ich beim nächsten Sarg allein sein werde, und daß ich diesem einen Gang nicht werde ausweichen können. Daß ich weder den Tag noch die Stunde kenne, gehört zu den wenigen Mahnungen, die ich erhalten habe, und ich ertappe mich bei dem Gedanken, ob ich diesen Sarg werde tragen können, wie ich mich immer, immer wieder finde in Gedanken, ob das Unmögliche nicht doch zu tun sein könnte, wenn nur für einen Moment möglichst keiner zuschaut. Ich schelte mich einen Narren, doch das hilft schon zwei Dutzend Jahre lang nicht weiter. Ich schimpfe mich einen rührseligen Narren, doch hat der Schlag mich allzu hart getroffen, als steckte die Faust selbst noch in meiner Brust, und ich spüre jeden Herzschlag mühsam, schmerzhaft, und doch ohne Unterlass. Ich möchte mich weiter schelten und schimpfen, doch versagt mir die Stimme, und so hänge ich das Funkgerät wieder ein, ohne den Knopf zu drücken. Stattdessen winke ich dem Fahrer in der Ferne nur. Und wie das Herz mir schlagen muss, werde ich einst tragen müssen. Heute steigt der Nebel wohl, doch gibt er den Blick nicht frei, löst sich nicht auf und bleibt als Dieb der Farben und des Lichts. Heute weine ich in Erwartung, als ob ich damit dem Unausweichlichen die Härte abschleifen, dem kommenden Schmerz die Erträglichkeit abbitten könnte. Ich will nicht und werde müssen. Ich schnaube Tränen von der Nasenspitze und verteile noch einen Wagen Mais im Silo. Irgendwann lässt die verfluchte Heulerei nach, und irgendwann auch der Druck des Schlages. Ich weiß nicht, wie das vergangen ist, doch habe ich gelernt, an frische Wunden und alte Wunder möglichst nicht zu rühren.
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Von einem langen Abend mit zwei Freunden und einigen Paketen Parkett bleibt mir für einige Stunden der Sägestaub im Haar hängen, für einige Tage ein etwas lahmer Rücken und hoffentlich für die Ewigkeit ein Gefühl von Freundschaft, von der Freude an der Notwendigkeit, vom Eifer zur schönen Arbeit und von der Wärme, die ein nächtliches Bier in mir verbreiten kann.
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Von einem Telefonat mit einer Begeisterten bleibt mir die Idee, dass immer auch alles ganz, ganz anders sein kann. Lange Strecken durch den Spätherbst radeln. Entfernten Freunden wieder einmal nahekommen. Arbeit am Selbst, Arbeit am Eigenen, anstelle von Abarbeiten des Notwendigen.
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Wenn man mich einst einen Hagenbüchenen nennen wird dürfen, wird dieses Wort wie vieles andere längst verschwunden sein. Mir scheint manchmal, ich ginge um Jahrzehnte nach.
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Im Radio das Lied einer Band, die ich durch eine fand, die mir freund ist. Ich drehe laut und singe meine drei Minuten Schlepperdisco in der Dunkelheit, die den Mittelpunkt meiner vielen Scheinwerfer bildet. Ich sitze im Dunkel der Kabine, ich sitze im Licht des Schleppers. Wie man es nimmt, und irgendwann nehme ich den letzten Fetzen dieses Liedes auf und schicke ihn ihr zum Gruß und zum Gedenken.
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Der frühe Sonntagmorgen sieht mich kaum durch den blickdichten Nebel, der sich vor meinem Frontlader zäh nur öffnet. Ich fahre über leere Landstraßen, räume den letzten, nun wirklich allerletzten Mais der Saison ins Silo. Die Schönheit der Planie, und wie erst ein wirklicher Fahrer aus einem Schlepper eine Maschine macht, die arbeitet. Im Radio ein Beitrag über die Verstorbenen, passend zu Allerheiligen, sagen sie, und der eigentlich passende Feiertag Allerseelen ist damit wohl endgültig verschwunden. Ein seltsames Gebrauchschristentum haben wir uns in den letzten Jahrzehnten gebaut, denke ich mir, als Vehikel für Freizeit und Freude und befreit von aller Mühe. Dann spricht Ringlstetter, der von mir unbemerkt ein Buch geschrieben hat, über seinen verstorbenen Vater, und über meinen Augen liegt ein Film aus salzigem Wasser. Ich blinzle, bewege die Hände und die Füße weiter, ohne nachzudenken, Frontlader hoch und runter, Walze links und rechts, Schlepper vor- und rückwärts, und heule schließlich stumm und bitter in meiner schwankenden Glaskabine, wo ich von allen Seiten sichtbar sitze und wo mich doch niemand sieht. Und weil die Hände ihre Plätze an den Hebeln haben, wie die Füße ihre an den Pedalen, laufen mir dicke Tränen übers Gesicht in breiten Bahnen. Kühle Spuren auf meinen klimatisierten Wangen. Für einen Moment schaue ich nach unten und habe die Knie zusammengeklemmt, damit mir kein Tropfen auf den teuren Sitz gerät. Ich heule, frei und innig und bitter in Erinnerung an die Särge, die ich schon getragen habe, und in Erwartung derer, die ich noch tragen werde müssen. Stets war ich eine Schulter unter vielen, denn als Enkel sind wir zahlreich. Es schlägt mich der Gedanke, dass ich beim nächsten Sarg allein sein werde, und daß ich diesem einen Gang nicht werde ausweichen können. Daß ich weder den Tag noch die Stunde kenne, gehört zu den wenigen Mahnungen, die ich erhalten habe, und ich ertappe mich bei dem Gedanken, ob ich diesen Sarg werde tragen können, wie ich mich immer, immer wieder finde in Gedanken, ob das Unmögliche nicht doch zu tun sein könnte, wenn nur für einen Moment möglichst keiner zuschaut. Ich schelte mich einen Narren, doch das hilft schon zwei Dutzend Jahre lang nicht weiter. Ich schimpfe mich einen rührseligen Narren, doch hat der Schlag mich allzu hart getroffen, als steckte die Faust selbst noch in meiner Brust, und ich spüre jeden Herzschlag mühsam, schmerzhaft, und doch ohne Unterlass. Ich möchte mich weiter schelten und schimpfen, doch versagt mir die Stimme, und so hänge ich das Funkgerät wieder ein, ohne den Knopf zu drücken. Stattdessen winke ich dem Fahrer in der Ferne nur. Und wie das Herz mir schlagen muss, werde ich einst tragen müssen. Heute steigt der Nebel wohl, doch gibt er den Blick nicht frei, löst sich nicht auf und bleibt als Dieb der Farben und des Lichts. Heute weine ich in Erwartung, als ob ich damit dem Unausweichlichen die Härte abschleifen, dem kommenden Schmerz die Erträglichkeit abbitten könnte. Ich will nicht und werde müssen. Ich schnaube Tränen von der Nasenspitze und verteile noch einen Wagen Mais im Silo. Irgendwann lässt die verfluchte Heulerei nach, und irgendwann auch der Druck des Schlages. Ich weiß nicht, wie das vergangen ist, doch habe ich gelernt, an frische Wunden und alte Wunder möglichst nicht zu rühren.
23.10.24, 14:40
Milchreis dämpft den Furor.
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