Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 10. 07 09

10.07.09, 09:39 | 'Das Auge des Betrachters'
Sie kann keine zwei Klammern miteinander multiplizieren. Wie will sie da die Binomischen Formeln lernen, verstehen? Ich lerne sie auswendig, sagt sie leise. Es ist ein Drama, bis wir drei Viertel von der Kommazahl in einen Bruch umgewandelt haben. Es ist eine ganze Oper, bis wir vier durch sechzehn geteilt haben. Die Oper hat ein Zwischenspiel mit zwei und eins, und ich heul gleich, ehrlich.
Jetzt im Ernst, liebe Lehrer. Das Mädchen ist in der achten Klasse des achtjährigen Gymnasiums und bezeichnet sich selbst als durchschnittlich. Sowas lasst ihr zu? Es fällt euch nicht auf, daß sie nur ablesen, nur auswendiglernen? Es fällt euch nicht auf, daß sie nie eine Verbindung zwischen Funktion und Graph herstellen lernen? Punktprobe, hallo? Und diesen Taschenrechner, den neunmal verfluchten, den gebt ihr heraus, ohne ein ebenso verfluchtes Handbuch beizulegen? Für was, verdammich, bezahlen wir euch? Klar, System, freilich, am Arsch runter werden die Schweine fett (Übertragung aus dem Schwäbischen). Ich hasse euch für sowas, nur daß ihr das wisst. Und ich beiße auch.

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Da ist einer, der bis ans Nordkap gefahren ist. Da ist ein anderer, der gerade eben von Kreta aus an den Gardasee radelt und dabei wundervolle Fotos schießt. Und ich sitze dann da und frage mich, wo ich falsch abgebogen bin, daß ich tatsächlich nur so ein halbes Leben habe, gefesselt an einen Bürostuhl und eine Stempeluhr, wo ich doch wild bleiben wollte? Und dann immer wieder diese Ideen. Daß ich diese Menschen ausrüsten möchte, sie begleiten, sie beschreiben. Das muß doch gehen, da muß doch was gehen. Stattdessen stehle ich mir morgens die Minuten, denn wer früher drin ist, kommt auch früher wieder heraus. Und die um mich, die scheint das nicht zu stören. Ob sie das nicht mehr spüren können, oder ob es wirklich die Nachtgeborenen gibt, die niemanden verstehen?

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Dieser Text beinhaltet eine für meine Verhältnisse hohe Dichte an Verlinkungen. Was kann ich dafür, wenn die dafür Zuständigen Pausen ankündigen? Es muß doch einer die Arbeit tun.

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Ihr jeden Morgen ein Lächeln zu zaubern. Den Tag über bin ich sehr wach, um keinen Einfall zu verpassen, und abends feile ich an den hundertundsechzig Zeichen wie in alter Zeit, als das noch besonders war, und wertvoll. Wie ich da saß, über eine zweizeilige, monochrome Anzeige gebeugt, und jeden Buchstaben auswählte, während die Tasten unter meinem Finger kippelten. Wie ich Leerzeichen sparte, wenn ein Wort bis ans Zeilenende reichte - wie hätte ich wissen sollen, daß andere Zeilen andere Längen haben? Ich wusste ja so gar nichts damals. Ich weiß immer noch nicht.

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"Fahr sie einfach mal", sagt der Händler zu mir, und ich streiche ihr über den Rist. Über den Tank, kantig, klumpig, und doch wie gegossen. Über die Sitzbank und den Soziushöcker, weil man diese Maschine nicht zu zweit fährt. Ich streiche über das kalte Auspuffrohr, murmle Vier-Eins-Zwei, und ich weiß genau, daß er mich damit kriegen wird.

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Ich radle den Berg hinauf durch den Matsch, den der Regen herabschwemmt, und oben auf der Alb in den Wald hinein. Irgendwo hören die Fuhren auf, Wege zu sein, dann hören auch die Fuhren auf. Es donnert. Ich sehe einen Wall, drei, vier Meter hoch, er sieht aus, als wäre er mit der Richtschnur gezogen. Es wachsen Bäume darauf, Buchen, dreißig, vierzig durch, der Wall ist wohl schon ein Weilchen da. Wer hat ihn gebaut? Ich klettere hinauf, sehe mich um.
Es ist kein Weg zu sehen, also fahre ich bergab. Das bietet sich an, wenn man ins Tal möchte. Steil, steiler, ich halte mich am Rad fest, und irgendwann ist Ende. Jetzt ein Seil, denke ich, und schaue hinab. Kein Seil, ich schaue wieder hinauf, sehe weit oben meine Spuren im Laub. Es beginnt zu regnen und ich schultere das Rad, klettere gebückt wieder nach oben. Talwärts, soso.

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"Es ist nicht der Betriebsrat, der euch rausschmeißt", sagt er und gibt sofort das Mikrophon ab. Er muß so kämpferisch klingen, und doch zerrt es an mir. Ich schaue mich um, ernste Gesichter, verschränkte Arme, Stille.

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Bereits am ersten Tag der Überwachung haben wir ihn. Bild um Bild. Das Licht geht an, der starre Blick, der direkte Weg zum Schrank. Das Schloß in der Hand. Ich habe die Kombination geändert, und auf den unscharfen, streifigen Bildern kann ich sehen, wie er daran zerrt. Noch einmal versucht. Über ihm strahlt die Lampe hell, sie leuchtet direkt in die unbewegte Linse, überbelichtete Bilder, und darunter das Rütteln an der Tür. Verzweiflung. Die Sekunden ticken, jede Sekunde ein Bild. Nur seine Hände bewegen sich hektisch. Dann Erstarren. Er scheint kleiner zu werden.
Das nächste Bild zeigt ihn entschlossen, hart. Er dreht sich schnell, das Bild verwischt. Beide Hände an einer Kiste. Nur noch ein Schatten. Das Licht ist wieder aus.
Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Es scheint niemanden anzugehen. Wir lassen die Kamera laufen.

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Ein Unfall, so hört man, und der Schulterzuckende, der stoisch Kluge, den ich so mag für sein Hinnehmen des Hinnehmbaren, für sein gewitztes Umschleichen, für sein brachiales Mittendurch.

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Ich schaue der Nacht zu, wie sie den Tag verdrängt.

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Wenn mich niemand rüttelt, niemand rührt, vermisse ich nicht. Eine Option, unberührt zu sein.

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Was, wenn man nicht sicher ist, daß Gedanken ans Ziel kommen?
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Montag, 6. 07 09

06.07.09, 20:02 | 'Das Auge des Betrachters'
Pärchenabend, und ich war auch schon lange nicht mehr ohne Platzkarte im Kino.

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Ice Age 3 zeigt, daß das Leben wie Schlittenfahren ist, und zumindest das ist sehr tröstlich, auch in 3D.

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"Was ist Dreidee?"

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Wie sie ihn anschnauzt, und er mit ihr zu streiten beginnt, das ist besser als Kino, und zudem sehr mahnend. "Man sei stets vorsichtig in der Wahl seiner Eltern und Schwiegereltern", hat mein Großvater einst gesagt.

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Und Dinge wie: "Beim Heiraten kann man reinfallen. Fragen Sie nur meine Frau." (Übersetzt aus dem Schwäbischen.)
Sowas kann man nur sagen, wenn da Liebe - ach, heute pfeifen wir auf sowas.

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"Der (fast) tägliche Ablenkungsnachrichtendienst wird ab heute wegen grober Ignoranz eingestellt. Wir pfeifen auf Ihr Verständnins."

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Die Z750 macht mich unglaublich an. Was für eine heiße Braut.

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Es passt nur nicht: Zwei Räder, hundert Pferde, keine Angst.
(Wie ich das schreibe, singt Nina Persson, die große Nina Persson:
"So if it’s true, that love will never die
Then why do the lovers work so hard
To stay alive"
und hat so recht, so recht, mit ihrem geifernden Zynismus, mehr noch, da sie ihn vorträgt wie ein Gebet.)

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Der Tag, an dem man wirklich nicht mehr weiß, was einen außer der Gewohnheit noch aus dem Bett treibt. (Nein, heute kein Schlafmangel.)

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ZX-6R. ZX-6R. Gibt es Todesanzeigen in Kawa-Grün? ZX-6R. ZX-6R.
(Ich bin zu leicht für eine Tausender. Ehrlich.)

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"Was gefiel Dir denn besonders daran, an die Uni zu gehen?" fragt sie, und ich antworte mit einem bitteren, freudlosen Lachen.

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"Es sind ja doch immer die Frauen, die nachgeben", sagt die eine zur anderen, mit verschränkten Armen stehen die beiden da in der Sonne, und ich nicke freundlich und gehe wieder zurück ins Büro.

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Was kann ich eigentlich? Worin bin ich gut, was macht mir Freude, und wieso bin ich dann hier?

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Ich verspreche mir selbst, weniger zu warten.
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Freitag, 26. 06 09

26.06.09, 11:54 | 'Das Auge des Betrachters'
Ich mag das ja, meine Termine und Erinnerungen mit dünnem Bleistift direkt auf die Tischplatte zu schreiben. Beim Auflegen der Arme verwischen sie leicht, und so werden sie diffuser, je mehr Zeit vergeht. Je weiter außen sie geschrieben sind, desto länger halten sie sich. Direkt vor der Tastatur sind sie schnell weggewischt und nur noch als grauglänzende Flecken an meinen Händen zu sehen.
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Mittwoch, 20. 05 09

20.05.09, 12:13 | 'Das Auge des Betrachters'
Und wie ich sie da so sitzen sehe bei uns auf dem Sofa, die Beine hochgezogen und den Kopf aufgestützt, da frage ich diesen seltenen Gast, ob sie denn müde sei.
Um die Zeit bin ich normal schon im Bett, sagt sie. Eine Stunde, vielleicht zwei.
Ich schaue nach der Uhr. Es ist elf. Ich bin sechsundzwanzig. Sie zweiundzwanzig. Alles klar, denke ich, die Jugend von heute.
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Montag, 18. 05 09

18.05.09, 11:17 | 'Das Auge des Betrachters'
Ich habe nur so eben noch hergefunden, in dieses Wohngebiet, in dem ich seit Jahren nicht mehr war. Langsam fahre ich die Straße entlang und versuche, mich zu erinnern, wo Du wohntest. Es muß hier sein, denke ich. Da kommt mir ein Auto entgegen, und ein Lächeln darin, das mir gilt. Du hältst in der Einfahrt und ich daneben. Ich steige aus und gehe auf Dich zu. Reiche Dir die Tasche mit dem Patienten darin und murmle ein paar Erklärungen.
"Wo gehst Du hin?" fragst Du.
Stalldienst, sage ich und schaue zu Boden. Du trägst keine Schuhe, Deine Strümpfe sind grün und kurz. Ich kann Deine Knöchel sehen. Mach es gut, sage ich, und halte die Daumen in den Hosenträgern eingehakt.
Du schaust mir noch nach, als ich abbiege.

Und den ganzen Abend über im Stall, da bin ich seltsam beschwingt, und ich streiche zwischen meinen Mädels hindurch, und vorsichtig lasse ich die Säure in den Eimer plätschern, und beim Einstreuen klopfe ich den Frischmelkern auf den Rücken, und beim Füttern feure ich meine Fräse an, und die ganze Zeit über lächle ich und murmle Erklärungen vor mich hin, als stündest Du neben mir und wolltest wissen. Als wären da nicht Welten.

Später: Die Hosen, denke ich mir. Ich stand in Arbeitshosen und Stiefeln vor Dir, an sonnigem Sonntag, weil das für mich so logisch klingt, mir den Weg zu sparen, und mich noch einmal umzuziehen. Patient habe ich gesagt! Zum Rechner einer Medizinerin, und daß ich den Kranken noch einmal sehen will. Kroatien habe ich gesagt, und daß ich noch nicht weiß, des Wetters wegen, und vom Fliegen erzählt, von dem einen Flug. Und ich schelte mich einen Esel, wie ich da so stehe und die Rindviecher beobachte, ans Fressgitter gelehnt, die Daumen wieder in den Hosenträgern. Eines kommt zu mir und drückt mir die rauhe Zunge ans Hemd, und da muß ich dann doch grinsen.
Ich gehe nach drinnen und ziehe die Stiefel aus. Abendessen. Was für ein Fan bist Du, fragt mich das Engelchen. Mein eigener, sage ich, und sie lacht.
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Donnerstag, 2. 04 09

02.04.09, 10:42 | 'Das Auge des Betrachters'
Dein Lachen, das liebe ich. Deine Unbeschwertheit, die Du Dir erkämpft hast. Erschöpft siehst Du aus, abgespannt. Aber Deine Schlagfertigkeit, Deine Geschwindigkeit, Dein Maschinengewehrlachen, das alles hast Du wieder.

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"Ich sorge doch für meine Männer", sagt die Bäurin, als sie zwei riesige dampfende Töpfe ins Esszimmer balanciert und auf dem Tisch abstellt.
"Deine Männer?" fragt ihr Mann neckend.
"Ja, das sind alles meine", sagt sie und schaut uns der Reihe nach an. "So lange sie hier sein wollen."

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Ich hopple mit dem Radlader über den Hof, und zwänge mich knapp an einer sehr großen, sehr sauberen Limousine vorbei, neben der mein Beemes sehr klein und sehr dreckig wirkt. Allerdings gehört der hierher, darf der hier sein. Die große Limousine parkt in einer Pfütze, und es sieht aus, als sei sie damit nicht besonders glücklich. Das Bein zu heben traut sie sich allerdings nicht.
Rein in den Mischwagen, die Druckanzeigen fahren hoch. Fräse, Elevator, Schnecke, Paddel, Fahrantrieb. Gute Arbeit! wünscht mir die Waage, und ich klicke mir das erste Rezept auf den Schirm. Motor starten, Rückfahrkamera einschalten, hoch den Fräsarm und hurra.
Und daß genau in dem Moment der komplette Stadtrat vor mir steht, als ich rückwärts in den alten Stall zirkle, das erklärt auch die eingeschüchterte Limousine auf dem Hof. Ich habe links und rechts vier Zentimeter durchs Tor, das sieht auf dem Bildschirm immer so aus, als ginge das nicht. Tut es, denke ich, tut es doch!

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Meine Schülerin ist vierzehn und verschnupft. Sie lässt sogar die Jacke an und versteckt das Kinn im Palästinensertuch.
"Setz Dich", sage ich und schiebe ihr einen Stuhl hin. "Weißt Du eigentlich, wieso Du hier sitzt?" Sie schüttelt den Kopf. "Wegen meiner Noten vielleicht?" fragt sie zweifelnd. "Nein, weil Dein Stuhl niedriger ist als meiner", und das entringt ihr das erste scheue Lächeln. Unvermittelt fängt sie an zu fragen, und schon stecke ich mittendrin im Intervallhalbierungsverfahren.
Neun Viertel, sage ich, und sie grinst zum ersten Mal vorsichtig: "Ich weiß schon, daß Du auf Brüche stehst."
"Und auf Kopfrechnen", sage ich lächelnd.
Bei siebzehn mal achtzehn schiebe ich ihr wortlos den Taschenrechner zu. "Das große Einmaleins mußten wir im Kopf rechnen", meint sie mit hochgezogener Braue.
"Wir auch", gebe ich zu, "aber das ist schon lange her. Schließlich bin ich schon drei Jahre keine vierzehn mehr." Meine Altersironie geht ihr völlig ab, und wie will das mit vierzehn auch anders sein, denke ich, und dann denke ich noch, daß das sehr erfrischend ist, und wie sehr ich das Mädchen schon mag. Und so sitzen wir da, mit rauchenden Köpfen, und ich kann die zahlengefüllten Denkblasen über unseren Köpfen platzen sehen, bis sie "Dreihundertsechs" ruft, und ich "Hurra!"
Das ist es, was ich beibringen möchte. Das Knitze, das Vorlaute, die breiten Schultern. Und das gemeinsame Lachen. Dann lernt man Mathe fast von selbst.

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Ich möchte noch kurz die Ration ändern. Und rühren. Und. Und. Und.
"Hast Du schon gesehen, wie spät es ist?" fragt der Bauer. "Ich muß um halb bei Ilse sein. Große Politik, das wär doch auch was für Dich."
Ach, sage ich schulterzuckend, das muß ich nicht gesehen haben, und laufe durch den Stall, die Bedienungsanleitung in der Hand gerollt.
Ich sitze in der geschlossenen Kabine, das Radio spielt, und mit der Anleitung auf den Knien drücke ich an den Tasten herum. Ich mag das, wenn es lange hell ist. Wenn Feierabend ist, und ich nicht mehr auf die Uhr schauen muß. Wenn mich nichts mehr stört.
(In der Zeitung steht, daß Frau Aigner wegen Krankheit nicht erschienen ist. Hihi.)

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Mail vom Betreuer an seine "Schäfchen": Macht einen Spaziergang, euer Büro bekommt neue Möbel. Mache ich doch glatt, ich bin ja nicht so. Hurra.

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Das Hurraaufkommen in diesem Beitrag ist dem Frühling geschuldet, und der Sonne, und sowieso und überhaupt. Hurra.
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Montag, 30. 03 09

30.03.09, 03:21 | 'Das Auge des Betrachters'
Fight your fear with anger.

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Es ist alles verflogen, was ich mir zurechtgelegt habe.

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Ich habe nicht von Deiner Präsenz erzählt, von Deiner überwältigenden, mitreißenden Körperlichkeit.

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"Sie suchen sich keine Rolle aus, Ihre Rolle wird Sie finden", sagt unser Regisseur, und beim Theologiestudenten schauen mich alle an. Der wird sich unsterblich in das Mädchen verlieben und daraufhin sein Studium abbrechen, und als ich das lese, habe ich schon fast resigniert. Trüge ich derzeit weder Haare noch Brille, ich käme als Bauernlümmel durch.

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Er möchte nicht von Laien reden, sondern von Volksschauspielern, und mit seiner eindringlichen Stimme redet er von Kinski, der sein solcher gewesen sei. Ich schaue in die Dorfgesichter der Volksschauspieler um mich, und dann schäme ich mich dafür, mir einzubilden, schnauben zu dürfen.

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"Weil man Dich so selten sieht", sagt er, und der Vorwurf ehrt mich, "ansonsten lade ich niemanden ein."

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"Ich habe einfach Deine Unterschrift gefälscht", sagt er und prostet mir zu. Und diese Frechheit, dieses ellbogenhafte Nichtbeachten, es nötigt mir Respekt ab, während mich der Affront sprachlos machen möchte vor Zorn. "Kurzer Dienstweg", lacht er, und er meint das freundschaftlich, zumindest möchte ich ihm das gern glauben.
Wenn Du den Betrag korrigiert hast, soll mir das gleich sein, sage ich, weil man sich ja nicht über alles aufregen kann.

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Sie strauchelt und fasst mir haltsuchend in den Schritt. Tastend. Reibend. Sie bleckt die Zähne, und das soll dann wohl erotisch sein. Ich warte ab, es ist schließlich ein Spiel, und sie ist noch am Zug. Sie wird ein wenig unsicher, weil mir die Lüsternheit fehlt, wie auch die Abwehr. 'Schuldigung, nuschelt sie schließlich, doch sie unterbricht sich nicht.
Es ist dieses Schwanken, das mich abhält, der Unwille, getestet zu werden. Vorhersehbarkeit ist der Feind, und ich wende mich ab, während ich ihr lächelnd versichere, daß genug für alle da ist.
Die Zote begrüßt sie, die Zweideutigkeit geht ins Leere.

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Die Rückseite ist Spitze, während vorne glänzendes, glattes Tuch blitzt, und das kommt mir so falsch vor, so sichtbar, so aufgetragen, daß ich nicht einmal den geforderten zweiten Blick riskiere.

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Und das liegt nicht einmal daran, daß sie ihre Kehrseite den wechselnden Händen darbietet. Es ist das Wissen um die Kausalitäten, es ist das Widerliche am Einfachen, es ist das Widerstreben gegenüber der Triebhaftigkeit, die mich am Ende abhält.

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"Tanz für mich", und sie hat ihre Arme um mich geschlungen. Ich streiche ihr das Haar aus der Stirn und sanft hinters Ohr. Das kannst Du Dir nicht leisten, flüstere ich, und hätte sie diesen Schmollmund nur eine Sekunde länger vor mir hergetragen, ach.

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Stattdessen winke ich dem Freund mit dem Kinnbart, und wir tanzen zu unserer Musik. "Du bist ja noch kranker als ich", ruft er mir ins Ohr, und dabei trage ich sogar noch mein Hemd.

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Der Vetter grinst selig, und ich kann ihm nicht helfen auf seinem Weg ins Taka-Tuka-Land.

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Schulterfrei heute, und am diesem zweiten Abend sehe ich die zweite Tätowierung. Ich bedanke mich dafür, daß sie gestern gefahren ist, und genauso falsch erzählt sie, wie sehr es ihr gefallen hat mit uns. Chapeau, sage ich, und wir grinsen uns an, weil die Karten auf dem Tisch liegen, und wir uns sowieso nicht wiedersehen werden.

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Hätte ich als Grund den Trieb, ich würde verstanden. So bleibe ich allein damit, daß ich mir nicht sicher bin. Daß ich mir mißtraue, meiner Analytik, und besonders dem Gefühl. Das ist es schließlich, daß ich zu stark fühle, um mir zu trauen, und doch zu schwach, um hörig zu sein.

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Ich halte fest das Widerstreben gegen ein Lachen. Gegen das Fernsehen. Gegen die Behutsamkeit, die meine Hand erstarren lässt, wenn sie nach ihr greift. So sitze ich, um nicht zu verstoßen, starr und stelle fest, daß meine Hand taub und eingeschlafen ist, und ich bin mir selbst zuwider dafür. Gegen behaarte Beine, und ich heiße mich selbst einen oberflächlichen Idioten. Gegen das Nichtverstehen. Gegen das fragende Unterordnen, das sich nicht einmal das Bitten zutraut. Immer wieder sehe ich zu dem Bild von ihr an der Wand, aber was hilft das Bild?

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Je vorsichtiger der Umgang, desto derber müsste die Sprache werden.

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Du schreibst mir, daß Du schon wieder alleine schlafen mußt. Einen Abend, zwei, drei Abende. Und Tage später fragst Du mich, ob ich das nicht gelesen habe. Ich sehe sie, die Frage nach dem Verstehen, doch Du stellst sie nicht. Zwinge mich doch, zu erklären! Treibe mich in den Monolog, aus der Tür, aus Deinem Leben!
Ich gähne und sage, daß ich jetzt ein Bett brauche, und als Du mich fragst, ob ich noch etwas zu tun habe, da flüchte ich Feigling über die goldene Brücke, die Du mir baust.
Schade, daß Du nicht bleiben magst, und soviel Mut hätte ich Dir nicht zugetraut.

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Ich habe Angst, daß ich Dir etwas wieder wegnehmen muß, das ich Dir geben soll. Ich weiß, daß ich es Dir wieder nehmen muß, und das möchte ich Dir ersparen. Oder vielleicht auch mir, soll doch ein anderer Dein Herz ein erstes Mal brechen.

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Du legst mir die Fernbedienung auf den Bauch. "Such Dir etwas aus." Ich reiche sie zurück, Du kennst Dich besser aus, und diese Spitze, die kannst Du nicht spüren.

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Das ist der freie Wille, sagt Gott in dem Film, in dem Gebete E-Mails sind, und ich überlege, ob ich darum beten soll, daß der freie Wille nur ein Scherz sein möge.

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Mit meinem Freund hat mich einst ein Mädchen verglichen, und das war beileibe kein Kompliment. Heute wünsche ich mir mehr denn je, der Vergleich träfe zu.

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Vielleicht möchte ich auch einfach die Arbeit nicht machen? Der erste zu sein, den Weg zu bereiten? Vielleicht möchte ich keine Straße bauen, die ich nicht befahren mag?

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Je weniger ich das will, umso mehr fühle ich mich verpflichtet.

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Es geht diesmal nur ein wenig schneller, denke ich. Das Nachlassen, das Genervtsein, das Flüchten.

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Es ist Sonntag, und ich krieche mit Winkelschleifer und Mörschel unter einem alten Kunststofftank herum. Die Schläge dröhnen durchs Dorf wie die Kirchenglocken, hol mich der Teufel.

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Ich liege unterm Mischwagen, und es ist immer noch Sonntag. Ich muß mich beim Abschmieren nicht beeilen, das ist Sonntag. Ich bin ein wenig verschämt fürs Schmutzigsein, das ist Sonntag. Ich mache das, was ich gerne tue, und das sollte doch Sonntag sein.

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Pfeifend fahre ich über die Dörfer, um den neuen Tieflader abzuholen. Kein Licht, keine Bremse. Wenn ich auf der Bundesstraße angehalten werde, spare ich mir zumindest die Entscheidung über den Lastwagenführerschein,


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Im Fernsehen wird gekocht. Aha.
Im Fernsehen bleiben zwei wach, zwei Tage lang. Einer radelt, einer schaut fern, und ich schaue beim Fernsehen und Radeln zu, und ich bin sicher, daß mich gleich der Redundanzblitz trifft, wenn ich durch den Fernseher einem beim Fernsehen zuschaue, der - fernsieht. Und da sage noch einer, man könne nicht in der Zeit reisen und sich selbst begegnen.
Der radelnde Proband fragt nach den Folgen für seine Gesundheit. Nur zwei Tage, möchte ich ihm den Vogel zeigen, doch bevor ich mich ereifern kann übers Fernsehen, da packt mich das Grinsen und Kopfschütteln, und das ist das einzige, was mich diesem Wahnsinn noch fernhält.

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Und ich lag da, so weit auf der Seite, daß ich zur Hälfte in der Luft lag, um dem Drängen zu entgehen.

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Und wie sie da stand, über mir, und ihren Platz forderte, da mußte ich meine Abwehr so deutlich machen, daß -.

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Ich werde Dich zurücklassen, vor diesem flimmernden Fernseher, auf diesem Sofa, inmitten all dieser Kissen, und weiter wird das Licht aus diesem Raum auf den Hof scheinen, Abend um Abend, schattenlos.

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Wie seltsam, wo ich doch genau dieses verherrlicht habe, neulich. Das Sofa, das Flimmern, und daß es mir nun so widerstrebt, daß ich speien möchte, das bringt mich auf den Gedanken, es wäre nur Mittel zum Zweck, Sinnbild, Symbol, place your love here.
Und daß ich mir nicht einmal hier trauen kann, daß ich nicht zu dem vordringen kann, wofür all dies steht, das macht mich noch kritischer mir gegenüber. Denn erst, wenn ich weiß, kann ich suchen. Doch ich werde erst wissen, wenn ich gefunden habe.

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Dies ist der Punkt, an dem ich resigniert lächelnd aus dem Karussell aussteige, um vielleicht vom Glück gefunden zu werden.

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Es wäre nur noch schmerzhafter, jemanden zu enttäuschen, der sich aus freiem Willen entschied, als einen, der getrieben, gelenkt, programmiert gewesen wäre.

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Sie sitzt auf seinem Schoß, und er grinst selig. Näher wird er nie herankommen, ist er noch nie, denke ich, und ich erschrecke davor, daß ich ihn dafür verachte, daß er so unbeholfen ist, und so unterworfen. Daß ich nicht einmal neide, denn Neid, den könnte ich noch verstehen. Doch mein Herabsehen ist grausam, und ich schlucke den Scherz hinunter, den ich schon auf der Zunge hatte.

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Mehr denn je fehlt mir der Neid. Der Vergleich macht die Egalität deutlich. Dieser hat einen schicken Bart, und bezahlt Alimente. Jener hat eine wunderschöne Freundin, vor der ich schreiend davonlaufen würde, müßte ich mit ihr reden. Nächster leuchtet umringt, doch sein Magen verdirbt ihm mittlerweile selbst den Kaffee.
Und selbst? Die Kraft des tiefen Schürfens, und auch dessen Beschwerde. Das Faszinierte an so vielem, und die fehlende Hingabe, Bestimmung, wieauchimmer.
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Sonntag, 1. 03 09

01.03.09, 10:10 | 'Das Auge des Betrachters'


"Wie viele Bücher kann man eigentlich so nebeneinander her lesen?" fragt sie mich entgeistert. Und ich möchte erzählen von den Büchern, die man sich schämt, müde oder trunken zu lesen, von den Büchern, die man nur in großen Abständen erträgt, von den Büchern, die man immer wieder liest, von den Büchern, in denen man nur kurz einen Absatz sucht, von den Büchern, an deren Seiten man Klebestreifen hängt, von den Büchern, die schon meine Kindertränen aufgesaugt haben, von den Büchern, die -.
Ach, sage ich, so viele, bis der Stapel hinunterfällt, und das ist irgendwo auch eine Wahrheit.
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Montag, 23. 02 09

23.02.09, 18:46 | 'Das Auge des Betrachters'
Ich spiele das Spiel wieder. Nicht bis zum Ende, aber ich spiele wieder.

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Das Katzenmädchen und das elfte Glas Sekt.

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Der Bub erschrickt, als ich ihn nach seinem Alter frage. Ich gebe ihm die Flasche trotzdem, denn wer sich betrinken will, tut das in seinem Alter mit Schnaps. Bier passt einfach nicht genug hinein für einen Rausch, und es spuckt sich deutlich leichter und früher, wenn man das Trinken nicht gewohnt ist.
Widersinn, denke ich, und doch so stimmig. Ich freue mich schon, wenn sie nur Bier trinken, und ich könnte mich ohrfeigen dafür.

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Das Katzenmädchen wieder. Sie schreit, daß ich es bis in die Küche hören kann, und zeigt mit dem Finger auf ihr Glas. Elf! Sieben, sage ich grinsend, und Dein Ohr ist auch krumm. Deine Schnurrhaare sind verwischt, denke ich noch, aber -.

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Zu dritt tanzen wir hinter der Bar und beschließen, im nächsten Jahr als Gruppe aufzutreten. Wir legen uns die Hände um die Schultern, singen lauthals und werfen die Beine hoch. Höher, ich schwinge die Bergschuhe, die beiden ihre Stiefel.

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Sie schieben einen Servierwagen die Tischreihen entlang und sammeln die Gläser ein. Auf dem Rückweg stolpert eine Kostümierte hinein. Die restlichen Gläser könnt ihr in den Händen tragen, lache ich und hole einen Besen. Keine Verletzten.

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Noch einmal das Katzenmädchen. Acht, ruft sie über die Bar, und Mach ganz voll! Ich drohe ihr mit dem Finger, nichts verschütten, ja? Sie beugt sich weit über die Bar, um ein wenig herauszuschlürfen, und schaut mich dabei an, durch den perlenden Sekt, und so genau wollte ich all das gar nicht sehen, fluche ich laut, und das Alter und die Jugend!

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Neunzig Quadratmeter, sagt sie lachend, und sogar ein Kinderzimmer! Nur kein Mann, und ihre Hand spielt auf meinem Schenkel. Auch eine Art, das Spiel zu spielen, denke ich, heißes Spiel und hoher Einsatz. Und ich merke, wie meine Angst vor den hohen Einsätzen nachlässt, wie der Widerstand bröckelt. "All in", irgendwann, sicher. Nicht jetzt. Doch die Sicherheit, es irgendwann wagen zu wollen, das ganz große Spiel, diese Sicherheit macht mich verlegen und froh. Daß ich mich noch ändern kann. Daß es nicht so bleiben muß, das Spielen und Flüchten, Gewinne mitnehmen und erneut setzen. Daß ich irgendwann mit den Jetons zur Kasse marschiere, und dann hinaus ins Licht, nach dieser einzigen langen Nacht des Spielers.

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Das Katzenmädchen schon wieder, und ihre Hand auf meinem Arm. Ölf! Und ich sage ja, und den elften umsonst, und wer bringt Dich dann nach Hause, und ich sage das so, daß es sie reißt, und ich kann das sehen, wie ihr das klar wird, daß es Zeit ist für jemanden, der sie nach Hause bringt, anstatt sie nach Hause mitzunehmen.

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Journalistenschule, sagt sie, und ich mag diese kleine, knitze Person sehr. Ich bin einst ziemlich abgestürzt in ihrer Garage, aber das dient nur meiner Erinnerung. Du könntest dem Jauch Paroli bieten, sage ich und schaue zu, wie sie das Silberpapier auf den Flaschenhälsen mit den Fingernägeln zerfurcht.

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Ich balanciere auf zwei wackligen Barhockern und reibe mich am offenen Fenster, aber das fällt gar nicht auf, und es ist ein ganz anderer Tag.


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Wir telefonieren, und als sie ganz unvermittelt "Ficken" sagt, höre ich mich dankend ablehnen, und ich kann das im Nachhinein auch nicht mehr wie eine Frage klingen lassen. (*)

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Was ein Relais, ein Schalter und zwei Leuchtdioden für ein Chaos auf meinem Schreibtisch anrichten können!

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Gammeltag, rufe ich laut, aber zum Fernsehen reicht es dann doch nicht ganz.

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Ich wasche mir den Glitzer vom Hals und von all den Stellen, die sie berührt hat. Ich spüle den Siff von den Händen und den Rauch aus meinen Haaren. Den Aufkleber ziehe ich vorsichtig von meinem Hemd ab, bevor ich es in die Wäsche werfe. Unschlüssig halte ich ihn in den Fingern, bevor ich mir einen Ruck, und dem Aufkleber noch eine Chance auf eine Erinnerung gebe.


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Mein lachendes Mädchen ruft mich an, und ich fahre hundert Kilometer mit ihr auf der Autobahn.
Sie erzählt von den Mundwinkeln, und ihrer Theorie des letzten Schuhs, und sie freut sich für mich, weil sie das kennt, mit dem kalten Bett und dem warmen Bauch. Ich kann Dein Herz hören, sagte sie zu mir, und Deine Wärme spüren.

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Deine Stoppeln, sagt sie, die stören mich, und ich streiche mir über den frisch rasierten Hals, die Beine auf dem Schreibtisch ausgestreckt und grinsend wie ein Lurch. Ein Lurch? Da muss er durch, der Lurch, wenn er ein Frosch werden will, aber wer will das schon?

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Auch ein gutes Pferd macht mal einen Fehler, hast Du gesagt, mit Deinem schiefen Grinsen, und daß ich Dein Fehler sein möchte, das habe ich wieder nicht aus meinem Herz herauslassen können.

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Es ist nicht das Verlieren, das mich ängstigt, es ist das Gewinnenwollen. Es ist der Hauptpreis, so groß und glänzend, daß neben ihm alle Trostpreise verschwindend - ach.
Man sollte alles setzen, und alles verlieren. Und sich einen Groschen borgen, von irgendwem, und wieder. Doch das Glänzen, es lähmt, es pasteurisiert mich, und Sie sehen, wie mir die Worte ausgehen dafür. Paralysiert, das war es, freilich. Und solange ich Kaninchen mich nicht bewege, läuft vielleicht auch die Schlange nicht davon.

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Ich packe das Buch ein, und aus dem langen Brief werden kümmerliche Zeilen, weniger und weniger, und knöcherner und dürrer. Verdorrt und tot steht am Schluß ein Geburtstagsgruß auf der ersten Seite, wo doch alles stehen sollte, für Dich.

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Spät in der Nacht marschieren sie auf den Paletten herab, die Hüte schwenkend, und ich spiele alles noch einmal, und alles noch lauter, und irgendwann fällt die Sicherung.
# |  2 RauchzeichenGas geben

Samstag, 14. 02 09

14.02.09, 14:21 | 'Das Auge des Betrachters'
# |  Rauchfrei | Gas geben

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