Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 10. 11 14

10.11.14, 14:03 | 'Heller als tausend Sonnen'
Sie erzählt vom Halbmarathon und blickt auf ihre nackten Füße. Die sind nicht schön, sagt sie, und ich schaue unwillkürlich hinunter zu ihren Füßen. Damit habe ich Dir schon mein dunkelstes Geheimnis verraten, lacht sie, und dieses Lachen zieht meinen Blick wieder nach oben, zu ihren lachend blitzenden Augen, zu den tiefen Grübchen in ihren Wangen.

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Und als wir unterwegs sind, schlägt eine meiner schlechten Gewohnheiten wieder zu. Ich reibe mit dem Fingernagel an einer Stelle, an der sich ein wenig Haut abgerieben hat. Ich reibe ein wenig mehr, und unbemerkt beiße ich dann den kleinen Fetzen alter Haut ab. Ich lasse die Hand sinken, als ich mich ertappe. Sie legt ihre Hand auf mein Bein, schaltet dann kurz und lässt ihre Hand wieder sinken. Wir sind gleich da, sagt sie. Du brauchst Deine Finger nicht zu essen.

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Den ersten Krampf drücke ich mit dem Daumen aus ihrem Unterarm. Den anderen Arm streckt sie mir wortlos entgegen, und gern massiere ich auch dort die hart verspannten Muskeln.
# |  Rauchfrei | Gas geben


10.11.14, 13:08 | 'Umanandastand'n ond rearn'
Irgendwas mit historischem Datum, Reichskristallnacht, Mauerfall. Irgendwas mit zwei, drei Familien, die fast alle Häuser in dieser kleinen Sackgasse bevölkern. Irgendwas mit einem Kundschafter, der durch die Gärten schlich und vom Schwiegersohn erkannt und von der Polizei festgenommen wurde. Irgendwas mit Reifenwechsel in der Garage an einem Sonntag im November.
Und dann stehe ich plötzlich mitten auf der Straße und halte mit meiner Gegenwart ein Auto an. Darin drei Männer, die langsam die Straße auf und ab gefahren waren. Ich fotografiere das Fahrzeug frontal und langsam. Die Männer sind wütend, das sieht man selbst auf den Fotos. Ich weiche keinen Schritt, sie müssen über den Bürgersteig an mir vorbeifahren. Es ist also wieder soweit, denke ich traurig und drehe das schwere Radkreuz in den Händen.
# |  Rauchfrei | Gas geben


10.11.14, 11:16 | 'Das Auge des Betrachters'
Texte in der Warteschleife. Ich werde nicht fertig mit ihnen, ich finde die Zeit gerade nicht, und dann finde ich die Worte nicht, und dann überholen sich die Befindlichkeiten irgendwie selbst.

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Es sind reduzierte Tage mit wenig Kontakt. Mir ist schon aufgefallen, daß ich mit mehr Zwangszeit nicht mehr hinbekomme als mit Zeitzwang. Aber es ist eben üblich, die abendlichen Unternehmungen ausfallen zu lassen; denn schließlich muß man ja.

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Ein Konzert von Rob Lynch besucht, und statt mit der S-Bahn einfach mit der U-Bahn in die Stadt gefahren. Mit uns sind um die zwanzig Leute da, und ich singe trotzdem mit. Auch wenn man mich hören kann. Nur tanzen mag ich hier nicht, ich wippe aber am meisten von allen!

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Das Mädchen hinter der Theke trägt ein wildes Hemd, am Rücken tief ausgeschnitten und hoch gerafft. Unten und oben sieht man Farben auf der Haut. Ich frage dann doch - eine Magierin aus der japanischen Mythologie. Die siebte Tätowierung. Die tätowierten Stiefel verschwinden in der auf den Hüften sitzenden Hose, und sowas wollte ich schon immer mal schreiben. Was die denn für eine Aufgabe habe, diese Magierin, will ich wissen. Das Mädchen mit dem Puppengesicht lacht: Männer ärgern, und dann weiß ich auch nicht mehr.

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Weil ich bis Samstag bleibe, ist der Freitag anders. Ich sitze lang im Büro, radle dann mit neuem Licht und viel Freude im Wald nach Hause, immer neben dem Weg.

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Wir treffen uns an der Bahn, begrüßen uns mit unserem traditionellen Lachen, wie die Nikoläuse. Wir fahren in die Stadt, schlendern ziellos, trinken dann ein Bier, werden von einem Mädchen bedient, das einen Totenschädel auf den Hals tätowiert trägt. "Love will tear us apart" steht auf ihrer Brust, und Lesen ist einer meiner Reflexe, auch auf Brüsten. Sie lacht, wir gehen.

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In einer anderen Bar setzen wir uns zu zwei Damen. Blondiert die eine, brünett die andere. Wir kommen ins Gespräch, und ehrlich, ich würde gerne erklären, wie das geht, aber ich weiß es nicht. Es ist passiert, es war die Stimmung, es waren die zwei freien Plätze, es war der blitzende Ehering meines Freundes, ich weiß es nicht. Sie kickert, und irgendwie fliegt ihr mein Herz zu, bis ich auf mein Telefon sehe: Exit. Ja, sage ich, denn der Freund, den ich da habe, ist ein sehr kluger Freund, und so gehen wir.

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Wir lassen uns noch ein Sandwich machen, also der Freund lässt sich eines zubereiten, denn ich bin kein Anhänger davon, belegte Brote als wilde Geschichten zu verkaufen. Und noch weniger davon, sie teuer zu kaufen. Hinter uns eine Horde Mädchen, aufgeregt, und sie diskutieren die Vorzüge der Soßen, die aus verschiedenfarbigen Plastikflaschen kommen, und von den Farben der Plastikflaschen kommt womöglich auch der Geschmack, denke ich, und der Kerl hinter der Theke hat ein gutmütiges rundes Gesicht, auf seinem Schild steht, er sei neu hier, und er rattert die Fragen und Soßen und aller herunter, daß es eine Freude ist, wieder hier raus zu sein. Die Mädchen sehen uns nach, wir sind genau richtig laut und genau richtig breit, und vor allem quatsche ich draußen mit zwei hungrig wartenden Polizisten, während drinnen ein Sandwich getoasted wird, bis eine rote Lampe grün wird und bestimmt, daß nun genug getoasted sei. Ich trinke von meinem Bier, um uns erbrechen sich junge Menschen an Hauswände gelehnt; Ach ja, sage ich, es ist ja wieder Uniparty, Maschinenbau heute.

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Meine App sagt, die Bahn ginge um zwanzig nach zwölf. Das ist sicher richtig, es ist allerdings zwei. Also nehmen wir einen Nachtbus, oder doch einen anderen, und die fahren dann doch hintereinander her, und ich würde das gern in meine Lebensphilosophie einbauen, aber dazu bin ich dann doch zu müde und zu angetrunken.

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Die Frau des Freundes ruft an, und wir winken wie die Idioten ins Telefon, als könne sie uns sehen.

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Auch die haben Sorgen, denke ich mir, als wir in unterschiedliche Richtungen davongehen. Mein Bier lasse ich auf einem Tisch stehen, wo es morgen jemand abräumen wird. Hier oben gibt es nicht einmal Pfandsammler, denke ich noch, dann prüfe ich noch den Hefeteig, stelle den Wecker und falle tot um.

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Backen, duschen, Zähne putzen. Welches Hemd? Ich habe ihr ein Bild geschickt, von dem Rob-Lynch-Fan-Shirt, das ich mir gekauft hatte. Sie fand es nicht lustig. Ich ziehe das Hemd mit dem verwaschenen Snoopy an: I've never bitten anyone, und mit meinem Gefallenwollen komme ich auch nie so recht klar, da ist noch etwas in mir, das nur mir gefallen will, und manchmal beißt das dann um sich und lässt mich nicht gefallen. Manchmal knurre ich dann auch, aber ich bin ja auch schon über dreißig.

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Wir treffen uns auf dem Parkplatz, der Zopf ist noch warm. Wir treffen uns an der Umkleide, und sie trägt gemusterte Hosen und ein rosafarbenes Oberteil. Wir treffen uns an der Wand, und ich erkläre Seil und Knoten und Gurt. wir treffen uns mit den Händen, an den Schultern, an den Armen, ich fasse sie am Gurt. Nähe ist Wärme, Nähe ist Hitze, und ich zittere in der Kälte ein wenig. Klettern und Lachen.

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Wir schauen den Kindern beim Wettbewerb zu.

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Dann fahren wir im offenen Cabrio übers Land, ihre Haare fliehen unter den Klammern hervor, die Strähnen flattern, ich halte mein Gesicht in die Sonne. Wir sind zwei Dreißiger, die ihr Leben und ihren Mittelstand genießen, ihre Bildung und ihren Humor, und verdammich auch ihr Geld und ihre Freizeit. Meine Bauernseele windet sich an diesem Samstag sehr. Schreit Werktag, schreit nach Schmutz und Anstrengung, als ob mich Arbeit befreien oder adeln könnte. Stattdessen sitzen wir auf einer Burgmauer und lassen die Zeit vergehen. Ganz kurz nur meine Hand auf ihren Schultern. Knochen, Muskeln, Sehnen, in diesem Moment bin ich blind, und meine Hände sind Wolken, die Schatten auf die Erde werfen.

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Wir lassen uns von der Suchmaschine in irgendein Restaurant leiten, und wir sind distanziert genug, das als spaßigen Versuch zu sehen. Die Maultaschen sind größer als richtig, die Käsespätzle eher Käsekäsekäsespätzle. Vierkommaeins Sterne. Wir sitzen also da auf dem Sünderbänkchen am Eingang, und um uns jodeln Senioren ihre Freude am Wein unter die Deckenbalken. Ich trinke Wasser, das Mädchen trinkt Apfelschorle. Sie füttert mich, sie isst von meinem Teller, und unsere Themen werden kurz ernst. Ihre Familie. Meine Familie. Wir reden nicht über uns und nicht übers wir. Das kommt uns nicht in den Sinn, und später, als mir das auffällt, freue ich mich.

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Ich habe zuviel gelesen, denke ich dann. "Going Solo", das all die Gründe für und gegen Partnerschaften aufzählt, und das mein eigenes Aufzählen und Bewerten noch unterstützt. Dieses "Was wäre, wenn", die Frage danach, ob ich denn immer könnte. Ob ich denn ein Immer wollte. Und immer Konjunktiv, und immer die Frage, wie das denn passen sollte, mit den drei Orten, an die es mich immer zieht. Aber das ist viel später, und das ist nicht, was ich denken will, und vielleicht auch nicht denken sollte.

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Als ich im Scherz wegrutsche, klopft sie auf den Platz neben sich. Ich setze mich sehr dicht, und rücke dann gleich wieder ab. Raum geben, ausweichen ermöglichen. Niemanden bedrängen. Ich berühre niemanden, der in einer Ecke sitzt. Wir zahlen, und sie hat kurz ihre Hand auf meiner brennenden Schulter.

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Vorhin, denke ich noch, da lagen wir uns gegenüber, mit dieser Rückenübung, die ich so mag, weil sie sehr anstrengend ist, und mir fiel auf, wie weit man sehen kann, wenn man sich so gegenüber auf dem Bauch liegt, und dann war das sehr schwierig, weil ich nicht recht wusste, was ich denn nun sehen soll.

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Sitzheizung dann, es ist schon recht kühl und dämmert. Zum Abschied spüre ich ihre Wange auf meiner, sie ist kalt und flammt unter der Berührung auf, und eine Minute später bin ich nicht mehr sicher, ob ich meinen Kopf wirklich so starr gehalten habe, wie ich das gewollt hatte. Wer hat sich denn nun bewegt, denke ich, und was, wenn das keiner von uns beiden weiß?

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Ich bin dann still auf dem Heimweg, biege irgendwann von der Autobahn ab, die mich vierzig Kilometer Umweg im Tausch gegen zehn Minuten kosten würde. Fahre übers Land, durch die Dörfer meiner Gegend. Die Straßen werden schlechter und schlechter, und ich stelle mir vor, das Mädchen säße neben mir, auf dem Weg in meine Heimat, stiller und stiller, und die Häuser älter und baufälliger, und in vielen kein Licht. Und mein Scherz, daß ich am Ende einer Straße, hinterm Wald, in einem Tal wohne, der säße zwischen uns, auf meinem Herz und auf ihrem vielleicht. Und dann wüsste ich nichts mehr zu sagen, womöglich. Ich verscheuche den Gedanken mit dem rechten Fuß. Die Sommerreifen sind gut, die Straße nur leicht feucht in den Waldkurven, und dafür ist so ein Dieselwiesel ja gemacht.

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Mein Telefon ruft die Nachrichten spät ab, und ich mag diese Art der Selbstbeschränkung, der Verzögerung, der Kasteiung. Wenn ich oft draufschaue, bemerke ich mich selbst. Ich muß mich ja immer zwingen. Dann ein Bild, ein kurzes Kleid: Kann ich so gehen? Ich bin sprachlos, das ist so viel, dieses Bild, diese Frage, das ist doch ein Angebot, in dem sie sich zeigt, in dem sie mich fragt, und ich juble ein Kompliment in die Zeile, ein sprachloses, und sie nimmt das jetzt als Kompliment, schreibt sie, und in der nächsten Zeile eines dieser bekannten gelben Gesichter, ein wenig verzerrt und mit einem roten Herzchen. So küssen sich Menschen heutzutage, und in der Auswahl der Gesichter ist er ganz oben links der erste, warum auch immer, ich brauche ihn ja selten.

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Und so gehe ich dann in den Gymnastikraum, der gerade Besenwirtschaft spielt, und dann trinke ich ein Glas Wein und rede viel, und ich versuche, mich daran zu erinnern, daß ich auch gern hier bin.

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Nächtlicher Blödsinn und wenig Schlaf.

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Ich sehe mir eine Wohnung an, und je öfter ich das mache, um so schneller kann ich Nein sagen. Das Angebot verdeutlicht die Wünsche.

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Ich wechsle Reifen an allerhand Autos. Ich habe Kupferpaste an den Fingern, ich mache ein Bild, auf dem sie golden schimmert, und ein wenig erinnert das an den vom Klettern zerkratzten Nagellack des Mädchens. Ich schreibe ihr nicht, ich will nicht drängen, aber ich schaue dann doch sehr oft.

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Wie war Dein Tag, fragt das Telefon dann. Sie sitzt noch an der Arbeit, und heute abend wird sie noch länger sitzen, sagt sie. Ich zeige ihr das Bild mit meinen goldenen Fingern, und wir lachen.

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Viel später sitze ich im Auto in die große Stadt, sie schreibt von Feierabend, und ich von guter Nacht.

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Bis bald! brennt in meinem Kopf.

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Als ich ankomme, probiere ich noch an dem Akku herum, den ich retten wollte. Serienschaltung von Zellen, geladen ohne Balancer. Die Zellen sind gedriftet, ich vermute ihren Tod, ich habe sie einzeln geladen, mit viel Glück und vier Euro, und dann schlafe ich im Licht der Lampe ein, und dabei wollte ich doch schauen, wie lange sie jetzt leuchtet. Um sechs wache ich auf, sie leuchtet immer noch. Und wenn ich Akkus so retten kann, kann ich vielleicht auch mein Herz wieder laden. Serienschaltung, womöglich. Ingenieursidiot. Fahrradbegeisterter, Gitarrenmusikverehrer, Faschingsoffizieller, schimpfe ich mich. Und Bauer, trifft mich das Echo, als wir zur Probe im Kreis stehen, die Hände in der Mitte, und meine die schmutzigen vom Reifenwechsel. Und Bauer, trifft mich das Echo.
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