Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

11.01.16, 09:17 | 'Zerdrueckt'
Faschingsauftakt. Große Freude. Ich trage den Schal und den Hut, ich trage schwarze Hosen und glänzende Schuhe. Wir sind der einzige Elferrat, soweit ich sehen kann, denn irgendwie sind wir auch rheinischer Karneval, während alle anderen Gruppen schwäbisch-alemannischer Abstammung sind. Und alle nett hier. Ich freue mich richtig, scherze mit den Gardemädels und trinke ein Bier in irgendeiner Kneipe, in der ein Mädchen mit schwarzglänzenden Hosen und einem ebenso glänzenden Lächeln arbeitet. Ich werde von Hexen verschleppt, mit Konfetti vollgestopft und mit Viehzeichenstift grün angemalt. Es ist schön.
Dann marschieren wir durch die Straßen. Keine Ahnung, warum. Ich verkleide mich, ich habe Spaß, es ist ein freies Land. Mal laufe ich im Takt, mal mogle ich mich unter die Prinzengarde in die Mitte ihrer Zweierreihe und ziehe die Knie im Marschtritt bis unters Kinn hoch. Ich bin ein Faschingswicht mit Karnevalsmütze, aber meinen Chaplin habe ich gesehen. Dann springe ich über ein Seil, dann springen wir zu zweit, und irgendwann schreien sie bei jedem Sprung, und ein Seufzer, als wir endlich stolpern. Ein Ansager steht am Straßenrand mit einem Mikrofon, das ich ihm entwinde und unseren Schlachtruf hundertfach verstärkt durch die Straßen gellen lasse.
Am Ende zerfasert der Umzug in einem wilden Haufen, wir stehen etwas orientierungslos kurz davor. Von der Seite springt mich eine junge Frau an, mit dunklen Haaren und einer dieser knisternden blauen Jacken, und drückt sich an mich. Reflexartig nehme ich sie in den Arm, und dann höre ich erst, daß sie in Panik schreit und spüre, daß sie zittert und bebt. Ich kann nicht fragen, es ist zu laut von all den Musikantentruppen in der engen Häuserschlucht hier, und ich verfluche kurz die Kleinstadtplaner mit ihrem ach so tollen Granitboden, den glatten Steinfassaden und den kümmerlichen Bäumchen in der Mitte. Die Menge tobt, wir müssen hier raus. Ich halte die Frau fest, dränge mich rückwärts an den Rand des Getümmels. Jetzt kann ich sie wenigstens verstehen, auch wenn ich kein Wort verstehen kann. Ich kann mich ja nicht einmal denken hören, verflucht.
Sie beginnt zu krampfen, der ganze knochige Körper klammert und zwingt, und an ihrem Hals sehe ich alle Sehnen.
Was ist los, frage ich sie immer wieder. Alles wird gut, sage ich immer wieder, und ich halte sie sehr fest, was soll ich auch anderes tun mit ihren Fingernägeln in meinem Rücken. Es wird warm zwischen uns, das ist nicht mehr eine einzelne Sekunde, ausgedehnt im Kopf durch das Unerwartete. Ihr Gesicht zeigt sie jetzt erst, tränenverschmiert und rot vom Weinen, aber sagen kann sie noch nichts durch ihre zitternden Lippen. Sie schäumt leicht, vielleicht nur Tränen. Als wieder eine Kapelle lärmend um die Ecke biegt, nehme ich sie bei den Händen, und wir flüchten noch ein Stück. Wer bist Du? Wo sind Deine Freunde? Was möchtest Du? Es wird alles gut, immer wieder dazwischen, und ich möchte mir fast schon selber glauben. Fanta, sagt sie endlich, und ich stutze. Das ist ja ein überschaubarer Wunsch. Daß es sonst nie so laut sei, sagt sie noch, und da schluchzt sie schon wieder. Nach uns kommen nur noch zehn Gruppen, erinnere ich mich an den Plan, die sollten jetzt fertig sein. Es wird auch schon leiser. Wo gehörst Du denn hin, flüchte ich mich in die Feinheiten meines Dialektes, wo man das genau so fragen darf, und jeder darf das Seine darauf antworten. Fanta, fragt sie, und dann frage ich nach den Wochentagen, die ihr nichts sagen, und nach dem Heimweg, den sie nicht zu kennen scheint, denn die Adresse kommt von einem abgespulten Band in ihrem Kopf, und ich versuche verzweifelt, mich zu erinnern, was dort sein könnte.
Lass uns zurückgehen und nach Deinen Freunden suchen, sage ich, und sie schüttelt wild den Kopf. Doch doch, sage ich, denn die Musik ist jetzt viel leiser, und Fanta haben sie dort auch. Sie nimmt mich dann doch an der Hand, immer noch zögernd, aber durch zwei Hände kann ja so viel fließen. Mut und Zuversicht, denke ich noch, das hatte ich mir doch vorgenommen, also schmeiße ich alles, was an Mut und Zuversicht gerade so in mir herumschwimmt, in diesen Fluß, und dazu noch eine ganze Menge herbeigeredeten Mut, wie man das eben so macht. Wir steuern einen Verkaufsstand an, denn Fanta hilft immer. Als ich mich mit der Flasche zu ihr umdrehe, ist sie weg. Ich bin groß, die Menge ist dicht, ich laufe in einer größer werdenden Spirale zig Runden über den Platz. Das Fanta trinke ich irgendwann selbst, denn Fanta hilft immer. Nichts. Ich korrigiere zu Fast immer und laufe dann eben zur Polizei. Eine Streife verschwindet vor meinen Augen, und auch die finde ich nicht wieder. Ein Polizeiauto fährt mir fast vor der Nase weg. Dann stehe ich vor zwei Ordnern, ordne erst mal mich selbst, denn geholfen wird Dir nur, wenn Du selbst nicht zitterst und stammelst, und dann rede ich in langsamen und deutlichen Sätzen, beschreibe die junge Frau und ihre Angst. Wir finden sie, sagt einer, und ich erzähle einfach so lange weiter, bis er dann doch in sein Funkgerät spricht.
Den Mut und die Zuversicht habe ich verschenkt, merke ich, als ich mich auf die Suche nach meiner Gruppe mache, und es hilft da nicht viel, daß sie genau dazu da sind. Und die Freude gleich mit, stelle ich fest, als ich etwas trostlos in meiner Gruppe stehe und nicht mehr umtreiben kann, weil ich mich ständig umschauen muß. Fanta habe ich auch keines mehr. Auf dem Heimweg stehe ich neben einer Bierkiste im Bus, und wir stürmen noch ein Fest in der Heimat, es kommt, wie es kommen muß, wie immer, wenn ich alles verschenkt und mich völlig entleert habe, mit irgendwas muß man sich ja füllen. Ganz langsam marschiere ich zwischen den Dörfern nach Hause, mitten in der Nacht, auf die Silhouette der Alb zu, die vor mir wächst, mit den Sternbildern über mir, mit den so vertrauten Wiesen und Feldern neben mir. Ich nehme meine eigene Hand, ich betrüge mich selbst, damit ich nicht so allein bin und nicht so leer.
Im Polizeibericht am nächsten Tag keine Nachricht.

Rauchzeichen




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