Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 8. 12 19

08.12.19, 16:43 | 'Destination anywhere'

Soak up the sun.
The first cut is the deepest.
My favourite mistake.

In den Schmerz hineinarbeiten.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Donnerstag, 14. 03 19

14.03.19, 23:24 | 'Destination anywhere'
Dann doch meine Nummer herausgegeben. Des Ponys wegen, klar. Wir wissen doch beide, wir werden uns nicht melden. Hätten wir es dabei belassen, ich müßte nicht auf einen Anruf warten.

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Mit quietschender Bremse radle ich die Spirale nach oben ins Parkhaus, um das Rad zu verladen. Stehe dann im fünften Stock am Geländer und schaue auf den hell erleuchteten Bau, auf mein Büro der letzten Jahre. Ich stand schon einen Stock höher, Jahre ist das her, als Du mich durchs Telefon hindurch getötet hast. Verbrannt, verödet, vereist, ich weiß es nicht. Seitdem ist etwas kaputt in mir.

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Durch den Regen marschiert, um dann doch viel weniger einzukaufen als gewollt. Ich brauche ja hier nichts mehr. Eine Nacht auf der Matratze und eine im Schlafsack.

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Langsame Veränderungen, die ich an mir selbst erst jetzt feststelle, da ich mich abrupt ändern muß, sind zunächst ein Zeichen für mich als Gewohnheitstier. Aber das wußte ich schon, freue ich mich doch heute noch über den etwas weniger durch Verkehr und Ampeln belasteten Arbeitsweg, den ich nach gut vier Jahren entdeckt hatte. Jedenfalls mag ich meinen Einkauf umfassend und nach Lust und Laune - es wird sich schon ein Gericht finden, das alle Zutaten verbinden kann, es wird sich schon ein Abend finden, der das Kochen ermöglicht und mein hungriger Schlund, der noch alles vor dem Verderb gerettet hat. Bauernseele, vermaledeite, bald darfst Du heim.

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Der Regen ärgert mich erst, als die Schuhe durchweicht sind und auch mein dichter Pelz auf dem Kopf mir Tropfen in die Augen rinnen lässt. Schuhe sind keine anderen mehr hier. Du machst mir den Abschied leicht, denke ich im Gestank der Stadt, und auf dem Heimweg reißt es dann doch auf, die Autobahn ist mir Meeresrauschen, der trübe Mond ein helles Licht.

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Das langsame Umziehen, das macht den Abschied schwer. Leise wollte ich gehen, bis ich gefragt wurde und antworten mußte. Ich werde ja doch nur wehmütig werden, und wehmütig möchte ich nicht sein und nicht in Erinnerung bleiben.

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Ja, ich würde gern mit Dir etwas machen. Ach, Du Sonnenkind mit dem schrägem Lachen! Ich freu mich auf meinen Theatermann. Ach Du, Gangsterkind, längst von mir adoptiert und geliebt, mitsamt dem HipHop und all der Unzufriedenheit, die man mit einem Teenagerkörper so haben kann.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Mittwoch, 28. 03 18

28.03.18, 19:11 | 'Destination anywhere'
Da geht er hin, der Monat.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Dienstag, 9. 08 16

09.08.16, 11:58 | 'Destination anywhere'
Ich zeige ja kaum noch Bilder hier. Wer hat schon ein Kabel zur Hand.

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Am Eingang bekommen wir blaue Ponchos aus Plastik geschenkt. Keine schlechte Idee, wie sich zeigt. So bin ich nach zehn Konzertminuten nur auf dem unteren Körpermeter klatschnass und bleibe weitere zehn Minuten auf dem oberen Meter trocken, bevor sich die Plastikhaube durch den Tanz- und Singschweiß in ein Treibhaus verwandelt, an dessen Scheiben ich von innen her kleine Herzchen male.

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Mit einem Elektromietwägelchen kurven wir frühmorgens zum Flughafen. Wir geben unseren gemeinsamen Koffer ab und sitzen dann zuerst gelangweilt und ruhig am Boden und anschließend angespannt und durchgeschüttelt in der Luft herum.



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Ein Mietwägelchen, das nur einer fahren darf.

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Ich habe ja Vorbehalte aufgrund des Urlauberklischees. Ballermann, Bierkönig, Sonnenbrand und schlechtes Benehmen. Klar sehen wir die, aber viele sind es nicht. Keine kritische Masse, und vor allem nicht hier.

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Stattdessen Tourismusprofis. Man bemüht sich um uns, man ist schnell und professionell und freundlich. Und man spricht deutsch. In Italien habe ich mir schnell ein paar Brocken angeeignet, in mein Französisch habe ich sehr schnell wieder hineingefunden. Hier höre ich die ersten spanischen Gespräche erst am Fels zwischen einigen Einheimischen. Es erschreckt mich, wie sehr ich mich auch beim Bestellen von Getränken ans Deutsche gewöhne. Una cerveza por favor sage ich nur einmal, weil man mir auf Deutsch antwortet. Im Supermarkt dudelt ein Radiosender, der Sprecher berichtet auf Deutsch, wie ich erstaunt feststelle. Und Abzocke kann man sich hier nicht leisten. Stattdessen faire Preise, freundliches Verhalten, klar könnt ihr noch reinkommen und noch was essen, was bedeutet schon Mitternacht, was wollt ihr denn gern haben?

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Wir haben einen Pool. Ich hatte noch nie einen Pool. Wir berichten uns von den Familienurlauben. Ich hatte offensichtlich noch nie einen Familienurlaub.

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Ich hätte noch ein Handtuch mitnehmen sollen, habe aber nur eines aus diesem schnelltrocknenden Superstoff dabei. Das zählt nicht, findet sie, und Gepäcksparsamkeit zähle auch nicht. Dabei habe ich als Zeichen meines guten Willens alle kurzen Hosen mitgebracht, die ich besitze. Nun, es soll mir nicht helfen.

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Immer noch unsicher.

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Ich versuche, meine innere Emigration zu erklären.

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Am Strand zu sitzen ist Strafe. Schwimmen und im Wasser albern ist super.

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Der Autoverkehr ist angenehm, es wird mäßig schnell gefahren und wild eingeschert.

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Wenn wir an der Rezeption vorbeilaufen, erhasche ich einen Brocken Internet und empfange die Grüße derer, die an mich gedacht haben. Habt Dank, schreibe ich ihnen, und je nachdem schreibe ich, daß wir in den Bergen oder auf der Insel sind. Stimmt ja beides.

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Schlechte Nachrichten am Wandfuß. Hoffen bis Freitag. Na gut, bis Samstag. Ich hoffe ja immer, irgendwie.

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Wir suchen unsere Kletterfelsen. Klettern langsam, mit langen Pausen. Und plötzlich sind sie um, die vier Tage.

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Heute Regen.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Dienstag, 31. 05 16

31.05.16, 14:00 | 'Destination anywhere'
Lang ist es her, daß mit einem Lied etwas begann, daß ich jemanden gefunden habe, daß ich auf jemanden gebaut und gehofft und vertraut habe, und seitdem sind zwei Unendlichkeiten vergangen, und plötzlich leuchtet auf meinem Telefon die Nachricht, daß genau diese Band in unsere Stadt kommt, daß Du zum Konzert möchtest, und daß Du mich einlädst, Dich zu begleiten. Noch einmal dieser Beginn, als ob sich Geschichte wiederholen würde.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Donnerstag, 12. 02 15

12.02.15, 14:13 | 'Destination anywhere'
Ich hatte mir ja Konzertkarten gekauft, damals im Dezember. Als es schon hoffnungslos war, nur eben noch nicht so wie jetzt. "Plan mal lieber ohne mich." habe ich da gehört, und dann mußte ich ja zwanghaft etwas planen. Daß dabei alles schiefgehen muß, gehört quasi zum Konzept. Ich sage also die letzte Probe vor dem großen Auftritt ab und ernte Unwillen von denen, die zuvor so viele Proben abgesagt haben. Nun, unwillig kann ich auch.

Ich komme also spät aus dem Büro, dann bleiben eben nur der ausgeleierte Konzertpullover und die Tanzstiefel. Und keine Frisur. Mir egal, heute mag ich keine Menschen, beschließe ich. Ich radle zur Bahn und steige am Hauptbahnhof aus. Die obilgatorische Konzertbutterbrezel brauche ich noch, und mein obligatorisches Luxusgefühl, auf dem Weg zu einem Freizeitvergnügen zu sein, zwischen den Büromenschen hier und den Obdachlosen dort. Die sitzen immer hier und starren Menschen an, oder auch nur Luft. Da sind die latent aggressiven, dort die apathischen. Die Trinker, die sich mit ihren Bierdosen zufuchteln und wichtig und laut diskutieren. Wenn ich nachts zurückkomme, ist es leise dort, und auch jetzt am frühen Abend schlafen die ersten schon im Trubel.

Ich greife mir eine Brezel und noch eine, und packe sie in eine Tüte. Von hinter dem Regal sieht mich kurz eine Frau an, die die Brezeln herrichtet und mit vollen Händen in den Korb packt, aus dem ich sie vorne wieder herausnehme. Ich stelle mir vor, wie durchoptimiert ihre Arbeit ist. Daß es wohl ein spezielles Werkzeug gibt, um die Butter in Stücke zu zerteilen, oder daß die Butter schon in passenden Stücken ankommt. Wie wohl Brezeln industriell geschnitten werden? Ich zahle, und die Kassiererin lächelt mich an. Ich könnte das nicht, mit diesen hektischen Massen, ich würde mich ausgesetzt fühlen in diesem kleinen Käfig mit dem Stuhl und der Kasse.

Ich schlendere nach unten zum Bahnsteig, umkreise eine Schülergruppe, die sich strategisch in einem Durchgang plaziert hat. Ganz kurz habe ich Lust, den Ring einfach zu durchbrechen. Aber nein. Ich steige in irgendeine Bahn und fange an zu essen.



Ganz sauber, die Brösel in die Tüte. Und ich wundere mich gar nicht, daß so lange keine Station kommt. Ich stehe unterm Linienplan, ich stehe unter der Durchsage und unter der Anzeige. Ich fahre hier seit elf Jahren Bahn. Ich stehe in der falschen Bahn, und gleich darauf esse ich meine zweite Brezel frierend am falschen Bahnhof. Mit dem nächsten Zug zurück, und schon haste ich über den Bahnsteig in die gegenüber stehende Bahn. In der Tür merke ich auf - nicht zwei Mal den selben Fehler direkt nacheinander, bitte. Sei nicht doof, Texaner. Ich stehe aber dann doch in der richtigen Bahn, knülle die leere Papiertüte zusammen und stecke sie in eine Tasche.

Am Bahnhof ein Stich. In dieser altehrwürdigen Halle, da standen wir damals, wir haben gewartet, und Du hast in meinem Arm gelegen. Mein Kopf in Deinem Haar, und ich sog Deinen Duft auf, als könnte ich ihn in mir aufbewahren. Es war kalt damals, und es war sehr spät, sehr dunkel und sehr zweisam.



Ich haste nach draußen und suche den ominösen Jugendclub, der auch Konzerte veranstaltet, in diesem kleinen Problemviertel. Ich finde ihn, an der Tür eine kleine Schlange. Brav stelle ich mich in die Reihe. Einer fragt freundlich, ob jemand noch eine Karte braucht, und daß er versetzt worden ist, glaubt man diesem Gesicht sogar. Um mich lauter Kultivierte, und ich scharre zornig mit den Stiefeln. Jacketts, Blazer, Mäntel. Sie haben von der Sängerin in einer Kulturtalkshow erfahren, und ich hasse es ja sehr, nicht underground zu sein. Als Ingenieur und Doktorand, als Spießer um des Spießens Willen. Haha. Aber heute ist Misantrophie, und so bestelle ich mir drinnen wuchtig eine Halbe. Es ist ein Jugendclub, und ich will eigentlich nur wissen, ob ihr das Wort noch kennt. Drei Euro, sagt das Mädchen und reicht mir eine Flasche. Ich bin verblüfft. Flaschen und faire Preise, wo gibt es sowas? Sie siezt mich zwar, aber das hat hoffentlich keiner gehört. Ich sehe mich ein wenig um. Eine riesige Eingangshalle, wie geschleckt. Bodenlange, schwere und sicher teure Vorhänge. Sollen sie das Geld doch in Jugendarbeit stecken, geifere ich. Wo die Konzertplakate mit Klebeband an der Wand hängen, und nicht in gewienerten Glaskästen! Tod und Teufel, und nur ich kann und weiß alles richtig. Alle doof. Sogar ein Zettel an der Wand, mit einem Punktesystem für die Jugendlichen, ist sauber einlaminiert, und ich wäre jetzt gern jugendlich und aggressiv, und dann würde mich die Sauberkeit und diese Geschliffenheit noch wütender machen, mit der man mir einen solchen Palast vor die Nase setzt, um mir zu zeigen, was ich doch für ein toller Mensch werden muß. Ich hätte dann ja lieber ein Kellerloch, in dem ich mit irgendjemandem die Wände selbst streichen darf, und dann wäre das irgendwie auch meins und gehörte mir. Aber was rede ich, das Ding ist da, es funktioniert vielleicht auch, und überhaupt hab ich ja keine Ahnung von Jugend oder Jugendarbeit.

Ich hole mir noch ein Bier, und dabei stoße ich auf einen Zettel. Keine Bilder, keine Videos, keine Audioaufnahmen. Fickt euch, denke ich, aber ich bin schon viel zu lahm, um den Zettel abzureißen. Um mich herum trinken Menschen Roséschorle aus Plastikbechern, und ich möchte mein Bier eigentlich über teure Blazer kippen. Ich komme mir wahnsinnig rebellisch vor, und gleichzeitig finde ich mich selbst ziemlich lächerlich. Was wollte ich noch gleich? Ein Bier. Das Mädchen schaut entsetzt auf die Flasche, die sie mir vor fünf Minuten verkauft hat. Ich trinke schnell, sage ich entschuldigend, aber sie will mir nur noch Becher geben, und der Sicherheitsdienstler findet das auch besser, sagt er. Also ein Plastikbecher, na gut. Und bei den drei Euro war wohl doch kein Pfand dabei, aber das sage ich jetzt einfach nicht, sonst wird alles nur noch schlimmer. Becher. Gnah. Ich stapfe unleidig durch die Gegend und komme mir vor, als müssten mich alle ertragen. Weil ich assi bin und mir die Karten für ihre ach so kulturellen Veranstaltungen trotzdem leisten kann. Ingenieur, Doktorand, is' klar. Mir ist nur gerade danach, alle doof zu finden.

Ich stehe irgendwann in der dritten Reihe. Vor mir sind alle kleiner als ich. Das ist okay, ich recke mich trotzdem. Dann seht ihr halt nix hinter mir. Platz habe ich trotzdem. Dann kommt die Feser. Ui. Ich lasse den Zornschild sinken. Sie trägt goldblondes Haar, offen und lang. Sie trägt Jeans ohne Gürtel, bei denen man am Knopf sehen kann, daß sie getragen sind. Nicht teuer neu getragen gekauft, sondern einfach getragen. Und sie hat das Problem aller schlanken Menschen, daß passende Hosen ein klitzekleines bißchen zu eng aussehen. Was passend aussieht, rutscht. Sie trägt eine knielange, schwarze Jacke, die aussieht wie Papas altes Jackett, nur viel zu groß und sehr ausgeleiert. Sie sagt zwei, drei Worte, und ich falle in dieses warme, tiefe Kissen von einer Stimme, mit dem Gesicht voran. Und ich würde gern nie wieder aufstehen. Bitte hör nicht auf zu reden, flehe ich. Und sie will so viel sagen, daß ihr die Worte nicht reichen. Sie redet mit dem Körper, sie singt so viel Uh und Oh und Ah, daß ich es nicht für möglich halte. Und genau das ist richtig, das erste Lied ist nur Uh und Oh und Ah, und ich bin es auch. Ganz laut. Uh, oh, ah. Ich kenne ja den Text nicht, kenne nur ein einziges Lied von ihr. Aber Uh und Oh und Ah. Laut.

Die Anlage besteht nur aus zwei Boxentürmen, die sicher einen guten Sound machen. Und ziemlichen Druck, Aber hier vorne in der Mitte wird ihre Stimme zu einem Uh, Oh und Ah. Und das ist gut so. Ich verstehe Dich, rufe ich laut, Uh, Oh, Ah!

Auf dem Klavier brennen große Kerzen, am Keyboard steht einer, und auf der anderen Seite einer, der mal Bass und mal Gitarre spielt. Der Schlagzeuger sitzt hinter einer Glaswand, und das finde ich völlig ahnungslos einfach supergut. Wie ich gerade einfach alles supergut finde. Die Pflichtkultürler, die verschreckten Mädchen in der zweiten Reihe, die saftlosen Hemdenträger. Passt auf, ich umarme euch gleich.



Die Liebe ist hier wie schwarzes, schweres Pech, das sie mit ihrem Gesang über das weiße Papier meines Zorns gießt. Der verschwindet nicht nur darunter, sondern er wird eingefärbt, und so lache ich und verliere den Zorn in dieser großen Liebe, die sie so besingt und ausstrahlt. Sie lacht, und ich lache mit ihr. Sie weint fast, und ich weine mit ihr.

Da ist ein Herz in jeder Zeile, und da darf sie auch mal "der Radar" sagen und ein bißchen schwülstig werden. In jedem Song ein Gedanke, in jedem Song ein Herz, in jedem Ton löst sich ein Fetzen Zorn in Liebe auf. Je mehr Zorn, desto mehr Uh, Oh und Ah. Ich schwebe. Sie nennt die Stadt bei ihrem hässlichen Kosenamen, sagt "Schduggi", und sie singt von den Beatles und den Stones, sie besingt die verlorene Liebe und das Glück, das einer nicht will. Sie macht Musik mit dem Mut zum großen Text, und dazu gehört auch, daß es so viel Text gar nicht ist. Uh und Oh und Ah, und genau das singe ich mit, und in der ganzen Halle ist ein Chor davon. Uh und Oh und Ah. Tod und Teufel, sage ich, und nie war in Tod und Teufel mehr Liebe.

Sie steigt von der Bühne, teilt die lockere Menge wie Moses. Sie kommt auf mich zu, lächelt mich an und läuft an mir vorbei, wie sie das alle tun, auf mich zu, an mir vorbei. Und wie alle großen Lieben, so verzeiht ihr meine Liebe auch das. Sie fragt einen, ob er "Single" sei, und sie fragt nach seiner Lieblingsfarbe. "Petrol" sagt er, und als er noch dazu sagt, daß er lieber einen Mann als eine Frau bei sich hätte, da ist ein Lächeln in diesem Saal, und vielleicht auch ein Mann für ihn. So stelle ich mir eine kollektive Liebesdroge vor. Diese Sängerin, diese Stimme, diese Musik, und dazu wird kollektiv geliebt, Oh und Uh und Ah, und ich schäme mich überhaupt nicht, ich habe meinen Zynismus irgendwo verlegt, den braucht doch kein Mensch mehr heute abend.

Mit einer Augenklappe ist sie Peter Pan, nimmt uns mit zur Stadt ohne Skyline, und in die Wohnung zu dem Mann, bei dem sie bleiben wird. Sie besingt die beiden Seiten, und ich weiß plötzlich ganz sicher, daß es nur die beiden geben kann.
Immer dann, immer dann, immer dann
Wenn es greifbar war
Dann war es Dir zu nah
und ich möchte sie herzen, umarmen und heulen.
Ich liebe das Suchen
Mehr als das Finden
Und darum ist es auch hier nicht vorbei
Wenn Du Dich umdrehst, dann werd' ich verschwinden
und ich kenne das, ich sehe mich um, wie alle nicken, es gibt nur diese beiden Seiten, und ich bin mit beiden versöhnt in dieser Musik. Uh, Oh, Ah, Yeah.

Bei der Ansage zum Dezemberkind schlucke ich tief. Ich höre immer Marathonmädchen, ich sehe mich um, denke an die einzelne Karte, die ich gekauft habe, an das Zurückziehen, das Warten, an die letzte, endgültige Absage. Es reicht einfach nicht.
Du zählst beim Laufen jeden Meter
Berechnest jeden Parameter
Und jede Unwahrscheinlichkeit
Ich falle rückwärts durch die Zeit
Bis zu dem Augenblick zurück
An dem Dein erster leerer Blick
Mir Deinen Plan verraten hat
Jetzt ist es wieder meine Stadt
Und das ist so groß in ihrer Hoffnungslosigkeit, in ihrer Verzweiflung, wie sie da die Freiheit, die sie nicht wollte, in den Händen dreht, ungläubig und traurig und sprachlos, Uh, Oh, Ah vor Schmerzen, und sie lässt ihr Herz dann doch nicht auf den Boden fallen, macht es nicht kaputt, sondern trägt es vor sich her, blutend und kaputt und wunderschön, und ich brauche dringend noch ein Bier.

Eine Zugabe allein, und eine zweite würde ich kaum jemandem durchgehen lassen. Eine dritte noch, und da sagt sie es: Ich würde ja gerne noch, aber ich habe keine Lieder mehr. Sie spielen noch etwas Neues, sehr vorsichtig und zart, und aus dem Uh und Oh und Ah wird wieder ein Chor, der mich nach draußen trägt. Bier. Und eine CD. Ich warte in der Schlange, und ich schäme mich plötzlich für meinen ausgeleierten Pullover, für meine fransigen Haare, für mich. Ich wäre gern so schön wie diese Musik, wie diese lachende Göttin, die mich mit ihrer Stimme übergossen hat, süß und warm und duftend. Ich kaufe die CD, für das Shirt reicht natürlich mein Geld nicht mehr. Und dann stehe ich plötzlich bei ihr und stammle, und es tut mir ganz furchtbar leid, betrunken zu sein. Und ich nenne meinen Namen, den sie auf die CD schreibt, mit I bitte, und sie malt ein Herz darauf, und dann nenne ich Esel noch den Namen des Marathonmädchens, und sie lächelt mich an, daß mir wieder ganz warm wird in diesem Blick, und sie schreibt den Namen auf eine Karte, die sie mir gibt. Getrennt, lächelt sie, und ich stammle mit trockenem Hals irgendeine Dummheit, das kann ich ja besonders gut, und dann hat der CD-Verkäufer mein Telefon in der Hand und macht ein Foto, und das macht mich zu genau dem Trottel, den ich hasse, aber heute liebe ich ja nur noch, Uh und Oh und Ah.



Ich muß dann schnell weg, ich suche die Bahn, haste wieder durch die schmerzende Bahnhofshalle, trinke mein Bier in der Bahn.



Und ich denke daran, wie ich in den letzten Tagen und Wochen nur ganz leise um Hilfe rufen mußten, und wie sie alle kamen, um mich zu retten, wie sie ihre Hände nach mir ausstreckten, wie sie mir Zeit schenkten, Ablenkung, Trost und Freude und Wut, wie sie mit allem halfen, und wie ich ihnen allen dankbar bin. Für alles.

# |  4 RauchzeichenGas geben

Dienstag, 10. 02 15

10.02.15, 11:15 | 'Destination anywhere'
Dieser Moment, wenn der Schmerz zuschlägt. Wenn dieser Knoten aus Gedanken, Wünschen, Sehnsüchten und Erinnerungen in die Unendlichkeit hineinplatzt und sich ergießt in die endlose Zukunft, in der Du nicht mehr sein willst. Immer und immer wieder.
Kein Lachen mehr und keine bösen Scherze. Kein Schlafen mehr und keine nackte Wärme. Kein Laufen mehr, kein Sattel mehr. Keine Wäsche mehr, kein Kochen und kein Lob. Kein Wort mehr, und keine Liebe.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 5. 01 15

05.01.15, 11:55 | 'Destination anywhere'
"Was Du gut kannst", sagt die bezaubernde Frau mir gegenüber, die meine beste Freundin ist, "Was Du gut kannst, ist, Dich zu begeistern. Und Deine Begeisterung auszudrücken."
Ja, nicke ich. Gereicht hat es nicht.
Und mit Vollgas fährt es sich doch auch gleich viel entspannter vor die Wand, denke ich noch. Halbgas kann ich ja garnicht.

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Der morgendliche Schmerz, wenn ich erwachend Deine Abweseneit begreife.

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Ich habe keine Liste, habe ich Dir gesagt. Ich habe mich einfach treffen lassen von Dir. Ich habe mich geprüft und mich gefragt, und alles hat nach Dir gerufen. Ich war eine Kompassnadel im Sturm, und zuerst warst Du nur ein Magnet. Ein Fels, ein Riff vielleicht, an dem ich untergehen sollte. Ich wollte, daß Du mein Nordpol bist. Auf den alles zeigt an mir. Nach dem sich alles ausrichtet.
Dann hast Du mir übers Haar gestrichen, und ganz sanft über das Gesicht. Ich glaube nicht, hast Du gesagt.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Freitag, 2. 01 15

02.01.15, 15:11 | 'Destination anywhere'
Irgendwann im Oktober schrieb ich Dir. Wir waren noch bei Facebook befreundet, aber Deine Telefonnummer war irgendwo verloren gegangen. Es war ja auch schon fast ein Jahr her, daß wir uns gesehen hatten. Ich hatte Dich damals auf einen Kaffee eingeladen, den ich dann nicht bezahlen konnte, weil ich kein Bargeld dabei hatte. Wir haben gelacht, und Du hast mich eingeladen. Darf ich diesmal Dich einladen, fragte ich, und Du schicktest mir ein Lächeln und Deine Nummer.
Ich saß in der warmen Oktobersonne auf der Terrasse, Dein Lachen im Ohr, und wir verabredeten uns zum Klettern. Auf halbem Weg, auf neutralem Grund. Wir waren beide zu früh da, und ich zeigte Dir ein paar Tricks und Knoten. Wir wärmten uns auf, ich berührte Deine Hände. Wir schauten uns den Wettbewerb an, wir fuhren zu einer Burg in der Nähe, saßen nebeneinander auf der sonnenwarmen Mauer. Dann in einer Besenwirtschaft, auf dem Sünderbänklein neben der Theke.
Ein paar Tage später dann: Noch ein Treffen? Ja. Ich besorgte Karten für das große Reitturnier, und zuvor waren wir noch zusammen laufen. Ein Fiasko für mich. Du duschtest bei mir, während ich hilflos in der Küche stand. Du nahmst meine Hand, irgendwann. Legtest Deinen Kopf auf meine Schulter. In der Bahn habe ich Dich umarmt. Du warst sehr müde, und ich wollte Dich auch nicht gehen lassen. Wir waren wortreich und sprachlos, und um sieben nach halb drei trug ich Dich in mein Bett. Das war nicht der Plan, hast Du am Morgen gesagt, und gelacht.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Mittwoch, 24. 12 14

24.12.14, 13:23 | 'Destination anywhere'
Liebes Marathonmädchen,

ich wünsche Dir schöne Weihnachten. Ich wünsche Dir viel Glück.
Ich hätte Dir gern etwas geschenkt, und ich hätte Dir gern anders geschrieben als per Mail. Aber mit "An das liebe schwierige Marathonmädchen irgendwo tief im Bayrischen Wald" kann leider nur das Christkind etwas anfangen, und nicht unsere Post.

Ich wünsche Dir schöne Weihnachten. Du hast gesagt, daß Weihnachten immer schwierig ist, aber den Grund habe ich nicht verstanden. Ich wünsche Dir, daß Weihnachten in diesem Jahr nicht schwierig ist, sondern schön. Einfach und schön.
Ich wünsche Dir viel Glück. Und ich wünsche Dir, daß Du mich weiterhin vermisst. Daß ich Dir weiterhin gut tun kann. Daß Du jede Minute mit mir genießt. Und daß ich Dich in den Arm nehmen kann. Daß ich ein Teil Deines Glücks bin. Denn es fühlt sich gut an, Dich zu sehen. Es fühlt sich gut an, mit Dir zu laufen. Es fühlt sich gut an, Dich in den Arm zu nehmen.

Du sagst, Du hast Angst, es könnte nie mehr werden. Ja, diese Angst habe ich auch. Aber ich will nicht, daß mich Angst leitet, sondern das, was ich will. Ich weiß, daß ich verletzt werden kann, genauso wie Du auch. Aber ich möchte genau dieses Risiko eingehen, verletzt zu werden. Und ich möchte Dich auf keinen Fall verletzen. Das möchte ich Dir schenken.

Liebes Marathonmädchen, ich wünsche Dir schöne Weihnachten. Ich wünsche Dir viel Glück.
A.
# |  Rauchfrei | Gas geben

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