Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 26. 01 24

26.01.24, 21:36
Muss ja, denke ich. So wie jede Geschichte ihr Ende finden muss.

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Ich laufe über die Flure, und es riecht kaum nach Krankenhaus. Nur der Boden ist glänzend blank vom vielen Wischen. Im Treppenhaus sehe ich eine einsame Spinne in einer Ecke. In einem Patientenzimmer ruft eine Frau, nein, sie schreit. Sie schreit in höchster Not, wortlos, laut, elend. Ich komme zu mir, als ich schon fünf Meter weiter bin, halte mich an dem hölzernen Handlauf fest, stütze mich ab, kralle die Finger hinein, spanne den Arm, der sich wieder ans Klettern zu erinnern scheint. In anderen Zimmern brummen Melder, die auf Tischen liegen. Füße trappeln über die Flure. Klare Stimmen, und wie beruhigend doch Befehle sind. Eine Frau marschiert energisch an mir vorbei, und es ist nicht ihr Kittel, der sie als Ärztin ausweist. Ihr folgen zwei Pfleger, und ich bleibe an die Wand gepresst stehen, bis ich irgendwann meine Schulter wieder spüre, dann meinen Arm, in dem stählerne Seile arbeiten, zuletzt die kalkweißen Finger. Unter die Nägel kehrt langsam das Blut zurück. Dies ist nicht mein Notfall, und ich kann hier nichts tun. Diese beiden Gedanken ziehen gleichzeitig ihre Bahnen durch meine Glieder, und so tröstend der eine ist, so niederschmetternd trifft mich der andere. Gift und Gegengift, mein Herz verbrennt, mein Kopf gefriert.

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Dass der Löwe stets nach vorn zeigt, und dass er immer in Richtung des Feuers geht, hat man mir vor vielen Jahren beigebracht, als ich die ersten Schulterklappen bekam. Nun stehe ich hier, ein zitternder Hasenfuß, und war doch schon auf den Beinen, im Galopp, hinein, hinan, bevor ich überhaupt zum Denken komme. Hätte ich das Pech gehabt, tausend Kilometer östlich zu wohnen, ich wäre wohl ebenso hervorragendes wie totes Kanonenfutter geworden.

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Ich öffne die schwere Tür. Maschinen, Anzeigen, Pfleger. Mich trifft ein Blick, der nichts mehr verbirgt, von einem, der seinen ganzen Stolz in diesem Verbergen fand. Ich lasse den Türgriff los, ich greife nach mir selbst, nehme mich in stählerne Arme, zwinge das fliehende Herz mit bloßen Händen, bekomme mich in den Griff. Nun ist die Reihe an mir, zu verbergen. Die Schultern straff, die Schritte tonnenschwer, und wenn ich jemals wieder meinen Hals bewegen kann, werde ich nach unten sehen, wie tief die Risse im Boden sind. Es ist eine irres, klägliches Schauspiel, bei dem nur mein Auge zuckt. Mir kommt der alte Bibelvers in den Sinn, nach dem man ausreißen und von sich werfen solle, was einen stört, und wie so oft fehlt mir in diesen Versen der Sinn. So passen sie dann doch ganz gut zu mir, denke ich und erzwinge ein Lächeln. Nur zwei Minuten Stille noch, und eine kleine Ewigkeit, und wenn ich wieder atmen kann, werde ich vielleicht auch wieder etwas sagen können.

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Ich kann Schmerzen sehen, und ich rechne kurz zusammen, wie lang es dauern würde, zum besten Arzt der Welt zu werden. Ich durfte mir einst aussuchen, fällt mir ein, ob ich Latein oder Französisch lernen wollte, und entschied mich falsch.

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Wenn zwei Menschen reden, die keine Worte für Hoffnung haben, und die von ihrem Schmerz nicht sprechen, dann schweigen sie. Es ist ein gutes Schweigen.

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Auf dem Weg nach draußen laufe ich an einem Raum für stillende Mütter vorbei. Gegenüber ist ein Kirchenraum. Ich setze mich darin auf einen Stuhl und springe wieder auf. Mir fallen nur Flüche ein.

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Aufrecht laufe ich an dem jungen Mann vorbei, der aufmerksam am Empfang steht. Ob er die Menschen erkennt? Draußen peitscht mich kalter Regen, und bis ich an meine Kapuze denke, bin ich längst nass geworden. Am Automat im Parkhaus drängt sich eine junge Frau vor mich, um dann angeregt zu telefonieren und mit einer Hand nach Münzen zu kramen. Ich komme mir vor, als wäre ich im freien Fall. Zum Glück wissen wir nicht, denke ich, wann wir unten aufschlagen.

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Ich sitze im Auto. Dies ist mein Raum, mein einziger Raum für mich. Die scharfen Kanten der Ski neben mir, im Fußraum Werkzeug, irgendwo eine alte Decke, die ich durch alle meine Autos schleife. Man fährt nicht ohne Decke, weil man nie weiß, wann man eine braucht. Ob man mehr braucht, weiß ich nicht.

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Mir entflieht ein Schluchzen, als hätte es sich losgerissen. Blutig, schmerzhaft bricht es sich Bahn, und mit aller Wut schnaube ich ihm nach. Noch ist das Schauspiel nicht am Ende, noch sind die Scheinwerfer an. Ich schnalle mich an, ich fahre mechanisch. Ich fahre viel in diesen Tagen, und es ist wohl ein Glück, dass ich das Fahren zu einem meiner Berufe gemacht habe. Denn ich habe es gelernt. Ich erinnere mich an den neben mir sitzenden Trainer, den Parcours, die rauchenden Reifen. Bremsen kann er, sagte er, als wir zum Stehen kamen. Bremsen kann ich am besten, denke ich, und schließlich endet jede Fahrt mit einer Bremsung. Dass diese eine, letzte Bremsung jede Fahrt entscheidet, zwischen einer kleinen Reise, gleich vergessen, und einer Karambolage. Und es endet doch, so gut auch einer bremsen kann, jede Fahrt und jede Reise.

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Auf der Suche nach Treibstoff für meine Reise laufe ich durch einen Supermarkt. Ich sehe kaum die Regale, und irgendwo bleibe ich stehen, um mich zu besinnen. Ich könnte essen, denke ich, was immer mir schmeckt, und das ist ein wirklich anstrengender Gedanke in diesem Augenblick. Ich rechne dann schnell nach, wie viele Scheiben Brot ich mir jeden Monat kaufen könnte, und wie wenige davon ich jeden Tag nur essen kann. Vor mich tritt ein vierschrötiger Kerl, ein Baum von einem Mann, die Augenbrauen eilen ihm vor. Er zögert, hält inne, lässt mich schließlich durch, sieht mir kurz nach. Ich habe das Brot vergessen, merke ich an der Kasse, und auf einem hölzernen Klappstuhl sitzend esse ich Thunfisch aus der Dose. Immerhin eine Gabel habe ich, und ich schaue sie lang an, als wäre sie ein Siegeszeichen. Ich hätte mir wohl einen Teller kaufen können.

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Die Muskeln sind müde, die Knochen morsch, die Eingeweide krampfen. Der Wille ruft das Fleisch zur Ordnung, und das Fleisch hört.

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Autofahrten, Kleingeld in den Parkhausautomaten. Jede Parkmünze heiß in meiner Hosentasche.

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Fahrten enden, Krisen verebben. Sie enden nicht, sie klingen aus. Ich finde mich am Ofen stehend, starre ins Feuer und finde doch den Moment nicht, an dem es sich in der Glut verliert. Jedes Feuer geht aus, sangen einst die Helden, nur pustet die einen der Wind aus, während andere verglühen. Es ist schon wahr, dass alles fließt, nur mündet auch der größte Fluss.
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