Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 11. 09 23

11.09.23, 11:52
Für Dich
Und immer für Dich
Für immer und Dich
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Es gibt diese Lieder, die mich aus meiner Bahn in eine ganz andere werfen. So stehe ich am späten Sonntagabend in der Küche, wie ich es früher so oft getan habe, schäle heiße Kartoffeln und höre Radio dazu. Es wird eine Aufnahme aus dem vergangenen Sommer angekündigt, und ich denke wieder daran, daß ich nicht so recht teilgenommen habe an diesem Sommer. Es ist ein leicht schräger Beat, der etwas durchhängt, und ich nicke mit dem Kopf dazu. Ein Gesang zwischen Selbstgespräch und Liebeserklärung. Ich schwinge das Messer durch die Luft und hoffe auf den Refrain, wie ich ja immer darauf hoffe, daß sich das Gute wiederholt.

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Ein Kofferraum voller Werkzeug für ein paar Steckdosen. Es eile nicht, hat man mir gesagt, es hätte doch ein paar Wochen Zeit. Darauf folgt üblicherweise nach zwei, drei Tagen die Nachfrage, ob ich denn nicht vergessen hätte, und so zerre ich alles, was ich zu brauchen glaube, ins Auto und fahre die drei Kilometer. Schalter ausbauen, Tapeten abziehen, ein bißchen über der Verteilerdose sinnieren. Vorsichtig die Kabel freilegen unterm Putz, Hammer und Meißel und Staub. Eine Schalterdose, ein neues Kabel für die Steckdosen. Hier soll ein Bett stehen, und daß um Betten herum zig Steckdosen positioniert werden, ist nun nicht ganz neu, aber in der Menge doch erstaunlich. Ich kenne Häuser, da hatten die Zimmer nur je eine Steckdose, unterm Lichtschalter an der Tür angebracht, und die war für den Staubsauger reserviert, wenn der wöchentlich durchs Haus gezerrt wurde.

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Ich finde noch einen passenden Schalter in einer Kiste, denn die Schalterserien und ihre Nachfolger bleiben mir trotz aller Suchen ein Rätsel. Überall sind Nummern auf dem Kunststoff, und sie führen doch nie zu einer Serie, sondern immer nur zum gleichen Teil zurück. Und der Online-Katalog dieses deutschen Herstellers, ach hören Sie mir auf damit. Die Serien haben Abkürzungen, nach denen alles sortiert ist, und doch haben die Nummern nie mit den Serien zu tun. Es muß ja immer alles schwierig sein.

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Vorsichtiges Dosenbohren. Die Dose passt, die Leitungen sind abisoliert, ich putze alles ein. Ich sammle die Brocken auf, ich sauge den Dreck ein. Dann lassen wir mal alles trocknen, denn nach der ersten Realisierung kommt stets eine Findungsphase. Wollten wir das wirklich so?

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Es war einst mein Kinderzimmer, und an der geschwungenen, dunklen Türklinke klebt noch ein Sternchen aus einem Material, das im Dunkeln ein wenig nachleuchtet. So konnte ich im Dunkeln die Tür finden, denn Licht in der Nacht, oder gar ein Geräusch, das habe ich mir in diesem Haus ganz abgewöhnt. Es war notwendig, es war natürlich, und selbst heute noch bin ich manchmal ganz erstaunt, wenn abends noch das Telefon klingelt oder ich mich selbst dabei ertappe, um acht nicht ruhig sitzend auf den nächsten Tag zu warten. Nun soll es ein Schlafzimmer werden, ein Elternschlafzimmer, im fernen Blick ein Pflegezimmer, und es fällt mir schwer, auszudrücken und einer Planung zu folgen, die das Unerwünschte, Unaussprechliche so sinnig mit einbezieht, weil es ja doch unausweichlich sein wird, irgendwann. Ein Sterbezimmer, vielleicht, und da ist noch Aberglauben genug, daß ich mich scheue, dieses Wort da hinzuschreiben, auf daß es nie passieren möge.

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Am Sonntagmorgen stehe ich im Wald. Ich trage Stiefel und ein Funkgerät, melde die ankommenden Teilnehmer eines Laufs, damit weiter unten für sie eine Straße gesperrt wird, die sie queren müssen. Die Sonne wird in viele kleine Strahlen zerteilt von tausend Ästen und Zweigen, durch die sie scheint. Am Boden ist es immer dunkler, liegt ein dichter Teppich aus dürren Nadeln, Blättern, glänzendem Moos. Durch die Wipfel zieht ab und an ein Hauch, den ich nur als Rascheln wahrnehme, und wo es raschelt, trudeln einige Blätter schräg hinab zum Boden. Wie unterschiedlich sie sterben, die Blätter. Da sind die, die sich verfärben, gelb und rot und braun, die ganz langsam das Grün und das Leben verlieren. Da sind die andern, die an ihrer Wurzel noch sattgrün sind und am Leben, und von den Rändern frisst sich dunkelbraun und mürbe der Tod herein. Ob sie verzagen und sich fallenlassen, irgendwann? Ob der Baum sie abschüttelt und abwirft, um sich zurückzuziehen für den Winter? Ich sehe den Blättern zu und melde ab und an einen Läufer, ich denke nicht groß drüber nach, was ich da tue und weshalb, in Zeiten, in denen die Vereine ihr Leben verlieren und ihre Mitglieder, weil sich niemand mehr finden mag, der an einem Sonntagmorgen ein paar Stunden irgendwo stehen möchte. Und vielleicht denken auch die Blätter und die Bäume ja gar nicht groß nach, wenn sie gelb werden oder tote Ränder bekommen, vielleicht merken sie es erst, wenn sie stürzend trudeln, am Boden liegen, wo es dunkel ist, und vielleicht ist es auch eine Gnade, den eigenen Verfall nicht wahrzunehmen.

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Bis über die Wolken schaffen wir es nicht, aber ich stehe doch auf einem Flugplatz, einer dichten Wiese, deren Gras überraschend hoch steht. Man geht robust mit den kleinen Flugzeugen um, routiniert setzen sich die Piloten hinein, hantieren, schließen die Hauben, werden von der Winde in den Himmel gezogen, zwischendurch fast senkrecht, wie es aussieht. Ich trage einen Fallschirmrucksack, ich setze mich und versuche, die Finger und die Füße von allem zu lassen, was mit dem Flugzeug zu tun hat. Wir werden von einem Motorsegler angezogen, der von einem kleinen Automotor angetrieben wird. Autos kenne ich. Der Abgasstrahl schüttelt uns, der Knüppel zwischen meinen Knien bewegt sich, wir werden ruhiger. Ich werde erst ruhiger, als ich ein wenig abschätzen kann, welches Schütteln zum Fliegen gehört. Natürlich jedes, aber dieses Wissen ist abstrakt. Wir sind hoch, ich schaue aus dem Fenster. Die Alb, die Täler, die ewig dunklen Wälder. Die scharfe Kante des Albtraufs, die gut bekannten Plätze von oben. Unter einer Wolke kreisen wir nach oben und nennen dieses Wunder Thermik. Ich übernehme das Steuer, versuche mich am Geradeaus, was gar nicht so einfach ist, und denke mir, während ich all die Anzeigen und den Himmel und den Horizont und das Wunder des Fliegens zu verstehen versuche, daß alles nicht so einfach ist mit dem Geradeaus, und dann fliegen wir einfach eine Kurve, eine zweite, wieder Thermik, und ich habe völlig vergessen, auf den Kompass zu schauen. Ich sehe die anderen Flugzeuge kaum, die um uns kreisen, und ich ignoriere den, der Kunstflug übt, obwohl ich gesagt bekomme, das könnten wir auch. Nein, aber nein, danke. Ein bisschen Faxen machen wir dann doch zum Schluss, und ich bin baß erstaunt, was so ein Flugzeug alles kann, vor allem Fliegen, auch wenn einer vorn am Knüppel reißt und vor Freude übers Trudeln jubelt. Nun bin ich nicht der Pilot und kann wenig tun als mich zu wundern, wie schnell der Boden naht, wie groß der Steinbruch plötzlich ist, der sich seit Jahrzehnten durch den Berg frisst, den er als sanften Hügel Abraum hinter sich zurücklässt. Dann ist die Erde wieder, wo sie hingehört, nämlich unter uns, der Horizont voll blau, Flugrichtung Süden, eine Kurve über einer Gaststätte, auch wenn mir gerade nicht nach Essen ist, ein Funkspruch, Landeanflug, sanft setzen wir auf, gleiten durchs Gras, ich bin geflogen. Ich bedanke mich für den Flug, für die Erklärungen, für alles, und stelze etwas wacklig davon, während sie schon wieder die Vorbereitungen durchgehen. Gurte, Prüfungen, Funkspruch, ein Flug.

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Mehr Strom, murmle ich, am Seil hängend, und erinnere mich an alte Zeiten, als wir die Sechs dadurch beschrieben haben, daß sie immer geht. Über eine Sechs nicht nachdenken, eine Sechs zwischendurch klettern, eine schöne und eine weniger schöne vielleicht, aber doch stets nur eine Sechs. Ich bin nun einige Zeit bei den Sechsen geblieben, aus der Idee der Gewöhnung heraus, und doch sind sie mir nicht leichter gefallen, daß ich mir die Sieben wieder zutrauen würde, von der einst erkämpften Acht ganz zu schweigen. Und doch steige ich ein und spüre sofort wieder die Leichtigkeit der Bewegung, denn wie früher zwingt mich die Sieben einfach, leuchtet mir ein, führt mir den Weg, und natürlich wird sie mir im Überhang zu schwer, ich sitze im Seil und sammle Kräfte, rede den faulen Unterarmen gut zu und sage leise Geht los, als ich mich wieder an die Griffe ziehe, das Seil entlaste und noch einen Versuch wage. Es ist banal und doch eine Erkenntnis, daß eine Sieben nur klettert, wer eine Sieben versucht. Um schwer zu klettern, mußt Du schwer klettern, erklärte eins ein Meister in einer Zeitschrift, und manchmal sind Erkenntnisse vielleicht wirklich einfach zu formulieren, aber so schwer zu verstehen. Ein bisschen Kraft sammeln in der Sechs, denke ich dann, als ich verzweifelt meine Körperspannung suche, und vielleicht sind die Sechser ja doch für etwas gut.
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