Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

27.06.15, 12:12 | 'Rage within the machines'
Also nochmal für mich, ganz langsam. Heterosexualität ist okay. Homosexualität ist okay. Asexualität ist okay. Alle Spielarten, die sich in pornographischen Kategorien fassen lassen, sind okay. Aber wenn ein Mann sagt, daß er schlanke Frauen attraktiv findet, schreien alle auf, weil das nicht okay ist. Aha.

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Was auch neu ist: eine Ethik der Tierhaltung, die den Nutzen am Tier verteufelt und die eine künstliche Vorstellung von Natürlichkeit als Ideal pflegt. Mir stoßen dabei mehrere Dinge auf.
Zum einen ist es die Überhöhung der Sinnlosigkeit, beziehungsweise die definitive Überhöhung des Selbstzweckes als größtmöglicher Sinnhaftigkeit. Dadurch wird jegliche mögliche Motivation des Tiers negiert, und was das für den Menschen als Tier bedeutet, mag sich jeder selbst ausdenken. Als Denkanstoß mag das Fenster dienen, durch das Sie gerade in den Garten schauen, das Sie aber auch vom Wetter trennt.
Zum zweiten ist es die Ausklammerung des Haustiers, das im Gegensatz zum Nutztier lediglich der Erheiterung des "Besitzers" dient. Durch Besitz und die rein egoistische Motivation der Tierhaltung zur Erheiterung - zum Spaß! - wird das Tier objektiviert und in der Rangfolge der Bedeutsamkeit sogar noch hinter der "Nutzerfreundlichkeit" eingeordnet. Dies äußert sich beispielsweise in der Haltung in rein menschlicher Umgebung, in Wohnungen oder Käfigen. Aber auch darin, daß Tiere versorgt, medikamentiert und operiert werden, um die Freude des Benutzers zu verlängern. Oder die Tiere werden eben "entsorgt", wenn die Nutzermotivation sich ändert.
Zum dritten ist es die Verteufelung der Arzneien, die wiederum ein Symptom ist für die Überhöhung des Selbst und die Erniedrigung des Tiers. Es ist eben doch ein Unterschied, ob ein Apfel oder ein Rind "bio" ist. Da wird, unter Verweis auf die wiederum egoistische Motivation eines "gesunden" Fleischkonsums, dem kranken Tier eine Behandlung durch Medikamentation verweigert. Dadurch wird das Tier herabgestuft und entwürdigt, zum reinen Lebensmittelproduzenten degradiert, dessen Ansprüche auf Heilung oder Schmerzlinderung hinter das Interesse am Endprodukt Fleisch selbstverständlich zurücktreten.
(Ich könnte mich ja immer aufregen.)

Rauchzeichen




nuss   |   29.06.2015, 23:58   |  
Ich musste jetzt länger über denn ersten Absatz nachdenken, aber ich glaube, das hat mit gefühlten gesellschaftlichen Druck im Zusammenhang mit Gewicht zu tun. Wenn du sagst, du stehst auf schlanke Frauen, dann sprichst du eine Norm aus, unter der alle schon ständig stehen, und für viele ist dieser Zustand mit negativen Erfahrungen verbunden, entweder mit Verzicht, oder mit Ablehnung. Das ist nicht deine Schuld, aber es erklärt, warum das Thema immer vorbelastet ist. In meinem Umfeld zumindest haben Frauen das sehr viel kontrolliertere (um nicht zu sagen: verkrampftere) Ernährungsverhalten. (Erkennt man zum Beispiel daran, dass die Kalorien auswendig benennen können. Und hinter der grossen Begeisterung für Früchte und Tee steht meist Selbstkontrolle.) Allgemeiner formuliert: In einer Kultur, in der eine Norm das Leben vieler Menschen negativ bestimmt, ist es problematisch, Abneigung gegen von der Norm abweichende Menschen zu äussern. Dicken Menschen kommt eine gesellschaftliche Negativwertung zu, die weit über individuelle Präferenzen hinausgeht und degradierend ist (Stichwort: fat shaming). Ein Vergleich (keine Gleichsetzung): Wir fänden es alle unproblematisch zu sagen: "Ich finde schwarze Männer attraktiv." Problematischer ist es zu sagen: „Ich stehe auf weisse Männer.“ Die zweite Äußerung ist belastet mit der Negativwertung, die Schwarzen oft genug und ungerechterweise zukommt. Als Präferenz ist es einfach nur eine individuelle Tatsache, aber als Äusserung dennoch nicht unproblematisch, weil es diesen degradierenden Diskurs gibt, der den Menschen tatsächlich das Leben schwer macht.

texas-jim   |   30.06.2015, 03:00   |  
Ja. Großes Ja.
Und da müssen wir doch ansetzen, denke ich. Ist es nicht großartig, daß mittlerweile fast jeder zu dem stehen kann, was er mag oder liebt? Müssen wir da nicht drüber hinwegkommen, uns ob der Präferenzen anderer Menschen künstlich herabzusetzen? Mit dieser Argumentation kann ich mich ja ebenso degradiert fühlen, wenn mir eine verehrte Dame ihre Homosexualität erklärt und meine Verehrung damit ablehnt.
Ich denke, daß wir noch zwei Schritte machen müssen:
Erstens muß man nicht alles sagen, was man denkt - ich will von den meisten Menschen überhaupt nicht wissen, wen oder was sie bevorzugen. Es betrifft und kümmert mich schlicht nicht, es darf gern privat bleiben. Wenn mich der Mensch mit all seinen Vorlieben und Abneigungen nicht interessiert, höre ich meist auch gar nicht so genau zu.
Und zweitens müssen wir lernen, diese fremden, privaten Vorlieben als genau das zu behandeln: fremd und privat. Es betrifft mich nicht, wie viele Menschen homosexuell sind. (Da hinkt mein Vergleich von oben: Wenn ich ein persönliches Interesse habe, trifft mich diese Ablehnung natürlich trotzdem. Aber das ist dann nicht das Problem der homosexuellen Dame, sondern meines.) Es betrifft mich nicht, und es trifft mich nicht. Ich darf eine schlanke Frau attraktiv finden, ohne damit einhundert anderen auf die Zehen zu treten. Oder zumindest hätte ich das gern so.
Ich möchte mein Empfinden nicht kontrollieren und nicht kontrollieren lassen, ich möchte es meist nicht einmal auf intrinsische oder gesellschaftliche oder sonstige Motivation hin prüfen. Ich hätte auch gern, daß privates Empfinden weniger den Gegenstand meiner Empfindungen charakterisiert als mich selbst: durch die Charakterisierung als Objekt wird man nämlich erst zu einem solchen. Oder macht sich selbst dazu. (Macht sich selbst dazu? Ja, denn wenn es für jemanden von Bedeutung ist, ob er für mich attraktiv ist, wendet er diese Kriterien auf sich an, und nicht ich. Er objektiviert sich selbst.) Es ist für mich ein Unterschied, ob ich sage, daß ich weiße Männer attraktiv finde, oder daß weiße Männer attraktiv sind. Und diese Unterscheidung müssen sowohl Sender als auch Empfänger vornehmen, denke ich. Erst wenn mich diese private, öffentlich gemachte Meinung nicht mehr trifft, bin ich souverän. Es trifft mich nicht, daß Michael Schumacher lieber Ferrari als Mercedes fährt. (Es trifft mich nicht einmal, wenn er postuliert, daß Ferraris besser sein sollen.) Und da müssen wir doch hin in unserem Umgang mit anderer Leute Vorlieben, denke ich. (Ja, da liegt auch für diejenigen, die ihre Vorlieben äußern, noch was an: Vorlieben sind Vorlieben sind Vorlieben sind privat, und man darf sie als ebensolche äußern. Nicht als zehn allgemeingültige Gebote. Die haben wir schon. Und ein wie auch immer geartetes Körpergebot brauchen wir schon gar nicht, finde ich.)
Können wir damit nicht dem Degradierenden, das Du erwähnt hast, das Wasser abgraben? Jeder darf empfinden, wie er will, auch wenn es unreflektiert ist oder womöglich einfach der Norm entspricht, ohne daß ein anderer sich davon gestört fühlt? Wir fordern diese Art des Machenlassens doch auch von Menschen, die sich beispielsweise von Homosexuellen gestört fühlen. Wir erklären, daß sie nicht davon betroffen sind, wenn sie aus der Kirche kommen und gegenüber zwei Herren respektive zwei Damen Arm in Arm sehen. Dann darf sich doch auch ein weißer Mann nicht gekränkt fühlen, wenn ich einem schwarzen hinterherschaue.
Und (ich vergleiche jetzt nicht Frauen mit Autos, sondern lediglich die Anziehungskraft von von mir als schön Empfundenem) ich finde übrigens Ferraris sehr attraktiv. Ich sehe selten welche, aber wenn, dann schaue ich sie mir gerne an. Daß ich keinen haben kann, stört mich nicht im Geringsten.

Ich stimme Dir zu, daß man vorsichtig oder verletzend formulieren kann. Und daß da eben mehr Privatheit und auch das Anerkennen dieser Privatheit - daß man eben dies und jenes schön findet, es aber nicht in die Welt posaunen muß, und daß auch nicht alle diese Präferenz teilen müssen - die ganze Kiste sehr entspannen würden. Ja. Ja, aber. Aber wenn jemand nur eine private Vorliebe äußert, dann muß ich die auch hinnehmen können. Ich darf doch meine Reaktion darauf, ob mich jemand attraktiv findet, nicht dem anderen anlasten. Katzen mögen Mäuse, in China essen sie Hunde, und mich kriegt man mit einem muskulösen Rücken und einer begeisterten Erzählung, deren Thema ich dann sofort wieder vergesse, weil ich mich ja bloß für die Begeisterung begeistere.

(Hab vielen Dank.)

nuss   |   03.07.2015, 00:27   |  
Ja, ich glaube, mit mehr Sinn fürs Eigene und Individuelle an Vorlieben ist viel zu gewinnen, in der Art wie man darüber spricht. Und mit mehr Sinn für das Private. Ich rede zwar ungemein gerne mit Freunden über Begehrlichkeiten. Aber wenn man dem Thema Privatheit und Individualität zugesteht, glaube ich, können Entscheidungen auch freier getroffen werden. Also wenn ich etwa eine Präferenz haben kann, ohne sie thematisieren zu müssen.

Ich glaube auch, dass der öffentliche Diskurs über Homosexualität daran krankt, dass da irgendwie das Sexuelle öffentlich gemacht wird. Beispiel: Der Vorwurf der Sexualisierung des Schulunterrichts durch das Thematisieren von gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Als wären diese inhärent sexueller als Heterobeziehungen. Da kann mich mich auch ausgiebig darüber ärgern. Da würde etwas mehr zugestandene Privatheit der degradierenden Diskussionstendenz abhelfen.

Und ganz privat geäussert: Ja, muskulöse Rücken sind etwas sehr schönes.

texas-jim   |   06.07.2015, 12:21   |  
Die Fokussierung auf Sexualität statt Liebe, da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Muß ich mal tun, vielen Dank!
Mitrauchen
 


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