Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

17.07.09, 11:48 | '19th nervous breakdown'
Ich stehe so da herum, im Wohnzimmer meiner Eltern, weil ich von dort am besten hinaus auf die Straße sehe. Ich werde gleich abgeholt.
Wortlos schaue ich in die Gesichter, dann auf den Schirm. Nachrichten. Es wurde eine Menschenrechtsaktivistin in Russland umgebracht, und die kokette Moderatorin scheut sich nicht, sie "mundtot" zu nennen. Sie lächelt, und mir wird ganz elend ob des zynischen Euphemismus, und ich frage mich, wer ihr die Texte schreibt, und wieviel man vorlesen muß, um ohne zu denken reden zu lernen.
Die Krise ist Thema, und sie deuten das an mit roten Pfeilen nach unten und grünen nach oben. Der grüne steht bei einer dieser jammernden Bettelbanken, die sich plötzlich darauf besonnen hat, doch noch einen Milliardengewinn einzufahren, und der Analyst deutet das als positives Zeichen.
Ich suche den Menschenverstand, doch in seinen Augen spiegelt sich nur der Bildschirm, von dem er seinen Text abliest. Ob er das glaubt? Ob er überhaupt denkt? Ob er womöglich glaubt, verstanden zu haben und erklären zu dürfen?
Ich schaue noch einmal in die Gesichter, flackernd bestrichen vom Licht. Zum Schluß wird das neue Studio vorgestellt. "Der Letzte macht das Licht aus" lächelt die Moderatorin. Sie kichert, als das Licht ausgeht. Draußen hupt es. Ich muß gehen.

Rauchzeichen




jean stubenzweig   |   17.07.2009, 14:24   |  
Nachrichtensender. Privatfernsehen. Nehme ich an, lese ich raus. Man mag schimpfen, wie man will. Aber öffentlich-rechtlich ist das mit sehr viel mehr Sensibilität behandelt worden – gerade, weil es in Ägypten offensichtlich Staub aufgewirbelt hat.

texas-jim   |   17.07.2009, 16:43   |  
Zweites Deutsches Fernsehen, Heute-Journal, gestern abend um zehn.
Zugegeben, ich achte nicht mehr auf die Nachrichten. Nicht mehr auf Zusammenhänge, nicht mehr auf Hintergründe. Ich komme mir, mit Verlaub, verarscht vor. Deshalb bin ich so bösartig, Details zu zerpflücken und aus diesen die "Wahrheit" zu lesen.

jean stubenzweig   |   17.07.2009, 18:34   |  
Ich sehe gerade – da habe ich was durcheinandergebracht. Aber egal, es bleibt schlimm. Vor allem deshalb, weil es an vielen Zuschauern hängenbleibt bzw. diese meinen, sie müßten (dürften) es der Lehranstalt nachplappern. Und somit denken lassen.

texas-jim   |   19.07.2009, 14:01   |  
Ich befürchte ja das Gegenteil. Es fällt niemandem auf. Niemandem, der sich von den Nachrichten berieseln lässt und niemandem, der sich für die Welt interessiert. Deshalb ist die Indoktrination unbewußt und um so grausamer.
Man gewöhnt sich an die Menschenverachtung, an den allfälligen Nachrichtentod. Das können die Nachrichten vielleicht nicht verhindern, aber den Umgang damit, den bilden sie mit. Und zwar mit ihrer Bildauswahl, die ich verabscheue, und ihrer Wortwahl, die mir ebenso widerstrebt. Dann doch lieber Zeitungen, denke ich mir.
Mitrauchen
 

claudiakilian   |   18.07.2009, 20:27   |  
Fernsehnachrichten sind obszön. Ich sehe mir sie schon lange nicht mehr an. Aber in der Regel behalte ich das für mich. Es gibt so wenig Menschen, die das genau so sehen und ich mag es nicht, immer wieder als Moralistin dazustehen.
Mir reicht es jedenfalls, wenn ich Nachrichten lese. Das ist hart genug.

mark793   |   18.07.2009, 22:25   |  
"Obszön" trifft mein Empfinden nicht so ganz, aber ich kann mir TV-Nachrichten (von sonstiger Fernseh-Unterhaltung gar nicht zu reden) auch seit Jahren nicht mehr antun. Das ist in hiesigen Bloggerkreisen übrigens keine sooo exotische Attitüde.

texas-jim   |   19.07.2009, 14:06   |  
Ja, Frau Kilian, obszön passt. Gewaltverherrlichend, verharmlosend, blutgeil. Nicht die Nachricht an sich, nur deren Verbreitung durch die Nachrichtensendung.

Ja, Herr Mark, deshalb behalte ich das auch meistens für mich und gehe nicht damit hausieren, daß ich nicht einmal einen Fernseher besitze. Auf das Mittagessen mit den Kolleginnen bereite ich mich sogar vor, indem ich die Kolumnen der Tageszeitungen über das Fernsehprogramm lese. Ich mag es nicht, wenn sie mir die Faszination Fernsehen nahebringen wollen.

mark793   |   19.07.2009, 15:37   |  
Ich hatte die "TV Sp*elfilm" auch lange Zeit weiter abonniert, nachdem mein Fernseher abgeraucht war und ich das Experiment startete, wie lange ich es wohl ohne aushalte. Da ich beruflich "was mit Medien" mache und auch ziemlich lange als TV-Experte gehandelt wurde, halte ich mich auch immer noch einigermaßen auf dem laufenden. Ich finde auch längst nicht alles Mist, was da gesendet wird, und nachdem meine Frau ja einen Apparat mit den gemeinsamen Haushalt einbrachte, könnte ich im Prinzip jederzeit, wenn ich wollte. Nur passt es mir (genauer gesagt: uns) zeitlich überhaupt nicht in die familiären Abläufe rein. Zudem finde ich es ok, wenn das TV für die Kleine keine Standardprozedur wird, sondern etwas besonderes bleibt bei Anlässen wie Fußball-WM oder neulich die Trauerfeier von MJ, die meine Frau sehen wollte.

Die Faszination des Fernsehens kann ich nach wie vor verstehen, das Thema als solches beschäftigt mich auch nach wie vor, die wirtschaftliche Bedeutung, die Symbiose mit Werbung und Polit-Propaganda. Aber mich dem permanent auszusetzen, das geht nicht mehr mehr. Wenn man raus ist, ist man raus, so als ob man die rote Pille genommen hätte.

texas-jim   |   20.07.2009, 09:27   |  
Die Faszination des Fernsehens ängstigt mich, weil ich sie eben von mir selbst kenne. Ich habe ja auch mal gern ferngesehen. Und viel.
Aber wenn ich mir überlege, was das Fernsehen von mir will, dann stößt es mich doch ab. Denn was will ein Unternehmen? Geld verdienen. Ich bezahle kein Geld fürs (Privat-)Fernsehen. Also muß es sonst jemand tun. Dafür bezahlen, daß ich fernsehe. Das bedeutet, es wird mehr verdient, je mehr ich fernsehe. Also ist ein Ziel des Fernsehens, mich zum Fernsehen zu bewegen. Es wird also sehr gezielt angeheizt, gelockt, süchtig gemacht. Damit wird Geld verdient.

Dann die Menschen, die fernsehen. Sie sitzen da, gebannt und reglos. Ich mag das nicht. Und man darf nichts sagen, um nicht zu stören. Da hört man lieber einer Kiste zu als einem Menschen. Ich schaue nur fern in Gesellschaft von Freunden, die genauso gern lachen wie ich. Und genauso laut.

mark793   |   20.07.2009, 12:10   |  
Sie sitzen da, gebannt und reglos. Ich mag das nicht. Und man darf nichts sagen, um nicht zu stören. Da hört man lieber einer Kiste zu als einem Menschen.

Aber hallo. Ich bin deswegen mal ziemlich durch die Decke gegangen, als mich meine frühere Freundin, der ich grad irgendwas mitteilen wollte, mit "Ssssccchhht!" abwürgen wollte, weil sie grade "Lindenstraße" guckte. Ich weiß auch noch, wie gebannt wir damals CNN bis spät in die Nacht guckten, Golfkrieg, Pete Arnett in Bagdad, bis irgendetwas in mir "Klick" machte (und bei ihr eben nicht). Seitdem sind mir Leute, die sich total absorbieren lassen von dem Geflimmer, etwas unheimlich.

texas-jim   |   20.07.2009, 21:50   |  
Ich glaube, mit Ihnen könnte ich fernsehen ;-)
Mitrauchen
 


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