Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

09.08.13, 13:21 | 'Verwurzelt'

Und als ich mir eben aus den Resten etwas gekocht hatte, satt und zufrieden und unterwegs, um das kleine Fahrrad mit dem platten Reifen abzuholen, da brummte meine Hosentasche, und Dein Vater war am Telefon.
Ja, sage ich, ich brauche zwanzig Minuten. Mach Eiswürfel und sonst keinen Blödsinn. Ich bin gleich da.
Ich haste, werfe das kleine Rad erst über den Zaun und dann in meinen Flur, stopfe Limetten, Gläser, Schnaps und Zubehör in meinen Rucksack, schnappe mir das große Rad und bin unterwegs. Einen wundervoller Sonnenuntergang hinter mir, einen tiefdunklen Wolkenhimmel vor mir radle ich durch das Städtchen, durch die ganzen Leute, die dort noch unterwegs sind. Auf dem ebenen Radweg trete ich durch, die letzten Weizenfelder fliegen vorbei, die Kräne der Baustellen sind bereits für die Nacht beleuchtet.
In der Tür umarmen wir uns. Dein Vater erzählt von der Nacht, in der es begann. Wehen. Er zeigt mir den Funkwecker und den Zettel, auf dem er die Abstände notiert hat. Er erzählt, daß man sich selbst etwas zu essen mitbringen muß für eine Geburt, und wir lachen darüber, daß Deine Eltern extra mit dem alten kleinen Auto gefahren sind. Dann erzählt er von den Anstrengungen der Mutter, von der Hebamme und vom Arzt. Sieben Minuten, sagt er irgendwann, sieben Minuten, und sie haben Deine Mutter quasi über den Gang getragen, die Messer schon gewetzt, bevor sie betäubt wurde, und dann hat er Dich schon rufen gehört.
Später hat er irgendwann auf einer Parkbank im Garten geschlafen, erzählt er noch, und wir stehen immer noch im Flur vor dem Kinderzimmer. Darin liegt die Zeitung Deines Geburtstages, und die ganzen Tüten und Geschenke, die Du bekommen hast. Ich packe meinen Rucksack aus und mache uns einen Drink. Wir stoßen an, und von irgendwoher taucht noch Rum auf, zwei Fläschchen Sirup und ein Shaker. Ich brauche Milch, ich brauche Sahne, und selbst Orangensaft finden wir noch. Unsere Cocktails werden süß und wieder sahnig, und zwischendurch spielt das Radio "Father and Son", und dann reden wir ganz lange nichts. Es wird sich einiges ändern, sage ich irgendwann, und Dein Vater lacht laut, dieses bärige Lachen, das Du sicher genauso gern hast wie ich.
Ich mache ein Foto von dem Küchenchaos, das wir angerichtet haben, ich sehe im Badezimmer die Wickelkommode mit Deinem Namen darauf, ich lasse mir von dem ganzen Besuch erzählen, den Du schon empfangen hast, und wir sehen uns eine Menge Bilder von Dir an, die Dir sicher einmal sehr peinlich sein werden. Ich finde aber, Du siehst ganz prima aus. Wir lachen über die Teesorten, die herumstehen, ihrer angeblichen Wirkung wegen gekauft, was macht man nicht alles, und wir lachen über den übervollen Mülleimer, den Deine Mutter so gar nicht sehen könnte. Aber die ist ja mit Dir beschäftigt, und dabei sieht sie auch noch ganz wundervoll aus, das kann ich Dir sagen.
Mitten in der Nacht, genau drei Tage, nachdem all das begann, schwanke ich aus der Tür, umarme Deinen Papa, meinen Freund, und radle nach Hause und singe dabei ganz laut "Father and son".
Willkommen, Jonathan. Es ist schön, daß Du da bist. Ich hoffe, ich darf noch viele Geburtstage mit Dir und Deinen Eltern feiern.

Rauchzeichen




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