Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 26. 02 18

26.02.18, 23:22 | 'Egalitaeten'
Ein Spaziergang, zu dem wir uns trafen. Die Sonne, der Treffpunkt, das schnell ausgesuchte Ziel.Wir starteten also, etwas unglücklich gewählt im Nordosten eines größeren Hügels, liefen also erst einige Zeit im Schatten durch Weinberge. Wenigstens bergauf, so wurde mir warm. Dann durch den Wald, umrauscht von Autos, die sich den Hügel zwar ansehen, jedoch nicht erarbeiten wollten. Ich sah die Kennzeichen und die bräsigen Insassen, an manchen Stellen saßen sie in ihren Autos bei laufendem Motor, drinnen Kaffee und Kuchen auf der Mittelkonsole. So ein Fahrverbot, dachte ich, wäre eine tolle Sache, wenn es nur all die Städter in die Stadt fesseln könnte. Wir entkamen ihnen, als wir am Ziel, einer Gastwirtschaft mit Ausblick auf einen großen Parkplatz vorbeikamen. Eine Schranke, und kurz davor zwei Autos, auf dem engen Weg hoffnungslos verkeilt über dem Eifer, möglichst viel gefahren und wenig gelaufen zu sein. Es ist längst, denke ich mir, die Bequemlichkeit, die uns alle treibt, und den Balken in meinem Auge sehe ich wohl, der macht es nur noch bitterer. Ich kann ja auch kein besserer Mensch sein, nur ein Bruddler. Und man erwirbt sich ja auch kein Recht durch Radeln, kein Karma, sondern nur ab und an auf einer haltlosen Eisplatte einen schmerzenden Knöchel und etwas Zorn. Wir marschieren also zum einen Denkmal, dann zum anderen, das ich noch gar nicht kannte: einem großen, steinernen Turm mit Blick über den wogenden, kahlen Wald. Abstieg dann gemeinsam mit einer Familie mit drei Kindern. Zwei rutschten auf einer Eispfütze aus, ihr Geheul gellte weit durch den Wald, bis sich der Vater aufraffte, mit ihnen durch den harschigen Schnee zu rennen, bis die Eiskristalle stoben und funkelten. Drei Jungs, dachte ich vergnügt, drei Jungs und ich, wir würden uns schon jeden Tag müde kriegen.

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Spät am Abend in die Wohnung bei zwölf Grad. Zwei Decken, angenehmer Schlaf. Rossnatur, Vereckling, lobe ich mich und stoße wohlige Atemwölkchen aus, bevor ich einschlafe.

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Ich müsste die Morgende besser nutzen, denke ich mir abends, und dann denke ich an meine Mutter, die stets gesagt hat, daß abends die Faulen fleißig würden. Nun, jedenfalls am Abend habe ich mir nichts vorzuwerfen - die Wohnung ist in einer guten Stunde geputzt, bevor ich mich nach kurzer Telefonrast aufmache, ein bißchen Salat zu jagen. Maultaschen sind im Angebot, ich nehme einige Päckchen mit für meinen Anteil am Abendessen in der nächsten Woche. Gluten- und laktosefrei darf es sein, und ich versuche ja seit einigen Wochen, mich nicht darüber aufzuregen, daß man durch die Lektüre einiger Artikel auf obskuren Seiten im Netz zum Experten wird, Diagnose und Therapie erarbeitet und ebenso selbstverständlich davon ausgeht, daß einem natürlich nie ein Arzt helfen kann, da es keine Experten gibt. Ob denn Ärzte die tollen Artikel nicht lesen könnten, wende ich ein und höre, sie wollten nicht, sie könnten ja eh nichts finden. Ich atme und atme, und irgendwann wird auch dieser Sturm an mir vorüberziehen.

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Über Mittag erst im Intranet einen Aufruf gelesen, die bösen Viren und Bakterien zu bekämpfen. Ich denke noch was vom Kapitalismus, der die Arbeitskraft erhalten will, lese dann die Kommentare und muß schon wieder atmen. Zwischen Suppen- und Salattheke wird ein Desinfektionsspender benötigt, und an jeder Tür selbstverständlich. Ein Beitrag beschreibt unter vielfachem Beifall, wie einfach es ist, zu warten, bis andere die Türen öffnen, damit man die Klinken nicht anfassen muß. Türklinken scheinen für manche die Hölle zu sein, die ich erst dahinter vermutet habe, aber nun. Desinfiziert euch nur fleißig, denke ich und befördere mit den Fingern ein paar Kekskrümel von meinem Schreibtisch in den Mund. So eine Grippe scheint ja die Hölle zu sein. Fast so schlimm wie Türklinken. Ich bin gespannt, wann der erste Beitrag Gasmasken fordert - aber das traut sich dann doch keiner, hier im Autokonzern.

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In einem Achtzylinder mitzufahren hat dann schon was.

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Die Kassiererin trägt eine tolle Frisur, unter der nur wenige graue Haare hervorspitzen. Müde sieht sie aus und abgespannt. Abends bin ich sehr mitleidig mit den Müden, und in diesem Supermarkt sowieso. Mich graust es beim Gedanken, hier kassieren zu müssen. Lieber zur Müllabfuhr, denke ich, und in Gedanken fahre ich stolz mein Müllauto, als vor mir Waren vom Band fallen. Von meinen Vorgängern nachlässig darauf gehäuft und gestapelt, haben sich irgendwelche Verpackungen am Eingang zum Scanner verkeilt und schieben den ganzen Wust nach hinten, während das Band, von einem Sensor gesteuert, munter nach vorne zieht. Die Kassiererin schaut auf, müde und langsam, und ich nehme die zweite Hand zur Hilfe, versuche, meine Lebensmittel vor der quetschenden Masse zu retten und gleichzeitig nichts auf den Boden fallen zu lassen. Endlich stoppt das Band. Ohne ein Wort zerrt die Frau an den Verpackungen, es piept wieder regelmäßig an der Kasse, und ich kann nach und nach alles wieder zurück auf das Band legen. Als ich dran bin, schaut sie in meine Tüte. Welches Brot? Ich weiß es nicht, muß ich zugeben, um diese Uhrzeit sind die Reste zu ergattern, und Glück bedeutet, nicht ein Kilo Brot kaufen zu müssen, dessen ich in den paar Tagen bis zu seiner Versteinerung niemals Herr werden könnte. Baguette? frage ich vorsichtig, nachdem ich ebenfalls in die Tüte geschaut habe. Walnussbrot, sagt sie emotionslos, und ich zucke die Schultern, packe das Baguette, Gemüse, Käse, Salat und Maultaschen ein und bezahle. Auf dem Heimweg überlege ich, ob mein Baguette nun teurer geworden ist und wie ein solcher Fehler auffallen könnte. Bei der Unordnung und dem Schwund rund um dieses Backwarenregal überhaupt nicht, beschließe ich irgendwann, werfe den Kassenzettel weg und räume zuhause meine Einkäufe weg. Ich schneide und würze, brate schnell noch etwas Speck. Und nun sitze ich da mit meinem Salat und meinem Walnussbrot und meiner Scham, daß ich den Lebensmitteln dann doch so wenig Aufmerksamkeit widme.
# |  2 RauchzeichenGas geben