Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 6. 04 06

06.04.06, 13:24 | 'Keep on ploughing'
Freitagabend, nicht von dieser Welt. Da sitzt man, und ist sich nicht einig mit sich selbst, stöbert in Büchern und CDs.
Ein Wortschwall bricht sich an mir, an meiner ruhigen Stimme, an kurzen, aufmunternden Sätzen, an dem Brummen, das fürs Telefon gemacht ist. Nachtschicht, alleine, Langeweile, KommstDunochmit?
Ich bin unschlüssig, und wenn ich unschlüssig bin, dann dusche ich nicht. Dann bleibe ich stattdessen in ländlichen Duft eingehüllt auf dem Boden sitzen, nie auf Polster in Arbeitskleidern! und warte, daß es zu spät wird für alles und ich mich nicht entscheiden muß.
Eine Viertelstunde später steige ich aus, ungelenk, ohne mich am Dach festhalten zu können. Cabriolet, Cabriolette, denke ich. Wie cabrio kann ein Golf überhaupt sein? Womöglich das Cabriolet after all, nur Auto, sonst nichts. Mehr transzendent als unscheinbar.
Wärmer wird es davon nicht, also gehe ich ums Haus. Die Tür springt auf, bevor ich klingeln kann.
Langeweile, sagt die Mutter, ruf doch den Texaner an. Hat sie gemacht, sagt sie.
Da bin ich also, sage ich, und breche mir ein Stück vom Tortenboden ab. Gehen wir?
Durch den Flur hüpft sie voran, Flip, Grapevine, Hip & Heel. Trägt sie überhaupt Schuhe?
Ich fahre, sie navigiert. Hundert Meter, straight links. Hätten wir auch laufen können, sage ich.
Dann sind wir aber doch garnicht richtig weg.
Richtig. You´ve got it, little diamond. Deshalb und dieserwegen. Ich fahre rückwärts in die Wiese und steige aus. Also doch Schuhe, die Absätze bleiben stecken. Kartoffelstupferschuhe, sage ich, als ich die Arme unter sie lege. Sie lässt sich fallen, ich trage sie zur Tür. Ein Arm um meinen Hals, ich rieche Parfum und Haarspray. Kein Nuttendiesel, kein Mückentod, Blumenwiese irgendwie.
Drinnen Bekannte von ihr. Zu jung - man sieht Deinen Tanga, Du hast einen fetten Arsch - komm her, Bussi, Bussi. Die Hände an den Schenkeln der Mädchen. Sie lernen noch. Wissen mehr als ich, vielleicht, und lernen trotzdem noch. Never touch, never stare, never have, never will.
Es ist eng und laut. Ich lehne an der Wand, ein Fuß angewinkelt, Steh´n Sie bequem! Sie steht vor mir, erzählt. Vornübergebeugt, mit den Händen an meine Schultern gestützt; ich trommle auf meinen Schenkeln den Takt. Augenfeuer, Atemhauch. Ich kann den Blick nicht niederschlagen, in keinem Sinne. Ich schließe die Augen von innen, Fokus auf unendlich, alles verschwimmt. Ihr Vater sitzt an einem der Tische, er ruft herüber, Noch zwei auf mich für die beiden! Ich proste ihm zu, und wir gehen. Never have, never will.
Ich biege rechts ab, rausche durch den Wald, die alte Steige hinunter. Reifenpfeifen, Lenkradzittern. Sie schlägt den Takt. Du hast es mir versprochen. - Wir sind auf dem Weg.
Der Kühler knistert in der Kälte, als wir aussteigen. Turbomotoren immer nachlaufen lassen, sage ich. Sie hakt sich bei mir unter.
Drinnen ist es dunkel, verraucht. Nebel mit Erdbeergeschmack übertüncht den Dunst, den sie nicht orten kann, nicht katalogisiert hat. Ich habe ihn, habe Wochen hier verbracht. Vierzig Fieber, Zimmermannshammer, Käfigreihen. Ein einsames Tier im Dämmerlicht, vollendete Einsamkeit, vegetieren als Minimalleben. Andere Geschichte, andere Zeit. Now and then, now or never, Lichtorgeln in Rot und Gelb. Zwei Scanner flackern ungesteuert, parallel. Ich gratuliere, stelle vor, wir setzen uns.
Rittlings, denke ich, gibt es ein besseres Wort, um sich auf Bierbänke zu setzen? Rittlings, um sich in dem Lärm unterhalten zu können, rittlings, um sich abzugrenzen, rittlings lehnt sie sich an. Ich lege den Kopf an ihre Schulter, ihre Halsvene schlägt an meiner Wange. Eine Hand an ihrer Seite, Rippenbogen, Herzschlag, Atmung. Wer bist Du, fragt das holzspaltende Mädchen. Ist das Deine?
Ich bin zu langsam, sie nickt. "Tell me, are you a Christian child - Man, I am, tonight"
Ich sinniere über Possessivpronomen, über ein ausgesprochenes, unbeachtetes Selbstverständnis. Deine, meine, unsere, gehören, gehorchen. Die beiden schwatzen, sind sich sofort einig und finden Themen, finden gegenseitigen Zugang, eine Leichtigkeit, die mir verborgen bleibt. Reden ist leicht, Gefallen schwierig, verstanden werden unnötig. Never have, never will.
"Boy, you´ve got a prayer in Memphis." Hier huldigt jeder seinem Gott. Nicht versteckt, offen und bloß, dargelegt, nicht dargestellt. Sechzehnjährige brüllen Auf gute Freunde, Dreißigjährige schauen sich selbstverständlich an, stehen einvernehmlich auf und gehen. Zwanzigjährige haben ihre Hände ineinander vergraben, keine Sekunde Stillstand, Tränen und Hass, Lachen und sowas wie Liebe. Verlangen vielleicht, man weiß es nicht. Hin und her, auf und nieder, nur ich muß immer kotzen auf der Achterbahn des Lebens.
Man sieht nur dran, niemals hinein, sage ich. Und, Komm, wir gehen.

Am nächsten Tag Augenzwinkern, draufgehau´n, nettes Ding, alles klargemacht, wie lange schon? Ich ekle mich davor und suhle mich darin. Erfinde irgendeine Geschichte vom Kennenlernen, vom Streit am Morgen und vom Trennen. Alles nickt, verständnisvoll, hat halt nicht sollen sein. Gelistet, abgehakt, so ein nettes Ding.
Die Wahrheit will niemand hören, niemanden will die Wahrheit hören. Mitleid und Trost allenthalben, aufmunterndes Biertrinken, schlußendlich fremdes Bett, fremder Körper in meiner Armbeuge. Lüge wird zur Wahrheit, Wahrheit zur Vergangenheit. Konformität, den Schein wahren, dahinter jemand anders sein. Geht nicht, der Schein, der Anzug, den man sich selbst schneidert, passt irgendwann, den Knopf vergessen, kein Abstreifen mehr. Suit yourself.
Wieder Anerkennung, ganz toller Hecht. Nicht einmal mehr das bessere Wissen bleibt einem, die Wahrheit gibt es nicht mehr. Weiß und Schwarz mischen sich, ergeben das übliche Grau. "Weil im Weißen alle Farben sind." Ergebenheit in die selbstgestrickte Weste. Wenigstens die Ärmel sind auf dem Rücken verknotet. Never have, never will.
Never know.
# |  2 RauchzeichenGas geben