Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Mittwoch, 12. 08 15

12.08.15, 15:22 | 'Nachdenken im Dativ'
Eine sehr umfassende Ratlosigkeit gerade.
# |  Rauchfrei | Gas geben


12.08.15, 11:22 | 'Night after night'
Ich war wieder den ganzen Tag nicht draußen, habe die Welt nur durchs Fenster gesehen, wenn mir keine Worte mehr eingefallen sind. Dann dusche ich, werfe mich in das enge Hemd, richte mir die Haare und schwitze schon wieder, als ich zum Auto laufe.
Eine Stadt als man in the middle. Eine Stadt, zu der wir beide eine Stunde fahren müssen. Fast hätte ich mir den Rechner ins Auto gepackt, mich aber dann doch einen Narren geheißen.
Du kennst Dich hier aus, hast hier mal ein Jahr wohnen müssen, wie Du mit lachendem Kopfschütteln mal erzählt hast. Ich fahre dem Navi und der Nase nach, und dann sitze ich auf einem Brückengeländer und schaue den Menschen zu, wie sie im Heck ihrer Motorboote sitzen. Ein kurzer blauer Rock, eine rote Bluse, das Gesicht erhitzt. Du bist da, und wir umarmen uns.
Laufen dann durch die Stadt, reden und essen, und unsere Bögen um die Themen sind kleiner. Immer wieder etwas, das wir uns schon erzählt haben: Weißt Du noch, als wir hier waren? Diesmal habe ich aber Geld dabei, lache ich. Weißt Du noch, hier und da? Was macht das Pferd, was macht die Diss, was macht die Arbeit, war da nicht was? Du erzählst vom Laufen im Gewitter mit einem Freund, und es ist die Phrase oder die Betonung, ich weiß es nicht, was mich daran sticht. Ich würde gern mehr wissen, ich würde gern alles wissen, und auf der anderen Seite wäre auch längst nicht alles glorreich und erzählbar was mich angeht in dieser Zwischenzeit. Und vielleicht ist das bei Dir ja auch so, hoffe ich ein wenig vor mich hin, daß vieles einfach nicht erzählenswert ist.
An Deinen Fersen kleben Pflaster, und wenn Du gehst, sieht man Deinen Beinen nicht mehr nur das Laufen an, sondern auch die Jahre. Das trifft mich ein wenig, weil man mir das nicht ansieht, weil ich Dich gern perfekt hätte, engelsgleich und unberührbar, weniger menschlich vielleicht.
Das alte Spiel mit dem Schwaben und dem Bezahlen, und wie immer komme ich an Deiner Großzügigkeit nicht vorbei. Dann sitzen wir wieder in unseren Autos, Du öffnest das Dach und fährst dann hinter mir. Ich sehe Dich im Spiegel, die flache Scheibe des Cabrios, die Sonnenbrille, eine Haarsträhne im Wind.
Wir fahren auf eine sommerharte Wiese ein, stellen die Autos ab. Ich stehe neben Dir, als sich das Dach schließt, und ich kann Dir das Glück ansehen. Ein Cabrio taugt Dir wie mir das Motorrad, denke ich, und dann hebe ich die Absperrbänder an, damit Du unter ihnen hindurchlaufen kannst, eines nach dem anderen.
Wir holen uns zu trinken, wir suchen uns Plätze, ich sehe Deine offene Hand, die ich so lang gehalten habe, mein Rettungsanker, mein Bohrhaken, mein wärmendes Feuer, bevor Du mich hast fallen lassen ins tiefe Wasser, ein endloser Sturz, dunkel und kalt. Ich nehme Deine Hand nicht.
Du ziehst die Beine hoch, legst die Arme um die Knie, und so saßen wir auch schon einmal, damals. Daß es jetzt schon ein Damals gibt für uns. Ich schaue Dir auf die Beine, als könnte ich das unauffällig, und ich schaue den Schatten in Deinem Dekolleté nach, und ich schaue Dir in die Augen, aber die sind vielfarbig, tief und gefährlich.
Wir sehen uns Bilder an von Island, und vorne steht einer mit einer Gitarre, und dann sagen wir Island! und ich sage Moped, und Du sagst Pferd, und gemeinsam sagen wir wieder: zu Fuß! Ach, Traumwelt.
Nun die Filme. Da hängt einer mit einer Hand an einem Kran, ganz ruhig, da fährt einer bei Nacht mit dem Kajak einen Wasserfall hinunter, da fahren sie mit Faltbooten durch die Mongolei, da radeln sie wild und wedeln bei Nacht durch den Schnee. Pause.
Du erzählst von den Kursen, die Du mit dem Kajak gemacht hast, und mit dem Freund mit Betonung. Du erzählst vom Urlaub, der noch nicht geplant ist, aber Du fährst sicher noch weg, und diese Schnelligkeit und Entschiedenheit bewundere ich ja an Dir.
Ein Film dreht sich um Mut. Um Angst. Daß man sich entscheiden kann, und daß Mut nur die Entscheidung gegen die Angst ist. Daß Angst unfrei macht, und in dem Moment sieht man dem jungen Gesicht auf der Leinwand an, wie er um Freiheit ringt. Daß er für diese Freiheit irgendwann sterben wird, daß Mut auch nur Flucht vor der Angst ist, aber vielleicht in die richtige Richtung. Mutig sein, denke ich, und mutig zu reden. Fest auftreten statt zu schleichen, und da ist man dann ganz schnell einen Schritt zu weit, und so nehme ich Deine Hand weiter nicht, denn sie gehört Dir und nicht meinem Mut, aber wie sie zwei Hände je berühren sollen, das weiß ich ja auch nicht.
Ich habe mir ziemlich weh getan mit Dir, denke ich in der Pause, und ich würde genau dieses Risiko wieder eingehen. Ich würde mir wieder weh tun. Vielleicht ist das Mut. Ich überlege, was ich erwarte, und mir fällt nichts ein. Ich fülle unsere Gewinnspielkarten aus, ich weiß Deine Straße noch, nur Deine Postleitzahl muß ich eben nachschlagen, und als Du wiederkommst, lachst Du, ob ich schummle.
Sie rufen dann schnell die Gewinner aus, da stehe ich noch dumm im Mittelgang. Du lachst, den verlosten Rucksack hättest Du gebrauchen können, und in dem Moment hätte ich Dir alle Rucksäcke dieser Welt gekauft. Stattdessen schiebe ich nur die Karten in die Tasche, wo sollte ich auch hin damit. Es gibt ein zu spät, denke ich, das gibt es wirklich.
Dann wieder Filme. Höhlen, und ich flüstere Dir ein paar Sätze zu von der Höhle auf Kuba, in der ich für ewige Jugend gebadet habe. Klettern im Eis, Klettern ohne Seil. Bilder von Fingern, die sich an winzige Felsvorsprünge klammern. Ein Lächeln des Kletterers, und ich gehe unwillkürlich jede Bewegung mit. Ich versuche, Freiheit zu beschreiben. Es wird kühl, Du trägst jetzt ein Tuch um den Hals und eine Weste um die Schulter. Ich glaube, Du hast kalte Hände, aber ich lasse sie. Ich sehe kurz nach meinen Nachrichten, während Du nach Deinen siehst. Die Filme sind vorbei, die Leute drängen sich nach außen. Ich bin noch voller Bilder, unsortiert, durcheinander.
Bei den Autos umarmen wir uns. Lass uns mal schreiben, sagst Du. Ja, sage ich, und wir umarmen uns noch einmal. Mut, denke ich, und weiß dann, was ich will. Ich will, daß Du willst, daß ich mutig bin.
Ein paar Straßen, dann die dunkle, leere Autobahn. Breit und nachtschwarz, und weil ich nicht weiß, was ich hören will, drücke ich die Radiosender durch, drehe dann die Lautstärke auf. Gitarren wie Stromschläge, das Schlagzeug wie ein Tritt, die Stimme von allen Seiten, daß sie auch aus mir kommen könnte. Ich singe unhörbar, klopfe einmal auf das Armaturenbrett. Gas.
Drehzahlmesser, Tachometer. Die Nadeln ziehen synchron hoch. Die Verbindung zwischen Gasfuß und Geschwindigkeit ist kein Gummiband, sondern hart und direkt, wie bei allen starken Fahrzeugen. Ich mag das, und während ich über die Bahn fliege, denke ich an all die Schrauben, die ich an meinem Auto schon angezogen habe. Räder. Bremsen. Verkleidungen. Magst Du, flüstere ich mit dem Gasfuß, und heute nacht mögen wir. Ich singe Lieder mit. Ich denke an die heiße Diskussion, die wir damals geführt haben, als ein schnell Fahrender bei Nacht eine langsam Fahrende vielleicht bedrängt hatte, ohne sie zu berühren, und diese daraufhin von der Straße abkam, aber ich weiß nicht mehr, wie ich damals argumentiert habe und ob da eine Ähnlichkeit zu aktuellen Fragen besteht. Ich bin schon lang nicht mehr so schnell gefahren, ich bin der Regler, der uns auf der Straße hält. Die Unebenheiten versuchen, die Räder abzuschütteln, die Dämpfer pumpen und rütteln, und ich nehme weiße Linien als Begrenzungen wahr, gleiche die Ausschläge aus. Ich kann den Turbo fühlen, als es bergan geht, das Grollen wird zum Fauchen, knapp unter Vollast sind wir am besten. Als die Geschwindigkeit wieder begrenzt wird, lasse ich es ausrollen, lasse das Öl von der Luft kühlen und die Hitze aus den Teilen nehmen, die ich eben noch so geplagt habe. Irgendwann rollen wir durch meine Straße, irgendwann schließe ich meine Tür auf, irgendwann liege ich mit einem Bier im Bett und schaue in die Luft. Vielen Dank für die Einladung, schreibe ich. Komm gut nach Hause. Dann drehen die Gedanken weiter die Bilder an mir vorbei, von mir und von irgendwem und von irgendwas, und je mehr ich denke, um so weniger weiß ich dann. Mut.
# |  Rauchfrei | Gas geben