Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

01.11.09, 15:10 | 'Heller als tausend Sonnen'
Ein Ende ohne Wehmut. Wie sich meine Vorgänger gesorgt hatten! "Please stay in contact", und das klang so bemüht erwachsen, als hätten wir die ganze Zeit nur Büro gespielt. "My private e-mail", als ob das einen Wert hätte. Als ob sich jemand darum kümmern würde, Kontakte zu sammeln, zu halten. Zu viele Wege, zu viel Parallelität, als daß man sie zusammenfassen könnte. Verweigerung heißt der Weg, und nicht Vereinigung oder Diversifikation. Merkt ihr denn nicht, daß euch Vielfältigkeit umschmeichelt, um euch die Vereinfachung verkaufen zu können?

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Du hast Dich enttarnt, als Du mir die Bilder Deiner Kollegin geschickt hast. Du, die Pikierte, die peinlich Berührte, mit den hochgezogenen Brauen und der gerümpften, himmelwärts gerichteten Nase, die sich so ehrbar gab und so fein, zu fein.
Ich lade Dich ein, zur Henkersmahlzeit, und nur bei Dir habe ich gezögert, denke ich noch, als Du mit spitzen, gespreizten Fingern und entsetzt den Schwartenmagen ablehnst. Dann mach denen Platz, die essen wollen, sage ich, weil ich doch noch nicht alt genug bin, um Menschen anzulächeln, die ich nicht mag. Mit mir kann man es sich verderben, wenn man von Grundsätzen spricht.

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Aus Angst verkauft ihr euch unter Wert, und darum werdet ihr auch weiterhin nur Praktika bekommen. Nachpraktika, ich speie das Wort aus, aber euer Selbstbewusstsein bezieht ihr aus dem Lob für farbige Präsentationen und Spielereien in Tabellen, anstatt aus eurer Arbeit, und so werdet ihr dann auch bezahlt.
Als ich sage, daß ich gehen werde, weil ich keine Stunde zu verschenken habe an einen Schreibtisch, da sind sie entsetzt, das müsse man eben auszahlen, und Bleib doch noch! und ich sage laut, daß ich mir dafür zu teuer bin. Es ist sicher überheblich, es ist arrogant, aber für meine Unterschrift bekomme ich zukünftig doppelt so viel wie Du mit Deinem Diplom und Deiner Angst. Du mußt wichtig tun und Meetings leiten, in denen ich gelangweilt sitze, um am Schluß die beißenden Fragen zu stellen. Ich habe keine Angst, ich leide keine Not. Mir sind die Wege egal, die Pfade, weil ich weiß, daß ich auf jedem Grund laufen kann. Daß ich fallen kann und klettern, auf allen Vieren und mit aller Gewalt. Gehaltsverhandlungen mit einem Studenten habe er noch nie geführt, meint der Abteilungsleiter, und sein Lächeln ist warm, als ich eine Festanstellung ablehne.

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Das abendliche Pflügen. "Money talks" im Radio, und ich singend. Später "Die kleine Kneipe", und ich als gleichmäßig wandernder Leuchtfleck durch das Fenster sichtbar.

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Herbstfreizeit, und ich mit zu wenig Zeit. Ich finde die Kinder nicht.

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J.B.K.:"Das ist toll. Das macht Spaß."

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Bei jeder Fuhre ein Gör, das "ein so kleines Auto nicht gewohnt ist."

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Kochen mit dem roten Unglück, und wir verlachen unser geliebtes, gespieltes Leid.

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"Ich habe ein kleines Problem. Keins der anderen Kinder möchte mit mir laufen."

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"Wo ist der Grill?"

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Betrunken redet sie in ihr Telefon, als ich die Tür zuziehe: "Komm, dann machen wir einen Dreier. Nein, wir sind zu viert. Das ist dann Gangbang." Aufgelegt.
Als ich gehe, höre ich verhaltenes Stöhnen aus einem Raum. Eine Gürtelschnalle klimpert auf den Fliesen.

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Erstmaligkeit: Im Supermarkt eine Hose kaufen. Panik, der ich rauh begegne.

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Ich verfluche mich, als ich das Nicken bekomme, das mir bedeutet, auf die Bühne zu treten. Immer noch Panik, Beklemmung, immer noch der Wunsch, das nie wieder zu tun. Doch langsam Nuancen.

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Ich stehe mit ihren Freundinnen im Kreis und beobachte. Wie unterschiedlich Menschen "fertig" werden. Manches überspringen, anderes durchmachen. Und ich denke mir, daß Schönheit Zeit zum Wachsen benötigt, während die Hübschen einfach nur plötzlich hübsch sind. Daß sich in fünf Jahren, in zwei oder dreien die Kerle schämen werden, sie geärgert zu haben. Sie übersehen zu haben. Daß sie nicht vergessen werden.
Phasen, von denen ich glaube, daß sie durchlebt werden müssen. Die sie auslassen, und damit so viel älter wirken. Ob das Auslassen ein Verschieben ist, oder ob es das Bestehen ohne das Durchmachen gibt? Muß man sich verlieben, muß man sich betrinken, und muß man so überheblich sein, wenn man das nicht tut?
Wie sie ins Erzählen kommt, und so sehr wieder Kind ist. Väterlich fühle ich mich, und ich muß so gar nichts sagen, sie sagt alles selbst. Ich richte sie nicht auf, sie richtet sich an mir auf. Ich beobachte sie dabei, wie sie mit meinem Notizbuch spielt. Wie die Scheiben beschlagen, und wieder habe ich so gar keine Wehmut, verspüre so gar keine Verzweiflung ob der Unmöglichkeiten. Das Altern, denke ich noch, bevor ich wieder mit ihr auf den Berg wandere, durch Kreisverkehre renne. Väterlich, denke ich, aber Vätern erzählt man davon nicht.

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Sind die Männer vielleicht nur deshalb älter, weil sie länger lernen müssen? Langsamer lernen vielleicht?

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Ich mag Menschen, die Leidenschaften haben.

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Sie schicken uns nach der Aufführung nach oben. Im Häs, wie man hier sagt, also ohne uns umzuziehen. Mir fällt nicht auf, daß sie sicherheitshalber unsere Kleider versteckt haben. Ich denke mir nichts.

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Theatersekt am Tischlein.
Komm schnell!
Sie schieben mich durch die Doppeltür.
Die Halle ist dunkel.
Scheinwerfer flammen auf.
Spalier.
Wenn schon Dummheiten, dann richtig.
Gesetzt marschiere ich zur Bühne.
Der Vater geleitet die Tochter.
Glockengeläut, ich habe plötzlich einen Zylinder auf, und mir schwant -.
Der Pfarrer spricht.
Ich liebe jeden in dieser Menschenmenge. Die sich vor uns, für uns versammelt haben.
Die Reporterin schießt ein Foto ums andere, ich flüstere dem Mädchen im bodenlangen Kleid zu. Sie lächelt.
Der lange Schal mit dem Kreuz, und ihre kleine Hand in meiner.
Willst Du?
Ja.
Willst Du?
Ja.
Wir sind verheiratet.

An welchen Finger stecke ich ihr den Ring? Meiner geht nur mit viel Gewalt über meinen Finger.
Sie trägt den Hochzeitshut meiner Mutter.
Sie dürfen die Braut jetzt küssen.
Ich hebe sie hoch, genau ein Zentner, und schwinge sie um mich, daß ihr Kleid weht.
Der Hochzeitswalzer, und ich lasse mich führen.
Mein Jodeln durchdringt den Saal, ein Sektkorken knallt.
Sie haben uns überrumpelt, und dafür bedanke ich mich.

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Sanft öffne ich die Knöpfe an ihrem Kleid und ziehe den Reißverschluß auf. Durch die Tür der Umkleide wünschen sie und juchzend eine schöne Hochzeitsnacht, und als ich nach Hause laufe, summe ich den Zillertaler Hochzeitsmarsch.

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Getränkeraumfest. Wildes Tanzen vor Freunden. Drei Nackte. Ich gehe spät, aber rechtzeitig, und wieder, wieder ohne Wehmut, und daß ich das geschafft habe.

Rauchzeichen




huehnerschreck   |   02.11.2009, 15:51   |  
Mir wird warm ums Herz an diesem grauen, nasskalten Montag, beim Lesen Ihrer Zeilen. Und ein Hochzeitsmarsch summt in meinem Ohr, während ich mich wieder an ein Faltblatt des Finanzamtes setze.

froschfilm   |   02.11.2009, 21:48   |  
Tja. Soll man denen, die man verlässt die Wahrheit sagen? Sie haben mal wieder recht und ich bewundere Sie.
Mitrauchen
 


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