Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Dienstag, 16. 01 24

16.01.24, 20:50
Irgendwann vor dem Jahreswechsel, da wurde ich um Hilfe gefragt. Ich atmete ein, zwei Male tief durch, sah mich zuerst nach allen Seiten um und dann zu.

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Eine problemlose Bahnfahrt, auf der ich sogar schlafen konnte, verging und brachte mir schmerzende Knie ein. Die Sitzabstände würde ich mir größer wünschen, aber das nehme ich doch glatt in Kauf, um über Nacht und somit ohne Verlust eines Arbeitstages und ohne Bank- und Klimakonto zu überlasten, einmal längs durchs Land zu poltern.

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Es ist eine Heimkehr auf dieses Fischland, es ist mir ein Fest, und ich werde nicht müde, mich zu fragen, mit welchem der vielen Bodenbearbeitungsgeräte, mit denen ich hier schon Bahnen durch den Sand gezogen habe, ich ganz nebenbei mein Herz hier vergraben habe.

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Ein Schnellwaschgang Hofbetrieb. Ich bin ein wenig stolz auf mein Können, ein wenig stolz auf das Vertrauen, das mich zum Knecht von Rindern, Pferden und Hühnern macht. Und natürlich für die Hofkatze, doch die führt ja auf dem Fensterbrett selbst dann ihr Aufmerksamkeitsballett auf, wenn es sie vor Futter fast verreißt.

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Jeder Satz ein blanker Irrsinn. Das ist mir durchaus bewusst, und ich denke darüber nach, ob ich daraus Konseqenzen ziehen muss. Es ist kein angenehmes Denken in meinem Kopf, gerade.

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Ein Abend, an dem wir beisammensitzen und Rommé spielen bis in die Nacht. Zwischendurch schaue ich mich um und denke, dass die andern beisammensitzen und ich dabei. Wie gesagt, das angenehme Denken ist woanders.

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Ich richte es immer ein, dass ich zum Sonnenaufgang zwischen den Pferden herumstehe. Leider sehe ich auf meinem Selbstportrait so mürrisch aus, dass ich es nicht zeigen möchte.

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Mich zwischen die Rinder stellen, um in der einzigen Menge zu stehen, die ich eng an mir ertragen kann.

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Ein kurzer Gedanke an ein ebenso kurzes Gespräch. Ohne Arg zu sein ist mein Ziel, ohne Arg zu sein war mein Verderben. Distanz, die nicht grollt, wäre ein besseres Ziel.

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Am Abend kaufe ich ein Buch über Meditation und bin nach einer Seite genervt genug, dass ich es weglege. Trotzdem bleibt mir eine der Fragen für den Rest der Zeit im Kopf.

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Beim Misten fast ein Huhn geköpft. Meine Güte, schimpfe ich mit dem armen Tier, als ich es aus der aufgewickelten Plane befreie, und abends lese ich dann nach, wie intelligent diese Tiere doch sind, und neben meine quälende Scham, nicht besser aufgepasst zu haben, gesellt sich der Ärger, diese gefiederten Kolleginnen bisher so unterschätzt zu haben. Ich hatte einst mit Käfighaltung zu tun, mit Putenschlachtung und mit Masthähnchen, und was soll ich sagen, ich habe damals wohl etwas verloren. Ich stehe dann lang im Mobilstall, lasse die Chicks aus der Plastikschaufel picken und freue mich am Geräusch. Was sie sich wohl zu erzählen haben?

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Am späten Abend mein Kontrollgang über den Hof. Wie einst den Onkel treibt es mich hinaus, ich kann nicht einfach so zu Bett gehen. Ich horche, ich leuchte mit der kleinen Lampe hier und dort, ich sehe in große Rinderaugen und auf abgewandte Pferdehintern, schließlich stehe ich im Wind. Tränkebecken enteisen, sage ich entschuldigend, und dann schaue ich doch ganz lang noch hinauf in den Himmel zu den vielen Sternen. Und wenn es dafür zu trübe ist, dann sehe ich vielleicht am anderen Ufer ein Licht, oder den Leuchtturm in der Ferne. Es ist eine andere Art des Alleinseins hier.

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Ich hole viel Mist ab von einem Betrieb, der aussieht wie geschleckt. Pferde von Städtern, und sie bringen ihre Stadt mit sich, während ich von meinem hohen Dieselross herabschaue und meine Welt mit mir trage. Den leeren Container absatteln, den vollen Container aufsatteln. Wenn sie sehr voll sind, ist das eine spannende Geschichte mit kleinen Hebelchen und großen Hebelkräften. Es dauert Tage, bis meine Anspannung dabei nachlässt.

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Ebenso dauert es Tage, bis ich den Rhythmus wiederfinde. Wo ist mein Werkzeug, wo sind meine Arbeiten, die Wege werden unbedacht und dadurch kürzer, die Aufmerksamkeit wird frei. Als es eines Morgens stürmt, fahre ich hektisch zu den Hühnern, und tatsächlich hat der Sturm den Zaun umgedrückt. Ich bin stolz. Es ist ein Irrsinn.

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Bauernproteste. Dabei wollen wir doch nur Bauern sein. Mehrmals werde ich nach dem Stand gefragt, und ich antworte dann in meiner Sprache. Sie lassen dann ab von mir, denn die Geschichte vom Schweizer hier im Norden, die hat man hier oben wohl schon überall gehört. Ein Schweizer! Ich schüttle - Ha no! - immer noch den Kopf.

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Du bist ein Pedant, sagt einer, und er sagt das lobend. Wollen wir telefonieren, fragt eine, die ich zuletzt vor Jahrzehnten gesehen habe. Es ging um Nullstellen damals, heute besetzt sie Stellen mit Gehältern voller Nullen. Ob wir nicht gemeinsam viele Treppen steigen wollen, fragen wir uns lachend, und es ist ein Irrsinn, auch wenn man dabei lacht.

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Durch den Rechner spreche ich wie in eine andere Welt. Es ist ein Irrsinn, ich erwähnte es bereits.

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Studenten und Rinder. Die einen füttere ich mit Kartoffeln, die anderen sollen Wissen fressen.

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Es ist dann doch ein seltsames Gefühl, in dieser Werkstatt über einem Motor zu hängen. Diverse Schläuche, Bleche, Schrauben. Ein schmaler Weg zur Lichtmaschine. Die Spannrolle spannt den Riemen mehr, als ich ihn ziehen kann. Ich nehme Ballenschnur und eine Ratsche, ich mache ein Foto, weil ich Menschen kenne, die darüber lachen können, und tatsächlich klemme ich mir nicht die Finger ein, sondern reiße sie nur an einer Kante etwas auf. Den Dreck, denke ich mir, werde ich auch Tage nicht mehr los. Den Duft hoffentlich nie, denke ich, aber es ist ja doch nur Irrsinn in der Luft.

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Ich rechne Eier hin und her, zähle vor- und rückwärts, aber ein Ei fehlt dann doch immer. Es haben schon hundert gefehlt, sagt man mir später. Und unermüdlich fülle ich den Automaten nach, schreibe Zahlen auf eine Tafel, fülle Schachteln, bewundere große, kleine, faltige. Es gibt faltige Eier, und die zählen als defekt, die esse ich einfach selbst. Zum Glück sind es nicht viele, wegen des Cholesterins und so. Im Eierbusiness, es ist ein Irrsinn.

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Eine Bahnfahrt, und noch eine, und eine dritte. Die Knie schmerzen, der Rücken auch. In einem Zug begegne ich einigen Handwerkerlehrlingen auf dem Weg zur Berufsschule. Sie haben Koffer und Taschen dabei, man bleibt dort eine Woche. Sie reden über Zimmeraufteilungen und tragen ihre Wasserwaagen mit Bedacht. Einer hat einen Eimer, Maurerkelle und Traufel dabei. Sie lachen und erzählen sich Meisterpläne.

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In einem großen Hauptbahnhof am sehr sehr frühen Morgen sehe ich einen Obdachlosen, der sehr bedacht seine wenigen Habseligkeiten in zwei Plastiktüten packt. Selbst die haben Löcher, denke ich. Ich sehe seine nackten Fesseln aus den Schuhen schauen und schäme mich für meine Winterjacke, mit der man wohl zum Mond laufen könnte, und mein Geldbeutel mit der wärmenden Kreditkarte wird mir heiß am Hinterteil. Und damit, schelte ich mich, hast Du noch Angst, dass eine Bahn Dich in der Nacht nicht mitnimmt. Es ist doch ein Irrsinn in der Welt.

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Ein letzter Bahnhof, ein Umstieg ins Auto, zwei Stunden Fahrt. Ich bin nicht müde, das ist es nicht. Ich bin erschöpft, ich bin leer, und ich stehe erst am Wochenanfang und noch viele Stunden auf der Bühne mit der grünen Tafel. Ich werde büßen müssen, da bin ich mir plötzlich sicher, ich werde einst büßen müssen, und weiß doch nicht genau, wofür. Für sich selbst zu leben, sagen sie, aber lebt man nicht allzu sehr für sich, wenn einen keine Nachricht trifft, keine Stimme anspricht? Was, wenn im Inneren nur Leere ist? Die passt ja noch ganz gut, denke ich, neben den ganzen Irrsinn.

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Es vergeht die Zeit, ob ich will oder nicht. Das Huhn legt, und ich esse vom Rind. Ich kann schlecht laufen mit den alten Knien, aber immer noch nicht richtig reiten. Ich mache sicher alles falsch, aber meine Güte ist das wunderschön.

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Es ist kurz vor acht am Abend. Vor meinem Büro wirbeln die freundliche Putzfrau und ihr flinker Kollege. Was sie wohl denken über den Mann, der jeden Abend vor seinen hellen Bildschirmen sitzt? Es muss ein Irrsinn sein, der ihn plagt, ganz sicher.
# |  Rauchfrei | Gas geben


16.01.24, 13:26
Die Herleitung des Nyquist-Kriteriums ist ein reichlich wilder Ritt.
# |  Rauchfrei | Gas geben