Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

16.09.13, 19:16 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Du rufst von der Grenze aus an. Mich als allerersten. Du freust Dich nicht, ich kann Dir keine Freude geben. Das bricht mich, irgendwann.

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Zwei Tage Nichts.

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Freitagsheimweh.

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Ich versuche, nachzulesen, wo unsere Unbeschwertheit geendet hat. Wo ist unsere Begeisterung in Vorsicht verschwunden? Wann habe ich angefangen, nachzusehen, ob das Telefon kaputt sein könnte?

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Dann sitzen wir da, auf einer wackligen hölzernen Bank, Du hast die Beine hochgezogen, und schon wieder kann ich sehen, wie sich Wellen im Meer Deiner Augen brechen.

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Hit me hard
Hit me right between the eyes
I wanna see the stars
Hit me
Hit me
Hit me hard
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Ich komme vom Erzählen ins Schwadronieren, weil ich nicht sagen kann, was wahr ist. Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, denke ich später. Und der erste, den Du verpasst, war immer der Beste. Ich denke an unser Essen in der sommerwarmen Stadt. An den Abschied und den Stein, den ich seither schleppen muß.

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Du bist wieder dran. Ich halte die Luft an, als Du "Reiserücktrittsversicherung" sagst. Mir bleibt das Herz stehen, als Du "Beziehung" sagst. Und ich merke, daß es nur darum geht, daß Du wieder glücklich wirst. Das hält doch der stärkste Gaul nicht aus, sage ich zu Dir, und hinter der Wand scharrt er tatsächlich mit den Hufen.

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zul. online heute um 12:38

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Du redest von Urlaub und vom Wandern. Vom Schätzenlernen der eigenen Eltern durch fremden Verlust, und das ist ja auch so eine Lektion, die man ebenso ungern wie dringlich immer wieder auffrischt. "Vielleicht hat es da WLAN", hoffst Du, und immer wenn Du so etwas sagst, springt ein Splitter aus dem spröden Stein in mir.

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Long time no see, schreibe ich, und daß ich mich auf die nächste Woche freue. Ja, sagt sie, und dann erzähle ich davon, daß sie leider einen Punkt für ihre Vorhersage bekommt: daß irgendwann der Schwung nachlässt, wenn man springt und in der Luft hängenbleibt, das Landen vergisst. Wir können halt nur laufen, nicht fliegen.

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Kühe sind super, sage ich zum Abschied. Ich brauche Stallduft, schreibe ich eine gute Stunde später. Bis bald! als hätte ich Hoffnung.
Meine Hände riechen nach Stall, ich stehe im Badezimmer und wasche mich. Draußen drei Schüsse für den Freund. Ich gehe ins Bett, als wäre das der letzte Tag gewesen. Vielleicht war er das auch, und ich finde ja nie den Punkt, ab dem ich mich fügen muß.

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Du ackerst und gräbst
Deine Tunnel durch die Welt
Und hier bin ich und
Möchte die sein, die Dir
Deinen Spaten hält
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"Ich mach alles mit", sagst Du noch, aber ruhiger wäre Dir lieber. Dein Akku ist leer, Deine Kraft hat genau bis hierher gereicht. Ich kann Dich nicht laden, ich kann Dir nichts geben. Ich kann Dich nur tragen, und das darf ich nicht.

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In der Waagschale das Nichtbedrängen, das immer noch schwerer wiegt als der Steinklumpen, den ich nicht hervorwürgen kann.

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Ich melke in Ruhe die letzten Kühe, putze singend den Melkstand, lege den Schurz, die Handschuhe und die Stulpen ab. Alle anderen sind schon beim Kaffee. Ich prüfe die Leitungen und die Spülung, und irgendwo an einer Tür erstarre ich: Du wirst absagen. Ich weiß das. Und ich weiß, daß ich Dir das anbieten sollte. Dir die Entscheidung abnehmen. Meinen Hut nehmen. Mich bedanken. Aber aufgeben konnte ich noch nie.

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Wie ich an Salinger kam, ist ja auch so eine Dreiecksgeschichte, mit schönem Schwung in der Schrift auf die erste Seite geschrieben.

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Der Lagerist ruft mich ins Lager, der Chef ruft mich wieder an die Theke. Dann ruft mich der Mechaniker wieder ins Lager, und diesmal schweigt der Chef. Die Hände voller Ersatzteile mache ich mich an die Kreiselegge.

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Nachmittags bin ich Chef. Ich lasse die Schieber laufen, räume Futter nach, flicke hier einen Balken und dort ein Brett und schraube die Kreiselegge wieder zusammen. Ganz ruihg mit Radio, und in der Werkstatt flattert ein abgerissenes Kalenderblatt mit einer leichtbekleideten Amazone und einer Steinsäge im Wind.

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Nach dem Stall beule ich noch den Kotflügel aus, den ich neulich verdellt hatte. Dann bin ich sehr ruhig und sehr müde, nehme meinen Samstagabendplatz auf dem Kaminsims ein und sage lange nichts.

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Von oben bunte Lichter und Gesang. Ich setze mich dazu, esse und trinke. Ich möchte heute trinken, so wie ich früher getrunken habe. Möchte vergessen, daß ich das nicht mehr kann und nicht mehr bin.

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Manchmal setze ich zu einem Satz an und lasse es dann doch. Ich lächle freundlich, und nie sitze ich allein. Freunde.

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Sie singen für ihn. Im Dorf haben sie einen Kran mit einer großen Tafel aufgebaut. Dorffreundschaften sind immer ein wenig größer, denke ich.

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Irgendwann werde ich doch betrunken. Irgendwann gehe ich auch. Die Wunderkerze hat mir die Hand verbrannt.

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Ich stromere umher, suche nach Gepäckbestimmungen der Fluglinie. Zwei Damen helfen, und sie lachen mit mir. Passt der Rucksack ins Handgepäck, warum steht "30k" für zwanzig Kilo, und was soll das Ganze eigentlich? Ich brauche allerhand, nämlich fünf Paar Schuhe, eine Menge Kletterblech und eine Unterhose zum Wechseln.

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Neben mir steigen zwei junge Damen in eine schwere Route ein. Ich bin begeistert, ich freue mich ja immer gern mit. Sie fällt einmal, dann steigt und greift sie bunt. Ich wende mich ab. Wie schade.
Aus Spaß meiden wir die Struktur, aus der leichten Route wird ein Hammer. Ich bringe die Hüften weit nach links, um den rechten Fuß zu entlasten. Mit mehreren Tritten an die Wand bringe ich ihn hoch. Den kleinen Griff auf Kniehöhe dopple ich und springe. Falle. Springe wieder. Bekomme den nächsten Griff zu fassen, kann ihn nicht halten, falle wieder. Ich schiebe die Hüfte auf dem hohen Tritt nach rechts. Schaue nach unten. Mein Arm platzt beinahe, aber noch halten die Finger. Ich zähle auf drei, schieße nach oben, und voll gestreckt erreiche ich den Griff. Stabilisieren. Handwechsel. Ich ziehe mich hoch, ignoriere die Struktur auch mit den Zehen. Gelöst! rufe ich nach unten, und sie lachen.

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Die Matratze an der Wand ist weg. Die Blumen auf dem Balkon auch. Der Zettel liegt unberührt. Der kleine Kaktus steht noch auf dem Esstisch, auf dem Couchtisch steht eine leicht derangierte Orchidee. Ich bin einsam.

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Ich suche nach der Unbeschwertheit und bedanke mich für die Pflanze. Dann fällt mir auf, daß sie den Schlüssel nicht dagelassen hat. Irgendwann schlafe ich ein.

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Früh am Morgen ziehe ich die Vorhänge auf, damit die Orchidee Licht bekommt. Es ist trüb draußen, also bekommt sie noch ein wenig Wasser. Was man eben so hat, was man eben so macht mit der Verantwortung. In die Sonne stellen und füttern. Der Rest ist doch Hoffnung.

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Leben. Symbolbild.

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Sechs Tage auf das Schlimmste warten.

Rauchzeichen




ueblich   |   16.09.2013, 22:38   |  
Ob es hilft --? Jedenfalls: Daumen sind gedrückt. Sehr.

texas-jim   |   17.09.2013, 11:57   |  
Haben Sie vielen Dank.
Mitrauchen
 

strelnikov   |   17.09.2013, 13:13   |  
Ich bin ja kein Pferdefan, aber ich wünsche mir das die Pferdegeschichten hier noch ne Weile weiter gehen. Nicht nur für mich, auch für Sie.

texas-jim   |   17.09.2013, 15:28   |  
Haben Sie Dank. Die Pferdegeschichten mag ich auch sehr. Nicht nur der Pferde wegen.

huehnerschreck   |   23.09.2013, 15:20   |  
daumendrücken auch hier.

(auch wenn Ihre zeilen nach "against the odds" klingen.)

ps: orchideen nur einmal wöchentlich gießen. die kommen mit zuviel zuwendung nicht gut klar. (aber licht ist gut. nur keine pralle sonne.)

texas-jim   |   07.10.2013, 12:55   |  
Haben Sie Dank.

Die Orchidee hat übrigens, wie der Kaktus auch, die zweiwöchige Einsamkeit gut verkraftet. Vielleicht sollte ich meine Blumen nicht die ganze Zeit nerven...
Mitrauchen
 


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