17.06.13, 12:45 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Ich stürme nach Hause. Die neuen Schuhe liegen im Kofferraum, und im Laden habe ich mich noch lächerlich gemacht, ein Bild von meinen Füßen in zwei unterschiedlichen Schuhen, Himmel und Hölle, verschickt und mit dem Verkäufer gelacht, als das Telefon mir blinkend verkündete: Nimm die Hölle!
So tat ich dann auch, und das Höllengefühl bestätigte sich nach wenigen Minuten im Pumakäfig. Mit einem Krampf fiel ich auf die Matte, nestelte an den Bändeln und riß an den Schlaufen, bis meine Füße wieder frei waren. Die geben schon nach, hat man mir gesagt, aber ob meine Zehen vorher schon nachgeben, wusste mir dann auch keiner zu sagen.
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Geburtstagsgeld geholt, und Kontoauszüge. Im Auto gesessen und sehr gelacht.
Das müsste ich einem Steuerberater erst einmal erklären, fürchte ich.
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Es ist halb zehn, als ich ankomme, und bisher war das nie eine schlechte Zeit. Doch dann kommen sie mir schon entgegen, tragen das Essen ab, und drinnen sehe ich bestuhlte Tische, eingedeckt mit Servietten und Besteck. Oh, denke ich, aber wie hätte man diesen Stil eines Sechzigsten vermuten können? Jede Minute im Laden, jede im Pumakäfig, und noch jede draußen wird mir ein wenig schal. Ich bin zu spät, und es sind nur wenige da. Dafür bleiben wir dann lang und reden ruhig, damit der Dreißiger eben doch ein Sechziger sein kann. Wenn er sich das so wünscht.
#
Mit Begeisterung zeige ich beim Frühstück am Fernseher die Bilder, wie ich dastehe, in der Gruppenmitte und am Rand, die viel zu großen Hände in den Hüften, ein Rucksack auf den Schultern, die Sonnenbrille im Gesicht. Unbeholfen wirke ich, aber die Freude sieht man mir an, an den arbeitenden Händen, die alles umarmen wollen, an dem Lächeln, das sich nie so recht in meinen Mund getraut, weil ich dann immer gleich jauchzen und lachen muß; und auf den Bildern der anschließenden Nacht bin ich zu sehen, sitzend und zugewandt, und einmal beim Reden erwischt mit großer Geste, mit eindringlichem Blick, ein Bierglas vor mir, und das ist eines der wenigen Bilder, auf denen ich mir gefalle, auf denen ich mich erkenne, auf denen ich bin.
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Kühe heben, Kälber tränken, Mähwerk schweißen. Mittag.
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Heumahd.
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Immer noch Maisäcker richten. Die letzten, die grünsten, die nassen, und die, für die man einen Schlüssel suchen muß. Frage nicht nach Sonnenschein, sage ich, als ich zurück bin, und daß ich kein Kreiseleggengeholper mehr haben will, für ein paar Monate vielleicht; dabei wissen wir alle, daß der Juni schon mittig liegt und die Wintergerste schon droht, und dann Zwischenfrucht, so geht das Jahr in diesem Jahr, alles ineinander, alles zu spät.
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Wieder stehe ich in dem kleinen Gatter und zwinge die Kälber zum Glück im Eimer, locke mit dem Finger und ein wenig Milch in der Handfläche, lasse mir auf die Hände und Schuhe sabbern und schaumen, lasse mir den Kälberdurchfall am Overall abputzen; ich schaue die Reihe der kleinen Iglus entlang, in denen sich auch ein paar Kranke verstecken und denke kurz an die, die mir was von Bio erzählen wollen, während sie selbst bei Kopfschmerz schon Tabletten fressen, aber den Viechern wird kein Schmerz und keine Krankheit zugestanden, wird Heilung verwehrt, und darin liegt eine Verzweckung, denn der Mensch, der sie essen wird, kümmert sich nicht um Schmerzen, sondern um Rückstände, ach. Und ich denke an das Reden von der industriellen Landwirtschaft und daran, wie schmal das Leben ist, wie es frisst und verschlingt und kämpft, und daß Leben niemals aufgibt, und auf der anderen Seite des Grates ist das Lohnens- und Erstrebenswerte, und was weiß denn ich, ich leide doch mit und habe trotzdem schon Kitze erlösen müssen, weil es für sie keine Rollstühle gibt. Falsch, falsch, möchte ich schreien, aber ich kann doch nichts sagen, denn ich weiß doch auch nicht, wie es besser sein soll.
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Ich stehe in der Radladerschaufel, wuchte an der Körnerschnecke und lache nach unten, als die Schaufel kippt und ich kurz im Nichts stehe, bis die Gelenke sich wieder fangen über dem Totpunkt der Kinematik, und die Schaufelschneide meine schweren Schuhe wieder stützen mag.
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Als ich nach Hause komme, sitzen sie auf der Terrasse in der Sonne. Wir haben schon beschenkt in unserem Teamwork von Vater und Sohn, zwei Mails, eine Bestellung, und dann einer, der das Paket abfängt.
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Dann sitze ich noch auf einer anderen Terrasse; während mein Gegenüber Poker spielt auf einem Tablet, schaue ich in die Wolken und in den Mond, und irgendwann werde ich müde und bin im Bett.
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Der Duft, der Anblick, das Leben alter Menschen.
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Ich fasse mir ein Herz, irgendwann, aber sonntags ruhen sie alle. Also steige ich auf, lasse den Rucksack liegen, und dann treffe ich sie hier und dort, mit denen ich nicht gerechnet hatte; und irgendwann muß ich mich neu justieren, wen ich anrufe an sonnigen Sonntagen, und von wem ich schon weiß, daß nicht, weil.
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Du bist nicht schuld, sagt mein Telefon plötzlich, und zuerst denke ich nach, ob das so sein kann, zucke dann die Schultern, denn an Schuld will ich nicht denken, wenn ich nicht weiß, was ich denn nun schon wieder getan habe.
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Nackt und bloß und eine blöde Idee.
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Wir verabreden uns für Freiburg, denn dort ist es schön und dort bauen sie Trails, und wir radeln so unterschiedlich, das wird ein Spaß.
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Bist Du von hier, fragen sie mich, und ich versuche zu erklären, daß ich das bin und doch wieder nicht, nicht jetzt und trotzdem beides gern, und sie kommen aus der Stadt und fahren sonntags aufs Land; So wie ich, lache ich, und dann trinken wir aus Thermoskannen, ich lese in ihrem Buch über meinen Fels, und sie haben eine riesige Kamera dabei, mit der ich Bilder mache, am Fels und am Seil entlang. Meine Schuhe sind im Rucksack, mein Rucksack im Haus, mein Fehler, entschuldige ich mich. Dann in der Stadt, sagen sie lachend, und Nur nicht sonntags, lache ich zurück. Sie tragen große Brillen mit eingefärbten Gläsern, die oben dunkler sind als unten, sie tragen lange Hosen und weite Hemden, sehen modisch und kontrolliert aus, und eine von ihnen raucht zwischen langen, schlanken Fingern; Bis Mittwoch, sage ich, und dann radle ich davon.
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Sie mühen sich ab mit der Sense, als ich ankomme. Ich zeige ihnen den Dreh und erzähle von der Zeit, als ich abends mit der Schubkarre in den Garten gefahren bin, drei Karren am Abend, in sauberen Reihen. Ich habe mähen gelernt und schnelles Wetzen, ich kann dengeln und aus dem Sack säen, aber gemacht habe ich das alles schon lange nicht mehr, und daß ich dafür erst in die Stadt fahren muß! Dann stehe ich am Ende der Mahd und schaue zurück, die ersten Hiebe zu kraftvoll und ohne Schwung, doch gegen Ende ein sauberer Schwad, ein guter Schnitt, und immer wieder fasse ich in meine Tasche nach dem Wetzstein, der da sein sollte, und den hat man ihnen natürlich nicht mitverkauft.
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Striegeln. Und daß einer, der Kühe tätschelt und Kälber streichelt, sich dann doch ein wenig schämt und sich rosa fühlt, das zeigt schon, wie weit ich weg bin von mir. Als sich der große Kopf an meiner Schulter reibt, weil es genau dort juckt, und ich genau dort dann kratze und reibe, bis der Kamerad brummt und schnaubt, da ist das verflogen, und ich putze in einer Gründlichkeit, wie ich früher die Kühe gestriegelt habe, mit dem Strich, gegen die Bürste, und so weiter.
Dann lerne ich, wie man Steigbügel einstellt, und daß das bei mir nicht funktioniert, weil meine Beine länger sind als die Faustregel, und ich schwinge mich auf und merke dann schon, daß es das war mit den Dingen, die ich kann.
Schritt und Trab, Schultern zurück, Fersen nach unten. Die Kommandos prasseln, und Takt kann ich eigentlich nie. Irgendwann doch, und dann fehlt das Geholper, die Hüfte fühlt sich nicht mehr pornographisch an, ich schnalze mit der Zunge und drücke mit den Knien, führe mit den Beinen und halte die Zügel ganz richtig.
Und wie ich noch stolz bin und mir die geschundenen Waden reibe, steigt sie auf, das blonde Haar fliegt und sie schimpft mit dem Wildgewordenen, der so auf mich achtgeben mußte und jetzt wieder Hengst sein darf, galoppieren und durchparieren, und ich kann nicht genau sagen, wer mehr Spaß hat oder mehr schwitzt von den beiden. Dann bauen wir Hindernisse auf, der Sand spritzt, die beiden Hunde kennen sich kaum mehr vor Begeisterung, und selbst die Katze auf dem Stalldach schaut zu. Ich lasse die Beine vom Geländer baumeln und denke über lange Hosen nach. Da kommen sie angeflogen, nassglänzend und mit leuchtenden Augen, und wir teilen uns die Handgriffe des Fütterns, laufen den Weg entlang zur Koppel, in den Händen die Halfter, umtollt von den Hunden, und auf dem Rückweg klappern die Hufe neben mir, vor mir mein Schatten und der Pferdeschatten, und aus den Gärten in der Umgebung raucht die Holzkohle, während hinter uns die Sonne untergeht.
So tat ich dann auch, und das Höllengefühl bestätigte sich nach wenigen Minuten im Pumakäfig. Mit einem Krampf fiel ich auf die Matte, nestelte an den Bändeln und riß an den Schlaufen, bis meine Füße wieder frei waren. Die geben schon nach, hat man mir gesagt, aber ob meine Zehen vorher schon nachgeben, wusste mir dann auch keiner zu sagen.
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Geburtstagsgeld geholt, und Kontoauszüge. Im Auto gesessen und sehr gelacht.
Das müsste ich einem Steuerberater erst einmal erklären, fürchte ich.
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Es ist halb zehn, als ich ankomme, und bisher war das nie eine schlechte Zeit. Doch dann kommen sie mir schon entgegen, tragen das Essen ab, und drinnen sehe ich bestuhlte Tische, eingedeckt mit Servietten und Besteck. Oh, denke ich, aber wie hätte man diesen Stil eines Sechzigsten vermuten können? Jede Minute im Laden, jede im Pumakäfig, und noch jede draußen wird mir ein wenig schal. Ich bin zu spät, und es sind nur wenige da. Dafür bleiben wir dann lang und reden ruhig, damit der Dreißiger eben doch ein Sechziger sein kann. Wenn er sich das so wünscht.
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Mit Begeisterung zeige ich beim Frühstück am Fernseher die Bilder, wie ich dastehe, in der Gruppenmitte und am Rand, die viel zu großen Hände in den Hüften, ein Rucksack auf den Schultern, die Sonnenbrille im Gesicht. Unbeholfen wirke ich, aber die Freude sieht man mir an, an den arbeitenden Händen, die alles umarmen wollen, an dem Lächeln, das sich nie so recht in meinen Mund getraut, weil ich dann immer gleich jauchzen und lachen muß; und auf den Bildern der anschließenden Nacht bin ich zu sehen, sitzend und zugewandt, und einmal beim Reden erwischt mit großer Geste, mit eindringlichem Blick, ein Bierglas vor mir, und das ist eines der wenigen Bilder, auf denen ich mir gefalle, auf denen ich mich erkenne, auf denen ich bin.
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Kühe heben, Kälber tränken, Mähwerk schweißen. Mittag.
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Heumahd.
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Immer noch Maisäcker richten. Die letzten, die grünsten, die nassen, und die, für die man einen Schlüssel suchen muß. Frage nicht nach Sonnenschein, sage ich, als ich zurück bin, und daß ich kein Kreiseleggengeholper mehr haben will, für ein paar Monate vielleicht; dabei wissen wir alle, daß der Juni schon mittig liegt und die Wintergerste schon droht, und dann Zwischenfrucht, so geht das Jahr in diesem Jahr, alles ineinander, alles zu spät.
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Wieder stehe ich in dem kleinen Gatter und zwinge die Kälber zum Glück im Eimer, locke mit dem Finger und ein wenig Milch in der Handfläche, lasse mir auf die Hände und Schuhe sabbern und schaumen, lasse mir den Kälberdurchfall am Overall abputzen; ich schaue die Reihe der kleinen Iglus entlang, in denen sich auch ein paar Kranke verstecken und denke kurz an die, die mir was von Bio erzählen wollen, während sie selbst bei Kopfschmerz schon Tabletten fressen, aber den Viechern wird kein Schmerz und keine Krankheit zugestanden, wird Heilung verwehrt, und darin liegt eine Verzweckung, denn der Mensch, der sie essen wird, kümmert sich nicht um Schmerzen, sondern um Rückstände, ach. Und ich denke an das Reden von der industriellen Landwirtschaft und daran, wie schmal das Leben ist, wie es frisst und verschlingt und kämpft, und daß Leben niemals aufgibt, und auf der anderen Seite des Grates ist das Lohnens- und Erstrebenswerte, und was weiß denn ich, ich leide doch mit und habe trotzdem schon Kitze erlösen müssen, weil es für sie keine Rollstühle gibt. Falsch, falsch, möchte ich schreien, aber ich kann doch nichts sagen, denn ich weiß doch auch nicht, wie es besser sein soll.
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Ich stehe in der Radladerschaufel, wuchte an der Körnerschnecke und lache nach unten, als die Schaufel kippt und ich kurz im Nichts stehe, bis die Gelenke sich wieder fangen über dem Totpunkt der Kinematik, und die Schaufelschneide meine schweren Schuhe wieder stützen mag.
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Als ich nach Hause komme, sitzen sie auf der Terrasse in der Sonne. Wir haben schon beschenkt in unserem Teamwork von Vater und Sohn, zwei Mails, eine Bestellung, und dann einer, der das Paket abfängt.
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Dann sitze ich noch auf einer anderen Terrasse; während mein Gegenüber Poker spielt auf einem Tablet, schaue ich in die Wolken und in den Mond, und irgendwann werde ich müde und bin im Bett.
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Der Duft, der Anblick, das Leben alter Menschen.
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Ich fasse mir ein Herz, irgendwann, aber sonntags ruhen sie alle. Also steige ich auf, lasse den Rucksack liegen, und dann treffe ich sie hier und dort, mit denen ich nicht gerechnet hatte; und irgendwann muß ich mich neu justieren, wen ich anrufe an sonnigen Sonntagen, und von wem ich schon weiß, daß nicht, weil.
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Du bist nicht schuld, sagt mein Telefon plötzlich, und zuerst denke ich nach, ob das so sein kann, zucke dann die Schultern, denn an Schuld will ich nicht denken, wenn ich nicht weiß, was ich denn nun schon wieder getan habe.
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Nackt und bloß und eine blöde Idee.
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Wir verabreden uns für Freiburg, denn dort ist es schön und dort bauen sie Trails, und wir radeln so unterschiedlich, das wird ein Spaß.
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Bist Du von hier, fragen sie mich, und ich versuche zu erklären, daß ich das bin und doch wieder nicht, nicht jetzt und trotzdem beides gern, und sie kommen aus der Stadt und fahren sonntags aufs Land; So wie ich, lache ich, und dann trinken wir aus Thermoskannen, ich lese in ihrem Buch über meinen Fels, und sie haben eine riesige Kamera dabei, mit der ich Bilder mache, am Fels und am Seil entlang. Meine Schuhe sind im Rucksack, mein Rucksack im Haus, mein Fehler, entschuldige ich mich. Dann in der Stadt, sagen sie lachend, und Nur nicht sonntags, lache ich zurück. Sie tragen große Brillen mit eingefärbten Gläsern, die oben dunkler sind als unten, sie tragen lange Hosen und weite Hemden, sehen modisch und kontrolliert aus, und eine von ihnen raucht zwischen langen, schlanken Fingern; Bis Mittwoch, sage ich, und dann radle ich davon.
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Sie mühen sich ab mit der Sense, als ich ankomme. Ich zeige ihnen den Dreh und erzähle von der Zeit, als ich abends mit der Schubkarre in den Garten gefahren bin, drei Karren am Abend, in sauberen Reihen. Ich habe mähen gelernt und schnelles Wetzen, ich kann dengeln und aus dem Sack säen, aber gemacht habe ich das alles schon lange nicht mehr, und daß ich dafür erst in die Stadt fahren muß! Dann stehe ich am Ende der Mahd und schaue zurück, die ersten Hiebe zu kraftvoll und ohne Schwung, doch gegen Ende ein sauberer Schwad, ein guter Schnitt, und immer wieder fasse ich in meine Tasche nach dem Wetzstein, der da sein sollte, und den hat man ihnen natürlich nicht mitverkauft.
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Striegeln. Und daß einer, der Kühe tätschelt und Kälber streichelt, sich dann doch ein wenig schämt und sich rosa fühlt, das zeigt schon, wie weit ich weg bin von mir. Als sich der große Kopf an meiner Schulter reibt, weil es genau dort juckt, und ich genau dort dann kratze und reibe, bis der Kamerad brummt und schnaubt, da ist das verflogen, und ich putze in einer Gründlichkeit, wie ich früher die Kühe gestriegelt habe, mit dem Strich, gegen die Bürste, und so weiter.
Dann lerne ich, wie man Steigbügel einstellt, und daß das bei mir nicht funktioniert, weil meine Beine länger sind als die Faustregel, und ich schwinge mich auf und merke dann schon, daß es das war mit den Dingen, die ich kann.
Schritt und Trab, Schultern zurück, Fersen nach unten. Die Kommandos prasseln, und Takt kann ich eigentlich nie. Irgendwann doch, und dann fehlt das Geholper, die Hüfte fühlt sich nicht mehr pornographisch an, ich schnalze mit der Zunge und drücke mit den Knien, führe mit den Beinen und halte die Zügel ganz richtig.
Und wie ich noch stolz bin und mir die geschundenen Waden reibe, steigt sie auf, das blonde Haar fliegt und sie schimpft mit dem Wildgewordenen, der so auf mich achtgeben mußte und jetzt wieder Hengst sein darf, galoppieren und durchparieren, und ich kann nicht genau sagen, wer mehr Spaß hat oder mehr schwitzt von den beiden. Dann bauen wir Hindernisse auf, der Sand spritzt, die beiden Hunde kennen sich kaum mehr vor Begeisterung, und selbst die Katze auf dem Stalldach schaut zu. Ich lasse die Beine vom Geländer baumeln und denke über lange Hosen nach. Da kommen sie angeflogen, nassglänzend und mit leuchtenden Augen, und wir teilen uns die Handgriffe des Fütterns, laufen den Weg entlang zur Koppel, in den Händen die Halfter, umtollt von den Hunden, und auf dem Rückweg klappern die Hufe neben mir, vor mir mein Schatten und der Pferdeschatten, und aus den Gärten in der Umgebung raucht die Holzkohle, während hinter uns die Sonne untergeht.
vert   |  
18.06.2013, 12:11   |  
also naja. das ist mir aber neu, dass biotiere bei krankheit nicht behandelt werden dürfen. in erster linie geht es um den verzicht auf antibiotika als futtermittelbeigabe zur leistungssteigerung. eine sache, auf die man sicher gut verzichten kann, mensch und vieh.
und auch der versuch der artgerechten haltung (gilt auch für beide!;-) ist sicher nicht die schlechteste aller ideen aus der biobranche.
und auch der versuch der artgerechten haltung (gilt auch für beide!;-) ist sicher nicht die schlechteste aller ideen aus der biobranche.
texas-jim   |  
18.06.2013, 13:16   |  
Ich habe nicht gesagt, daß die Tiere nicht behandelt werden dürfen. Das stimmt so nicht.
Antibiotika sind auch in der konventionellen Landwirtschaft kein Futtermittel, sondern sie unterliegen der Indikation und der Gabe durch den Tierarzt. Das wird nicht einfach so gemacht, nach Lust und Laune.
Bei den Biobetrieben, die ich kenne, ist die Hemmschwelle zur Arzneigabe deutlich höher. Das liegt
-an den Vorbehalten, überhaupt den Tierarzt auf dem Hof zu haben,
-an der (bei den meisten Verbänden, für Demeter weiß ich es) vorgeschriebenen Bevorzugung der Homöopathie,
-an den verdoppelten Wartezeiten nach der Gabe und daran,
-daß ab einer bestimmten Anzahl an (erfolgreichen) Behandlungen das Tier nicht mehr "bio" ist.
Wenn nun der Tierarzt zu einem Biobetrieb kommt, ist das Tier meist schon schwerer erkrankt, weil schon viel versucht wurde. Vorbeugung und Hausmittel (Schwarztee, Elektrolyte bei Durchfall als Beispiel) werden übrigens in der konventionellen Landwirtschaft genau so verwendet. Ein Tierarzt kostet Geld, und eine schwere Krankheit hemmt die Entwicklung des Tieres. Daher ist allen daran gelegen, daß Tiere nicht krank werden, bzw. Krankheiten schnell erkannt und geheilt werden.
Das Tier im Biobetrieb ist also tendentiell länger krank. Zudem ist es tendentiell schwerer erkrankt, wenn es der Tierarzt sieht. Dann dauert natürlich auch die Behandlung länger, und insgesamt sinken die Überlebenschancen. (Das ist alles meine Meinung und meine Erfahrung, aber ich kann mal mit unserem Tierarzt reden oder Studien suchen.)
Ich vergleiche das mal mit dem Menschen:Sie als Biomensch dürfen nicht geimpft werden. Wenn Sie krank sind, wird erst mal auf Selbstheilung gewartet und mit Hausmitteln gearbeitet. Und wenn Sie dann doch drei Mal krank waren in Ihrem Leben, sind Sie nur noch die Hälfte wert. Die Einschätzung einer Krankheit ist schwierig. Und wenn noch weitere Einschränkungen hinzukommen, wird es nicht einfacher.
Nichts gegen Biobetriebe. Ich mag die Art, wie mit dem Boden, den Äckern und der Fruchtfolge umgegangen wird. Ich mag auch den Wert, der dem Tier beigemessen wird. Aber der muß in der konventionellen Landwirtschaft doch nicht geringer sein. (Ich sehe den Wert eines Tieres eher stark von der Nutzung und der Anzahl beeinflusst.) Und ich bin der Meinung, daß die o.g. Gründe das Tierleid auch verschärfen können. Denn ganz ohne eine Krankheit kommt keines durchs Leben. Und dann Heilung zu verzögern oder zu verhindern, nur um das Nahrungsmittel, zu dem das Tier irgendwann wird, in irgendeiner Weise "wertvoller" zu machen, halte ich für eine Verzweckung, die schon an meiner Moral kratzt. Auch wenn das Nutztier schon verzweckt ist.
Und die artgerechte Haltung: da sind sich die Experten niemals einig. Ob da eine Erweiterung der Liegeboxenfläche dazu führt, daß die Tiere sich eher mal in den Rohren verheddern und befreit werden müssen, oder ob man durch eine unbeschränkte Liegefläche in Kauf nimmt, daß Tiere stark mit Exkrementen in Berührung kommen (Keimträger!) und sich stark gegenseitig stören (Unruhe beim Umrindern, Umstallen, etc.), das sind fast schon Glaubensfragen. Laufhöfe für Rinder oder sogar Dauerweiden gibt es durchaus auch in der konventionellen Landwirtschaft.
Was ich selbst problematisch sehe, ist die Geflügelhaltung. Die Tiere sind klein, das einzelne fast nichts wert, und ihre Zahl ist groß. Ob sich diese Problematik allerdings durch "Bio" beheben lässt, weiß ich nicht. Eher durch eine Beschränkung der Gruppengröße und eine vorgeschriebene Mindestlebensdauer, so vermute ich zumindest ins Blaue hinein.
Antibiotika sind auch in der konventionellen Landwirtschaft kein Futtermittel, sondern sie unterliegen der Indikation und der Gabe durch den Tierarzt. Das wird nicht einfach so gemacht, nach Lust und Laune.
Bei den Biobetrieben, die ich kenne, ist die Hemmschwelle zur Arzneigabe deutlich höher. Das liegt
-an den Vorbehalten, überhaupt den Tierarzt auf dem Hof zu haben,
-an der (bei den meisten Verbänden, für Demeter weiß ich es) vorgeschriebenen Bevorzugung der Homöopathie,
-an den verdoppelten Wartezeiten nach der Gabe und daran,
-daß ab einer bestimmten Anzahl an (erfolgreichen) Behandlungen das Tier nicht mehr "bio" ist.
Wenn nun der Tierarzt zu einem Biobetrieb kommt, ist das Tier meist schon schwerer erkrankt, weil schon viel versucht wurde. Vorbeugung und Hausmittel (Schwarztee, Elektrolyte bei Durchfall als Beispiel) werden übrigens in der konventionellen Landwirtschaft genau so verwendet. Ein Tierarzt kostet Geld, und eine schwere Krankheit hemmt die Entwicklung des Tieres. Daher ist allen daran gelegen, daß Tiere nicht krank werden, bzw. Krankheiten schnell erkannt und geheilt werden.
Das Tier im Biobetrieb ist also tendentiell länger krank. Zudem ist es tendentiell schwerer erkrankt, wenn es der Tierarzt sieht. Dann dauert natürlich auch die Behandlung länger, und insgesamt sinken die Überlebenschancen. (Das ist alles meine Meinung und meine Erfahrung, aber ich kann mal mit unserem Tierarzt reden oder Studien suchen.)
Ich vergleiche das mal mit dem Menschen:Sie als Biomensch dürfen nicht geimpft werden. Wenn Sie krank sind, wird erst mal auf Selbstheilung gewartet und mit Hausmitteln gearbeitet. Und wenn Sie dann doch drei Mal krank waren in Ihrem Leben, sind Sie nur noch die Hälfte wert. Die Einschätzung einer Krankheit ist schwierig. Und wenn noch weitere Einschränkungen hinzukommen, wird es nicht einfacher.
Nichts gegen Biobetriebe. Ich mag die Art, wie mit dem Boden, den Äckern und der Fruchtfolge umgegangen wird. Ich mag auch den Wert, der dem Tier beigemessen wird. Aber der muß in der konventionellen Landwirtschaft doch nicht geringer sein. (Ich sehe den Wert eines Tieres eher stark von der Nutzung und der Anzahl beeinflusst.) Und ich bin der Meinung, daß die o.g. Gründe das Tierleid auch verschärfen können. Denn ganz ohne eine Krankheit kommt keines durchs Leben. Und dann Heilung zu verzögern oder zu verhindern, nur um das Nahrungsmittel, zu dem das Tier irgendwann wird, in irgendeiner Weise "wertvoller" zu machen, halte ich für eine Verzweckung, die schon an meiner Moral kratzt. Auch wenn das Nutztier schon verzweckt ist.
Und die artgerechte Haltung: da sind sich die Experten niemals einig. Ob da eine Erweiterung der Liegeboxenfläche dazu führt, daß die Tiere sich eher mal in den Rohren verheddern und befreit werden müssen, oder ob man durch eine unbeschränkte Liegefläche in Kauf nimmt, daß Tiere stark mit Exkrementen in Berührung kommen (Keimträger!) und sich stark gegenseitig stören (Unruhe beim Umrindern, Umstallen, etc.), das sind fast schon Glaubensfragen. Laufhöfe für Rinder oder sogar Dauerweiden gibt es durchaus auch in der konventionellen Landwirtschaft.
Was ich selbst problematisch sehe, ist die Geflügelhaltung. Die Tiere sind klein, das einzelne fast nichts wert, und ihre Zahl ist groß. Ob sich diese Problematik allerdings durch "Bio" beheben lässt, weiß ich nicht. Eher durch eine Beschränkung der Gruppengröße und eine vorgeschriebene Mindestlebensdauer, so vermute ich zumindest ins Blaue hinein.
vert   |  
18.06.2013, 18:21   |  
danke für die erläuterung, mir ist das schon soweit klar.
die beobachtung aus der praxis zeigt halt leider auch nur die mechanismen kapitalistischer verwertungslogik in beiden landwirtschaftsformen. können wir hier nur sehr schlecht ändern.
dass die biobranche gerade im sektor rund um tierische produkte mittlerweile einen heftigen marktwirtschaftsschub hingelegt hat und dabei die "alten" anbieter schlichtweg zermörsert, ist ja auch kein geheimnis. positiv formuliert sind das eben auch ganz normale und moderne wirtschaftsmethoden und eben nicht vorsintflutliches und archaisches wurzelbeschwören, wie es gerne von den klassischen bio-hatern ins feld geführt (hö!) wird.
ich freue mich über jeden nichtbio-betrieb, der so arbeitet, wie sie es beschreiben (und ja, wahrscheinlich tun das sogar die meisten), meine erfahrung zeigt mir nur, dass der anteil derer, für die das leben der kreatur wenig gilt, zu hoch ist. und denen übrigens auch die vermeintlichen nutznießer*innen des oftmals ruinösen preiskampfes ziemlich scheißegal sind.
(nein, ich suche nicht mit peta nach den übelsten übeltätern. ich bin nichtmal ein besonders großer demeter-fan und meide die produkte aus gründen.)
die beobachtung aus der praxis zeigt halt leider auch nur die mechanismen kapitalistischer verwertungslogik in beiden landwirtschaftsformen. können wir hier nur sehr schlecht ändern.
dass die biobranche gerade im sektor rund um tierische produkte mittlerweile einen heftigen marktwirtschaftsschub hingelegt hat und dabei die "alten" anbieter schlichtweg zermörsert, ist ja auch kein geheimnis. positiv formuliert sind das eben auch ganz normale und moderne wirtschaftsmethoden und eben nicht vorsintflutliches und archaisches wurzelbeschwören, wie es gerne von den klassischen bio-hatern ins feld geführt (hö!) wird.
ich freue mich über jeden nichtbio-betrieb, der so arbeitet, wie sie es beschreiben (und ja, wahrscheinlich tun das sogar die meisten), meine erfahrung zeigt mir nur, dass der anteil derer, für die das leben der kreatur wenig gilt, zu hoch ist. und denen übrigens auch die vermeintlichen nutznießer*innen des oftmals ruinösen preiskampfes ziemlich scheißegal sind.
(nein, ich suche nicht mit peta nach den übelsten übeltätern. ich bin nichtmal ein besonders großer demeter-fan und meide die produkte aus gründen.)