Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

01.08.09, 02:14 | 'Zerdrueckt'
Durch die beiden Fenster dringt die Sommernachtsmusik. Dort war ich bis eben, darauf habe ich mich schon lang gefreut, dafür einen anderen Plan aufgegeben. Nun bin ich zu hause.
Ich öffne das andere Fenster, ich brauche Durchzug. Der Nachbar liegt auf dem Sofa und schläft. Er passt auf seine beiden Kinder auf, die Eltern wechseln sich beim Ausgehen ab.

Ich mußte gehen, eben. Ich hatte mich unterhalten, hier und dort, und die eingeladen, die jedes Jahr nicht kommen. Und plötzlich, inmitten dieser famosen Musik, die Einsamkeit. Das Bedürfnis nach einem Kassensturz. Dabei gibt es so wenig zu zählen.

Ich habe ein Studium angefangen, das ich nicht zum Ende bringe. Ich wohne auf geliehenem Raum. Ich habe keine Freude. Was macht mir denn Freude? Das Radfahren, wenn es bergan geht. Der Kampf. Ich plage mich gern, ich weiß nur nicht, wofür. Ich mag das, bis tief in die Nacht zu fahren und mich am nächsten Morgen aus dem Bett zu kämpfen. Ich mag das Durchhalten. Doch die Begeisterung, die habe ich verloren. Ich bin verbissen geworden. Ich bin lieblos geworden. Ich bin einer der Menschen, die ich verachtet habe, und konsequent verachte ich mich nun selbst.
Auf der Bühne spielt einer Schlagzeug, daß die Bühne wackelt. Mein Patenonkel, der sich vom Zimmermann zum Professor hochgearbeitet hat. Musik, Reisen, Studenten, seine Familie und sein Büro, das füllt ihn aus, ich sehe ihm das Glück an.
Ich komme früh ins Büro, um früh wieder gehen zu können. Nur deshalb, und das mag ich nicht.
Ich war diese Woche auf einem Geburtstag eines Menschen, der irgendwo arbeitet, und irgendwas. Er verdient Geld, er besitzt eine Eigentumswohnung und ein neues Auto, und seine Spielekonsolen leuchten in allen Farben. Ich stand auf diesem Brett, das mein Gewicht und mein Gleichgewicht maß, und ich fühlte mich verloren. Ich kann ihn nicht verstehen. Er bezahlt einen Hausmeisterdienst fürs Rasenmähen. Sein Kühlschrank kann kaltes Wasser und Eiswürfel, und irgendwie auch gehacktes Eis. Ich mag das alles, ich mag diese Spielereien und die Wohnung, aber das Leben, das ist mir fremd.

Von draußen Applaus. Die Band wechselt, es müssten noch zwei oder drei kommen.

Was mache ich denn gern? Sag mir das doch, Elender! Ich mag es, zu helfen. Ich mag hilfreich sein. Ich mag ein Allkunn sein. Mich nicht jahrelang damit beschäftigen, ein winziges Teil in einem Auto billiger und noch billiger herzustellen. Ich mag Zusammenhänge, ich mag Überblick.
Ich mag die Sicherheit, die genug Geld bietet, und die Möglichkeiten. Ich weiß nicht einmal, was genug ist. Ich weiß nicht, wo ich wohnen soll. Was tun. Weiter, und durch vielleicht? Gerade so eben durchkommen?
Ich habe ein Problem mit Aufwand, mit Kraft, mit Einsatz. Ich kann nicht haushalten, ich kann nicht aufhören. Ich verfüge nicht über einen Sensor für Überlast. Ich habe diese Woche nicht geschlafen. Keine Nacht. Es ist nicht der Schlaf, gegen den ich ankämpfe, beileibe nicht. Ich liebe es, zu schlafen. Und ich hasse es, nicht schlafen zu können. Also kämpfe ich. So lange, bis der Bauer den Kopf schüttelt. Bis der Gruppenleiter vorbeischaut und mich bittet, nach hause zu gehen. Ich kann nicht mehr mit einer Schere geradeaus schneiden. Ich sehe rote Punkte, wenn ich die Augen schließe. Sie reflektieren Licht, als wären sie aus dieser Geschenkfolie, nur knittern sie nicht. Ich trauere, mehr und mehr, und am Ende trage ich ein Bild bei mir, das all das noch schlimmer macht. Ich kämpfe nicht gegen den Schlaf, ich kämpfe gegen die Schlaflosigkeit. Ich möchte nicht zu Bett gehen in dem Gedanken, daß ich die folgenden Stunden brauchen werde, sondern weil ich müde bin. So müde, daß ich schlafen kann.

Da ist einer, der ist viel unterwegs. Dreißigtausend Kilometer im Jahr, eher mehr. Er erzählt von Anlagen, die er verkauft hat, und von dem Betrieb seiner Schwiegereltern. Er ist begeistert, er ist bewegt, er bewegt selbst. Ich stehe.

Ich bin stehengeblieben. Ich habe keine Anstrengung unternommen, weiter zu studieren. Keine, etwas anderes zu tun. Ich würde gern schreiben, gern erzählen, gern führen. Ich würde gern Geld verdienen. Mit Dingen, die jemand brauchen kann. Für die er bezahlen möchte, damit ich sie erledige. Ich möchte mich nicht von einer Stempeluhr knechten lassen, ich bin kein Minutenzähler. Ich würde gern weitergehen. Mich entwickeln, einen Mittelpunkt finden. Ich mag die klare Trennung zwischen Beruf und Freizeit nicht, ich mag ausgefüllt sein, und nicht tags auf den Feierabend warten und feierabends mich vor dem Morgen bange machen.

Einer erzählt, wie leicht ihm das fällt, das wissenschaftliche Schreiben. Ich biete ihm Geld, und verdopple dann. Er lacht.

Ich komme mir alt vor. Die Türen schließen sich, ich kann nicht mehr neu anfangen. Ich kann immer noch alles machen, aber eben nicht mehr von vorn anfangen. Ich weiß nicht, wohin. Aber ich muß es wissen, und die Zeit drängt. Ich wusste es lange genug nicht. Und das Warten hat mir nicht geholfen, es hat mich nur Zeit gekostet.

Unchain my heart spielen sie jetzt. Vor einem Jahr noch bin ich dort hingefahren, habe mich mit allen betrunken, bei den letzten bin ich wieder gewesen, und wieder nach hause gefahren. Wider allen Verstand. Gallenbitter ist das, und das trieb mich nach hause heute abend.

Ich mag den Flow. Ich habe nicht einmal ein deutsches Wort dafür. Ekstase ist zuviel. Flow ist Zeitvergessen. Flow ist unangestrengte Konzentration. Flow ist Vertieftheit. Ich möchte etwas haben, das mir den Flow bringt. Nicht nach Feierabend, nach irgendeiner Uhrzeit.
Ich denke oft über die Landwirtschaft nach. Ich kann mir nicht vorstellen, das lange genug durchzuhalten. Ich kenne die Menschen, wenn sie siebzig sind. Ich kenne die Preise und die Kosten. Und ich kenne kein Ende. Finge ich an, ich fände kein Ende.

Ich kann das Problem noch nicht fassen. Das ist übrigens Teil des Problems. Die Verbissenheit lässt mich den Überblick verlieren. Ich durchdringe nichts mehr, ich schweife ab, ich bin unkonzentriert, unfokussiert, mäandernd. Ich denke oft, daß ich dort nicht arbeiten möchte, wo ich jetzt arbeite. Und dann doch wieder. Vielleicht. Mit diesem Büro dort unten, mit Ausblick und Geruch vielleicht. Aber mache ich das wirklich davon abhängig? Zelle mit Ausblick. So peripher wirkt das dann alles, und wieso bin ich davon so abhängig?

Ich habe nie ein Instrument beherrschen gelernt, denke ich, und schelte mich einen Narren. Als wäre es zu spät dafür, und manchmal denke ich das tatsächlich.

Stop before you break my heart.

Halblebig, halbfertig, wie ich das hasse. Ich komme nicht weiter, ich hasse Sackgassen. Ich mag ja nicht einmal telefonieren, mich nicht aufdrängen.

Ich bin in diesem Jahr so wenig im Lohn gefahren wie lange nicht. Ich dachte, das hätte mich aufgehalten. Das Warten auf den Anruf, dann das Umstoßen, die Zeit. Doch das ist es nicht, ich bin es selbst. Ich fahre kaum mehr, ich warte nicht einmal mehr - oh, wenn das wahr wäre! - und doch. Kein Fortschritt. Kein Fortschritt.

Zeit, Zeit, immer Zeit! Ich rechne hin und her, und wieder zurück, auf der Strecke bleibt eine Stunde Fahrzeit und eine Pausenstunde. Ungenutzt, unumgänglich.

Ich schaffe es nicht, sommers neue Bücher zu lesen, neue Musik zu hören.

Rauchzeichen




gingerbox   |   02.08.2009, 21:24   |  
danke

texas-jim   |   03.08.2009, 21:31   |  
Für ein "Gern geschehen" müsste ich lügen. Es freut mich trotzdem, daß es Ihnen gefällt.

gingerbox   |   04.08.2009, 00:41   |  
ich wusste es erst nicht, aber ja, es gefällt mir.
Mitrauchen
 

croco   |   03.08.2009, 11:32   |  
Der Radwechsel

Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld?

Bertolt Brecht

texas-jim   |   03.08.2009, 21:32   |  
Oh. Das kannte ich nicht. Haben Sie vielen Dank!

(Lied aus dem Spanischen

Gestern liebt' ich
Heute leid' ich
Morgen sterb' ich.

Dennoch denk' ich
Heut und morgen
Gern an gestern.)

croco   |   05.08.2009, 12:12   |  
auch schön :-)
Mitrauchen
 


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