Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 16. 09 13

16.09.13, 19:16 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Du rufst von der Grenze aus an. Mich als allerersten. Du freust Dich nicht, ich kann Dir keine Freude geben. Das bricht mich, irgendwann.

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Zwei Tage Nichts.

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Freitagsheimweh.

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Ich versuche, nachzulesen, wo unsere Unbeschwertheit geendet hat. Wo ist unsere Begeisterung in Vorsicht verschwunden? Wann habe ich angefangen, nachzusehen, ob das Telefon kaputt sein könnte?

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Dann sitzen wir da, auf einer wackligen hölzernen Bank, Du hast die Beine hochgezogen, und schon wieder kann ich sehen, wie sich Wellen im Meer Deiner Augen brechen.

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Hit me hard
Hit me right between the eyes
I wanna see the stars
Hit me
Hit me
Hit me hard
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Ich komme vom Erzählen ins Schwadronieren, weil ich nicht sagen kann, was wahr ist. Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, denke ich später. Und der erste, den Du verpasst, war immer der Beste. Ich denke an unser Essen in der sommerwarmen Stadt. An den Abschied und den Stein, den ich seither schleppen muß.

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Du bist wieder dran. Ich halte die Luft an, als Du "Reiserücktrittsversicherung" sagst. Mir bleibt das Herz stehen, als Du "Beziehung" sagst. Und ich merke, daß es nur darum geht, daß Du wieder glücklich wirst. Das hält doch der stärkste Gaul nicht aus, sage ich zu Dir, und hinter der Wand scharrt er tatsächlich mit den Hufen.

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zul. online heute um 12:38

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Du redest von Urlaub und vom Wandern. Vom Schätzenlernen der eigenen Eltern durch fremden Verlust, und das ist ja auch so eine Lektion, die man ebenso ungern wie dringlich immer wieder auffrischt. "Vielleicht hat es da WLAN", hoffst Du, und immer wenn Du so etwas sagst, springt ein Splitter aus dem spröden Stein in mir.

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Long time no see, schreibe ich, und daß ich mich auf die nächste Woche freue. Ja, sagt sie, und dann erzähle ich davon, daß sie leider einen Punkt für ihre Vorhersage bekommt: daß irgendwann der Schwung nachlässt, wenn man springt und in der Luft hängenbleibt, das Landen vergisst. Wir können halt nur laufen, nicht fliegen.

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Kühe sind super, sage ich zum Abschied. Ich brauche Stallduft, schreibe ich eine gute Stunde später. Bis bald! als hätte ich Hoffnung.
Meine Hände riechen nach Stall, ich stehe im Badezimmer und wasche mich. Draußen drei Schüsse für den Freund. Ich gehe ins Bett, als wäre das der letzte Tag gewesen. Vielleicht war er das auch, und ich finde ja nie den Punkt, ab dem ich mich fügen muß.

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Du ackerst und gräbst
Deine Tunnel durch die Welt
Und hier bin ich und
Möchte die sein, die Dir
Deinen Spaten hält
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"Ich mach alles mit", sagst Du noch, aber ruhiger wäre Dir lieber. Dein Akku ist leer, Deine Kraft hat genau bis hierher gereicht. Ich kann Dich nicht laden, ich kann Dir nichts geben. Ich kann Dich nur tragen, und das darf ich nicht.

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In der Waagschale das Nichtbedrängen, das immer noch schwerer wiegt als der Steinklumpen, den ich nicht hervorwürgen kann.

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Ich melke in Ruhe die letzten Kühe, putze singend den Melkstand, lege den Schurz, die Handschuhe und die Stulpen ab. Alle anderen sind schon beim Kaffee. Ich prüfe die Leitungen und die Spülung, und irgendwo an einer Tür erstarre ich: Du wirst absagen. Ich weiß das. Und ich weiß, daß ich Dir das anbieten sollte. Dir die Entscheidung abnehmen. Meinen Hut nehmen. Mich bedanken. Aber aufgeben konnte ich noch nie.

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Wie ich an Salinger kam, ist ja auch so eine Dreiecksgeschichte, mit schönem Schwung in der Schrift auf die erste Seite geschrieben.

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Der Lagerist ruft mich ins Lager, der Chef ruft mich wieder an die Theke. Dann ruft mich der Mechaniker wieder ins Lager, und diesmal schweigt der Chef. Die Hände voller Ersatzteile mache ich mich an die Kreiselegge.

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Nachmittags bin ich Chef. Ich lasse die Schieber laufen, räume Futter nach, flicke hier einen Balken und dort ein Brett und schraube die Kreiselegge wieder zusammen. Ganz ruihg mit Radio, und in der Werkstatt flattert ein abgerissenes Kalenderblatt mit einer leichtbekleideten Amazone und einer Steinsäge im Wind.

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Nach dem Stall beule ich noch den Kotflügel aus, den ich neulich verdellt hatte. Dann bin ich sehr ruhig und sehr müde, nehme meinen Samstagabendplatz auf dem Kaminsims ein und sage lange nichts.

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Von oben bunte Lichter und Gesang. Ich setze mich dazu, esse und trinke. Ich möchte heute trinken, so wie ich früher getrunken habe. Möchte vergessen, daß ich das nicht mehr kann und nicht mehr bin.

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Manchmal setze ich zu einem Satz an und lasse es dann doch. Ich lächle freundlich, und nie sitze ich allein. Freunde.

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Sie singen für ihn. Im Dorf haben sie einen Kran mit einer großen Tafel aufgebaut. Dorffreundschaften sind immer ein wenig größer, denke ich.

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Irgendwann werde ich doch betrunken. Irgendwann gehe ich auch. Die Wunderkerze hat mir die Hand verbrannt.

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Ich stromere umher, suche nach Gepäckbestimmungen der Fluglinie. Zwei Damen helfen, und sie lachen mit mir. Passt der Rucksack ins Handgepäck, warum steht "30k" für zwanzig Kilo, und was soll das Ganze eigentlich? Ich brauche allerhand, nämlich fünf Paar Schuhe, eine Menge Kletterblech und eine Unterhose zum Wechseln.

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Neben mir steigen zwei junge Damen in eine schwere Route ein. Ich bin begeistert, ich freue mich ja immer gern mit. Sie fällt einmal, dann steigt und greift sie bunt. Ich wende mich ab. Wie schade.
Aus Spaß meiden wir die Struktur, aus der leichten Route wird ein Hammer. Ich bringe die Hüften weit nach links, um den rechten Fuß zu entlasten. Mit mehreren Tritten an die Wand bringe ich ihn hoch. Den kleinen Griff auf Kniehöhe dopple ich und springe. Falle. Springe wieder. Bekomme den nächsten Griff zu fassen, kann ihn nicht halten, falle wieder. Ich schiebe die Hüfte auf dem hohen Tritt nach rechts. Schaue nach unten. Mein Arm platzt beinahe, aber noch halten die Finger. Ich zähle auf drei, schieße nach oben, und voll gestreckt erreiche ich den Griff. Stabilisieren. Handwechsel. Ich ziehe mich hoch, ignoriere die Struktur auch mit den Zehen. Gelöst! rufe ich nach unten, und sie lachen.

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Die Matratze an der Wand ist weg. Die Blumen auf dem Balkon auch. Der Zettel liegt unberührt. Der kleine Kaktus steht noch auf dem Esstisch, auf dem Couchtisch steht eine leicht derangierte Orchidee. Ich bin einsam.

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Ich suche nach der Unbeschwertheit und bedanke mich für die Pflanze. Dann fällt mir auf, daß sie den Schlüssel nicht dagelassen hat. Irgendwann schlafe ich ein.

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Früh am Morgen ziehe ich die Vorhänge auf, damit die Orchidee Licht bekommt. Es ist trüb draußen, also bekommt sie noch ein wenig Wasser. Was man eben so hat, was man eben so macht mit der Verantwortung. In die Sonne stellen und füttern. Der Rest ist doch Hoffnung.

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Leben. Symbolbild.

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Sechs Tage auf das Schlimmste warten.
# |  6 RauchzeichenGas geben

Dienstag, 10. 09 13

10.09.13, 16:20 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Bei manchen Mitfahrern hätte man Schmerzensgeld verdient.

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Einer, der mich für eine ganz bestimmte Arbeit möchte. Weil er weiß, daß ich das kann. Wie ich mich an Lob freue. Wie ich mich mühe. Wenn ich das nur selber mit mir könnte.

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Eine harte Nacht, und gegen fünf lassen sie dann nach. Die Ladewägen kommen spärlicher, immer seltener höre ich das röhrende Hochdrehen der Motoren, das Jaulen der Triebsätze, das Mahlen der Stollen auf dem Schotter. Dann wird es ruhig. Ich esse noch etwas und fahre dann ins Büro.

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Ein Stammtisch mal wieder. Der erste seit einem Vierteljahr vielleicht, überlege ich. Viele sind wir nicht, aber reden tun wir lang.

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Meine Freunde und wie sie mir bei Apfelschorle zusehen.

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Nächtliches Packen.

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Wir fahren vier Stunden in den Morgen. Zwei, die wie Erwachsene miteinander reden, und doch vertraut. Familienbande.

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Ein Hüttenschlafsack, eine kurze Wanderung. Einklettern am Nachmittag.

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Die Routen sind niedrig bewertet. Der Fels ist griffig, aber ohne Griffe.

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Zuviel Vorsicht, zuviel Respekt, und Vierer versauen die Technik.

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Am Abend schaffe ich es so eben, mich bis nach dem Essen wach zu halten. Daß noch jemand ins Zimmer kommt, merke ich gar nicht mehr.

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Der Anfänger. Wir steigen eine Stunde hart zu, finden einen glänzenden Haken. Dann geht es nach oben.

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Vor mir ein gespanntes, dünn gewebtes Band, unter mir sehr viel Luft und nichts. Stand, vermittle ich mit drei kräftigen Rucken am Seil und beginne, zum Sichern umzubauen.

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Es ist sehr ruhig. Wir sehen uns selten, und dann reden wir nicht viel. Geschrei macht Echo, und ich mag ja Ruhe, wenn ich mich auf Karabiner und Knoten konzentrieren muß.

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Sichern vom Stand, Sichern vom Körper.

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Mehrseillängen. Kein Rückzug möglich.

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Am Gipfel dann zu viert. Zu fünft.

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Ich halte eine dünne Schnur in der Hand, lasse das rote Seil doppelt durch die andere laufen. Nach oben Seil, nach unten nichts. Ich genieße das tatsächlich.

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Ich kann Autoritäten achten.

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Meine Ruhe scheint sie dann doch zu verunsichern. Ich möchte nicht eigenbrötlerisch wirken, also passe ich ein wenig besser auf, was sie reden. Möchte auch etwas sagen. Etwas Nettes vielleicht. Ach, denke ich dann, ach nein. Ich lasse die Ruhe, die Konzentration, die Spannung des Berges noch nicht durch meinen Mund entweichen.

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Der Eisgrubenturm.

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Ich lege die Kletterschuhe ab und laufe barfuß durch das Geröll. Ich brauche nicht nur mehr Schlingen, andere Schnüre, ein langes Seil und mehr Karabiner, ich brauche auch noch andere Schuhe für den Berg.

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Ich habe gesehen, wie einer sein Sicherungsgerät hinunterschmeißt, und seitdem frage ich mich, wie man das verhindert. Man kann auch ohne Gerät sichern, aber wer will das schon. Ich mag nichts verlieren, und abends experimentiere ich dann mit Schnüren und Knoten. Aufpassen reicht nicht.

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Sportklettern. Mobile Stände bauen. Vorstieg sichern, Nachstieg sichern. Abseilen.

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Am Ende will er eine 6+ von mir sehen. Alpin, hoch und bitter. Ich finde einen Riss, ich habe mich an die Reibungstritte gewöhnt. Nur das hohe Antreten habe ich beibehalten. Ich reiße die Tour im Vorstieg aus den Armen, und damit darf es dann auch gut sein. Nebenan steigt einer eine 8, und die sieht nicht mehr schwieriger aus. Nur noch härter. Ich verkneife mir einen Versuch und markiere den Punkt auf der Karte. Nächstes Jahr dann.

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Duschen in vierzig Sekunden.

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Auf der Heimfahrt reden wir vom Tod. Von denen, die uns verlassen haben. Von denen, die wir verlassen haben. Hier müsste ihr Auto stehen, sagt er irgendwann, und ich kann dem nicht entkommen. Kein Gedanke ist der Optimalfall, und erreichen können wir den nicht. Da sind die Furchen, die sie hinterlassen haben, und über die wir ständig stolpern. Die Zeit schleift sie ab, und sie werden zu Macken und Kratzern, macht, daß sie irgendwann keine Verletzungen mehr sind, sondern zu uns gehören.

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Für ein paar Tage bin ich ganz gewesen, stelle ich an der Grenze fest, als das Telefon sich bemerkbar macht. Ich verschicke ein Bildchen, und mit ihm fliegt ein Teil von mir weg. Vielleicht muß das so sein, denke ich, vielleicht muß ich zerrissen sein. Mich zerreißen. Vielleicht hört das auf.

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Die Bilder lege ich nur ab. Sortiere Material und Gedanken. Komme wieder erst spät ins Bett.

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Um zehn vor dem Zoo.

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Ach, denke ich, ihr Männer mit euren Frauen. Ich möchte anders sein, denke ich, und doch nicht so wie jetzt. So sind wir also vier Erwachsene, drei Kinder, und dazu ich.

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Es gibt Kinderwagen mit Trittbrett, und damit kann man ganz wunderbar auf den abschüssigen Wegen surfen. Wir kommen schräg und schräger daher, lachen uns an, kindliches Urvertrauen und meine großen braunen Hände, und kurz vor dem Tigerkäfig kommen wir zum Stehen. Die Mütter grimmen, wir lachen.

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Immer wieder die Hand am Telefon. Ich bin nicht ganz. Ich weiß doch auch nicht.

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Abends Hefezopf. Vorteig. Knotenübungen. Einkaufsliste mit einer Menge Kletterblech.

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Ich weiß nicht, warum ich auf Berge steigen will. Ich weiß nicht, warum ich Kinderwagen schieben will. Ich weiß doch auch nicht, und so läuft es halt.
# |  4 RauchzeichenGas geben

Montag, 17. 06 13

17.06.13, 12:45 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Ich stürme nach Hause. Die neuen Schuhe liegen im Kofferraum, und im Laden habe ich mich noch lächerlich gemacht, ein Bild von meinen Füßen in zwei unterschiedlichen Schuhen, Himmel und Hölle, verschickt und mit dem Verkäufer gelacht, als das Telefon mir blinkend verkündete: Nimm die Hölle!
So tat ich dann auch, und das Höllengefühl bestätigte sich nach wenigen Minuten im Pumakäfig. Mit einem Krampf fiel ich auf die Matte, nestelte an den Bändeln und riß an den Schlaufen, bis meine Füße wieder frei waren. Die geben schon nach, hat man mir gesagt, aber ob meine Zehen vorher schon nachgeben, wusste mir dann auch keiner zu sagen.

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Geburtstagsgeld geholt, und Kontoauszüge. Im Auto gesessen und sehr gelacht.


Das müsste ich einem Steuerberater erst einmal erklären, fürchte ich.

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Es ist halb zehn, als ich ankomme, und bisher war das nie eine schlechte Zeit. Doch dann kommen sie mir schon entgegen, tragen das Essen ab, und drinnen sehe ich bestuhlte Tische, eingedeckt mit Servietten und Besteck. Oh, denke ich, aber wie hätte man diesen Stil eines Sechzigsten vermuten können? Jede Minute im Laden, jede im Pumakäfig, und noch jede draußen wird mir ein wenig schal. Ich bin zu spät, und es sind nur wenige da. Dafür bleiben wir dann lang und reden ruhig, damit der Dreißiger eben doch ein Sechziger sein kann. Wenn er sich das so wünscht.

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Mit Begeisterung zeige ich beim Frühstück am Fernseher die Bilder, wie ich dastehe, in der Gruppenmitte und am Rand, die viel zu großen Hände in den Hüften, ein Rucksack auf den Schultern, die Sonnenbrille im Gesicht. Unbeholfen wirke ich, aber die Freude sieht man mir an, an den arbeitenden Händen, die alles umarmen wollen, an dem Lächeln, das sich nie so recht in meinen Mund getraut, weil ich dann immer gleich jauchzen und lachen muß; und auf den Bildern der anschließenden Nacht bin ich zu sehen, sitzend und zugewandt, und einmal beim Reden erwischt mit großer Geste, mit eindringlichem Blick, ein Bierglas vor mir, und das ist eines der wenigen Bilder, auf denen ich mir gefalle, auf denen ich mich erkenne, auf denen ich bin.

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Kühe heben, Kälber tränken, Mähwerk schweißen. Mittag.

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Heumahd.

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Immer noch Maisäcker richten. Die letzten, die grünsten, die nassen, und die, für die man einen Schlüssel suchen muß. Frage nicht nach Sonnenschein, sage ich, als ich zurück bin, und daß ich kein Kreiseleggengeholper mehr haben will, für ein paar Monate vielleicht; dabei wissen wir alle, daß der Juni schon mittig liegt und die Wintergerste schon droht, und dann Zwischenfrucht, so geht das Jahr in diesem Jahr, alles ineinander, alles zu spät.

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Wieder stehe ich in dem kleinen Gatter und zwinge die Kälber zum Glück im Eimer, locke mit dem Finger und ein wenig Milch in der Handfläche, lasse mir auf die Hände und Schuhe sabbern und schaumen, lasse mir den Kälberdurchfall am Overall abputzen; ich schaue die Reihe der kleinen Iglus entlang, in denen sich auch ein paar Kranke verstecken und denke kurz an die, die mir was von Bio erzählen wollen, während sie selbst bei Kopfschmerz schon Tabletten fressen, aber den Viechern wird kein Schmerz und keine Krankheit zugestanden, wird Heilung verwehrt, und darin liegt eine Verzweckung, denn der Mensch, der sie essen wird, kümmert sich nicht um Schmerzen, sondern um Rückstände, ach. Und ich denke an das Reden von der industriellen Landwirtschaft und daran, wie schmal das Leben ist, wie es frisst und verschlingt und kämpft, und daß Leben niemals aufgibt, und auf der anderen Seite des Grates ist das Lohnens- und Erstrebenswerte, und was weiß denn ich, ich leide doch mit und habe trotzdem schon Kitze erlösen müssen, weil es für sie keine Rollstühle gibt. Falsch, falsch, möchte ich schreien, aber ich kann doch nichts sagen, denn ich weiß doch auch nicht, wie es besser sein soll.

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Ich stehe in der Radladerschaufel, wuchte an der Körnerschnecke und lache nach unten, als die Schaufel kippt und ich kurz im Nichts stehe, bis die Gelenke sich wieder fangen über dem Totpunkt der Kinematik, und die Schaufelschneide meine schweren Schuhe wieder stützen mag.

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Als ich nach Hause komme, sitzen sie auf der Terrasse in der Sonne. Wir haben schon beschenkt in unserem Teamwork von Vater und Sohn, zwei Mails, eine Bestellung, und dann einer, der das Paket abfängt.

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Dann sitze ich noch auf einer anderen Terrasse; während mein Gegenüber Poker spielt auf einem Tablet, schaue ich in die Wolken und in den Mond, und irgendwann werde ich müde und bin im Bett.

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Der Duft, der Anblick, das Leben alter Menschen.

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Ich fasse mir ein Herz, irgendwann, aber sonntags ruhen sie alle. Also steige ich auf, lasse den Rucksack liegen, und dann treffe ich sie hier und dort, mit denen ich nicht gerechnet hatte; und irgendwann muß ich mich neu justieren, wen ich anrufe an sonnigen Sonntagen, und von wem ich schon weiß, daß nicht, weil.

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Du bist nicht schuld, sagt mein Telefon plötzlich, und zuerst denke ich nach, ob das so sein kann, zucke dann die Schultern, denn an Schuld will ich nicht denken, wenn ich nicht weiß, was ich denn nun schon wieder getan habe.

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Nackt und bloß und eine blöde Idee.

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Wir verabreden uns für Freiburg, denn dort ist es schön und dort bauen sie Trails, und wir radeln so unterschiedlich, das wird ein Spaß.

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Bist Du von hier, fragen sie mich, und ich versuche zu erklären, daß ich das bin und doch wieder nicht, nicht jetzt und trotzdem beides gern, und sie kommen aus der Stadt und fahren sonntags aufs Land; So wie ich, lache ich, und dann trinken wir aus Thermoskannen, ich lese in ihrem Buch über meinen Fels, und sie haben eine riesige Kamera dabei, mit der ich Bilder mache, am Fels und am Seil entlang. Meine Schuhe sind im Rucksack, mein Rucksack im Haus, mein Fehler, entschuldige ich mich. Dann in der Stadt, sagen sie lachend, und Nur nicht sonntags, lache ich zurück. Sie tragen große Brillen mit eingefärbten Gläsern, die oben dunkler sind als unten, sie tragen lange Hosen und weite Hemden, sehen modisch und kontrolliert aus, und eine von ihnen raucht zwischen langen, schlanken Fingern; Bis Mittwoch, sage ich, und dann radle ich davon.

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Sie mühen sich ab mit der Sense, als ich ankomme. Ich zeige ihnen den Dreh und erzähle von der Zeit, als ich abends mit der Schubkarre in den Garten gefahren bin, drei Karren am Abend, in sauberen Reihen. Ich habe mähen gelernt und schnelles Wetzen, ich kann dengeln und aus dem Sack säen, aber gemacht habe ich das alles schon lange nicht mehr, und daß ich dafür erst in die Stadt fahren muß! Dann stehe ich am Ende der Mahd und schaue zurück, die ersten Hiebe zu kraftvoll und ohne Schwung, doch gegen Ende ein sauberer Schwad, ein guter Schnitt, und immer wieder fasse ich in meine Tasche nach dem Wetzstein, der da sein sollte, und den hat man ihnen natürlich nicht mitverkauft.

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Striegeln. Und daß einer, der Kühe tätschelt und Kälber streichelt, sich dann doch ein wenig schämt und sich rosa fühlt, das zeigt schon, wie weit ich weg bin von mir. Als sich der große Kopf an meiner Schulter reibt, weil es genau dort juckt, und ich genau dort dann kratze und reibe, bis der Kamerad brummt und schnaubt, da ist das verflogen, und ich putze in einer Gründlichkeit, wie ich früher die Kühe gestriegelt habe, mit dem Strich, gegen die Bürste, und so weiter.
Dann lerne ich, wie man Steigbügel einstellt, und daß das bei mir nicht funktioniert, weil meine Beine länger sind als die Faustregel, und ich schwinge mich auf und merke dann schon, daß es das war mit den Dingen, die ich kann.
Schritt und Trab, Schultern zurück, Fersen nach unten. Die Kommandos prasseln, und Takt kann ich eigentlich nie. Irgendwann doch, und dann fehlt das Geholper, die Hüfte fühlt sich nicht mehr pornographisch an, ich schnalze mit der Zunge und drücke mit den Knien, führe mit den Beinen und halte die Zügel ganz richtig.
Und wie ich noch stolz bin und mir die geschundenen Waden reibe, steigt sie auf, das blonde Haar fliegt und sie schimpft mit dem Wildgewordenen, der so auf mich achtgeben mußte und jetzt wieder Hengst sein darf, galoppieren und durchparieren, und ich kann nicht genau sagen, wer mehr Spaß hat oder mehr schwitzt von den beiden. Dann bauen wir Hindernisse auf, der Sand spritzt, die beiden Hunde kennen sich kaum mehr vor Begeisterung, und selbst die Katze auf dem Stalldach schaut zu. Ich lasse die Beine vom Geländer baumeln und denke über lange Hosen nach. Da kommen sie angeflogen, nassglänzend und mit leuchtenden Augen, und wir teilen uns die Handgriffe des Fütterns, laufen den Weg entlang zur Koppel, in den Händen die Halfter, umtollt von den Hunden, und auf dem Rückweg klappern die Hufe neben mir, vor mir mein Schatten und der Pferdeschatten, und aus den Gärten in der Umgebung raucht die Holzkohle, während hinter uns die Sonne untergeht.
# |  3 RauchzeichenGas geben

Montag, 15. 04 13

15.04.13, 12:58 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Auf dem nächtlichen Heimweg scheitere ich an einem Bild der Kirche an einem kleinen Weiher, mitten in der Stadt, und freue mich an meiner Entdeckung.

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Wie sie dasitzt, halb auf ihre Tasche gelehnt, nach harten Tagen, mit kleinen Augen und dieser Stimme, die überall dazwischenreden muß.

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Ich biete mich als Kindsmagd an, für den Tag, an dem das nächste Kind zur Welt kommen wird.

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Eben bin ich kontrolliert worden! schreibe ich, obwohl das nicht so ganz stimmt, denn mich haben sie ja ausgelassen. Und vielleicht ist es das, daß die einen nie einen Fahrschein haben und immer kontrolliert werden, während die anderen immer einen Fahrschein haben und ihn dann doch nie zeigen dürfen.

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Freitagabendstall. Wir beiden Vettern treffen uns am Gatter vor dem Melkstand, beenden die Woche und freuen uns. Lachend streuen wir die Liegeboxen mit frischem Stroh ein, und zwischen den Gabelzinken klimpern die Steine der Alb.

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Zu spät zur Hauptversammlung. Wie immer eigentlich, aber schlimm ist das nicht. Und selbst tief in der Nacht, als einer auf der Theke schläft und ein anderer davor, reden wir uns die Köpfe heiß über den Umgang mit den Kindern und dem Trinken und mögen uns trotzdem, obwohl wir so gegensätzlich denken.

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Ich weiß nicht, ob das Bier um vier um morgens die doofe Idee war oder doch das Aufstehen vor sechs.

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Eine Rennstrecke im Park präparieren. Ich rücke mit Säge und Freischneider an, und schon zum Mittag sind wir präsentabel. Nicht perfekt, aber präsentabel.

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Bodenproben ziehen. Ich marschiere einen großen Bogen ums Dorf, unter schnellen Wolken und kräftiger Sonne, und einmal erwischt mich auch noch ein kurzer Schauer. Ich genieße es, einmal über alle Wiesen und Felder stapfen zu können, und über die Unbeteiligten, die meinen, das immer zu können, wundere ich mich ja nur noch.

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Ich besuche den weißhaarigen Schäfer mit seinen roten Wangen, der lacht und Erdbeeren für die Enkel an die Stallseite setzt, damit seine Enkel etwas Süßes haben. Während wir palavern, tollen drei Hunde um uns, und irgendwie so soll auch meine Rente aussehen irgendwann.

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Ein Spaziergänger tippt mir, dem Knienden mit Bohrstock und Probentüten, mit seinem Skistock auf die Schulter und möchte wissen, wie das denn nun sei mit der Vergiftung. Und nicht einmal da explodiere ich, aber man sieht mir die Grenzen der Contenance wohl an, und so geht die Gruppe dann doch irgendwann weiter.

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Über Zäune steigen.

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In Scheunen spicken.

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Rast auf der tiefen Ackerfurche.

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Müde Beine.

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Hochzeitsbilder vom Meer.

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Ich weiß nicht, was ich zu Deiner Stärkung noch sagen soll.

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Der Tierarzt schenkt mir eine Dose Zinkspray. Für sanfte Hände, lächelt er.

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Pizzabacken und Geburtstag feiern. Und als ich gehe, schläft sein Mädchen schon auf dem Sofa, zugedeckt mit ihrem Mantel. Sie wird sich kein Auto kaufen, hat sie zuvor noch erzählt, sondern Schuhe. Ich wünsche ihr viel Glück, als ich gehe.

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Reifenwechsel. Wie schön das ist, mit passendem Werkzeug. Ich behandle mein Werkzeug ja immer pfleglich und sparsam, kenne seine Geschichten. Die Kiste von dem fliegenden Händler, der mir Garantien versprach. Der Schlüssel schnell geholt, während wir zu zweit waren, auf dem Weg zu Freunden, und wie lange das schon her ist. Die Tube Kupferpaste, schwarz von meinen Fingern, als ich noch Praktikant war. Der Wagenheber, groß und mächtig und professionell, vom ersten Gehalt gekauft.
Drei Autos.

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Radfahren. Zum Fischen bin ich zu spät, also komme ich zum Kaffee. Radle um den See, wo Jugendliche grillen und Bier trinken. Zu viele, also weiche ich aus, fahre weiter und stehe dann irgendwann irgendwo auf Schotter mit dem Rennrad. Die Eisdielen sind überfüllt, und in diesem Ort kann ich nun auch nicht mehr einkehren.

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Ich finde den Immenhof. Drei Häuser und ein Reitplatz. Tatsächlich.

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Ich kreuze große Straßen.

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Die Bauerntochter sitzt in der Sonne und lernt, der Strohhaufen auf ihrem Kopf leuchtet, sie schwitzt leicht auf der Stirn. Ich wünsche ihr alles Gute für die letzten Prüfungen. Italienisch, lacht sie, und das kann ich nun wirklich nicht.

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Auf dem Heimweg dann in der Sonne sitzen, und nach einer solchen Reise kann ich das auch. Brauche ich mich nicht zu wundern über die, die da am Seeufer saßen, auf ihren Hemden, in aller Ruhe. Ruhe wundert nur den Unruhigen, und dann springe ich auch schon auf und zerre die Gartenstühle vom Dachboden. Ein kühles Spezi noch.

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Geduscht nicke ich in der Abendsonne ein, sinnierend.

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Ich wäre gern meine Priorität, denke ich, als ich aufwache. Dann große Stadt und breites Bett.

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Als ich so liege und auf den Schlaf warte, fühle ich meinen erhitzten Körper. Spüre, wie die Hitze im Kopf nachlässt. Ich habe die Arme an den Seiten, verschränke sie irgendwann kurz auf dem Bauch. Ich werde ja immer weniger, wenn es wieder losgeht, denke ich. Aber in diesem Jahr bin ich schon schlecht durch den Winter gekommen, und das Wenigerwerden fängt auch schon sehr früh an. Ich spüre meinen Sehnen und Knochen nach, denke an meine eingefallenen Wangen, die mir beim Rasieren wieder aufgefallen waren. Über dem Versprechen, mir Schokolade zu kaufen, schlafe ich dann ein.

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Die Liste der zu kaufenden Dinge: Badelatschen. Sporttasche. Bildschirm.
Die Liste der zu erledigenden Dinge: Bäume zurechtstutzen, Gedanken um das Motorrad. Und wann muß man eigentlich Lohnsteuer und so?

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Manchmal, da schrecke ich auf und bin schon dreißig.

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Manchmal bin ich schon recht so.

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Außerdem: zartester Sonnenbrand.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 8. 04 13

08.04.13, 15:28 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Durst.

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Ineffizienz.

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Der neue Rechner, der hier eine ganze Weile unbeachtet herumstand, ist in der Zwischenzeit endlich so weit veraltet, daß ich ihn nutzen kann.

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Betriebssystem und Software. Einstellungen und Verbindungen.

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Und nach einem durchkämpften Tag am Ende der Lust dann die Idee: Im Datum um ein Jahr vertippt, warum auch immer. Plötzlich läuft alles.

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Er wird heute zweiundachtzig und stellt uns seine neue Partnerin vor, mit der er "zufrieden" ist. Das kann ja auch nicht jeder sagen, denke ich.

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Einen einundneunzigsten feiern wir auch noch.

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Wohin alles verschwindet.

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Die neue Seltsamkeit.

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"Musst Du halt öfter herhalten."

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Ich trinke dann doch und erkläre der Münchnerin irgendwann, was es mit mir und den Rädern so auf sich hat. Dann ein Taxi.

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Ich fühle mich ja immer viel ausgestoßener.

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Da ist einer, der ist nett. Unaufgeregt. Ein wenig schüchtern. Sein Akzent sagt, er sei Franzose. Er selber sagt was anderes. Ich mag ihn.

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Die erste Radelrunde, kurz und verfroren.

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Vorstieg.

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Wir lachen uns Knoten.

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Supergirl, sage ich. Flieg doch einfach.

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Sonntagabendstadtruhe.

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"Ich habe Dich übrigens verkauft."

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Irgendwie organisiere ich jetzt ein Radrennen.

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Zum ersten Mal eine Frage gestellt. Etwas gewusst.
# |  6 RauchzeichenGas geben

Mittwoch, 27. 03 13

27.03.13, 17:52 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Was soll ich schon viel sagen?

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Mehrfach davon angefangen: Die fünf Verrückten in dem untermotorisierten Familienauto, nachts in der Steige. Das Hereinplatzen zu den Alten, die da unter einem riesigen Wandgemälde saßen und sich an uns freuten, und an sich selber. Auf einer Matratze lümmeln, einen Hasen auf dem Schoß. Mit einem vollkaskoversicherten Telefon spielen, hoppla. Kissen werfen. Sie holt einen Staubsauger und saugt das verschüttete Pulver aus dem Teppich. Sie bleibt ruhig und lacht, sie kennt uns eben.

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Nur ein bißchen Arbeit.

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Nur ein bißchen Ungerechtigkeit. Ungefähr der Betrag, den es mir wert ist, dort sein zu dürfen. Auch wenn man das nicht so rechnen darf, beruhigt es mich ein wenig.

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Der Begriff der Ewigkeit, und daß ich eine solche versprochen habe.

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Come on, come on, come on
Break my heart again
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Spring einfach, ruft die eine, und da springt sie tatsächlich. Stößt sich ab und streckt die Arme aus, und seit diesem Moment nenne ich sie am Telefon das Supergirl.

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Traurigkeit als Normalität nimmt ihr nicht die Trauer. Sondern den Schrecken.

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Der Urlaubshaushalt. Die Urlaubsbilanz in Sonnenschein je Urlaubstag.

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Auch wenn es nicht gesund ist, nicht gut ist und nicht gut ankommt: anbiedern. Das Zugeben der eigenen Bedürfnisse.

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Maike Rosa Vogel könnte ich am Stück zitieren. Alle Lieder. Jeden Tag.

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Immer noch waidwund, immer noch erinnert durch alles und jeden.

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Schweigen ist feige. Schweigen ist städtisch, flüchtig, basiert auf der Annahme des Nichtwiedersehens. Begegnungen sind euch nichts wert, und so behandelt ihr sie.

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"Ich mag keine Discotheken", sagt sie leise. "Ich fühle mich da sehr verloren", und ich schaue auf von ihren Händen, die an ihrem großen Glas spielen, in ihre Augen, blaue und wahre Augen. Und ich wundere mich über ihre feinen Sinne, über ihre feine Nase, und vor allem darüber, daß sie mich abtastet und an mir riecht. Daß sie wissen möchte. Und daß sie meist schon weiß. Freund, sage ich zu ihr, und sie nickt. Auf dem Heimweg hüpfe ich mit dem Rad im Kreis.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Dienstag, 19. 02 13

19.02.13, 09:24 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Ein Platzhalter für das Faschingswochenende.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 21. 01 13

21.01.13, 11:33 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Wir trinken noch eins im Stehen, dafür, daß er mich abgeholt hat. Selbstverständlich, sagt er, wie alle anderen auch, die ich in den letzten Wochen gebeten habe. Und trotzdem bin ich froh um den Brief mit der deutlich sichtbaren Plastikkarte. Um die Kennzeichen, um die ganzen Briefe und Bescheinigungen, die mir sagen, daß ich jetzt wieder kann, so ich denn möchte. Ich möchte ein Auto haben, denke ich jetzt. Ich möchte fahren können, auch wenn ich nicht immer dahin will, wo ich hinfahren muß.

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Und dann am Ofen. Vereinsgerede, Gerede von Kranken und Gesunden, von Übergewicht und Sport und davon, wer jetzt wo und wie. Ich sauge das auf.

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Ein Faschingsball in einer halben Halle. Die Mädchengruppe einheitlich kostümiert und darum um so unterschiedlicher. Und daß sowas für mich nur an Fasching funktioniert, wo ich sie doch sonst so gern verlache, die modisch Uniformierten.

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Daß mein Senior meine Musik hört.

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Wie ich das Aufflammen von Xenongaslampen verehre.

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Ihr Blick durchbohrt ihn, seine riesigen Muskelberge arbeiten hilflos in seinem Fleisch. Sie weicht. Abwehrende Hände, und er sieht aus, als würde er sich in diese messerscharfen Nägel werfen wollen, um sich nötigenfalls aufzuschlitzen, wo ihn diese Hände doch so lang umarmt, gehalten, gestreichelt haben. Vielleicht schaffst Du es, irgendwann dankbar zu sein, denke ich. Ich würde es Dir wünschen.

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Fährst Du mich nach hause, fragt sie katzenzahm, und ich sage ja und flüchte dann.

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Geschrei von draußen. Ich setze mich auf, steige aus dem Bett und stiere in die Nacht. Ihre Stimme. Das Geschrei geht ins Crescendo. Ich ziehe meine Jacke an und will nach draußen. Hier wird niemand geschlachtet, sage ich lächelnd. Als ich an der Tür stehe, staubt ein Auto vorbei. Dann Ruhe.
Auch recht.

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Mal wieder Ordnung machen, Überweisungen schreiben, sowas. Das Telefon brummt. Pflügen.

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Eine Zeitlang warte ich noch, ob ich hoffen soll, weiß ich schon nicht mehr. Es wird spät und später, und irgendwoher weiß ich, daß sie nicht kommen wird. Planänderung wahrscheinlich.

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Zum Mittag die Gören. Ihr seid schon recht, ihr seid schon rotzfrech genug, daß man euch loslassen kann.

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Ich werde pünktlich fertig, und das ist ja auch selten. Die Grenzen sind verschoben. Da ist ein neuer Zaun. Pfähle. Das stimmt so nicht, denke ich, reiße die Pfähle heraus und werfe sie auf das Dach, auf dem ich früher nach jedem Sturm die Platten getauscht habe. Nicht mehr meins, heute.

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Umgezogen und geschminkt, ein Foto mit zwei Damen im Arm. Großes Gelächter. Dritter Platz. Großer Jubel, denn im Feiern sind wir Erste. Wir werfen das Trainermädchen in die Höhe, das sich stocksteif macht, wieder und wieder, und genießen uns selbst. Wir schreien uns an, in der Kabine, tollen durch die anderen Umkleiden, zeigen den anderen, wie gefeiert wird.

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Er kennt sie alle an der Bar. Redet leichtfüßig und lacht, und wie er sich anpasst und verändert! Wir trinken noch eins aus Plastikbechern und eins aus Gläsern, und irgendwann tanzen wir und sie mit uns. Zeigt mir ihren Ring und Bilder von ihren Kindern, und darauf trinken wir noch eins, daß es auch glückliche Menschen geben muß.

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Verstrahlt und bärtig, mit den Resten von Farbe in den Brauen sitze ich dann zwischen Leuten, die so aussehen, als würden sie jeden Sonntag auswärts frühstücken. Als wäre das normal. Wir sitzen dann da und reden nebeneinander, wie wir sitzen, weil man sich hier nicht gegenüber sitzen kann. Arme verschränken, Arme öffnen. Haben Sie schon einmal elegant Kresse gegessen? Kaffee aus großen Schüsseln ohne Henkel getrunken? Ich streiche mir über die Stoppeln, und irgendwann hat es sich dann auch auserzählt, und ich schleiche über die vereisten Straßen nach hause.

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Zusammensitzen hier, zusammensitzen dort. Bluthochdruck, Hochzeit, Skiurlaub, Wiedereingliederung. Energiesparlampen, Wasserkosten, nasses Holz im Ofen, und wie sich der Geschmack von Milch verändert. Es ist schön mit euch.
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Mittwoch, 9. 01 13

09.01.13, 13:37 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Januar
Ich bin auf der Suche. Ich kaufe ein neues Telefon und ganz schön viele Schuhe. Ich fahre Ski. Ich störe mich an der morgendlichen Nacht und an der abendlichen Nacht.

Februar
Ich schreibe mit dem neuen Telefon und freue mich an der Nähe, die das bringt. Ich vermisse das Lernen, stehe auf dem Firmenhof zwischen Blechkisten und telefoniere. Ich trage ein Herz aus Stein überallhin.

März
Es ist warm genug zum Klettern, zum Radeln. Ich spiele bei Freunden, lese und arbeite. Ich bin normal.

April
Der Gedanke, die Heimat zu verlassen, macht sie mir um so lieber. Ich fahre in Urlaub. Ich bekomme eine Zusage, atme tief durch und kündige.

Mai
Ich radle zu dem Platz, von dem aus ich die Dreikaiserberge sehen kann und sehe viel mehr. Ich baue an einem Stall mit, fahre den ersten Schnitt ein.

Juni
Ich radle an den Bodensee und rege mich genug auf, um vorzeitig zu gehen. Ich bekomme eine Einladung zu einer Hochzeit und freue mich sehr. Ich mache eine Erkundungstour der Gegend, und eine in einer ganz anderen Gegend.

Juli
Ich bin weit weg und einsam. Allein mit allen Aufgaben. Ich gehe ins Theater und erzähle vor einer Hochzeitsgesellschaft von Geduld. Ich bin auf einem wundervollen Foto zu sehen. Ich werde krank und wieder gesund. Ich bin einsam.

August
Ich werde dreißig und warte mit dem Feiern noch. Ich suche mir ein Geschenk und finde keines. Ich bin hilflos, weil ich nicht helfen kann. Ich schaue mir zwei Wohnungen an, zwei Leben, und dann muß ich das allein entscheiden.

September
Ich fahre für ein Wochenende in die Berge. Radfahren, Wandern. Ich bin glücklich, und auf jedem Foto dooflachend. Ich fahre den Mais ein. Ziehe um. Fahre mit dem Rad ins Büro. Ich bin konsequent und völlig falsch, und als ich das feststelle, verschenke ich ein Lied, das nie ankommt.

Oktober
Ich bin auf Ausflug. Ich freue mich auf ein Wiedersehen, sammle Bilder und Geschichten. Ich verwechsle die Tage. Ich bin lange im Büro. Ich schlafe zwei Wochen nicht. Ich bin einsam, wie ich es noch nie war, haltlos, kraftlos, ziellos.

November
Ich schlafe wieder, wache nachts nur noch ein, zwei Mal auf. Ich spiele mit Kindern. Ich mache einfach weiter und komme mir vor, als säße ich in der letzten Ecke eines riesigen Roboters. Ich verliere den Glauben an meine eigene Unsterblichkeit und auch die Angst. Ich arbeite weiter.

Dezember
Ich tanze wieder. Ich verderbe mir furchtbar den Magen. Es ist mir immer zu dunkel. Ich fahre Ski. Ich habe Urlaub und gebe den Führerschein ab. Ich radle morgens und abends in den Stall. Ich feiere die Hochzeit eines Freundes. Das alte Jahr feiere ich nicht.
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Dienstag, 8. 01 13

08.01.13, 09:31 | 'Der Vollstaendigkeit halber'

Was man so macht, im Urlaub.

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Die beißende Kälte durch den alten blauen Pelz, an der Weste vorbei durch den Pullover. Dann die Behaglichkeit der neuen Jacke, voller Technik, mit perfektem Schnitt, geschlossen genau bis zum Kinn, mit weiten Schultern und engen Ärmeln. Alle zehn, zwölf Jahre darf man doch eine neue Jacke kaufen, denke ich. Oder man bekommt sie irgendwann geschenkt.

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Fünf ist früh.

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Einen Tag verschlafen.

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Rasiert zur Hochzeit des Freundes. Anzug und Krawatte, und in der Kirche schieße ich ein einziges Bild. Wenn ich mich umhöre, bin hier ich eine Stütze des Glaubensbekenntnisses. Da weiß keiner mehr ein Amen, ein Aufstehen, ein Gebet. Die Rituale sind verloren, denke ich, und vielleicht ist das würdig und recht.

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Wir eröffnen die Bar, prosten uns zu. Ist Dir schon aufgefallen, daß wir nur miteinander getrunken haben, die ganzen Jahre über?

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Er zeigt mir ein Foto seines Arbeitsplatzes, einer Toilette mit Laptoptisch und Kaffeekanne. Und manchmal wäre ich gern so frei.

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Hier und dort, und nur weil es einem hier so gefällt, daß man alles tun würde, könnte man das gleiche dort nicht tun. Es sind die anderen, Dude.

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Da ruft er an, wie ich verkatert und verschlafen vor dem Hotel sitze und auf die Frühstückenden warte. Schreib die Stunden auf! sagt er, und das ist auch so einer, der um die anderen weiß. Darum, was wo geht. Er fragt um das Richtige, und das andere tut er selbst.

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Von dem ganzen Geld könnte ich Urlaub machen, sage ich lachend am Frühstückstisch, und dabei mache ich doch nie Urlaub!

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Nur Regen, kein Frost. Kein Forst.

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Das schnelle Hin und Weg. Keine Zeit, nur schnüffeln. Kein Annähern.

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Ach Mädchen, denke ich, steht ihr wirklich so oft vor dem Spiegel? Ihr seid doch hübsch, alle und ehrlich, und nervt doch so mit eurer neidigen Körperlichkeit. Wer treibt euch so, oder seid ihr das am Ende selbst?

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Eure Geschenke, und meine. Spielereien, die mich nicht rühren.

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"Wütend stürmte ich voran", und das Buch zeige ich allen.

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Eine kleine Backform, eine Tastatur. Kommt schon noch.

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Wenn man sich einfach nicht um Weihnachten kümmert. Um nichts eigentlich.

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Die wunderbaren Stunden zu zweien in der Werkstatt, um einen verbogenen und zerdellten Güllemixer herum.

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Mittag mit den Bauerntöchtern. Beratungsgespräche und verschlafene Partygeschichten. Euer Lachen, das mag ich sehr.

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Komm zum Kaffee vorbei, sagt er, und das sagt er schon länger, und reden würden wir gern, aber wir sind so zwei, die das nie machen, nie schaffen, und wissen das beide.

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Sind fünf Jahre eine Welt? Eine Unendlichkeit?

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Ich rede mit wenigen beim Klassentreffen. Mit den richtigen wenigen. Schade, sage ich, daß wir uns so selten sehen. Aber die richtigen sind sie ja auch, weil sie gehen mussten.

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Ich moderiere die Spiele, beruhige die Schwester, klebe ein Puzzle zusammen und trinke morgens um halb sieben noch eins mit der Mutter der Braut.
Der Weg in meine Pension dauert ungefähr zehn Waka Waka Hey Heys.

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Currywurst um Mitternacht!

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Du gefällst mir.

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Wenn Du eine Meinung hören willst, schlägt er mir schwer auf die Schulter, dann komm zu mir. Und er ist so einer, zu dem ich gerne komme. Verlobt ist er, sagt er stolz, und ich werfe noch ein paar Scheite in den Ofen und beglückwünsche die Freundin.

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Das Häufchen Elend mit den glasigen Augen. Haltung, sage ich dann doch nicht, und daß ich so oft zu den hellen Fenstern geschaut und mich gefreut habe für die beiden.

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Und dann folge ich einem Kinderwagen. Trage ihn die Treppen zum Haus hoch und verspreche mir selbst einen ebenerdigen Eingang, sollte ich einst ein Haus und Kinder... Der Schmerz ist stechend und frisst, was ich sagen wollte. So stehe ich im Eingang, und der Freund drückt mir das Bündel in die Hand. Ein Röcheln, ein leises Schnarchen, und das macht den Schmerz so groß und so erträglich, daß ich irgendwas möchte, ich weiß nur nicht was. Stattdessen stehe ich stumm da und versuche, warm zu sein, ganz Ohr und ganz Herzschlag, denn näher werde ich dem nie kommen.

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Wir sitzen dann im Wohnzimmer und zerreden den Wahnsinn des Autobaus, und als seine Frau nach Hause kommt, stehen nur vier Flaschen auf dem Tisch, und wir sind charmant und verfressen, unsere Hände treffen sich im Gewühl der zerbröselnden Salzstangen, und als ich gehe, liegt er längst oben und schläft neben seinem Sohn.

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Wie euch die Kleinigkeiten nichts sind, weil sie sich häufen. Wie sie mir alles sind, weil sie so selten sind.

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Der stille Neujahrsmorgen.

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In blauen Handschuhen.

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Es ist in Ordnung, hoffnungslos zu sein.

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Die gemeinsame Wanderung allein. Auch hier Deine Zähne in allem, was mir schön und wichtig ist. Die Zeit schleift langsam und mit feinem Korn.

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Und die charmanteste Abfuhr der Welt.
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