Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

01.10.09, 21:18 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Zeit.
Zeit nehme ich mir immer selbst, dachte ich neulich nachts, als ich verschlafen ins Badezimmer tappte und dabei sinnierte, wann ich zuletzt auf meiner eigenen Toilette gesessen hatte. Krankes Hirn, das nichts anderes weiß, als mich mit solchen Gedanken um den Schlaf zu bringen.

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Und essen. Ich esse kalt und direkt aus der Hand, was vom Tag übrigblieb. Dabei versuche ich mich gleichzeitig umzuziehen und dem Telefon eine Minute am Ladegerät zu gönnen.

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Wie ich erstarre, wenn noch etwas in der Schleife hängt, das ich nicht zu Ende gedacht habe. Die Geschichte vom Nummernschild hätte mir gefallen. Ich habe sehr gelacht, als ich sie mir ausgedacht habe. Ich wurde unterbrochen, und jetzt mag sie nicht mehr. Die Bruchstücke fügen sich nicht mehr, und jedes, an das ich mich erinnere, ragt aus dem Brei heraus, glänzend und scharfkantig wie Spiegelscherben. Ungeschriebene Geschichten. Fast, als wären sie nicht passiert.

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Es ist fast Mitternacht, als ich nachkomme. Drin sitzen sie, die Wände sind aus OSB-Platten, der Zimmerer hält große Reden, die Hände in die Hüften gestützt. Im Sitzen! und kaum kommt er zum Atemholen, so hektisch ist er, kaum, daß er sitzenbleiben kann. Ein Mädchen trägt einen Stallhasen herein, der zwischen den Flaschen sitzenbleibt. Ratlos schaut er durch die dunklen Gläser, das Mädchen setzt sich zum Zimmerer, und jetzt weiß ich, weshalb er so gern hier ist, und auch, daß sie schlecht über ihn reden werden, in ein, zwei Jahren spätestens. Ich gehe früh, seine Lautstärke verfolgt mich bis zum Auto.

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"Schüleraustausch!" rufe ich grinsend, als ich mit dem Telefon am Ohr im Hof stehe. Einem Bauern fehlt ein Helfer, deshalb ruft er bei mir an. Sein Helfer steht vor mir, mit dem Ladewagen, und es sticht nur ein wenig, als ich ihn mit dem Wagen sehe. Ich sage zu, und den Rest des Tages bin ich ein Radlader.

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Dreizehn Tonnen quälen wieder und wieder die Erdschaufel in die Haufen aus Gras. Was für ein zähes Material, denke ich jedes Mal aufs Neue, wenn wir wieder im Haufen stecken, die Räder brechen fast den Asphalt aus dem Boden und das Heck schwänzelt hilflos.

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Tags darauf ist Taufe, und es wimmelt von Gästen. Unter ihnen eine wundervolle Rothaarige, eine lachende Fränkin, wie man sie nie wiedersieht. Ich traue mir nicht, nach ermüdenden Tagen, und erst, als ich tags darauf ihre kleine Tochter sehe, mit dem gleichen verschmitzten Gesicht, dem Zurückwerfen der Mähne, und der gleichen, der selben Haarfarbe, da weiß ich wieder, daß ich mir trauen kann, so gut kann die Haarchemie gar nie werden. Sie verabschieden sich, und ich winke ihnen nach. Menschen, bei denen man froh ist, sie getroffen zu haben. Nicht mehr, würde ich gern sagen, aber das unterschlüge, wie viel das ist.

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Mitten in der Nacht komme ich noch nach. Auf ein Hüttenfest. Eine schöne Terrasse haben sie, eine Feuerstelle, und deshalb auch die Polizei am Hals. Ich fahre noch einen nach Hause, der sehr bedürftig aussieht, und dann tanzen wir. Der Rahnige kommt angesprungen, die Augen rot, die Stimme heiser. "Fest mit Durchdrehen!" schreit er laut, und irgendwann wird er mir das Hemd von den Schultern reißen. Ich tanze mit meinem Kleinen, wie früher, und wir wünschen uns dazu Musik, und die anderen sehen uns zu. Sie können uns nicht folgen, dem schnellen Walzer, den Luftgitarrensoli, unseren orgiastischen Klettereinlagen. Ich lasse mich nach hinten fallen, ich rutsche zwischen seine Beine. Wir werfen die Beine hoch und die Arme, und dazwischen brüllen wir uns an. Eins trinken wir noch, und es ist schon sechs, als mir einfällt, daß ich genau danach suche. Tanz mit mir, möchte ich sagen, weil es uns Freude macht, und tanz mit mir, dann bin ich nicht allein. Lass mich nicht hier stehen, lass mich lustig sein, anstatt lächerlich zu wirken. Für Dich möchte ich tanzen, und mit Dir, weil mir nur Dein Lachen bedeutsam sein wird, und zwing mich nicht, mich still zu halten, schäme Dich nicht für mich.

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Es ist sieben, als ich meine Jacke aus dem Eck zerre. Draußen ist es ruhig, es wird hell. Der Discjockey packt sein Zeug zusammen, drinnen spielt der Barmann auf. Draußen sitzen zwei junge Mädchen, und der Kleine fragt sie. Sie gehen mit ihm. Das ist nett, sagen sie, daß wir in Dein Bett dürfen, und grinsend schwanke ich hinterher.

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Ich falle über eine Handtasche. Sonnenbrille, Mädchenzeugs, ein Telefon, ein Schlüssel. Wir vier versammeln uns, von unseren Gedanken umkreist. Eine Handtasche, nuschelt eine, und ich merke, daß wir so nicht weiterkommen. Muß ich eben selber denken.
Der Schlüssel. Italienisches Auto. Auf der Tasche ein Anti-Atomkraft-Knopf. Im Telefon lauter Spitznamen. Ich rufe einen bekannten an. "Ihr Guthaben beträgt null Euro." Klasse, Mädel. Ich lese die Kurznachrichten, stoße auf einen Namen, und als ich dem Namen schreibe, klingelt das Telefon in meiner Hand. Meine Nachricht. An das Telefon. Aha. Ich gehöre ins Bett. Ich schreibe noch eine Nachricht, diesmal richtig, und irgendwie wache ich vom Klingeln meines Telefons auf. Die Besitzerin holt ihr Zeug, und daß ich nicht daran gedacht habe, den Geldbeutel zu suchen, das laste ich jetzt mal zu gleichen Teilen Trunkenheit und Naivität an. Fünfzig-fünfzig? Nein? Na gut.

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Der Tag ist schon so alt, und ist er doch der einzige, wie jeder Tag! Ich laufe durchs Dorf zum Motorrad. Überall wird gewählt, herumgestanden und palavert. Sonntag eben. Ich weiche einer Gruppe aus, laufe auf der Straße weiter. Kaum Autos. Am alten Stall fällt mir eins ein: kein Helm. Zurückfahren oder Vorbild sein? Ich lasse meine Jacke liegen und laufe zurück, und daß ich mit Halstuch und Handschuhen schon seltsam ausgesehen muß, das bemerke ich erst zu hause. Seltsam, ich bemerke es genau zu dem Zeitpunkt, als ich auch feststelle, daß meine Schlüssel in der Jacke, und die beim Motorrad - ich laufe noch einmal durchs Dorf. Nun ohne Handschuhe und Halstuch, dafür mit Schlüssel. Zurück durchs Dorf, und noch einmal.
Irgendwann sitze ich dann, und Sprit ist auch drin, was ein Glück, weil Sie dürfen jetzt einmal raten, wo mein Geldbeutel liegt. Richtig. Ich habe keine Ahnung, hier ist er nicht.


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Hätte ich nicht eines Abends meine Strichliste beglichen, ich hätte in meiner Urlaubswoche kein Geld ausgegeben. Und gelebt wie ein König.
Urlaubswochen können Sie übrigens am gehäuften Auftreten von Traktorenbildern an dieser Stelle erkennen, und eher tagsüber als nachts, aber sicher ist ja nie nichts.

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Beim Quadrennen treffe ich Bekannte und schieße Fotos. Sportfotographie, und irgendwann muß man ja auch mal Bilder machen. Ich liebe Bilder, nur die Kameras stören mich.

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Wieder klingelt das Telefon. Die Taufe ist geschafft, ich kann wieder Radlader sein. Und daß ich dieses Bild, mit mir im Rückspiegel und dem Radio, das "stumm" eingeblendet hatte, nicht hinbekommen habe, das reut mich ein wenig.
Spät in der Nacht essen wir, und diese Müden um den großen Tisch, die mag ich alle sehr.

Rauchzeichen




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