Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 12. 10 10

12.10.10, 13:29 | 'Nichts lieber als Dich'
Eine Postkarte über die Zeit, die ich selbst zur Empfängerin bringe. Vor dem Haus stehen Menschen, also komme ich wohl nachts noch einmal. Diese Karte soll nicht wie der Blumenstrauß versehentlich bei den Großeltern landen. Obwohl das sicher zur allgemeinen Erheiterung beigetragen hat, aber was will man machen. Ich fahre also am Haus vorbei, das schwarze Visier unten, die Ninja brummelnd im ersten Gang. Ich bin also mal wieder unauffällig in diesem kleinen Dorf, noch kleiner als meines, und so lange ich keine Katzen überfahre oder die Tochter des Dorfschultes, wird mich auch keiner vom Moped zerren. Das Dorf hört auf, und das meine ich so. Die Straße ist zu Ende. Ja prima. Also zurück. Noch einmal volle Pulle unauffällig, und am Ortsende reißt mir der Geduldsfaden, aber zum Glück nicht der Gaszug, und brüllend jage ich den Abhang hinunter, zwei, drei Serpentinen. Völlig unauffällig, ein Wahnsinniger in schwarz auf schwarzem Motorrad.
Spät am Abend der zweite Versuch. Ich parke ein paar Häuser weiter, denke ich mir. Aber das Dorf hat nur ein paar, also parke ich der Einfachheit halber vor dem Nachbarhaus. Ich schleiche am Zaun entlang. Kein Briefkasten. Mein Herz, mein Herz! Also durch die Einfahrt, und sofort stehe ich auf hässlich knirschendem Kies. Prima Idee. So langsam kann kein Mensch laufen, und so leise wie hier ist es auch sonst nirgends. Ich sehe mich um. Ich könnte durch die Rosen marschieren. Sowas macht einen ja immer unheimlich beliebt, also lasse ich es bleiben und versuche, wie ein Schatten zur Haustür zu marschieren. Dahinter ist Licht. Ich bin fast da. Ich bin prima. Der Hund bellt, und den hatte ich vergessen. Mit einem Satz bin ich über die Rosen und den Zaun und stehe wieder auf der Straße. Ich will doch nur eine simple Postkarte einwerfen, jammere ich vor mich hin, aber wer lieben will, soll wohl leiden. 'Zefix.
Ich schlendere die Straße entlang. Ein schöner Ziergarten, aber auch einer, in dem ich unweigerlich stürzen würde, und außerdem will ich ja nicht in den Garten, sondern zum Briefkasten an der Tür, herrjeh! Der Nachbar hat ein Mäuerchen aus Natursteinen. Große Brocken, von kleinen gestützt. Ich zerre einen kleineren Findling heraus, irgendeine hübsche Blume kann sich nicht mehr halten und fällt auf der Straße nieder. Hoppla. Etwas Erde rieselt nach, und mir tut das ja alles auch leid, aber verstehen Sie nicht? Da stehe ich nun mit klopfendem Herz, dreckigen Händen, einem Stein und einer Postkarte. Zumindest die Hände sind wie üblich, denke ich, und laufe langsam zurück. Ich lehne mich über die Gartentür mit ihren spitzen Stacheln, lege die Karte ab und den Stein darauf, und flüchte dann.
Zuhause schreibe ich etwas Wirres von Regen und einem Spaziergang und einem Stein, der den Nachbarn gehört. Sehr schön, jetzt weiß sie wenigstens, daß ihr Verehrer ein Wahnsinniger ist.
# |  2 RauchzeichenGas geben


12.10.10, 12:39 | 'Heller als tausend Sonnen'
Als ich komme, ist ein Reifen am Kipper platt. Also flicken. Dann kommt der Häcksler zu spät, und als er dann anfängt, stirbt er gleich. Verstopfung. Ich schlage Dynamit vor, werde aber überstimmt und bekomme ein Stemmeisen in die Hand gedrückt. Damit darf ich das Rohr auskratzen. Irgendwann fährt mir der Bauer quer durch meine schöne, reihenzählende Wagenplanung, dann platzt ein Hydraulikschlauch, dann meine Nerven. Endlich Hochzeit.

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Und hätte nicht mein Senior einen schnellen Krawattenknoten bei der Hand, ich wäre noch zu spät gekommen. So rieche ich trotz Dusche noch ganz leicht nach frischem Mais an den Händen und fahre in wilder Jagd durchs Dorf, hinaus, zur Kapelle am Waldrand.

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Man nennt die Kapelle auch die "Kinderkriegerkapelle", weil dort Messen gelesen werden, zu denen die Frauen mit Kinderwunsch gehen. Die Braut ist allerdings schon schwanger, wie ich vor wenigen Tagen erfahren habe, und so tauschte ich schnell meinen herzlichen Scherz gegen ebensolche Glückwünsche aus.

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In diesen Gedanken fahre ich am Weg zur Kapelle vorbei, biege in den nächsten ab und fahre gedankenverloren auf einer Wiese direkt zur Kapelle. Wo schon alle stehen und warten. Mir wird klar, daß ich mich eben zum Gespött mache, wenn ich mit dem Auto über die Felder direkt in die Kapelle schanze, aussteige und sage, daß wir gern anfangen können. Also mache ich mich unauffällig, blaues Auto auf grüner Wiese, und nehme noch einmal Anlauf, aber auf dem Weg. Zum Parken muß ich denn doch in einen Stoppelacker fräsen, aber was solls, man kann nicht alles haben.

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Die Messe ist kurz und schön und am Ende singen zwei, die ich irgendwoher kenne. Später wird mir erklärt, wer mit wem verwandt ist, und da leuchtet mir einiges ein. Jedenfalls sitze ich draußen bei den anderen unterm Zeltdach, weil drinnen so wenig Platz ist, und nach der Messe stehen wir im Gras und schauen in den blauen Himmel.

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Bei der Abfahrt fräse ich mit dem Heckantrieb ein Herz in den Acker. Bauernlümmel, grinsende.

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Bevor wir zum Essen aufbrechen, hole ich noch eben die bestellte Mousse au Chocolat aus dem Kühlschrank, die ich noch in der Nacht gebastelt habe. Zehn Eier, und die Küche sah auch aus wie Sau. Lang geputzt, längst vergessen.

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Wir bilden einen Verlegenheitstisch, glaube ich. Zumindest kenne ich die drei neben mir nicht, und als ich frage, haben die auch kein Interesse daran, das zu ändern. Trinke ich eben noch eins, während ich aufs Essen warte und den leeren Platz neben mir anschaue. Sie werden die ersten sein, die heute nacht gehen, denke ich, noch vor den Senioren, die uns immer so gern beim Feiern zusehen.

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Wir essen, wir trinken, und danach falle ich fast ins Fresskoma. Davon hält mich das rote Unglück ab, das uns zum Umziehen scheucht. Im Flur vor den Toiletten. Nun ja, es gibt Schlimmeres. Ich blase meine Brüste auf. Sie haben verschiedene Farben, aber das macht nichts. Mein Badeanzug zwickt. Mein Röckchen rutscht. Meine Perücke nimmt mir die Sicht. Mir ist kalt, barfuß auf dem Steinboden.
Wir laufen zu Thunderstruck ein, und alles ist vergessen. Leider auch der Tanz. Ich hopse also durch die Gegend, verliere meine Luftballonbrüste und werde fast an der Bühne zerdrückt. Irgendwann bin ich vorne, als man mir winkt, und schlage mein Rad. Bei der Pyramide helfe ich ordnungsgemäß dem Letzten nach oben und habe gar keine Angst, daß er auf mich fallen könnte, als ich mich zwischen den Beinen hindurchwerfe und die Pompoms schwenke. Als Zugabe verfrachten wir noch den Bräutigam nach oben, und auch er ist nüchtern genug, um nicht auf mich zu fallen. Das ist schön, so bleiben mir nur meine aufgeschlagenen Knie.

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Wir trinken noch eins an der Bar, singen noch eins, und ziehen uns dann wieder um. Nein. Halt. Ich werde gefragt, als ich mir eben den Schnaps aus dem Mundwinkel und die lilafarbenen Haare aus den Augen wische, ob ich denn darüber schreiben würde. Natürlich, sage ich, aber kannst Du denn lesen? Es hilft aber alles nichts, ich bin hier nicht mehr für mich. Das ändert das Schreiben, aber was solls und manches kann man nicht aufhalten. Nur heraushalten, und das tue ich schon lange.

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Ich tanze mit dem Kleinen, ich tanze mit einer barfüßigen, mutigen jungen Dame und mit dem roten Unglück. Entspann Dich! sagt sie, und ich schaue verzweifelt auf meine Beine, die so gar keine Standardschritte machen wollen. Wir singen mit der Band vor der Bühne, von der Bühne, und als ich mir "Shine a light" wünsche, da müssen sie passen, und so fällt die Live-Übertragung aus. "Du fehlst mir" schreibe ich stattdessen.

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Irgendwann haben wir alle Strophen von "Hoch auf dem gelben Wagen" durch, ich bin heiser und bis zur Krawatte durchgeschwitzt. Es ist ein Fest unter Freunden, wie in alten Zeiten, und darauf schwenke ich die zierliche Braut im Kreis, bis ihr Mann sie rettet. Da sehen Sie mal, daß es hier noch Gentlemen gibt.

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Einer, der seine Entertainerqualitäten entdeckt. Ich bin begeistert. Die Band schwenkt von den Hochzeitsliedern zu den Stimmungskrachern. Am Ende Bed of Roses, und das wird nur schön dadurch, daß wir alle im Kreis ums Brautpaar tanzen. Im verunglückten Gardeschritt, aber immerhin. Ich beiße noch herzhaft in die Krawatte des Kleinen, schließlich habe ich das Buffet um Mitternacht einfach verpasst.

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Im Taxi nach hause, und am nächsten Morgen steht ein Glas mit zwei Rosen vor meinem Bett. Aha.
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12.10.10, 11:43 | 'foire aux questions'
Wie kann es nur sein, daß alles, was ich suche, nicht da ist und hier trotzdem eine solche Unordnung herrscht?
# |  Rauchfrei | Gas geben


12.10.10, 11:38 | 'Nicht drueber nachdenken'
Wir stehen um den Tisch des Lehrers und lernen Unkräuter. Goldhafer, Hirtentäschel, Vogelmiere. Ackerfuchsschwanz und Wiesenfuchsschwanz. Was man nicht alles so mäht und unterpflügt. Anschließend lustige Versuche mit Kalk- und Stickstoffdüngern, die beim Mischen so lustig nach Ammoniak stinken. Und, sagt er mit erhobener Stimme, keinen Alkohol nach Kalkstickstoff. Sonst Blausäure und letztes Bier und so. Ein Argument für ökologischen Landbau, zweifellos.

Irgendwann komme ich mit meinem Anmeldungszettel zur Organisatorin. Abschluss der Berufsausbildung? fragt sie. Ja, sage ich, das war erst neulich. Dann habe ich Pech, weil Nebentätigkeiten dürfen erst gezählt werden, sobald die Ausbildung abgeschlossen ist. Das ist nicht sinnvoll, das ist nur so. Da kann man nichts machen. Ich bekomme also kein Berichtsheft und darf gehen.
# |  Rauchfrei | Gas geben


12.10.10, 11:23 | 'Nichts lieber als Dich'
Ich komme zu Dir, Deine letzte Nachricht leuchtet noch auf dem Telefon und in meinen Augen, als ich anhalte. Vor diesem wundervollen alten Bauernhaus. Ich steige aus, laufe darauf zu, öffne die Gartentür. Die Tür geht auf, Du läufst lachend auf mich zu, wirst langsamer, bleibst stehen. Dein Lächeln erlischt. "Das muß eine Verwechslung sein" sagst Du und kehrst schnell um. [Aufgew.]
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