Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 30. 07 10

30.07.10, 01:33 | 'Knecht of the stone-age'
"Sie waren schon lange nicht mehr da", sagt die Dame auf dem Prüfungsamt verwundert. "Ja", sage ich und schiebe den Papierstapel zu ihr. Ein flacher Hefter aus Pappe, mit einer etwas unglücklich skizzierten Schachtel auf dem Einband, aus der ein böses Gesicht mit herausgestreckter Zunge springt. Diese Kritzelei ist mir immer ein wenig peinlich, also klappe ich den Hefter gleich auf.
Sie blättert die Seiten bedächtig durch. Bescheinigungen. Scheine. Übersichtspläne. Abgezeichnet, datiert, mit Nummern versehen.
"Die Noten müssten in den nächsten Tagen eintrudeln", sage ich. Denn eine Note kann nur gemeldet werden, wenn die Prüfung formal angemeldet ist. Verlacht habe ich die Bürokratie, und leidenschaftlich gehasst. Heute stehe ich eine Ewigkeit mit der Nase am Glaskasten, weil eine Studienarbeit eine Prüfungsnummer benötigt.
Als ich zum letzten Mal hier gewesen war, hatte sie mir meinen lächerlichen Notenausdruck gegeben, mit den zwei, drei Einträgen des ersten Semesters. "Überlegen Sie sich das noch einmal", hatte sie gesagt. "Es ist nirgends besser."
Sie gibt mir Kopien mit, die ich hätte machen sollen. Von allem Kopien. Dabei will ich die Papiere doch nur loswerden.

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Als ich wieder draußen bin, prasseln dicke Tropfen auf den Boden. Schlagen Dellen in die Pfützen, strömen in den Rinnen, den Unebenheiten dahin. Ich bin durchnässt, bevor ich am Auto bin. Immerhin am Auto, denke ich, als ich mir das Wasser aus dem Hosenschlag schüttle. Denn der weiten Hosen wegen bin ich nicht mit dem Rad hier. Ich sehe mich um auf dem Parkplatz, und das Wasser läuft mir in die Augen. Die riesigen, eckigen Bauten. Mathematik in zu kleinen Räumen. Werkstofftechnik in dem Saal, der keine Lüftung hatte. Hektisches, achthundertfaches Rascheln, kratzende Stifte, verbissene Flüche, und in den Pausen die Kartenspieler. Die Hosen sind der kleinste Zufall.

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Das schwarze Hemd ist mir zu eng. Das ist es schon lange, aber es fällt nur auf, wenn ich die Arme hebe. Ich werde also nicht an die Leinwand zeigen, beschließe ich, als ich die Folien durchgehe. Es gibt nicht viel zu zeigen, nicht einmal viel zu sagen. Da war diese Aufgabe ohne großen Erklärungsbedarf, da war irgendein Antrieb, da waren viele Tage und einige Nächte.
Der Kerl, der ebenfalls heute vorträgt, hat fast dreißig Folien, verschachtelte Diagramme, in der Hand knickt er nervös seine Moderationszettel. Er trägt eine ärmellose Weste über dem Polohemd. Hast Du Deinen Vortrag denn nicht geübt? fragt er. Habe ich nicht, und für einen Moment wünschte ich mir, ich hätte es.
Ich mache ihn dann platt, schlicht und ergreifend. Ich nehme meine Bühne ein, ich rede und blättere munter durch meine Foliensammlung. Mein Bilderbuch, sage ich, bevor ich die Fragen beantworte. Ich bastle mir die Antworten zusammen, die ich nicht weiß, und wenn mir die Bastelei nicht gefällt, lüge ich. Vierhunderttausend Knoten. Rechenzeit. Wirbelzopf. Gute Annäherung. Wahrscheinlich hat auf den Bildern niemand etwas erkannt. Wo Sie eben darauf zu sprechen kommen, sage ich, und rede dann von etwas anderem, das mir eben siedendheiß wieder eingefallen ist. Den Experten die Schlagworte zurechtlegen. Ich bin ein Blender. Aber darin bin ich gut. Das ist es vielleicht gar nicht, denke ich, als ich die metergroße Konstruktionszeichnung sehe. Es ist vielleicht nur so, daß ich das Abwägen, das Verzweigen, das Konstruieren nicht erklären kann. Es passiert einfach, und dann stehe ich mit einer verzwickten Geometrie da und kann nur sagen, daß sie mich Zeit gekostet hat. Daß da Querströmungen waren. Daß ich Winkel variiert habe. Krümmungen angepasst. Ellipsen gegen Kreise getauscht. Mit Versperrungen gespielt. Und zuletzt Linien gebogen. Wieso sieht dieses Diagramm anders aus? Weil ich es so wollte.

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Wir rechnen für die Kaffeekasse ab.

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Ich stehe an einem Schreibtisch, die Finger dürfen nicht trommeln. Er hat den Hörer am Ohr, und ich habe endlich einen Ansprechpartner in dieser Firma. Freund, sage ich. Alter Freund.

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Es drängt mich nicht nach hause heute abend. Nicht, daß ich hier zu hause wäre. Ich bin nur gern hier. Jetzt, am Ende.

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Die Liste des zu Erledigenden wird kurz.

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Wir sind früh dran, wir essen um neun. Um elf verabschieden wir uns. Und dann war es das. Er muß noch die Wäsche machen. Ich überlege mir ein Anschreiben. Bewerbung. Ich höre leise Musik. Im Nachbarhaus erlischt das Licht.
May the good lord shine a light on you
Make every song your favourite tune
# |  2 RauchzeichenGas geben