Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 28. 02 10

28.02.10, 15:09 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Der Abschied des Kollegen.

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Die riesige Spiegelreflex in der alten Kneipe.

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Ein Porsche, ein Großstadtrandsteinwagen, zig Pferde, blondiertes Haar. Telefonimitate - "wenn nur die Software stimmt!" - und was sie sich damit nicht sagen. Ich glaube, das ist noch armseliger als gefälschte Unterhosenmarken.

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Wege, alt zu werden.

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Ein Sack voll Schrauben.

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Der Bremssattel sitzt auch fest.

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Geburtstag, und ich rufe kurz an. Komm vorbei! heißt es, und das mag ich ja, und da akzeptiere ich irgendwann das Telefonierenmüssen einmal.

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Die Italienerin. "Ich bin noch sehr verliebt," sagt sie.

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Die Blondine mit dem Leberfleck im Dekolleté.

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Man sieht ja doch nie alle, und erst recht nicht ihre Tränen.

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"Er liegt nur da und starrt die Decke an."

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Neun Jahre. Wie ich ihn damals zu ihr fuhr, weil ich schon einen Führerschein hatte. Beide fuhr ich dorthin, und dann saßen wir da zu viert, und zu zweit fuhren wir wieder zurück.
Die Beneidenswerten. Die, an die ich glauben konnte. Wohnung, Haus, Weiterbildung, lächelnde Spötteleien. Sein Lachen ob unserer Heiratsfragereien wurde mit jedem Jahr milder.
Von ihr bleibt nur ein Zettel.

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Und was sollen dann wir tun, die wir nicht perfekt sind? Wozu der Versuch?

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Die Dauer schmerzt, und die Unerklärbarkeit. Es war doch alles gut, so lange Zeit.

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Die Dauer kann man nicht wegreden, und die Gründe erklärten nichts, so sie aufgeführt würden. Es bleibt das Nichts. Daß ein Leben, geteilt, sich mehr als doppelt, und wieder gebrochen, sich nicht nur halbiert.

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Wer könnte Gott spielen, außer Alanis Morissette?

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Es ist schon neun, als wir noch sitzen. "Wie spät ist es eigentlich?" fragt er, und "Wer hat das gesagt, mit dem verlängerten Stammtisch?"

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"Junggesellenabend", sagt er, und "Ich schaue dann zum Fenster rein" ein anderer.

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Der Saum der Decke in ihrer Faust. Fest, bis zur Nase hochgezogen.

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Ich grüßte den Engel mit einem Bild, das einen Brocken Heimat zeigte.

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"Wer's kann, braucht kein Glück."

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Der Sieg.
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Montag, 8. 02 10

08.02.10, 00:00 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
In meiner Erinnerung war ich früher ein besserer Rollschuhfahrer als ich heute ein Eisläufer war. Sobald ich mich zur Rücklage durchringen konnte, ging es, ähnlich meiner Skifahrerei, leidlich und mit viel Kraftaufwand. Dazwischen immer wieder grazile Schwünge und Kurven, deren Spuren ich hinterher, verwirrt und verkehrt herum fahrend, nachsehen konnte, bis ich rückwärts in die Bande krachte. Tröstend war, daß zwischen den Eistänzern und den Eisraketen mit einem Arm auf dem Rücken nicht nur ich eine wacklige Figur abgab.

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Der Besuch auf dem Futtertisch, und wie sie kaum glauben konnte, daß ein Sonntagabend um sieben genau für so etwas geeignet ist. Es gibt dort nicht nur Eis, es wird auch verkauft und verschenkt, und so fuhren wir weiter, sprachlos und mit dreierlei Sorten. Zwetschge, Johannisbeer, Kaffee.

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Nun prickelt das Knie, und morgen das Muskelkätzchen. Deshalb, und wegen sowieso und überhaupt, gehe ich morgen abend auch wieder klettern.

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Die roten Wangen, die glühende Stirn. Und ich merke erst, daß sie mir krank werden könnte, als sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Um eine Pause bittet, die sie mit gesenktem Kopf auf einer Bank verbringt, während der Becher in ihren Händen zittert.
Sie ist noch nicht durch die Haustür, die Tasche mit den Schlittschuhen schleift nachlässig hinter ihr her, da ruft ihre Mutter schon. "Kind, Du wirst mir ja krank." Dabei steht sie noch in der Küche, drei Türen weiter.
Mütter.
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Mittwoch, 27. 01 10

27.01.10, 15:47 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Es dauerte drei Tage, bis meine beiden Mitprüflinge genug Angst bekamen, um die Prüfung zu verschieben. Den Bettelbrief an den Professor durfte ich schreiben.

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Erstmals mein Gesang, der durch die Wohnung klirrte.

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Ein Zuckerstreuer, ein Nudelholz, Pizzableche, und was da an Fragen auf den kundigen Internetbewertungsleser und -preisvergleicher trifft.

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Was soll er da erst bei Schlafsäcken, Nabendynamos - oder dem Verzicht darauf - denken?

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Drauflosradeln gegen buchlange Bauberichte von Rädern.

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Daß man sich auch zuviel vorbereiten kann. Zuviel lesen. Mit Grausen denke ich an den Stapel Prospekte über Radreisen auf meinem Tisch. Erstes Kriterium war: Alles aussortieren, was Straßen auf dem Titel zeigte. Danach alles, was elektrisch unterstützte Räder zum Verleih anbot. Übrig blieb eine Wanderkarte vom Grünkernweg. Aha.

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Vom Bodensee nach Salzburg.

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Winterschlußverkauf, und ich auf der Suche nach einer Jacke.
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Freitag, 15. 01 10

15.01.10, 17:26 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Während ich vor dem Betonbunker, den sie Mensa nennen, weil es zur Kantine wohl anständige Portionen bräuchte, warte, denke ich mir diesen Schachtelsatz aus, und mag die Universität immer noch nicht.

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Unser Arbeitsraum, unsere Kaffeeküche im Schrank.

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Die junge Frau, die sich bedankt, weil ich ihren Kinderwagen durch den tiefen Schnee getragen habe. Ihr warmes Lächeln gegen meine kalten Zehen.

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Ein Auto hält an, mit französischem Kennzeichen. "Excusez-moi", klingt es von drinnen, und ich bin sowas von auf Englisch gepolt heute morgen, daß ich kaum ein "Bonjour" zustandebringe. "Kreuzung", "Ampel", all die Vokabeln habe ich vergessen. Rechts und links bringe ich auch immer durcheinander, und ich habe wirklich keine Ahnung, was "Stadtteil" auf Französisch heißt, oder wie man den Standort der Hochschule denn aussprechen könnte. Gelb und Blau weiß ich noch, also erkläre ich die Bedeutung der Straßenschilder, und Kreuzungen lassen sich ja ganz famos durch Handzeichen andeuten. Zwei aufeinandertreffende kalte Hände im rechten Winkel, und den lautmalerischen Unfall verkneife ich mir im letzten Moment. Ich wünsche noch einmal einen schönen Tag und gehe von dannen, über die Schneewehen springend, während die beiden Franzosen im Auto sich auf den Weg zur Autobahn machen. Autobahnen sind ja überall, kann so schwer nicht sein.

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Zugegeben, ich hatte die Einladung nicht gelesen. Ein Word-Dokument in seltsamer Schrift und unfassbarer Farbe. Ein Dreißigster. In Ordnung. Aber daß ich nun hier sitze, eine gute Autostunde entfernt, und feststelle, daß die Einladung bereits auf vier Uhr nachmittags angesetzt war, das überrascht mich dann doch. Verstohlen schaue ich auf den Titel: Dreißigster Geburtstag, sogar als Zahl und ohne Punkt, denn wer hat heute noch die Zeit? Kein Hundertster, zum Glück.

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Eine Nummer auf dem Schirm, die mir nichts sagt. Dran sind zwei, die ich nicht mehr erkenne. Erinnert mich an die Telefonkonferenzen in der Firma, mit den kleinen Handgeräten auf dem Tisch, und drumherum den Durcheinanderredenden.
Tatsächlich.
Wir hatten doch diesen Antrag. Und da war Amerika. Der Vize. Und jetzt wäre es schön - also, falls Du noch möchtest.
Natürlich möchte ich, und erst jetzt merke ich, wie mir das Arbeiten gefehlt hat.
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Dienstag, 22. 12 09

22.12.09, 14:27 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Zugenommen oder abgenommen?
Der Körper macht den selben Turnus wie jedes Jahr - im Sommer wird er weniger, im Winter mehr. Die Schwankungsbreite indes nimmt deutlich ab. Das Ertragen hat zugenommen, das Aufbrausen auch. Die Ruhe hat wieder abgenommen, wird aber fleißig gefüttert. Die Fläche hat zugenommen, die Kosten auch. Die Strecken, die doch abnehmen sollten, nehmen immer mehr zu. Und manch einer hat sich mir abgenommen.
Haare länger oder kürzer?
Wachsen lassen. Schneiden lassen, um nahe zu sein. Wachsen lassen. Rasieren. Sich fragen lassen, ob es das nun war. Wachsen lassen. Frisieren lassen. Schneiden lassen, um zu gefallen. Wachsen lassen. Nach den Feiertagen wieder rasieren.
Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Der Versuch, in die Ferne zu sehen, schlug erneut fehl, da man immer über das zuerst stolpert, was einem am nächsten liegt.
Mehr ausgegeben oder weniger?
Mehr ausgegeben. Unsinniges. Halbhirniges, halbgares. Weniger eingenommen, "Ich brauch Dich nicht" gedacht. Überheblich gewesen. Am Betriebsrat gescheitert.
Der hirnrissigste Plan?
Ein Bürostuhl und Achtstundentag. Auf Sonnenschutz verzichten. Unterschiedliches Niveaus zu ignorieren. Unmögende heranziehen. Alpenüberquerung. Per Rad glücklich arbeitende Menschen zu besuchen, von ihnen zu lernen, von ihnen zu erzählen, dafür Geld bekommen. Eine Wohnung.
Die gefährlichste Unternehmung?
Klickpedale im Stand. Sommerreifen auf nasser Fahrbahn. Überrannt werden auf dem eigenen Standpunkt. Mich an ein Kranseil zu klammern und zu rufen "Hängt ihn höher". An Menschen glauben.
Der beste Sex?
Häkchen auf der Rangliste der Pornographie. Das Verweigerte.
Gefühlt erkauft.
Die teuerste Anschaffung?
Das Rad und das Drumherum. Freiheit im Sinne von Faulheit. Ausflüge.
Das leckerste Essen?
In der eigenen Küche. Als Geschenk der Bäurin. Für zwei.
Das beeindruckenste Buch?
The New New Journalism.
Damals, die Liebe.
Der ergreifendste Film?
Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück.
Die beste CD?
Nur Erweiterungen, Vervollständigungen. Leider nichts neues.
Vielleicht: Dr. Hook & the Medicine Show.
Das schönste Konzert?
The Sounds in Stuttgart, im Gedränge. New Model Army ebendort, mit Gelassenheit.
Die meiste Zeit verbracht mit...?
Notwendiges unerledigt lassen. Aus dem Fenster in den Himmel sehen. Pläne schmieden und abkühlen lassen. Bildern, fremden und eigenen.
Die schönste Zeit verbracht mit...?
Einem Bauern, einem Freund, zwei Rädern, sechs Zylindern.
Singen, Tanzen, Fahren.
Vorherrschendes Gefühl 2008?
Zu spät / Längst hätten sollen. Jetzt schon / noch nicht so weit sein. Kann nicht sein / schon so alt. Verpasst / zu spät.
2009 zum ersten Mal getan?
Neugieriges Erkunden. Überlegene Spielführung. Theater spielen.
2009 nach langer Zeit wieder getan?
Regelmäßigkeit eingeführt, Zeitdiktat. Radtraining. Der Versuch, sich bedacht in etwas zu stürzen. Kaffee und Wein mit dem roten Unglück.
3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Beerdigung eines Freundes bei Regen. Unehrliche Einladungen. Anbiedern, Vergleichen, aufwiegen.
Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Der schönste Ort mit den schönsten Menschen.
Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Einhundert Aufmunterungen in einhundert Tagen.
Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Ein kariertes Blatt.
Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
"Was täten wir nur ohne euch?"
Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
"Du einziger Mensch."
2009 war mit 1 Wort...?
Unverbesserlich.

Listen gibt es hier und da und dort. 2008.
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Sonntag, 13. 12 09

13.12.09, 23:54 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Sonntägliches Putzen. Heizkörper, Schreibtisch, Kabelsalat. Ich verbringe den Tag.

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"Bis zwölf kannst Du pflügen."

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"Der Platz in meinem Herz bleibt Dir weiterhin sicher."

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Das filmkonforme Feiern der Kinder in der Disco.

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Hysterie in Deinem Lachen, und was sie aufhält.

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"Das Schlimmste ist", setzt er immer wieder an, während seine Augen immer glasiger werden, "das Schlimmste ist, daß ich ihr nichts vorwerfen kann."

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Irgendwann lassen wir ihn sitzen, auf seinem riesigen Sofa, vor dem riesigen Fernseher, und gehen leise. Er hat nicht genug getrunken, um rührselig zu werden. Aber fast.
Anerkennung. Hinter dieser Wohnung steckt Leistung. Hinter diesem Leben Wollen. Ich erkenne das an. Ich bin nicht neidlos, ich bin nicht frei von Abscheu. Trotzdem erkenne ich das an. Daß Dich glücklich macht, was mir nichts gibt. Daß ich Dich trotzdem mögen kann.

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Hätte ich damals gewußt, was ich heute weiß!

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Ich beginne, mein Herzklopfen zu mögen. Erst das macht es mir möglich, Deines zu spüren.

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Dein Nichtfordern. Dein Erwarten, das so viel Warten ist, und noch mehr Hoffen.

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"Wenn Du es nicht tust, tut es der nächste."

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"Du kannst das nicht analysieren. Wenn Du es zerschneidest, sezierst, wird es sich verflüchtigen. Man kann alles so weit zerkleinern, daß es unsichtbar wird. Die Bestandteile sind nichts wert. Du kannst nicht immer gerade Bahnen ziehen."

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"Ist das ein guter Wein?" frage ich, und ich meine, ob ihr der Wein schmeckt.
"Das ist ein guter Wein", sagt er, und meint, daß er ein Schnäppchen gemacht hat.

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"Jetzt bin ich dreißig, und ich kann immer noch keine Ewigkeiten versprechen."
Wie konnte ich das vergessen, und ich möchte jeden Deiner Sätze in Stein meißeln. Du rätst mir nicht. Geh, sagst Du, aber Du sagst nicht, wohin. Geh! Bleib nicht stehen.

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Du mußt dort sein, wo Du zufrieden bist. Und damit zufrieden sein, wo Du bist. Um zufrieden zu sein. Easy as that.

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"Te echo mucho de menos."

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"Du mußt nicht für alle mitdenken, nicht für alle sorgen."

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Irgendwann nehme ich diese kleine Hand in meine. Sie ist warm und geballt. Entspannt sich, beginnt sich zu bewegen. Meine Hand ruht. Ein Finger fährt die Adern auf meinem Handrücken nach, als müsse er sich vergewissern.
Immer wieder fällt der Kopf an meine Schulter, als sie gegen den Schlaf kämpft. Tief atmet sie den Rauch aus dem Pullover, meinen Geruch aus meiner Haut. Sie sieht sehr ruhig aus. Ihre Lider fest geschlossen, ohne sich Gewalt anzutun. Der kindliche schwarze Streifen.

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Was zum Geier ist ein Concealer? Consealer? Und warum kann ich Til Schweiger so gar nicht böse sein? Und Nora Tschirner um so mehr?

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Ich möchte mitreden, als die beiden Verlassenen anfangen. Immer wieder setze ich an und fange mich wieder. Lasse die beiden. Höre ihnen zu.
Wie sich einer einredet, nichts zu erzwingen. Wie ein anderer plant und vorsichtig wird. Was hinter dem steht, das sie mir sagen.
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Montag, 7. 12 09

07.12.09, 19:23 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Die sich in einer Baustelle verengende und auf die Gegenfahrbahn verzweigende Autobahn. Die orangefarbenen Ersatzmarkierungen. Zwei Meter breite Fahrspuren. Über mir eine Brücke, auf der ein Schnellzug quert. Ein dickbauchiges Passagierflugzeug, scheinbar zum Greifen nah, und sein huschender Schatten. Brüllende Turbinen.
Das beruhigende Blinken in Blau und Rot. Kartendarstellung.

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Nachts erwache ich vom Klang der Sirenen.

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"Einzelschläfer."
Ich schaue still zu, die Vorhänge verwandeln die Lichter der Stadt in blaugraue Dämmerung. Es gibt keinen Grund, etwas zu tun. Es gibt keinen Grund, etwas zu unterlassen.
Ich summe die Melodie von Bobby McGee, bis ich wieder abgleite.

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Schutzreflexe, mühsam unterdrückt.

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Ich verstehe Städte nicht.
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Dienstag, 1. 12 09

01.12.09, 18:09 | 'Der Vollstaendigkeit halber'


Winterreifen montieren mit Hundehilfe und nach mir rufenden Kindern. Endlich wieder Pelz tragen, denke ich und kraule den nassen Kerl. Muß ja wieder Winter werden, muß ja weitergehen.
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Donnerstag, 8. 10 09

08.10.09, 17:28 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Wie das Erzählen ins Stocken gerät. Wo mir doch nur ein Wort fehlt. Das Gegenteil von Zurückhaltung.
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Donnerstag, 1. 10 09

01.10.09, 21:18 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Zeit.
Zeit nehme ich mir immer selbst, dachte ich neulich nachts, als ich verschlafen ins Badezimmer tappte und dabei sinnierte, wann ich zuletzt auf meiner eigenen Toilette gesessen hatte. Krankes Hirn, das nichts anderes weiß, als mich mit solchen Gedanken um den Schlaf zu bringen.

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Und essen. Ich esse kalt und direkt aus der Hand, was vom Tag übrigblieb. Dabei versuche ich mich gleichzeitig umzuziehen und dem Telefon eine Minute am Ladegerät zu gönnen.

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Wie ich erstarre, wenn noch etwas in der Schleife hängt, das ich nicht zu Ende gedacht habe. Die Geschichte vom Nummernschild hätte mir gefallen. Ich habe sehr gelacht, als ich sie mir ausgedacht habe. Ich wurde unterbrochen, und jetzt mag sie nicht mehr. Die Bruchstücke fügen sich nicht mehr, und jedes, an das ich mich erinnere, ragt aus dem Brei heraus, glänzend und scharfkantig wie Spiegelscherben. Ungeschriebene Geschichten. Fast, als wären sie nicht passiert.

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Es ist fast Mitternacht, als ich nachkomme. Drin sitzen sie, die Wände sind aus OSB-Platten, der Zimmerer hält große Reden, die Hände in die Hüften gestützt. Im Sitzen! und kaum kommt er zum Atemholen, so hektisch ist er, kaum, daß er sitzenbleiben kann. Ein Mädchen trägt einen Stallhasen herein, der zwischen den Flaschen sitzenbleibt. Ratlos schaut er durch die dunklen Gläser, das Mädchen setzt sich zum Zimmerer, und jetzt weiß ich, weshalb er so gern hier ist, und auch, daß sie schlecht über ihn reden werden, in ein, zwei Jahren spätestens. Ich gehe früh, seine Lautstärke verfolgt mich bis zum Auto.

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"Schüleraustausch!" rufe ich grinsend, als ich mit dem Telefon am Ohr im Hof stehe. Einem Bauern fehlt ein Helfer, deshalb ruft er bei mir an. Sein Helfer steht vor mir, mit dem Ladewagen, und es sticht nur ein wenig, als ich ihn mit dem Wagen sehe. Ich sage zu, und den Rest des Tages bin ich ein Radlader.

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Dreizehn Tonnen quälen wieder und wieder die Erdschaufel in die Haufen aus Gras. Was für ein zähes Material, denke ich jedes Mal aufs Neue, wenn wir wieder im Haufen stecken, die Räder brechen fast den Asphalt aus dem Boden und das Heck schwänzelt hilflos.

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Tags darauf ist Taufe, und es wimmelt von Gästen. Unter ihnen eine wundervolle Rothaarige, eine lachende Fränkin, wie man sie nie wiedersieht. Ich traue mir nicht, nach ermüdenden Tagen, und erst, als ich tags darauf ihre kleine Tochter sehe, mit dem gleichen verschmitzten Gesicht, dem Zurückwerfen der Mähne, und der gleichen, der selben Haarfarbe, da weiß ich wieder, daß ich mir trauen kann, so gut kann die Haarchemie gar nie werden. Sie verabschieden sich, und ich winke ihnen nach. Menschen, bei denen man froh ist, sie getroffen zu haben. Nicht mehr, würde ich gern sagen, aber das unterschlüge, wie viel das ist.

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Mitten in der Nacht komme ich noch nach. Auf ein Hüttenfest. Eine schöne Terrasse haben sie, eine Feuerstelle, und deshalb auch die Polizei am Hals. Ich fahre noch einen nach Hause, der sehr bedürftig aussieht, und dann tanzen wir. Der Rahnige kommt angesprungen, die Augen rot, die Stimme heiser. "Fest mit Durchdrehen!" schreit er laut, und irgendwann wird er mir das Hemd von den Schultern reißen. Ich tanze mit meinem Kleinen, wie früher, und wir wünschen uns dazu Musik, und die anderen sehen uns zu. Sie können uns nicht folgen, dem schnellen Walzer, den Luftgitarrensoli, unseren orgiastischen Klettereinlagen. Ich lasse mich nach hinten fallen, ich rutsche zwischen seine Beine. Wir werfen die Beine hoch und die Arme, und dazwischen brüllen wir uns an. Eins trinken wir noch, und es ist schon sechs, als mir einfällt, daß ich genau danach suche. Tanz mit mir, möchte ich sagen, weil es uns Freude macht, und tanz mit mir, dann bin ich nicht allein. Lass mich nicht hier stehen, lass mich lustig sein, anstatt lächerlich zu wirken. Für Dich möchte ich tanzen, und mit Dir, weil mir nur Dein Lachen bedeutsam sein wird, und zwing mich nicht, mich still zu halten, schäme Dich nicht für mich.

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Es ist sieben, als ich meine Jacke aus dem Eck zerre. Draußen ist es ruhig, es wird hell. Der Discjockey packt sein Zeug zusammen, drinnen spielt der Barmann auf. Draußen sitzen zwei junge Mädchen, und der Kleine fragt sie. Sie gehen mit ihm. Das ist nett, sagen sie, daß wir in Dein Bett dürfen, und grinsend schwanke ich hinterher.

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Ich falle über eine Handtasche. Sonnenbrille, Mädchenzeugs, ein Telefon, ein Schlüssel. Wir vier versammeln uns, von unseren Gedanken umkreist. Eine Handtasche, nuschelt eine, und ich merke, daß wir so nicht weiterkommen. Muß ich eben selber denken.
Der Schlüssel. Italienisches Auto. Auf der Tasche ein Anti-Atomkraft-Knopf. Im Telefon lauter Spitznamen. Ich rufe einen bekannten an. "Ihr Guthaben beträgt null Euro." Klasse, Mädel. Ich lese die Kurznachrichten, stoße auf einen Namen, und als ich dem Namen schreibe, klingelt das Telefon in meiner Hand. Meine Nachricht. An das Telefon. Aha. Ich gehöre ins Bett. Ich schreibe noch eine Nachricht, diesmal richtig, und irgendwie wache ich vom Klingeln meines Telefons auf. Die Besitzerin holt ihr Zeug, und daß ich nicht daran gedacht habe, den Geldbeutel zu suchen, das laste ich jetzt mal zu gleichen Teilen Trunkenheit und Naivität an. Fünfzig-fünfzig? Nein? Na gut.

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Der Tag ist schon so alt, und ist er doch der einzige, wie jeder Tag! Ich laufe durchs Dorf zum Motorrad. Überall wird gewählt, herumgestanden und palavert. Sonntag eben. Ich weiche einer Gruppe aus, laufe auf der Straße weiter. Kaum Autos. Am alten Stall fällt mir eins ein: kein Helm. Zurückfahren oder Vorbild sein? Ich lasse meine Jacke liegen und laufe zurück, und daß ich mit Halstuch und Handschuhen schon seltsam ausgesehen muß, das bemerke ich erst zu hause. Seltsam, ich bemerke es genau zu dem Zeitpunkt, als ich auch feststelle, daß meine Schlüssel in der Jacke, und die beim Motorrad - ich laufe noch einmal durchs Dorf. Nun ohne Handschuhe und Halstuch, dafür mit Schlüssel. Zurück durchs Dorf, und noch einmal.
Irgendwann sitze ich dann, und Sprit ist auch drin, was ein Glück, weil Sie dürfen jetzt einmal raten, wo mein Geldbeutel liegt. Richtig. Ich habe keine Ahnung, hier ist er nicht.


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Hätte ich nicht eines Abends meine Strichliste beglichen, ich hätte in meiner Urlaubswoche kein Geld ausgegeben. Und gelebt wie ein König.
Urlaubswochen können Sie übrigens am gehäuften Auftreten von Traktorenbildern an dieser Stelle erkennen, und eher tagsüber als nachts, aber sicher ist ja nie nichts.

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Beim Quadrennen treffe ich Bekannte und schieße Fotos. Sportfotographie, und irgendwann muß man ja auch mal Bilder machen. Ich liebe Bilder, nur die Kameras stören mich.

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Wieder klingelt das Telefon. Die Taufe ist geschafft, ich kann wieder Radlader sein. Und daß ich dieses Bild, mit mir im Rückspiegel und dem Radio, das "stumm" eingeblendet hatte, nicht hinbekommen habe, das reut mich ein wenig.
Spät in der Nacht essen wir, und diese Müden um den großen Tisch, die mag ich alle sehr.
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