Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

25.09.09, 23:13 | 'It's only rock 'n roll'
Dieses Theater schafft mich. Zunächst ist da der Text, mit seinen unzusammenhängenden Sätzen, die ich nacheinander aufsagen muß. Die ich nie so sagen würde. Überhaupt so viele Sätze. Ich habe selten mehr gesagt, und selten schlechter gelernt. Dann sind da diese gestammelten Fetzen, natürlich in voller Lautstärke. Dazu gehauchte Liebeserklärungen, auf Tuchfühlung mit meiner Spielpartnerin, der bei meinem Geschrei die Haare aus dem Gesicht geweht werden. Dann mein gequältes Zusammensinken bei ihrem Tod, und die kniende Position, in der ich minutenlang verharren muß. Embryonalhaltung! Entspannt! Aha. Und nebenbei soll ich darauf achten, zu gehen wie ein Student und nicht herumzutrampeln, mich zu geben wie ein Student und um Himmels Willen die Hände aus den Taschen zu lassen, und zu allem Übel soll ich reden wie ein Student, der vom Dorf kommt. Ich komme vom Dorf, und das Verständnis ist mir meistens völlig egal. Und dann stehe ich dort und deklamiere Predigten auf Hochdeutsch, nur um mich im Dialekt zu verlieben. Genau verkehrt, das.
Aber das ist in Ordnung, das ist Theater. Und es macht mir Spaß. Daß ich heute abend allerdings eine mehrstündige Sonderprobe hatte, in der nur die Liebesszene immer und immer wieder abgespult wurde, das nagt schon sehr an mir. Ich soll sie küssen, und nicht beißen. Ich soll ihren Kopf in meine Hände nehmen, ihr aber bitteschön nicht das Genick brechen. Ich soll sie an mich ziehen und meine Arme als Schutz um sie legen, aber bitte so, daß es das Publikum sieht und das Mädchen nicht erstickt. Und warum ich eigentlich so viel größer bin als sie? Vielleicht, weil ich zehn Jahre älter bin? Nein?
Nach dem hundertsten Kuss habe ich eines ihrer langen Haare im Mund, aber das Gesicht verziehen geht nicht. Wie im richtigen Leben, denke ich noch, und dann schlucke ich die sprichwörtliche Kröte und lächle, als sei ich völlig weggetreten. Mein "Ich-habe-ein-Motorrad-und-einen-Traktor-vor-mir-und-lebenslang-freien-Sprit-für-beide"-Grinsen entspricht übrigens am ehesten dem, das der Regisseur als verliebt durchgehen lässt. Zeige ich eben das, nur muß ich mich dann am Riemen reißen, um ihr nicht sanft über die Kotflügel zu streicheln.
Noch einmal. Sie wendet sich ab, ich reiße sie an mich. Zu heftig, sie stolpert nach vorne, ich muß sie auffangen. Schnitt!
Ich ziehe sie an mich, willig gleitet sie in meine Arme. Ich küsse sie, ihr Widerstand wird schwächer, sie küsst zurück. Ich lasse nicht nach, sie auch nicht. Doch das ist nicht der Plan, also wieder Schnitt!
Ich ziehe sie zu mir und küsse sie, etwas weniger diesmal. So, daß es alle sehen können, werde ich angeherrscht, und nicht, als ob Du Dich dafür schämen würdest! Teile Deine Leidenschaft mit uns! Und, wer hätte das gedacht, Schnitt! Na gut.
Irgendwann stehen wir neben der Bühne und sehen uns grinsend an, wie der Regisseur mit der Souffleuse poussiert. Aha. Sie etwas verschämt, er dagegen sehr fordernd. Kann man machen. Schnitt, sage diesmal ich. Möchtest Du noch, fragt der Regisseur die von mir zu Küssende, und sie zuckt nur die Achseln. Das nagt doch sehr an meinem Selbstbewußtsein, aber es wird wohl nur an der Uhrzeit liegen. Hoffe ich. Also noch einmal. Schnitt!
Die Sterbeszene noch. Mit ihr endet das Stück, und während ich am Bühnenrand vom gemeinsamen golden-glücklichen Leben fasle, das ich einer wohlhabenden Bürgermeistersochter bieten will, indem ich zum kirchenmausarmen Schulmeister mutiere, sinkt das Mädchen röchelnd in sich zusammen. Nur nichts anmerken lassen. Das glücklichste Paar auf der ganzen Welt! Ich schreie das hinaus, und dann darf ich endlich erschrecken. Höchste Zeit. Ich werfe mich ihr zu Füßen, und das ist gar nicht so einfach, bei einer liegenden Toten in einem wallenden Kleid. Nicht auf die Haare treten, nicht auf die Zehen. Geht so. Zusammenbrechen. Geht auch noch. Viel langsamer zusammenbrechen, viel langsamer fallen! ruft er mir zu, und Schnitt!
Beim nächsten Mal saubere Hände bitte, sagt er noch. 'Zefix.

Rauchzeichen




texas-jim   |   25.09.2009, 23:18   |  
(Zum Knien. Damals rannte ich, mangels einer passenden Hose, unbekleidet humpelnd über den Parkplatz zum Auto. Ich möchte eigentlich nicht daran erinnert werden.)

lel   |   25.09.2009, 23:34   |  
Das tät ich gern sehen.

(Das Produkt, nicht die Probe. Obwohl.)

texas-jim   |   30.09.2009, 14:07   |  
Es gibt noch Karten.
Mitrauchen
 

von aschenbach   |   26.09.2009, 00:01   |  
Halte durch.

froschfilm   |   26.09.2009, 20:29   |  
Vor langer Zeit spielte ich auch Theater. Und biss, anstatt zu küssen. Die Sonderproben haben nichts gebracht, wenn ich mir heute das Video der Aufführung ansehe. Spaß gemacht hat's natürlich trotzdem.
(Auch ich sollte Student sein, Baccalaureus gar.)

texas-jim   |   30.09.2009, 14:10   |  
Von aschenbach, ich werde mich durchbeißen. Oder ranhalten. Oder so.

Froschfilm, es macht mir riesigen Spaß. Und daß ich in jeder Szene gefragt werde, ob ich denn "schon wieder Ferien" hätte, daran gewöhne ich mich noch.

von aschenbach   |   30.09.2009, 14:23   |  
Du sollst doch nicht beißen.

texas-jim   |   30.09.2009, 14:29   |  
Oh, verzeih. Möchtest Du mit mir üben?

von aschenbach   |   30.09.2009, 14:40   |  
Wir werden üben. Aber es geht doch um die Spielpartnerin.

texas-jim   |   30.09.2009, 16:12   |  
Die wird das schon verkraften.

von aschenbach   |   30.09.2009, 20:08   |  
Sie kann ja im Zweifel auch einfach zurück beißen.

texas-jim   |   01.10.2009, 09:20   |  
Das steht so aber nicht im Plan :-)
Mitrauchen