... Vorwärts fahren
07.09.23, 08:37
Ich habe einen Silotag vor mir und freue mich. Die Scheiben sind frisch geputzt, und an den Blinkern sind alle Sicherungen durchgebrannt. Dann eben freundlich winken, freue ich mich.
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Sitz, Lenkrad, Klima, Radio, Spiegel. Bevor ich noch recht vom Hof bin, passt das Fahrzeug wieder zu mir, und jeder andere, der drauf sitzen müsste, würde fluchen. Hydraulik, Getriebe, Anzeigen und Messgrößen während der Anfahrt, damit das Fahrzeug auch zur Arbeit passt. Durchs Heimatdorf mit blitzenden Rundumleuchten, es ist ein fahrendes Freudenhaus an diesem Sonnentag.
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Im toten Funkwinkel der Alb kann ich die Feindsender aus Bayern nicht mehr empfangen, wechsle also zu den einheimischen Propagandisten. Am Dialekt kann man sie sowieso nicht unterscheiden, am ehesten noch an der Musik, die sie spielen. So findet man hier ein riesiges Loch zwischen totgespielter vierzig Jahre alter Pop- und herber Zwölftonmusik auf hundert Jahre alten Instrumenten, während man dort fröhlich rauf und runter spielt, was sich Begeisterte und Bekiffte aus der Heimat so ausgedacht haben. Vielleicht gibt es hier keinen Musikunterricht mehr, denke ich manchmal, denn ich kann ja auch kein Instrument wirklich spielen, und singen will mich auch niemand hören. Dazu passt mein fahrendes, verglastes Eckbüro ganz vorzüglich, denn ich klappe den Beifahrersitz zusammen und singe friedlich und allein vor mich hin. So könnte ich Tage verbringen und bin froh, daß ich so manche Tage verbringen kann, die pure Passion kaum versteckt unter dem Mäntelchen des Müssens. Das Schöne wird nur noch schöner für uns Schwaben, wenn wir es auch noch müssen dürfen.
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Ein gemächlicher Einstieg, zwei enge Silos mit hohen Wänden. Meine Einfahrt kreuzt die Hofeinfahrt, wo die Automaten stehen. Den ganzen Tag über Besuch, man trifft sich dort, um Kälbchen anzuschauen, Stallduft zu schnuppern, Eis und Milch und Käse, Nudeln und Wurst einzukaufen, und diese kleine Automatenstation hat sich gemausert in den letzten Jahren, wurde ergänzt um Brotverkauf aus einem Verkaufswagen, ein winziger Markt am letzten Bach, der noch eine Furt als Überfahrt bietet. Nicht, daß wir diese Überfahrt je gebraucht hätten, führt sie doch nur zu einem Schuppen auf der anderen Seite, aber versucht haben wir sie doch, bei allen Wasserständen, und vielleicht ging dabei einst einiges schief, doch sind wir stets davongekommen, herausgekommen, lachend, nass und mit nur kleineren Wunden, bis wir dann einen Moment, einen Herbst lang vielleicht, nicht aufgepasst haben, beschäftigt waren, abgelenkt von einer seltsamen Konzentriertheit, und auf einmal waren wir wohl zu alt für sowas. Nun sind wir wohl erwachsen, sitzen nicht mehr so oft in und vor Hütten, brennen unsere Schnürsenkel nicht mehr an Lagerfeuern an, und wenn wir doch noch sitzen, kommen wir mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften oder lassen uns abholen. Ich hoffe, daß niemals jemand ein Taxi rufen wird, und daß wir ewig über Busse lachen können, die da einst kommen sollen, das halte ich für ausgemacht.
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Ich höre Nachrichten, sie strukturieren die Stunden, sie wiederholen sich angenehm, verändern sich tatsächlich nur langsam über den Tag. Dazwischen schweife ich oft ab, konzentriere mich auf meine Silos, Einebnen, Verdichten, und immer wieder ein Wagen, der mir ein Häufchen vor die Verteilwalze spuckt. Oft tauchen Menschen hinter mir auf am Eingang des Silos, halten Kinder an den Händen, wollen zeigen und erklären und sind dann baß erstaunt, daß ein drei Meter breites Gefährt in einem fünf Meter breiten Silo nicht viel Platz lässt für ihre geschätzt drei Meter breiten Egos. Seltsame Überlebensstrategien, die sie da ihrem Nachwuchs beizubringen scheinen, denke ich dann, wenn sie stier an mir vorbeischauen, keinen Augenkontakt aufbauen, nur keine Kommunikation, denn man hat ja Ziel und Auftrag, wie auch ich Ziel und Auftrag habe, und möglichst keine Personen im Silo festzufahren ist nun wirklich nur ein optionaler Nebenauftrag. Mit einem Wagen, der rückwärts ins Silo will, einem Auto, das nur so halb und einem, das gar nicht mehr vorbeipasst, schaffen wir einen veritablen Verkehrsknoten, der zweifellos so heißt, weil sich darin nix bewegt. Dazu kommt als Garnitur ein Radler auf einem der schweren Akkuräder, die sie den Rentnern neuerdings andrehen, weil große Batterien große Reichweiten bedeuten, und große Räder auch irgendwas, und so sinken sie tief in ihre teuren Federn und Dämpfer, halten sich fest an viel zu breiten Lenkern und stellen dann überrascht fest, daß sie nicht mehr zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Autos hindurchpassen. Lenker zu breit, die Beine reichen nicht auf den Boden, ich fahre dann lieber wieder vorwärts ins Silo, bevor einer von unten mein Meine-Güte-Gesicht erkennen kann. Ich überlege noch lang, welche Tiere das waren, die nicht rückwärts können, und ob eine dieser Netzfliegenfallen groß genug auch für Menschen funktionieren könnte, aber vermutlich stecken wir alle längst in diesen Fallen und finden nur nicht mehr heraus. Wieder Nachrichten.
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Manche Meldungen behalte ich im Gedächtnis, und ich behaupte, das nicht einmal zu wollen, ich memoriere keine Nachrichten, ich habe mit physikalischen Gesetzen und den Regeln zu ihrer Anwendung nun wirklich genug zu tun, ich kann mir ja kaum meinen Namen merken. Etwas bleibt trotzdem hängen, und dann muß ich immer nachschauen, wann das denn nun vermeldet wurde, denn meist fehlen mir Zeiten und Zusammenhänge, so wie Nachrichten nun eben nur noch Schlagzeilen sind, so funktioniert wohl auch mein Gedächtnis. Feststellen, seufzen. Dann laufen wieder Nachrichten.
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Über den Tag hinweg immer wieder ein Bericht über ein Kind, umgebracht in einem Krieg, der schon anderthalb Jahre Menschen zermalmt, und ich will gar nicht wissen, ob sie die geschätzte Million an Menschen schon vernichtet haben, für die sie vorgeben zu kämpfen, genau wie die Quadratmeter Landfläche, die sie ebenso vernichten, wie sie drum kämpfen. Ich habe keine Ideen mehr zu diesem Krieg, und so bleibt mir nur, stumpf und immer stumpfer zu warten, bis nach den Ideen auch die Munition ausgeht, oder vielleicht auch die Menschen zuerst, wer weiß das schon. "Nachrichten von ausschließlich regionaler Bedeutung", murmle ich, wie zur Abwehr gegen das Ertragenmüssen dieser Grausamkeit, und als Fetzen fällt mir das ein, so hat einst eine Nachrichtenredaktion ihre Weigerung begründet, sich mit einer anderen Grausamkeit zu befassen.
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Der Kanzler spricht, mit einer Augenklappe, wird vermeldet, und ich bin dann doch überrascht, denn seine Augen sind mir bislang nicht als sprechend aufgefallen, wie überhaupt der Kanzler wenig spricht in meiner Wahrnehmung, und vielleicht ist das sogar klug und richtig so, denke ich dann, und deshalb muss ich alle Stunde Nachrichten hören, weil ich darüber doch immer wieder den Faden verliere. Er spricht auf jeden Fall von einer Wirtschaftskrise, bei nur wenigen Zehntelprozenten statistischer Verluste von irgendwelchen Werten, deren Berechnung und Bewertung ich nicht verstehe. Ich kann mich doch an die erinnern, die diese wenigen Prozentpunkte als unbedeutend abgetan haben, als heilsam gar, und ob sie heute vielleicht anders denken, wo die ganze deutsche Welt sich um diese Zehntelprozente, Promille also, zu drehen und in Schmerzen zu winden scheint? Ich kann mich außerdem erinnern an die, die andere Zahlen aus den Hüten zogen, die von Stabilität zu künden schienen, und ich höre Crisis, what crisis?! ohne zu wissen, wo ich das denn nun wieder gehört haben könnte. Auf einem Silo, vermute ich dann, aber jedenfalls scheint es nun amtlich, wenn es selbst der Kanzler aus der Augenklappe spricht: Krise.
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Er wendet sich dann an die Bürgerinnen und Bürger mit einer Aufforderung oder einem Angebot, so ganz einig sind sich die Nachrichten über den Tag hinweg dann doch nicht damit, und ich denke an Angebote, die eine Aufforderung sein könnten, ich denke an enggeschnallte Gürtel und einbetonierte Füße, denn so richtig gute Angebote habe ich nicht mehr im Kopf, wenn ich Radionachrichten höre. Das könnte daran liegen, daß manche Sender vor den Nachrichten keine Werbung einblenden.
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Am Nachmittag dann bin ich über den Silowänden, brauche mehr Kraft und Konzentration, der Schlepper braucht mehr Luft, als er durch seine Gitterchen bekommen kann, und ich putze und fahre und puste und fahre wieder, denke an Zwänge und Notwendigkeiten, sehe dieses kleine Silo und alle, die um diesen Hof herum arbeiten von weit oben, sehe den kleinen Sinn des guten Futters in einem schlechten Futterjahr, und sehe ebenso die Studien, wir sollten doch alle einfach anders und weniger essen, sie nennen es die Klimadiät, dann würde es doch für alle reichen, Beispiel Saarland. Ja wirklich, eine der zitierten Studien bezieht sich auf das Saarland, aber auch das habe ich wieder nur irgendwo gelesen, ich lese ja Studien, wenn ich mal nicht im Silo bin oder vielleicht was anderes lese. Klimawandel, jedenfalls, und so beginnt ein Beitrag zur Apfelernte um den Bodensee. Die fällt gut aus, wird berichtet; Aber das hätte auch ganz anders ausgehen können, droht der Sprecher, wegen Klimawandel. Er sagt das wirklich so, und ich stutze schon gar nicht mehr wegen der Grammatik, Verzeihung, wegen Grammatik, wissenschon, sondern wegen Zusammenhang. Was will er damit sagen, frage ich mich, gibt es denn am Bodensee keinen Klimawandel, oder nur bei den Äpfeln nicht? Der Beitrag holt nun aus, das nasse, kühle Frühjahr, der heißeste Sommer seit einhundertundzwanzigtausend Jahren auf der Welt, aber eher nicht am Bodensee, ich war nämlich dort und habe blaugefrorene Kinder aus dem Wasser steigen sehen, die furchtbare Trockenheit dann, und nun die Ernte. Es gibt ein Zentrum, dessen Name ich vergessen habe, das sich mit dem Anbau von Obst unter wechselnden Bedingungen beschäftigt, und das Empfehlungen herausgibt, wie auch in Zukunft noch Äpfel geerntet werden sollen. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und für eine Beitragslänge habe ich Hoffnung, dass es uns noch lange einen Apfel reichen wird und für mich ein bisschen Wiesengras, wo es doch Tiere gibt, die sich damit besser auseinandersetzen können als wir Menschen. Wir rauchen das Gras ja lieber, und ich wollte längst einmal nachgeschlagen haben, was denn diese "Raucherclubs" bedeuten sollen, deren Schwaden vor einiger Zeit durch die Nachrichten gezogen sind.
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Ein Streitgespräch dann, ein kultiviertes, mit einem kultivierten Thema, der Zukunft des Liberalismus nämlich. Darin eine Philosophin, die so oft betonen muß, keine Politikwissenschaftlerin zu sein, daß ich sie glatt unter Politikwissenschaften im Gedächtnis behalten werde. Behalten durch Negieren, und vielleicht könnte man draus lernen in der Kommunikation, ich weiß ja nicht. Dazu hat sie eine wundervolle Stimme, die sie modulieren kann, daß ich mich plötzlich aufrecht setzen mag, wen sie den Druck erhöht, nur ganz leicht erhoben spricht, in den Momenten wichtiger Gedanken, oder wenn wieder einer der Herren ansetzt, sie zu unterbrechen. Es gelingt ihnen nicht, und auch die Süffisanz, mit der einer dazwischen anmerkt, es gelänge ihm wohl nicht, seine Meinung auszudrücken, worauf sie ihm Zeit lässt, seinen Gedanken noch mehr zu konfusionieren und ihm selbst zu widersprechen. Kein guter Redner, denke ich, und doch ist der Kern des Gesprächs ein glühender, ein blasenwerfender, und einer, um den ich noch einige Tage kreisen werde. Die Freiheit als Ziel, als Ziel für alle, oder doch nur für einige Gemeinte? Und durchgesetzt gerade durch wohldosierte Einschränkungen der Freiheit - frei zum Leben zu sein bedeutet ja, daß auch andere frei sind, zu leben, daß also ihr Leben vor meiner Freiheit geschützt wird. Und es kommt nun der Gedanke auf, daß wir diese Freiheit anders definieren. So sagen die einen, Freiheit bestünde auch darin, sich alles kaufen zu können. Nein nein, sagen die anderen, man kann nicht alles kaufen, und komischerweise sind das diejenigen, die allen Geld geben wollen, um sich mehr kaufen zu können. Freiheit als Chancengleichheit, sagen die einen wieder, und dann sehe ich mich als alten, faulen Silosack am Fels hängen, neben einer jungen, kräftigen Beweglichen, die über Griffe turnt, die ich nicht kriegen kann. Ich hätte vielleicht mal gekonnt, oder vielleicht mal nur dafür üben können, und so ist Freiheit auch immer eine Folge von Entscheidungen und Einschränkungen, und stets begleitet selbst im größten Freiheitsglück die Notwendigkeit, von der wir uns nie lösen können. Freiheit also, denke ich so vor mich, fordert einen Kanon von Begriffen, mit denen wir die Freiheit markieren, die wir meinen. Und ob dazu die Zukunft gehört, die ein Recht haben soll, eine Zukunft und frei zu sein, kann durchaus eine Einschränkung bedeuten. Die Philosophin beschreibt den Liberalismus dann als optimistisch, auf Verbesserung hinwirkend, und genau an diesem Punkt entzündet sich im Gespräch der Konflikt zwischen purer Beschränkung und dem Freiheitsgedanken, für diese freie Zukunft Neues zu schaffen. An wen sich die Freiheit richten soll, und welche Begriffe sie umfasst, das wären Themen für Liberale, denke ich dann, aber ich bin selbst schon einmal in einem Porsche gefahren und kann verstehen, daß man dabei nicht an anderes denken mag.
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Das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen sei die Schweiz, berichtet man, und liefert die Gründe gleich mit: Eine ähnliche Sprache, was ich als Dialketsprecher mit angeheirateter Schweizer Verwandtschaft nun einfach mal zur Kenntnis nehme, gute Bildung für die Kinder und die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Ob das die ganzen Studienersteller gerne hören, die über Jahre erklärt haben, es gäbe keine Pullfaktoren, man habe einfach keine finden können? Merken durch Negieren, das hatte ich heute schon einmal, ebenso wie die Notwendigkeiten, die selbst in der Freiheit stecken, und vielleicht hätte man aus diesen ganz verständlichen Faktoren ja etwas Nützliches lernen können, und mit nützlich meine ich von Nutzen, wie so eine Kartoffel nützlich sein kann, wenn man eine pflanzt und viele erntet und mit Pommes Glück erzeugt? Stattdessen haben wir die Kartoffel zum Schimpfwort gemacht und streiten drum, welch Armseligkeit unserer armen Seelen.
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Wie alle Tage endet dieser, ich klopfe Filter aus und puste in Kühler, verfrachte allen Dreck von dort auf mich, auf dass er mich kratzen und beißen solle bis zur Dusche. Doch vor der Halle steht ein Bänkchen, ein Feuer knistert unterm Rost, und dann sitze ich doch und schaue lang ins Abendrot und noch viel länger in die blaue Stunde hinein, und nicht zuletzt bin ich froh, daß ich nicht immer Nachrichten hören muß, sondern hier sitzen darf am Tagesende.
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Sitz, Lenkrad, Klima, Radio, Spiegel. Bevor ich noch recht vom Hof bin, passt das Fahrzeug wieder zu mir, und jeder andere, der drauf sitzen müsste, würde fluchen. Hydraulik, Getriebe, Anzeigen und Messgrößen während der Anfahrt, damit das Fahrzeug auch zur Arbeit passt. Durchs Heimatdorf mit blitzenden Rundumleuchten, es ist ein fahrendes Freudenhaus an diesem Sonnentag.
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Im toten Funkwinkel der Alb kann ich die Feindsender aus Bayern nicht mehr empfangen, wechsle also zu den einheimischen Propagandisten. Am Dialekt kann man sie sowieso nicht unterscheiden, am ehesten noch an der Musik, die sie spielen. So findet man hier ein riesiges Loch zwischen totgespielter vierzig Jahre alter Pop- und herber Zwölftonmusik auf hundert Jahre alten Instrumenten, während man dort fröhlich rauf und runter spielt, was sich Begeisterte und Bekiffte aus der Heimat so ausgedacht haben. Vielleicht gibt es hier keinen Musikunterricht mehr, denke ich manchmal, denn ich kann ja auch kein Instrument wirklich spielen, und singen will mich auch niemand hören. Dazu passt mein fahrendes, verglastes Eckbüro ganz vorzüglich, denn ich klappe den Beifahrersitz zusammen und singe friedlich und allein vor mich hin. So könnte ich Tage verbringen und bin froh, daß ich so manche Tage verbringen kann, die pure Passion kaum versteckt unter dem Mäntelchen des Müssens. Das Schöne wird nur noch schöner für uns Schwaben, wenn wir es auch noch müssen dürfen.
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Ein gemächlicher Einstieg, zwei enge Silos mit hohen Wänden. Meine Einfahrt kreuzt die Hofeinfahrt, wo die Automaten stehen. Den ganzen Tag über Besuch, man trifft sich dort, um Kälbchen anzuschauen, Stallduft zu schnuppern, Eis und Milch und Käse, Nudeln und Wurst einzukaufen, und diese kleine Automatenstation hat sich gemausert in den letzten Jahren, wurde ergänzt um Brotverkauf aus einem Verkaufswagen, ein winziger Markt am letzten Bach, der noch eine Furt als Überfahrt bietet. Nicht, daß wir diese Überfahrt je gebraucht hätten, führt sie doch nur zu einem Schuppen auf der anderen Seite, aber versucht haben wir sie doch, bei allen Wasserständen, und vielleicht ging dabei einst einiges schief, doch sind wir stets davongekommen, herausgekommen, lachend, nass und mit nur kleineren Wunden, bis wir dann einen Moment, einen Herbst lang vielleicht, nicht aufgepasst haben, beschäftigt waren, abgelenkt von einer seltsamen Konzentriertheit, und auf einmal waren wir wohl zu alt für sowas. Nun sind wir wohl erwachsen, sitzen nicht mehr so oft in und vor Hütten, brennen unsere Schnürsenkel nicht mehr an Lagerfeuern an, und wenn wir doch noch sitzen, kommen wir mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften oder lassen uns abholen. Ich hoffe, daß niemals jemand ein Taxi rufen wird, und daß wir ewig über Busse lachen können, die da einst kommen sollen, das halte ich für ausgemacht.
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Ich höre Nachrichten, sie strukturieren die Stunden, sie wiederholen sich angenehm, verändern sich tatsächlich nur langsam über den Tag. Dazwischen schweife ich oft ab, konzentriere mich auf meine Silos, Einebnen, Verdichten, und immer wieder ein Wagen, der mir ein Häufchen vor die Verteilwalze spuckt. Oft tauchen Menschen hinter mir auf am Eingang des Silos, halten Kinder an den Händen, wollen zeigen und erklären und sind dann baß erstaunt, daß ein drei Meter breites Gefährt in einem fünf Meter breiten Silo nicht viel Platz lässt für ihre geschätzt drei Meter breiten Egos. Seltsame Überlebensstrategien, die sie da ihrem Nachwuchs beizubringen scheinen, denke ich dann, wenn sie stier an mir vorbeischauen, keinen Augenkontakt aufbauen, nur keine Kommunikation, denn man hat ja Ziel und Auftrag, wie auch ich Ziel und Auftrag habe, und möglichst keine Personen im Silo festzufahren ist nun wirklich nur ein optionaler Nebenauftrag. Mit einem Wagen, der rückwärts ins Silo will, einem Auto, das nur so halb und einem, das gar nicht mehr vorbeipasst, schaffen wir einen veritablen Verkehrsknoten, der zweifellos so heißt, weil sich darin nix bewegt. Dazu kommt als Garnitur ein Radler auf einem der schweren Akkuräder, die sie den Rentnern neuerdings andrehen, weil große Batterien große Reichweiten bedeuten, und große Räder auch irgendwas, und so sinken sie tief in ihre teuren Federn und Dämpfer, halten sich fest an viel zu breiten Lenkern und stellen dann überrascht fest, daß sie nicht mehr zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Autos hindurchpassen. Lenker zu breit, die Beine reichen nicht auf den Boden, ich fahre dann lieber wieder vorwärts ins Silo, bevor einer von unten mein Meine-Güte-Gesicht erkennen kann. Ich überlege noch lang, welche Tiere das waren, die nicht rückwärts können, und ob eine dieser Netzfliegenfallen groß genug auch für Menschen funktionieren könnte, aber vermutlich stecken wir alle längst in diesen Fallen und finden nur nicht mehr heraus. Wieder Nachrichten.
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Manche Meldungen behalte ich im Gedächtnis, und ich behaupte, das nicht einmal zu wollen, ich memoriere keine Nachrichten, ich habe mit physikalischen Gesetzen und den Regeln zu ihrer Anwendung nun wirklich genug zu tun, ich kann mir ja kaum meinen Namen merken. Etwas bleibt trotzdem hängen, und dann muß ich immer nachschauen, wann das denn nun vermeldet wurde, denn meist fehlen mir Zeiten und Zusammenhänge, so wie Nachrichten nun eben nur noch Schlagzeilen sind, so funktioniert wohl auch mein Gedächtnis. Feststellen, seufzen. Dann laufen wieder Nachrichten.
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Über den Tag hinweg immer wieder ein Bericht über ein Kind, umgebracht in einem Krieg, der schon anderthalb Jahre Menschen zermalmt, und ich will gar nicht wissen, ob sie die geschätzte Million an Menschen schon vernichtet haben, für die sie vorgeben zu kämpfen, genau wie die Quadratmeter Landfläche, die sie ebenso vernichten, wie sie drum kämpfen. Ich habe keine Ideen mehr zu diesem Krieg, und so bleibt mir nur, stumpf und immer stumpfer zu warten, bis nach den Ideen auch die Munition ausgeht, oder vielleicht auch die Menschen zuerst, wer weiß das schon. "Nachrichten von ausschließlich regionaler Bedeutung", murmle ich, wie zur Abwehr gegen das Ertragenmüssen dieser Grausamkeit, und als Fetzen fällt mir das ein, so hat einst eine Nachrichtenredaktion ihre Weigerung begründet, sich mit einer anderen Grausamkeit zu befassen.
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Der Kanzler spricht, mit einer Augenklappe, wird vermeldet, und ich bin dann doch überrascht, denn seine Augen sind mir bislang nicht als sprechend aufgefallen, wie überhaupt der Kanzler wenig spricht in meiner Wahrnehmung, und vielleicht ist das sogar klug und richtig so, denke ich dann, und deshalb muss ich alle Stunde Nachrichten hören, weil ich darüber doch immer wieder den Faden verliere. Er spricht auf jeden Fall von einer Wirtschaftskrise, bei nur wenigen Zehntelprozenten statistischer Verluste von irgendwelchen Werten, deren Berechnung und Bewertung ich nicht verstehe. Ich kann mich doch an die erinnern, die diese wenigen Prozentpunkte als unbedeutend abgetan haben, als heilsam gar, und ob sie heute vielleicht anders denken, wo die ganze deutsche Welt sich um diese Zehntelprozente, Promille also, zu drehen und in Schmerzen zu winden scheint? Ich kann mich außerdem erinnern an die, die andere Zahlen aus den Hüten zogen, die von Stabilität zu künden schienen, und ich höre Crisis, what crisis?! ohne zu wissen, wo ich das denn nun wieder gehört haben könnte. Auf einem Silo, vermute ich dann, aber jedenfalls scheint es nun amtlich, wenn es selbst der Kanzler aus der Augenklappe spricht: Krise.
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Er wendet sich dann an die Bürgerinnen und Bürger mit einer Aufforderung oder einem Angebot, so ganz einig sind sich die Nachrichten über den Tag hinweg dann doch nicht damit, und ich denke an Angebote, die eine Aufforderung sein könnten, ich denke an enggeschnallte Gürtel und einbetonierte Füße, denn so richtig gute Angebote habe ich nicht mehr im Kopf, wenn ich Radionachrichten höre. Das könnte daran liegen, daß manche Sender vor den Nachrichten keine Werbung einblenden.
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Am Nachmittag dann bin ich über den Silowänden, brauche mehr Kraft und Konzentration, der Schlepper braucht mehr Luft, als er durch seine Gitterchen bekommen kann, und ich putze und fahre und puste und fahre wieder, denke an Zwänge und Notwendigkeiten, sehe dieses kleine Silo und alle, die um diesen Hof herum arbeiten von weit oben, sehe den kleinen Sinn des guten Futters in einem schlechten Futterjahr, und sehe ebenso die Studien, wir sollten doch alle einfach anders und weniger essen, sie nennen es die Klimadiät, dann würde es doch für alle reichen, Beispiel Saarland. Ja wirklich, eine der zitierten Studien bezieht sich auf das Saarland, aber auch das habe ich wieder nur irgendwo gelesen, ich lese ja Studien, wenn ich mal nicht im Silo bin oder vielleicht was anderes lese. Klimawandel, jedenfalls, und so beginnt ein Beitrag zur Apfelernte um den Bodensee. Die fällt gut aus, wird berichtet; Aber das hätte auch ganz anders ausgehen können, droht der Sprecher, wegen Klimawandel. Er sagt das wirklich so, und ich stutze schon gar nicht mehr wegen der Grammatik, Verzeihung, wegen Grammatik, wissenschon, sondern wegen Zusammenhang. Was will er damit sagen, frage ich mich, gibt es denn am Bodensee keinen Klimawandel, oder nur bei den Äpfeln nicht? Der Beitrag holt nun aus, das nasse, kühle Frühjahr, der heißeste Sommer seit einhundertundzwanzigtausend Jahren auf der Welt, aber eher nicht am Bodensee, ich war nämlich dort und habe blaugefrorene Kinder aus dem Wasser steigen sehen, die furchtbare Trockenheit dann, und nun die Ernte. Es gibt ein Zentrum, dessen Name ich vergessen habe, das sich mit dem Anbau von Obst unter wechselnden Bedingungen beschäftigt, und das Empfehlungen herausgibt, wie auch in Zukunft noch Äpfel geerntet werden sollen. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, und für eine Beitragslänge habe ich Hoffnung, dass es uns noch lange einen Apfel reichen wird und für mich ein bisschen Wiesengras, wo es doch Tiere gibt, die sich damit besser auseinandersetzen können als wir Menschen. Wir rauchen das Gras ja lieber, und ich wollte längst einmal nachgeschlagen haben, was denn diese "Raucherclubs" bedeuten sollen, deren Schwaden vor einiger Zeit durch die Nachrichten gezogen sind.
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Ein Streitgespräch dann, ein kultiviertes, mit einem kultivierten Thema, der Zukunft des Liberalismus nämlich. Darin eine Philosophin, die so oft betonen muß, keine Politikwissenschaftlerin zu sein, daß ich sie glatt unter Politikwissenschaften im Gedächtnis behalten werde. Behalten durch Negieren, und vielleicht könnte man draus lernen in der Kommunikation, ich weiß ja nicht. Dazu hat sie eine wundervolle Stimme, die sie modulieren kann, daß ich mich plötzlich aufrecht setzen mag, wen sie den Druck erhöht, nur ganz leicht erhoben spricht, in den Momenten wichtiger Gedanken, oder wenn wieder einer der Herren ansetzt, sie zu unterbrechen. Es gelingt ihnen nicht, und auch die Süffisanz, mit der einer dazwischen anmerkt, es gelänge ihm wohl nicht, seine Meinung auszudrücken, worauf sie ihm Zeit lässt, seinen Gedanken noch mehr zu konfusionieren und ihm selbst zu widersprechen. Kein guter Redner, denke ich, und doch ist der Kern des Gesprächs ein glühender, ein blasenwerfender, und einer, um den ich noch einige Tage kreisen werde. Die Freiheit als Ziel, als Ziel für alle, oder doch nur für einige Gemeinte? Und durchgesetzt gerade durch wohldosierte Einschränkungen der Freiheit - frei zum Leben zu sein bedeutet ja, daß auch andere frei sind, zu leben, daß also ihr Leben vor meiner Freiheit geschützt wird. Und es kommt nun der Gedanke auf, daß wir diese Freiheit anders definieren. So sagen die einen, Freiheit bestünde auch darin, sich alles kaufen zu können. Nein nein, sagen die anderen, man kann nicht alles kaufen, und komischerweise sind das diejenigen, die allen Geld geben wollen, um sich mehr kaufen zu können. Freiheit als Chancengleichheit, sagen die einen wieder, und dann sehe ich mich als alten, faulen Silosack am Fels hängen, neben einer jungen, kräftigen Beweglichen, die über Griffe turnt, die ich nicht kriegen kann. Ich hätte vielleicht mal gekonnt, oder vielleicht mal nur dafür üben können, und so ist Freiheit auch immer eine Folge von Entscheidungen und Einschränkungen, und stets begleitet selbst im größten Freiheitsglück die Notwendigkeit, von der wir uns nie lösen können. Freiheit also, denke ich so vor mich, fordert einen Kanon von Begriffen, mit denen wir die Freiheit markieren, die wir meinen. Und ob dazu die Zukunft gehört, die ein Recht haben soll, eine Zukunft und frei zu sein, kann durchaus eine Einschränkung bedeuten. Die Philosophin beschreibt den Liberalismus dann als optimistisch, auf Verbesserung hinwirkend, und genau an diesem Punkt entzündet sich im Gespräch der Konflikt zwischen purer Beschränkung und dem Freiheitsgedanken, für diese freie Zukunft Neues zu schaffen. An wen sich die Freiheit richten soll, und welche Begriffe sie umfasst, das wären Themen für Liberale, denke ich dann, aber ich bin selbst schon einmal in einem Porsche gefahren und kann verstehen, daß man dabei nicht an anderes denken mag.
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Das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen sei die Schweiz, berichtet man, und liefert die Gründe gleich mit: Eine ähnliche Sprache, was ich als Dialketsprecher mit angeheirateter Schweizer Verwandtschaft nun einfach mal zur Kenntnis nehme, gute Bildung für die Kinder und die Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Ob das die ganzen Studienersteller gerne hören, die über Jahre erklärt haben, es gäbe keine Pullfaktoren, man habe einfach keine finden können? Merken durch Negieren, das hatte ich heute schon einmal, ebenso wie die Notwendigkeiten, die selbst in der Freiheit stecken, und vielleicht hätte man aus diesen ganz verständlichen Faktoren ja etwas Nützliches lernen können, und mit nützlich meine ich von Nutzen, wie so eine Kartoffel nützlich sein kann, wenn man eine pflanzt und viele erntet und mit Pommes Glück erzeugt? Stattdessen haben wir die Kartoffel zum Schimpfwort gemacht und streiten drum, welch Armseligkeit unserer armen Seelen.
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Wie alle Tage endet dieser, ich klopfe Filter aus und puste in Kühler, verfrachte allen Dreck von dort auf mich, auf dass er mich kratzen und beißen solle bis zur Dusche. Doch vor der Halle steht ein Bänkchen, ein Feuer knistert unterm Rost, und dann sitze ich doch und schaue lang ins Abendrot und noch viel länger in die blaue Stunde hinein, und nicht zuletzt bin ich froh, daß ich nicht immer Nachrichten hören muß, sondern hier sitzen darf am Tagesende.
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