Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

16.08.10, 16:43 | 'buying in just like a bunch of fools'
Ich besitze seit eben mehr Schuhe als jemals zuvor in meinem Leben. Mehr, als ich mir je hätte vorstellen können. Mehr als sinnvoll sind. Nämlich zwei Paar, die sich einen Anlass - nämlich den nichtigen, also keinen - teilen. Somit stehe ich von Stund an des Öfteren vor einem Problem, das ich bislang auf meiner Weltkarte nicht verorten konnte: Welche Schuhe ziehe ich an?

Wobei ich zugeben muß, daß mehr meiner Schuhe unnütz sind. Dabei haben die sogar einen Zweck! Da sind die sommerlichen Gummistiefel für Stall und Melkstand, die ich geflissentlich ignoriere. Sommer und Gummistiefel passen einfach nicht zusammen. Lieber brause ich mir den Dreck von den kurzbehosten Beinen. Das erfrischt zusätzlich und reinigt auch schon mal die Socken vor. Und der Dreck an den Schuhen trocknet ja in kürzester Zeit - oms Nomgugga, wie der Schwabe sagt - und wenn man das nächste Mal wie angebrannt über den Hof rast, um dies und jenes zu tun, prasselt es an den Wänden - und bei schnellster Gangart auch am Rücken - und die Sohlen sind befreit, bereit für die nächste matschige Pfütze. Von denen hat es, dem Sommer zum Trotz, genügend.
Dann sind da die Winterstiefel. Wobei - wo sind die eigentlich? Die klobigen Gummi-High-Heels, in denen ich fast bis auf Türzargenhöhe wachse, was im Übrigen auch schmerzhaft sein kann, auf denen Eis und Schnee liegen können und in denen ich trotzdem meine Zehen noch bewegen kann. Sie sind bleischwer, sie sind unhandlich groß und erlauben kein Abrollen des Fußes. Ich stehe darin wie eine Mauer. Oder wie ein Storch, dem man die Zehen am Boden festgetackert hat. Ich mag diese Stiefel. Im Winter.
Ich habe Sportschuhe. Laufschuhe eigentlich, aber ich gehe nie laufen. Die hatte man damals, weil überall Schilder hingen, auf denen stand: "Sporthalle nicht mit dunklen Sohlen betreten!!!!" Ihre Sohlen waren einmal hell, aber die Hallenböden haben sie dunkel gemacht. Vollkontaktbasketball, Bauernfußballturniere, und sogar die erste Runde dieses Kurses an der Hochschule, bis es hieß: "Schuhe aus!" Und dabei spielten die dunklen Sohlen nicht einmal eine Rolle. Sie werden bei weiterhin eifriger Nutzung wohl noch einmal zehn Jahre durchhalten. Außer ich fange zu joggen an, aber daran glaube nicht einmal ich.
Denn mein Sport ist das Radeln. Und auch dazu habe ich Schuhe. Schuhe in einem hellen Braun, das meistens schnell zu dunklem Braun wird. Schuhe, die ständig neue Schnürsenkel brauchen, weil man mit diesen Schuhen auch am Pedal ziehen kann. Außerdem brauchen sie ab und zu ein neues Blech an den Sohlen und eine naserümpfende Wäsche des Innenfutters.
Nebenbei habe ich noch Waldarbeitsschuhe, die so teuer waren, daß sogar die Damen aus Sex and the City einen Heulkrampf erleiden könnten. Teuer genug, daß ich kaum mit ihnen in den Wald gehe, weil ich immer Angst habe, sie kaputtzumachen. Sie werden mich wohl überleben, die Schuhe, irgendwo im Regal.
Ganz im Gegensatz zu dem Paar, das die kürzeste Lebensdauer hat: den Arbeitsschuhen. Die gibt es üblicherweise alle paar Monate neu, weil die alten irgendein Schicksal erleiden. Es stampfen Kühe oder ganze Mähdrescher darüber, es landet Ameisensäure und Ätznatron darauf, und naß und schmutzig sind sie ja sowieso immer. Und sie haben einen entscheidenden Vorteil: sie sind kaputt, bevor ich sie putzen müsste.

Jedenfalls besitze ich nun zwei Paar Allerweltsschuhe. Beide in einer Farbe, die auch mal den Gang über eine Wiese ermöglicht, und beide unauffällig genug, um über Dinge wie "Kombinationen" und "Farben" nicht nachdenken zu müssen. Das ist Luxus, meine ich.

Die alten waren eben zwei geworden, und ich hatte das mit einem neuen Schnürsenkel gefeiert. Der andere war zwar ebenfalls abgerissen, aber eben noch lang genug, daß es für den finalen Doppelknoten gereicht hatte. Dann war da dieses Loch in der Sohle, und ich, die Silikonspritze schon zur Hand, drehte also den Schuh um. Durch. Einfach durchgelaufen, da war nichts mehr zu holen. Also vorsichtig den Schuh wieder hingestellt, um nicht noch mehr zu beschädigen, und das Problem vertagt. Knapp zwei Wochen später ging er von mir, der Schuh. Also ich von ihm. Soll heißen, ich ging, und er folgte mir nicht mehr, die Sohle blieb auf der Strecke. So lange ich nicht versuchte, zu rennen oder über spitze Steine zu wandern, sah das noch ganz passabel aus, außerdem war Sommer und Barfußzeit, also vertagte ich das Problem erneut.

Jetzt regnet es. Also auf in die große Stadt, die dankenswerterweise an ihren Rand ein hektargroßes Stück Weide geteert hat. Dort parken Autos, und in einer mehrstöckigen Baracke daneben gibt es alles, was niemand braucht. Und Schuhe. Dieses Zentrum, wie es genannt wird, hat dazu geführt, daß niemand mehr ins Zentrum fährt und dort einkauft. Dort ist jetzt Platz, denn auch die Läden schließen. Und wenn sie endlich auf die Idee kommen, den ganzen Beton aufzuräumen, dann kann man dort auch wieder vernünftig pflügen und alles ist wie vorher, nur mit viel Aufwand.
Der Schuhladen ist praktisch aufgebaut. Ein langer Gang, links Herren, rechts Damen. Weil es noch so früh am Morgen ist, sind weder von der einen noch der anderen Sorte welche im Laden. Nur ein paar schuhschachtelbepackte Mädchen wuseln blind hinter ihren Schachtelbergen durch die Gänge, und als ich eine Weile auf- und abgelaufen bin, verstehe ich auch das Links und Rechts. Aha. Rosa rechts, schwarz links. Mehr scheint es nicht zu geben, aber fragte man mich, so wüsste ich auch keine Farbe, in der ich dringend Schuhe bräuchte. Schmutztolerant ist keine Farbe, nein?
Ich entere also einen Gang mit schwarzen Schuhen und stolpere über einen niedrigen Hocker. Ein Schuhladen braucht ja keine Umkleide, dafür hat man ständig lauter Menschen um sich, von denen man nie wissen wollte, wie sie aussehen, wenn sie sich zu ihren Füßen hinabbücken müssen. Nicht heute. Heute morgen ist noch niemand da. In den Regalen Schuchschachteln, und immer wieder ragt eine Schachtel keck hervor, auf ihr ein einzelner Schuh. Immer ein linker, und ich beschließe, nonkonformistisch nur noch rechte anzuprobieren. Ha!
Und weil ich nicht nur mit fremden, sondern auch mit meinen eigenen Regeln ab und zu brechen muß, probiere ich einen linken und einen rechten und laufe alsbald mit zwei verschiedenen Schuhen an den Beinen durch den Gang. Hochkonzentriert horche ich, und die Verkäuferinnen sehen mir schon ganz seltsam nach, weil ich an die Decke starre, statt auf meine Beine. Dabei habe ich die Schuhe doch schon gesehen, und ein ganz anderes Problem habe ich auch: meine Schuhe quietschen. Ausnahmslos, solange die Sohlen frei von Dreck sind. Das merkt man natürlich auf dem Teppich hier drin nicht, aber trotzdem. Ich versuche zu hören, ob die Schuhe quietschen könnten, wenn sie wollten, und nebenbei bedudelt mich das allgegenwärtige Schuhladenradio. Herrjeh. Ich halte an, weil ich vor einer Wand stehe und sehe mich um. Ich bin auf der falschen Ladenseite, schreit mir das Rosa ins Gesicht. Ich gehe ja schon, brummle ich, Frauenschuhe in Vierundvierzig gefallen mir sowieso selten, und wenn, nur an Frauenfüßen, und diese wiederum selten in Vierundvierzig, da sehen Sie mal, so konventionell sind wir heute.
Ich laufe im Hauptgang zurück und blicke verstohlen zwischen die Regale. Wo sind meine Schuhe? Sie kauern sich verschämt unter einen Hocker, und ich finde sie erst beim zweiten Durchgang. Womöglich muß ich die neuen Schuhe jetzt bezahlen, weil ich sie schon halb durchgelatscht habe, und die Kassenmädchen schauen schon wieder so komisch. Ich kremple die Ärmel hoch, mir ist warm. Meine Schuhe habe ich wieder, und in den Händen zwei einzelne. Die gefallen mir ja, aber nur im Paar. Und verflucht, wo hatte ich die nun gleich her? Die Schachteln sehen alle gleich aus, und die Probierschuhe standen einfach darauf. Die sind freilich nicht mehr dort, ich habe sie ja in der Hand. Ich fange also an, die eben hergestellte Ordnung der Mädchen wieder durcheinanderzubringen, und packe eine Schachtel nach der anderen aus. Ein Paar ist schnell gefunden, das andere wohl das Letzte seiner Art, und das in einem Schuhgeschäft!
Irgendwann bin ich, vom Geruch neuer Schuhe und der Inflation benebelt, und will zahlen. Beide Paare zusammen kosten weniger als das Paar, das auf dem Heimweg noch im Schuhcontainer landen wird.
Sind Sie sicher, werde ich gefragt. Aber das bin ich doch nie! Sehe ich etwa so aus? Wäre ich dann hier? Trüge ich dann zwei Paar Schuhe vor mir her?
- Nein, sage ich vorsichtig.
- Sie haben also keine zwei verschiedenen Füße, nein?
Einen linken und einen rechten, denke ich, aber sagen kann man das ja nicht.
-Sie haben da nämlich, beginnt das Mädchen zu erklären, Sie haben da zwei verschiedene Größen.
- Jaja, sage ich, die flachen passen in vierundvierzig, und die anderen sind vorne so eng, da hab ich mir gedacht...
- Nein, sagt sie, an einem Paar.
Gemeinsam schauen wir die Zettelchen an, die Zunge, die Innensohle. Überall fünfundvierzig, nur auf einer Sohle aufgedruckt: Sechsundvierzig. Natürlich habe ich nur einen Schuh anprobiert, und natürlich wäre mir das nie aufgefallen. Ich halte also die sehr übersichtliche und eigentlich nur aus mir bestehende Schlange an der Kasse noch ein wenig auf, indem ich die Schuhe noch einmal anprobiere. Ein Wunder, sie passen immer noch. Und unauffällig rutsche ich ein wenig über den gefliesten Quadratmeter um die Kasse: kein Quietschen. Ich bin glücklich.
Die Kassiererin nimmt mir die Kartons ab und packt die Schuhe in eine Plastiktüte. Halt, sage ich. Schuhschachteln sind so praktisch, und Tüten habe ich eigentlich genügend. Außerdem kommen die Schachteln bei Bedarf in den Ofen und geben warm, was man ja mit Plastiktüten nicht tun soll, aber das sage ich freilich nicht. Ich lehne noch das Thermovlies ab, das sie mir aufschwatzen will, und das Imprägnierspray auch. Stattdessen frage ich nach einem Schuhcontainer, und dann gehe ich lieber schnell, bevor das Mädchen noch der Schlag trifft.

Seit ich aus dem Laden komme, regnet es in Strömen. Ich gehe dann eben doch meine Gummistiefel suchen.

Rauchzeichen




traumzecher   |   16.08.2010, 20:11   |  
Gratulation zur erfolgreichen Verrichtung des Schuheinkaufs. Das mit dem linken und rechten Fuß finde ich aber durchaus erwähnenswert. Es ist ja nicht so, dass man allen Schuhverkäuferinnen blind trauen darf. Ich bin einmal mit zwei rechten Schuhen im Karton zu Hause angekommen. Passiert ist mir das vor ein paar Jahren in Kärnten, womit ich aber jetzt wirklich nichts sagen will.
Meine Schmutzfarbenen sind momentan außer Betrieb, weil, - äh Schnürsenkel...

texas-jim   |   17.08.2010, 00:29   |  
Vielen Dank! Die Verkäuferin war selbst verdutzt über den Fehler in der eingespritzten Nummer. Und Schnürsenkel gehören zu den wenigen Dingen, von denen ich Reserven habe. Oder Ballenschnüre - mit dem Feuerzeug leicht angeschmort passen sie wunderbar und sind in drei Farben (weiß, blau, schwarz) stets verfügbar.
Mitrauchen
 

jean stubenzweig   |   16.08.2010, 21:47   |  
Eine große Lesefreude haben Sie mir da eben bereitet. Wunderschön erzählt ist das. Anekdotisches Vorwort zu einer Philosophie des Schuhgenusses.

texas-jim   |   17.08.2010, 00:31   |  
Haben Sie Dank! Sollten Sie die Philosophie schreiben, dürfen Sie sich gern bedienen.

jean stubenzweig   |   19.08.2010, 12:07   |  
Die Thematik beschäftigt mich tatsächlich, so seltsam meine Perspektive auch erscheinen mag: Liebe und Ästhetik. Aber ich nehme an, dieses Schuhwerk ist «philosophisch» bereits ausgelatscht oder breitgetreten, wie auch immer man es nennen mag. Denn da gibt es zumindest einen Verlag, der Philosophie bereits aufbereitet, wenn auch «klein» und teilweise durchaus kurzweilig. Aber ich nehme an, daß es längst unzählige hochwertige Bildbände zum Thema gibt.

texas-jim   |   02.09.2010, 01:08   |  
Haben Sie Dank für die Anregung, ich habe wieder viel zu lesen.
Mitrauchen
 


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