Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 14. 04 06

14.04.06, 14:03
Ich kann garnicht sagen, wie sehr ich sie hasse, diese Tratschweiber. Tratschen und Weiber im schlimmstmöglichen Sinn.
Jedes Jahr an Karfreitag hole ich meine Blumen in der Gärtnerei.
Haben die denn heute auf?
Natürlich nicht. Aber arbeiten tun sie. Und da gehe ich dann eben vorbei und...

Das alles sagt sie, und: Kaffee?, Ja, gerne, ohne Milch und Zucker, ist ja Karfreitag; ich sitze daneben, noch zur Hälfte im Schlaf, die andere Hälfte schon kochend vor Wut. Und sie setzt sich, neben mich, und redet; War ja alles besser so, sonst Pflegefall vielleicht, Hirnschäden und so, man weiß ja nie; kein Beileid von ihrer Seite, nicht einmal, und das muß man ihr wohl zugute halten, ein ausgesprochenes, formelhaftes; nur das gierige Aufsaugen der neuesten Nachrichten, aus sicherer Quelle, aus erster Hand; was diese Informationen aus dem Innenleben unserer Familie wohl wert sind am nächsten Tisch, den sie begattet; sie hängt sich immer halb über den Tisch, inspiziert und sieht aus wie eine Registrierkasse, die Augen rollen, und Rrring: ein Fleck auf dem Tischtuch; Rrring: der Jung noch im Schlafanzug; Rrringrrringrrring.
Mein Mann kocht ja auch oft, sagt sie, weil mein Vater in der Küche steht. Fischstäbchen, sagt sie, und ich weiß, daß ich nie wieder welche essen werde; und sie sagt, Nimm doch den Topf für die Kartoffeln zu meinem Vater.
Ich kann garnicht so ätzend sein, wie ich sein möchte. Ich hätte sie draußen an der Tür stehenlassen, am Telefon mache ich das ja auch: Keine Ahnung, ob meine Mutter da ist, keine Ahnung, wann sie wiederkommt, kann ich Ihnen nicht sagen; Betonung auf "Ihnen": "Ihnen" ist Distanz, "Ihnen" ist "Jedem andern könnte ich es sagen"; Ja, rufen Sie einfach noch einmal an, wenn es Sie interessiert.
Die kleinen Spitzen prallen an ihr ab, an ihrer Selbstsicherheit, Überheblichkeit. Frechheit, sagt sie, und Unverschämtheit, am Karfreitag so laute Musik; und ich drehe noch ein wenig hoch, Trennfrequenz nach oben, Tiefpass, das menschliche Tief filtern, mehr Gas; wenigstens lauter als die alte Kneifzange möchte ich sein, wenn ich schon gebunden bin, nichts zu sagen; schließlich bin ich hier nur mehr Gast; kein Hausrecht mehr: stand on your own feet, darling; und nochmals Frechheit, Unverschämtheit; und ich sinniere darüber, wie es ist, unverschämt, ohne Scham zu sein; wie es wäre, muß ich sagen.
Sie ist immer noch da, immer noch die Nachrichten in sich aufsaugend; und das einzige was mir bleibt in meiner Gebundenheit ist das Verweigern des Grußes, niemals werde ich das tun, und das heißt schon was bei mir. Jugendrotkreuzweg, sagt sie, und ich beiße mir auf die Lippen, beiße mir auf die Zunge, kaue und schlucke hart an meiner Entgegnung, still und stumm. Kein Wort ist sie wert; Schrapnelle prallen ab; die schweren Geschütze habe ich am Eingang abgegeben, zur Verwahrung; waffenfreie Zone nicht unbedingt, wehrlose Zone trifft es besser.
Ich frühstücke genüßlich, überlege, ob die Dose Wurst schon als schweres Geschütz eingestuft wird, an so einem Karfreitag, an dem die Menschen sich von ihr kontrollieren lassen müssen, die Gebundenen und Versehrten, offene Flanke durch die Familienangelegenheiten, die gestern schon durch die lokal-orale Presse geisterten, noch bevor ich überhaupt den Anruf bekam und erstarrt nach Hause trottete; da schauten sie schon; Schau! der Jung, den hat es hart getroffen, Jaja, sowas; Ich hasse euch, die ihr euch das Maul verreißt; ich laufe hier jeden Tag, und ihr macht die Spießruten heute; und was bleibt mir übrig als den Kopf hochzuhalten und die Augen zusammenzukneifen; sonst bliebe mir nur, den Kopf zu senken und euch einfach zu ersäufen wie junge Katzen, Mord am Schiedsgericht; Notwehr, Selbstverteidigung.
So viele junge Leute am Jugendrotkreuzweg, sagt sie nochmal, bedeutsam, schwergewichtig, und schaut mich an. Ich ziehe die Nase hoch; wie gerne würde ich jetzt auf den Boden spucken; senke den Kopf wieder und esse weiter. Die Wurst bleibt Traum; ich hasse süßes Frühstück, ich hasse süßes Mittagessen; ich hasse ihr Honiglächeln, triefend und schleimig vor Neugier und Rechtssicherheit.
Ich sage nicht, daß ich zu der Zeit lange schon im Stall war, klänge zu sehr nach Verteidigung; und mein einziger Stolz ist noch, mich eben nicht zu verteidigen; ich sage es nicht, weil sie sich einen Reim macht: Ha! So ein Schicksalsschlag, und am nächsten Morgen schon wieder im Stall, denen muß es schlecht gehen, alleine bringen die es nicht fertig; deshalb kann ich nichts sagen; Alles was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden; und ich weiß, das Jüngste Gericht ist schon lange da, sie sitzt zur Rechten Gottes, zu richten die Lebenden und die Toten; so stelle ich mich tot, dann ist das Urteil endgültig, die Verdammung ausgesprochen und besiegelt durch das Fett ihrer dicken Finger auf meiner eigenen Kaffeetasse, so verlangt sie wenigstens keine Verteidigung, muß ich nicht zu meiner Verdammung noch andere hinzurufen.
Wenn Dich der Wahnsinn anlacht, lach zurück, sagt eine Freundin von mir, stets bevor sie in Tränen ausbricht; ich lache nicht, und ich weine nicht; ich hasse nur: hasse es, meine Trauer zerwühlt zu sehen von diesen Säuen, nach Nachrichtentrüffeln suchend; Putzen tut sie fleißig, trotz des Unglücksfalls, und der Jung, der bleibt stumm da sitzen - Fischstäbchen an Karfreitag, mein Mann kocht ja auch so gerne; hasse es, eine Reaktion zeigen zu müssen; hasse es, wenn sie das Haus betritt, in dem ich Gast bin - meine giftigen Gedanken müßten jeden normalen Menschen verscheuchen, umbringen die Zartbesaiteten; nein, zart ist sie nicht, das steht einer selbsterkorenen Richterin nicht an; da sitzt sie immer noch, innerlich aufrecht, nach außen hin über den Tisch hängend, der schon zu ächzen beginnt; was hat ein hundert Jahre alter Tisch nicht alles erleben müssen - nun auch noch das; und keiner, der sich wehrt; sie redet allein für sich, kein Widerspruch, keine Zustimmung; noch Kaffee; ich stehe auf und ziehe eine andere Tasse aus dem Schrank; meine, mein Geschenk, mein einziges Tück Nippes; lasse ich in den Ausguß fallen, dort bricht Stein an Stein; die Scherben werfe ich in den Müll, während der Kaffee durchläuft. Sie bekommt ihren Kaffee in einem schwarzen Becher; während sie trinkt kann jeder das Signum auf dem Becherboden sehen; meine kleine Rache für diesen Karfreitagmorgen; für meine gestohlene Trauer, die ich nun ersetzen muß durch eine Maske; ein aufgesetztes Marmorgesicht, das ich teuer bezahlen muß, weil es mir nicht passt und nicht gefällt; es wird mich zerschinden und blutig kratzen; befleckt die Herzensgute, die mich lehrte, was ein Geschenk ist, jetzt erst vor ein paar Tagen; ohne Grund, ohne Gegenleistung, jemandem eine Freude machen, sich freuen, wie sich jemand freut; das ist ein Geschenk; und sie war ein solches, ein himmlisches; gerade noch rechtzeitig erkannt und angenommen; ihre kleine Hand in meiner, sie drückt ihr Geschenk in meine Hand ein, wo es immer bleiben wird; das Gute im Menschen, in diesem Menschen; ich wollte viel mehr über sie erzählen, eine Elegie hätte sie verdient gehabt; dieser Karfreitag hat die Freude getötet, diesen Menschen gekannt zu haben; hinterlässt nur die Geier, die das Fleisch aus der Wunde hacken, sich von Blut nähren; hinterlässt nur Hass auf die Selbstgerechten, wo Freude über die Freude Bereitenden sein sollte.
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