Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 9. 11 17

09.11.17, 14:42 | 'Zerdrueckt'
Am Samstag wird es ein Jahr her sein. Ich bin um drei los, weil ich weiß nicht mehr, ich weiß es wirklich nicht mehr. Ich könnte in meinen Kalender von damals schauen, würde mich aber nicht weniger schämen. Ich bin um drei los, weil ich die erste Nachricht nicht recht ernst genommen hatte, ich bin um drei los, obwohl die zweite Nachricht schon besagte, es müsse heute noch sein, ich bin um drei los. Ich kroch im Berufsverkehr die Bundesstraße entlang, die Musik voll aufgedreht, ich erinnere mich nicht mehr an das Lied. Ich fuhr ab, wie alle anderen auch, ich kroch über Landstraßen, ich kroch durch das Novemberdunkel. Ich kam um zwanzig nach fünf an. Auf dem Totenschein steht 16:55 Uhr. Spät in der Nacht habe ich mich erst verabschiedet, mich gewundert, wie klein Du warst in Deinem guten Anzug. Wir haben Deine Hand gestreichelt, weil ich mich nicht getraut habe, sie hochzuheben, diese Hand, die so viel gearbeitet und bewegt hatte, die nicht mehr warm war, keine Binokelkarten und keine Zigarette und kein Bier mehr halten wird, mich nie mehr grüßen wird, wenn ich durchs Blickfeld des Küchenfensters laufe. Du fehlst, Opa.
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Montag, 16. 01 17

16.01.17, 09:27 | 'Zerdrueckt'
In Deiner Küche ein Blatt Papier, von Hand mit feiner Schrift beschrieben und an einen der Schränke geklebt, mit dem Gebet eines Menschen, der aus einem Weltkrieg kaum mehr als das eigene Leben retten konnte.
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Freitag, 13. 01 17

13.01.17, 08:38 | 'Zerdrueckt'
Daß mein Senior mir diese Woche schon die Hand auf die Schulter legte, so kurz, daß man es für ein beiläufiges Schulterklopfen halten könnte, während ich am Sterbebett meiner Oma, seiner Mutter, mit den Tränen rang, mit dem ganzen Rest an Gewalt, die mein gequälter Geist meinem störrischen Körper noch antun kann, mich starr und aufrecht hielt, um eben Haltung zu bewahren, daß er selbst sich die Gewalt antun kann, im Moment seiner Trauer mir noch Trost spenden zu können, und daß ich deshalb oder trotzdem noch Ingrimm genug besaß, um es stumm bis auf meine Bettkante zu schaffen, das mag für diese Tage, diese Wochen vielleicht genügen, in denen es mir so scheint, als könne ich nie wieder einen Schritt gehen, aber auch niemals aufhören, zu greifen und zu kriechen.
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Sonntag, 13. 11 16

13.11.16, 18:22 | 'Zerdrueckt'
Zähneputzen hilft mir ein bißchen gegen Traurigkeit. Gerade könnte ich den ganzen Tag nur Zähne putzen.
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Freitag, 11. 11 16

11.11.16, 11:06 | 'Zerdrueckt'
Herzschlag.
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Dienstag, 31. 05 16

31.05.16, 13:48 | 'Zerdrueckt'
Es spielt ja keine Rolle, ob ihr es nur vergessen habt. Ob ihr einen Grund habt. Einen guten womöglich, mich nicht zu beunruhigen, mich nicht abzulenken. Ich erfahre es auf Umwegen, immer und immer wieder. Unvorbereitet, aus einem Gespräch, das ich freudig beginne, bei einem Essen, das mir schmeckt, aus Nebensätzen in Nachrichten. Ihr entfremdet mich meiner Familie, und es hat überhaupt nichts damit zu tun, erwachsen zu werden oder sich abzunabeln, wenn ich hier sitze und gleich einen Vortrag halte, während ihr einen begrabt, den ich geliebt habe. Ich habe es nicht geschafft, euch zu vermitteln, daß ich informiert sein will. Ihr schreibt mir Statusmails, wenn Pakete angekommen sind, die ich für euch bestellt habe, als ob es entscheidend wäre, wann ihr mir die paar Mark überweist. Und bei den wichtigen Dingen, da lasst ihr mich aus, da lasst ihr mich außen vor, oder ich bekomme allerhöchstens einen genervten Anruf, der mich wissen lässt, was ich euch damit für einen Aufwand bereite, daß ich das ja unbedingt - und ihr zieht das in allen Silben in die Länge - wissen will und deshalb von euch erfahren sollte, als wäre das eure Idee gewesen und nicht ein armseliges Ergebnis meiner Bettelei. Ich kann nicht einmal reagieren auf eure Ablehnung, denn ihr versteht mich nicht. Halte ich mich zurück, ist das eure Bestätigung für mein Desinteresse, und noch mehr betteln kann ich einfach nicht. Was soll ich schon sagen? Daß ihr nur noch nehmt und nichts mehr gebt? Ach, -.
[Abgebrochen]
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Montag, 2. 05 16

02.05.16, 15:53 | 'Zerdrueckt'
"Bitte geh nicht," schreit die Liebe, weil sie um den Schmerz weiß. Doch es ist nicht, was wir empfinden, sondern was wir tun. So bin ich bereit, Dir eine gute Reise zu wünschen. Nein, bereit bin ich nicht, und dazu bereit erst recht nicht. Ich werde es trotzdem tun, wenn Du es wünschst. Gute Reise. Trag Dieses Lächeln bei Dir, wenn Du gehst. Dreh Dich nicht um, dann mußt Du mir den Schmerz nicht ansehen. Und erst, wenn Du außer Hörweite bist, werde ich schreien: Bitte, geh nicht.
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Dienstag, 19. 04 16

19.04.16, 18:24 | 'Zerdrueckt'
Was ich immer wollte, nämlich da zu sein, wo ich bin, ganz da zu sein. Was ich nun erfahren habe: Daß ich ganz weg sein kann, daß ich völlig nicht da sein kann, nicht einen Gedanken verschwendend an den Ort, an dem ich nicht bin, an die Menschen leider auch, und daß das Nichtdasein für mich ein Nichtsein ist, daß ich keinen Kontakt halten kann, daß dann ein Anruf kommt, den mir mein Telefon tagelang verschweigt, und daß ich dann zurückrufe, über Mittag, und höre Besteck auf Geschirr klappern, und sonst viel Schweigen. Ich bin weg, und wenn ich gleichzeitig nicht hier bin, dann bin ich wohl nirgends, dann bin ich nicht, und das ist die wahre Einsamkeit, die ich fürchte.

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Den einen kann ich nicht erreichen, weil mir die Worte fehlen, weil mich die Wortlosigkeit so wütend macht, und weil er dann die Wut sieht und mich anschweigt und anschaut und sich abwendet und vielleicht denkt, was er da wohl für einen großgezogen hat, der ihm immer nur böse sein kann, und sonst stumm, und das muß ihm doch wehtun, und schlimmer noch die Größe, mit der er genau das nicht zeigt, und seine Anstrengung, die ihn zur Wortlosigkeit zwingt, weil er sonst seine Größe zeigen müßte und doch bescheiden bleiben will, und bescheiden ist nur, wer schweigt, und ach.

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Die andere kann mich nicht erreichen, weil sie sich merkt und weil sie reagiert, weil sie mit Informationen zu handeln scheint, weil ich ihr nichts anderes lasse, weil sie dürstet und hungert und sich alles in mir sträubt, sie zu füttern, und wenn ich nur wüsste, und ach.
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Freitag, 8. 04 16

08.04.16, 20:41 | 'Zerdrueckt'
Altersleukämie, aktiv, palliativ, und im Kopf immer nur Arschloch, Arschloch, Arschloch.
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Montag, 11. 01 16

11.01.16, 09:17 | 'Zerdrueckt'
Faschingsauftakt. Große Freude. Ich trage den Schal und den Hut, ich trage schwarze Hosen und glänzende Schuhe. Wir sind der einzige Elferrat, soweit ich sehen kann, denn irgendwie sind wir auch rheinischer Karneval, während alle anderen Gruppen schwäbisch-alemannischer Abstammung sind. Und alle nett hier. Ich freue mich richtig, scherze mit den Gardemädels und trinke ein Bier in irgendeiner Kneipe, in der ein Mädchen mit schwarzglänzenden Hosen und einem ebenso glänzenden Lächeln arbeitet. Ich werde von Hexen verschleppt, mit Konfetti vollgestopft und mit Viehzeichenstift grün angemalt. Es ist schön.
Dann marschieren wir durch die Straßen. Keine Ahnung, warum. Ich verkleide mich, ich habe Spaß, es ist ein freies Land. Mal laufe ich im Takt, mal mogle ich mich unter die Prinzengarde in die Mitte ihrer Zweierreihe und ziehe die Knie im Marschtritt bis unters Kinn hoch. Ich bin ein Faschingswicht mit Karnevalsmütze, aber meinen Chaplin habe ich gesehen. Dann springe ich über ein Seil, dann springen wir zu zweit, und irgendwann schreien sie bei jedem Sprung, und ein Seufzer, als wir endlich stolpern. Ein Ansager steht am Straßenrand mit einem Mikrofon, das ich ihm entwinde und unseren Schlachtruf hundertfach verstärkt durch die Straßen gellen lasse.
Am Ende zerfasert der Umzug in einem wilden Haufen, wir stehen etwas orientierungslos kurz davor. Von der Seite springt mich eine junge Frau an, mit dunklen Haaren und einer dieser knisternden blauen Jacken, und drückt sich an mich. Reflexartig nehme ich sie in den Arm, und dann höre ich erst, daß sie in Panik schreit und spüre, daß sie zittert und bebt. Ich kann nicht fragen, es ist zu laut von all den Musikantentruppen in der engen Häuserschlucht hier, und ich verfluche kurz die Kleinstadtplaner mit ihrem ach so tollen Granitboden, den glatten Steinfassaden und den kümmerlichen Bäumchen in der Mitte. Die Menge tobt, wir müssen hier raus. Ich halte die Frau fest, dränge mich rückwärts an den Rand des Getümmels. Jetzt kann ich sie wenigstens verstehen, auch wenn ich kein Wort verstehen kann. Ich kann mich ja nicht einmal denken hören, verflucht.
Sie beginnt zu krampfen, der ganze knochige Körper klammert und zwingt, und an ihrem Hals sehe ich alle Sehnen.
Was ist los, frage ich sie immer wieder. Alles wird gut, sage ich immer wieder, und ich halte sie sehr fest, was soll ich auch anderes tun mit ihren Fingernägeln in meinem Rücken. Es wird warm zwischen uns, das ist nicht mehr eine einzelne Sekunde, ausgedehnt im Kopf durch das Unerwartete. Ihr Gesicht zeigt sie jetzt erst, tränenverschmiert und rot vom Weinen, aber sagen kann sie noch nichts durch ihre zitternden Lippen. Sie schäumt leicht, vielleicht nur Tränen. Als wieder eine Kapelle lärmend um die Ecke biegt, nehme ich sie bei den Händen, und wir flüchten noch ein Stück. Wer bist Du? Wo sind Deine Freunde? Was möchtest Du? Es wird alles gut, immer wieder dazwischen, und ich möchte mir fast schon selber glauben. Fanta, sagt sie endlich, und ich stutze. Das ist ja ein überschaubarer Wunsch. Daß es sonst nie so laut sei, sagt sie noch, und da schluchzt sie schon wieder. Nach uns kommen nur noch zehn Gruppen, erinnere ich mich an den Plan, die sollten jetzt fertig sein. Es wird auch schon leiser. Wo gehörst Du denn hin, flüchte ich mich in die Feinheiten meines Dialektes, wo man das genau so fragen darf, und jeder darf das Seine darauf antworten. Fanta, fragt sie, und dann frage ich nach den Wochentagen, die ihr nichts sagen, und nach dem Heimweg, den sie nicht zu kennen scheint, denn die Adresse kommt von einem abgespulten Band in ihrem Kopf, und ich versuche verzweifelt, mich zu erinnern, was dort sein könnte.
Lass uns zurückgehen und nach Deinen Freunden suchen, sage ich, und sie schüttelt wild den Kopf. Doch doch, sage ich, denn die Musik ist jetzt viel leiser, und Fanta haben sie dort auch. Sie nimmt mich dann doch an der Hand, immer noch zögernd, aber durch zwei Hände kann ja so viel fließen. Mut und Zuversicht, denke ich noch, das hatte ich mir doch vorgenommen, also schmeiße ich alles, was an Mut und Zuversicht gerade so in mir herumschwimmt, in diesen Fluß, und dazu noch eine ganze Menge herbeigeredeten Mut, wie man das eben so macht. Wir steuern einen Verkaufsstand an, denn Fanta hilft immer. Als ich mich mit der Flasche zu ihr umdrehe, ist sie weg. Ich bin groß, die Menge ist dicht, ich laufe in einer größer werdenden Spirale zig Runden über den Platz. Das Fanta trinke ich irgendwann selbst, denn Fanta hilft immer. Nichts. Ich korrigiere zu Fast immer und laufe dann eben zur Polizei. Eine Streife verschwindet vor meinen Augen, und auch die finde ich nicht wieder. Ein Polizeiauto fährt mir fast vor der Nase weg. Dann stehe ich vor zwei Ordnern, ordne erst mal mich selbst, denn geholfen wird Dir nur, wenn Du selbst nicht zitterst und stammelst, und dann rede ich in langsamen und deutlichen Sätzen, beschreibe die junge Frau und ihre Angst. Wir finden sie, sagt einer, und ich erzähle einfach so lange weiter, bis er dann doch in sein Funkgerät spricht.
Den Mut und die Zuversicht habe ich verschenkt, merke ich, als ich mich auf die Suche nach meiner Gruppe mache, und es hilft da nicht viel, daß sie genau dazu da sind. Und die Freude gleich mit, stelle ich fest, als ich etwas trostlos in meiner Gruppe stehe und nicht mehr umtreiben kann, weil ich mich ständig umschauen muß. Fanta habe ich auch keines mehr. Auf dem Heimweg stehe ich neben einer Bierkiste im Bus, und wir stürmen noch ein Fest in der Heimat, es kommt, wie es kommen muß, wie immer, wenn ich alles verschenkt und mich völlig entleert habe, mit irgendwas muß man sich ja füllen. Ganz langsam marschiere ich zwischen den Dörfern nach Hause, mitten in der Nacht, auf die Silhouette der Alb zu, die vor mir wächst, mit den Sternbildern über mir, mit den so vertrauten Wiesen und Feldern neben mir. Ich nehme meine eigene Hand, ich betrüge mich selbst, damit ich nicht so allein bin und nicht so leer.
Im Polizeibericht am nächsten Tag keine Nachricht.
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