Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Samstag, 3. 07 10

03.07.10, 21:18 | 'looking at the world over the rim of my tea cup'
Was aus dieser Perspektive noch ganz lustig aussieht,



das entpuppt sich als ziemlich waghalsige Kletterei,



bei der einem sogar die Käfer auf der Nase herumtanzen.



Beim ersten deutschen Tor ächzt und brüllt es aus allen Ecken des Dorfes, daß es im ganzen Tal hallt. Grinsend hangle ich mich weiter von Ast zu Ast. Die Kirschen sind klein in diesem Jahr. Und wenige sind es auch noch. Dann muß ich eben ein ganzes Pfund essen, anstatt ein halbes, und sowas kann man ja nur verstehen, wenn man selbst Kirschen pflückt.
Der Senior wechselt mir die Eimer, wäscht die Kirschen und sitzt dann am Gartentisch beim Entsteinen. Die Maschine macht ein Geräusch, wie ich mir das Durchladen einer Pistole vorstelle, und aus ihrem Lauf fallen bluttriefende Kirschen, während sie an der Seite die Patronenhülsenkerne ausspuckt.
Genug mit dem Krieg, denke ich, da lässt einer der Nachbarn einen Böller los, weil Fußball ja fast so wie Krieg ist, und vor Schreck falle ich fast vom Baum. Eins zu null? frage ich vorsichtig nach unten, als ich Eimer, Äste und mein schwaches Herz wieder im Griff habe.
Weiterpflücken. Entweder, denke ich und schaue etwas verwirrt aus dem Wipfel, entweder werden die Nachbarn nur alle vier Jahre brünftig, oder es stimmt etwas nicht in der deutschen Abwehr. Und wenn man so weit oben herumsteigt wie ich, dann fühlt man die Stoßgebete der Leute schon fast. Vielleicht ist es auch nur die Hitze. Oder es sind die Argentinier im deutschen Strafraum, wer weiß das schon.
Jedenfalls bekomme ich so das ganze Spiel mit, tippe aber nach dem dritten Kanonenschlag auf einen argentinischen Konterrevolutionär, alles andere wäre ja auch unglaubwürdig. Selbst der Senior, der sich zwischendurch einen Kaffee und ein Eis gegönnt hat, und eigentlich auf dem Laufenden sein müßte, meint nur: Jo samma denn scho Weltmeister? und da ist mein Problem dann, nicht vor Lachen vom Baum zu fallen oder zumindest die letzte Kirsche auszuspucken. Vorsichtshalber schlucke ich sie mitsamt dem Kern, und ich mochte ja früher schon die Vorstellung, aus meinem Bauchnabel würde ein Kirschbaum wachsen.
Es knallt noch einmal, und da hupt es auch schon auf der Straße. Sie fahren jetzt alle in die Stadt, um zu feiern und im Kreis zu fahren. Aber wenn man von hier kommt, hat man meistens Pech, denn der einzige Kreisverkehr dort ist ziemlich klein und mit drei Autos sicher schon belegt. Man kann aber sicher ganz toll dort im Stau stehen, denke ich. Man sieht zwar nicht viel, aber wenn man den Urlaubsrückkehrern so zuhört, fährt man ja auch dorthin nur des Staues wegen, also ist alles normal, alles wie immer. Und in die Stadt müssen sie, hier hat es schließlich keinen Stau. Wir haben ja auch keinen Kreisverkehr im Dorf.
Eine halbe Stunde später, ich räume eben die triefenden Zeitungsblätter vom Gartentisch, fahren noch ein, zwei, drei Autos vorbei. Hupend. Das müssen die Jungs aus dem Nachbardorf sein, schließlich wird ab da getrommelt, denke ich. Dauert eben alles ein wenig bei denen. Aber sage keiner, die Jungs dort seien langsam! Wenn man die nämlich fragt, wer denn heute Trommeldienst hat, da sind die sowas von schnell, das glaubt man kaum.
Ein Nachbarskind mit Tröte stopfe ich mit so vielen Kirschen voll, daß es sicher eine halbe Stunde lang nicht mehr pusten kann. Dann üben wir Kirschkernspucken auf die vorbeifahrenden Autos, und damit habe ich meinen erzieherischen Auftrag auch schon erfüllt und darf duschen gehen.
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