Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 27. 03 16

27.03.16, 16:23 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Wir haben eine Abmachung, die unter dem Mantel des Scherzes darin besteht, daß ich Dir jeden Tag ein Kompliment machen darf. Ein Lob, das Du nicht ablehnen darfst, sondern annehmen mußt, das ist Dein Teil der Abmachung. Und ich merke wieder, wie mir das wohltut. Der tägliche Kontakt, ein freundlicher Gedanke, und kurz darauf Deine Antwort, vor ein paar Tagen sogar mit einem der erhofften Kussmünder, den ich seither, locker as locker can, links liegenlasse, und links liegenlassen heißt ja linkisch schweigend zu grinsen, und links auf dem Herzen trage ich seither den Kussmund mit mir und meine Lobeshymnen in einer Notiz, ich wäre ja kein Ingenieur, hätte ich keinen Vorrat daran gesammelt.

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Überhaupt das Lob. Es zeigt mir, was mir an Dir gefällt, und ich muß dann über die Worte nachdenken, mit denen ich bisher schon gelobt habe. Ich muß über Dich nachdenken und über mich, und warum ich will, was Du bist, und was es mit mir macht, was ich will, was ich bekomme, was ich werde und wie.

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Du könntest Dich dran gewöhnen, sagst Du, und ich sage, daß unsere Abmachung nur sieben Tage läuft, meine Worte aber für siebzig Jahre reichen.

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Das Nebenbeibemühen, und so gehen sie plötzlich alle, die Rücksichtsvollen, sind müde oder müssen zur Bahn, und dann stehen wir da, und Du schickst mich weg, und mit einem Lachen lasse ich mich schicken. Ich will jeden Schritt gehen, hab ich mal gesagt, und vielleicht ist es das, was ich am besten kann.

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Wie ich mich jetzt nicht mehr anbiedern muß. Ein Zeichen der Niederlage, vielleicht, denn vielleicht ist das Anbiedern, mit dem ich mich so beiße, auch nur das Geltenlassen der Anderen, vielleicht bin ich zu bissig mit mir und mit allen, zu überzeugt, zu breit stehe ich da und weigere mich ja immer, zu wanken und zu weichen. So standen wir neulich in einer Küche, und ich sagte einfach, daß das alles Unfug ist und ich es nicht mehr hören will.

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So stehe ich auch nun wieder, wo ich mich früher so heimisch gefühlt habe, mit Wunschbändern angeflochten an diesen Ort, und vielleicht war da mehr Wunsch als Band, und nun ist nicht mehr viel da, und manche ringen sich noch zum Hallo durch, und ich beobachte mein Schweigen, wie immer fällt mir nichts Nichtssagendes zu sagen ein, ich könnte ja Listen auswendig lernen und doch nichts wissen, und mit anderen bin ich warm und da, und wieder beobachte ich mich selbst, es reißt mich nicht mehr, es ist nun mal so, und ich bin auch müde, ich halte Dich nun wirklich für engstirnig und arrogant, und ein solches Urteil schlägt ja sofort im Kreis zurück, denn vielleicht bin ich es, engstirnig und arrogant, das kann gut sein, und unter Tränen hat mich die Königin der Dreikaiserberge einst als uninteressiert und kalt verschrien, und von Menschen, die mir am Herzen sind, kann ich mir auch das nur zu Herzen nehmen.

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Ich rieche es dann förmlich, ich weiß doch auch nicht, wie es passiert ist, rede mit anderen und amüsiere mich mit einer Lockigen, Lachenden, und es tut mir recht leid, daß wir beide darüber reden, wieviele Kinder hier schon gezeugt wurden, während sie von der Theke herüberschielen und abblitzen mit ihren Plastikbechern und den scharfen Getränken. Das tut mir leid, denn ich wünsche ja allen Glück irgendwie und ein Finden, wo ich schon hier nicht mehr suchen möchte. Ich räume das Feld, ich summe auf dem Heimweg vor mich hin, lasse das Licht und den Rauch und den Lärm zurück. Wer weiß, was in einem Jahr ist.

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Eine Altbauwohnung, die man charmant nennen müsste. Wasserleitungen mit Mosaiksteinchen verziert, eine Treppe, auf der man sich den Hals brechen muß, ein Chaos an Küche und eines an Nippes von den Reisen, und daß ich mich ja am liebsten übers Nicht definiere, damit mache ich es mir ja auch immer viel zu einfach, lasse mir also Schalen und Künstwerkchen und Tücher und alles zeigen und glaube mehr und mehr, daß man Länder überhaupt nicht bereisen kann, daß man nur Menschen erforschen muß und dazu ja viel zu wenig Zeit mitbekommen hat auf die Reise.

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Zeit - da arbeiten andere sich krumm, und ich überlege hin und her. Wäre ich stark, denke ich da, aber vielleicht muß einer auch von allem ein bißchen tun, ein bißchen Auto, ein bißchen Acker, ganz viel Luft.

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Im Kopf ein Bilderbogen, wie ich die vollgeladene Batterie vom leuchtenden Ladegerät trenne, ins Moped einbaue und das Fenster der Hütte öffne, bevor ich sie frevelhaft im Inneren starte. Kohlenmonoxide, alles, an mein Herz, ich schraube den Sitz wieder fest und starte dann.

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Meine Rundreisen sind kurz, sind an den Gashähnen und an Sonnenstrahlen herbeigezogene Gründe, weil ich ja nicht grundlos sein kann.

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Die Bäurin kocht nebenbei, und ich schreibe Adressen auf, und dann stehen wir auf dem Hof und reden, während meine Sehnsucht zu den Kühen quillt.

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Ein anderer Hof noch, noch ein freudiger Händedruck, und wieder Geschichten von der Arbeit, die man sich von außen nicht vorstellen mag, von der Zukunft, von dem wenigen Futter nach dem trockenen Sommer, von dem Milchpreis, bei dem man zu jeder Arbeitsstunde noch Geld mitbringen muß, und wenn ich etwas tun könnte, ich würde alles tun. Sag Bescheid, sage ich irgendwann, auch wenn das reichlich mager ist.

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Eine Runde noch, sage ich mir lachend, damit ich wenigstens zwanzig Kilometer gefahren bin, und plötzlich stehe ich auf noch einem Hof, da habe ich einen Augenblick wohl nicht mitgedacht, und ich sehe hoch zu dem alten Schloß mit dem hölzernen Balkon, auf dem Wäsche weht, ich sehe durch den Stall, wie einer vom Radlader springt und lacht und sich freut, und so laufe ich neben ihm her bei seiner Arbeit, durchs Haus irgendwann, und seine Frau freut sich und ärgert sich zugleich, daß sie nicht gekocht hat, und da sitzen die Kinder und rutschen bereitwillig, und ich sitze dann in der Sonne und esse Pizzastücke, und er redet draußen dann von seiner Krankheit, aber nur kurz, als würde er mich kurz hinter meinen Schutzschild in die Sonne blicken lassen, die ihn verbrennt, den Tätigen, den Willigen, den lachend Umarmenden und Zugreifenden, der dann doch nicht kann, nicht mehr können wird, der nur noch aus Willen besteht und mir von Werten erzählt, bei denen andere nicht mal mehr stehen können, wo er noch läuft und gabelt und kehrt und fährt, und wo er mich am meisten beeindruckt, das ist gar nicht die Arbeit und das Wollen, es ist das Schätzen der Sonnenwärme, deren Strahlung ihn gleichzeitig verbrennt. Da sieht einer die Freunde und die Freude und das Schöne nur noch deutlicher, noch klarer, je mehr Schmerz und Arg ihm die Welt bereitet, und da könnte ich in die Knie gehen mit meinem Gejammer, mit meinen Nichtigkeiten, meiner Kleinigkeit und Kleinheit. Mach Du weiter, sagt er zu mir, und einer, der immer lacht, scherzt doch nie zu sehr, nimm Dir eine der beiden, ich sag zu allem Ja. Ach, denke ich, immer diese Blitze, hinter denen ich mich in Stiefeln sehe statt in Anzügen, in diesem alten Schloß statt in dumpfen Wohnungen, in dieser Weite statt der Enge der Stadt, und ich sage, daß ich alt bin und die beiden jung sind, wie sie da oben saßen mit ihren Schlabberhosen und den Hausschuhen und den Engelslocken, wie sie gutmütig mit mir lachen, aber ach. Es ist schon gut so, es ist ein Blitz, und im Gewitter kann ja auch keiner leben, und doch kann ihm kaum jemand widerstehen.

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Ich singe unterm Helm. Idyllische Straße. Schwäbischer Wald. Kurvenräubern.

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Auf dem Weg zur Osternacht überlege ich, wie lange ich die Kirchen jetzt gemieden habe, was mir daran widerstrebt. Der Katechismus ist es nicht, den finde ich sehr tröstlich, und während der Wiederholungen und der Geschichten kann ich sehr gut meine eigene Geschichte denken, träumen vielleicht, wer weiß schon, was dazwischen liegt, aber es ist lang und ich bin irgendwann müde gedacht und ergebnislos, wie immer beim Träumen, und dann der Leib Christi, den mag ich nicht, um den habe ich mich schon als Kind herumgemogelt, abenteuerlich die Emporen gewechselt, wie wir da in Gruppen nach vorne gingen, zuerst bei denen, die warten, um zu denen zu gelangen, die schon auf dem Rückweg sind, und diesmal bleibe ich sitzen, einfach so, und dann habe ich den Eindruck, daß sich jemand an mich lehnt, an meine schwere, alte Motorradjacke, die mich auch im Schlaf noch aufrecht halten könnte, und ich sehe mein Hand auf einem Knie und denke immer noch oder träume schon wieder.

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Ich sehe Dich vorne beim Abendmahl, und ich sehen Dich leuchten, als Du zu mir zurückkehrst.

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Ich bekomme einen geschnitzten Elefanten geschenkt. Ein Elefant für mich. Anhänglichkeit, Anschmiegsamkeit, wie mir das fehlt.

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Wie ich sein will. Woraus ich bestehen will. Wie mich verändert, was ich verändern kann. Die Arbeit und ihre Menge. Die Menschen. Ärztin, Christin, Reisende, Müsli statt Alkohol, die Pegeltrinker, die Lachenden, das Herumtreiben, und ich bin irgendwie alles und muß doch mehr eins sein. Wie man sich bindet, so liebt man. Wie will ich sein, wenn ich nicht weiß, wer ich bin? Wie will ich werden, wenn ich nicht weiß, was Du mit mir machst? Ich könnte der Ruhige sein in einem Moment, der geführte Reisen unternimmt und gebildet liest, und ich kann der Wilde sein im anderen Moment, der am lautesten lacht und am schlimmsten tanzt, ich kann nur nicht nur eines sein, fürchte ich, und muß es doch aufgeben, so zu sein, denn so wie ich kann niemand sein, wenn ich selbst nicht eindeutig bin.

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Es ist auch ein Maß an Körperlichkeit in mir, vielleicht ist auch das männlich, vielleicht bin das nur ich, aber auch daran messe ich mich, wie ich aussehe, wie ich mich forme, und welche Form ich fühlen will. Es sind die Dreißiger, denke ich, und vielleicht bin ich, Peter Pan, ja anders, daß ich so gar nicht älter werde, nur die Augen vielleicht, und überhaupt gar nie der Kopf, der Dumme, der ungefüge voller Unfug. Es kommt mir vor, als alterten, als reiften die anderen schneller, und das ist mein Vergleich, mein Benchmark, es ist gar nicht der Verdienst, der kümmert mich ja übers Wesentliche und die Fahrzeuge hinaus nur wenig, es ist die Zukunft, die ihr alle schon begonnen habt mit euren Häusern und euren Kindern und euren Familien, und vielleicht ist das keine Zukunft für mich, sondern wieder nur ein Traum.

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Es ist tatsächlich so, daß ich eure Freude hören möchte, auch wenn das ungehörig ist, auch wenn das ein Fetisch sein mag, dem man Lack und Leder eher verzeihen könnte als das schlichte Aufsaugen der Freude, ausgedrückt durch Herzschlag, Atem, Stimme, Hände.

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Ich singe wieder.
In your eyes faint as the singing of a lark
That somehow this black night
Feels warmer for the spark
Warmer for the spark
To hold us 'til the day when fear will lose its grip
And heaven has its ways
And heaven has its ways
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Es regnet am Morgen, und nach der Hälfte der Strecke halte ich an einer Tankstelle. Mache ich ja nie, wenn es nicht nötig ist, ich friere ja lieber fertig, als mich auf halber Strecke aufzuwärmen, ich mag ja keine Etappen, dachte ich. Da wischt eine Frau über die Zapfsäulen, und ich grüße sie lächelnd, was sie unterm Helm nicht sehen kann, und deshalb mag ich vielleicht die Helme so, die das Lächeln verbergen, und wenn ich mag auch die Augen, dann kann ich anlächeln, wen ich möchte. Ich suche mir eine andere Säule, tanke SuperPlus aus keinem Grund in das winteralte Benzin, und später weiß ich doch, daß ich mich am angezeigten Minderverbrauch freuen werde, und ich weiß auch, daß die Kilometer und der Verbrauch an sich ja unnötig sind, nur meiner Freude dienen, aber daß der Mensch nicht nur sitzen kann, daß sein Elend sein Drang und sein Trieb ist, das wußten wir ja schon. Ich gehe nach drinnen, ich bin der erste Kunde des Tages, und wir reden dann kurz übers Motorradfahren, und so bestelle ich noch einen Kaffee, ich, der ich Kaffee an Tankstellen verachte, weil es beim Fahren ja nur ums Fortkommen geht und nicht um Kaffee, und sie fragt und ich erzähle von meiner Freundin, die nicht Motorradfahren möchte, und deshalb fahre ich allein und am frühen Morgen, dann stiehlt uns das nicht den Tag, und ich lüge überhaupt nicht, wird mir klar, ich träume nur, und vielleicht bin ich im Traum mir selbst näher als jemals sonst, und Träume zu teilen wäre demnach das Ehrlichste, was ich tun kann, an einer ostersonntäglichen Tankstelle im Nirgendwo mit einer freundlichen Frau, die von ihrem Motorrad erzählt, und daß sie bei Sonnenschein ja immer arbeiten muß, und auch für mich kommt es gar nicht auf die Worte an, es ist der geteilte Traum, das Schöne, ob es das gibt oder nur aus Wolken besteht, die können ja auch schön sein, und so erzähle ich noch ein wenig, daß wir mit dem Auto an den Gardasee fahren wollen, ein wenig klettern, etwas Radeln, viel Liegenlachenlassen, und dann noch nach Fontainebleau, der Steine wegen, von der Wohnung und der Arbeit und unseren Gemeinsamkeiten, und so essen wir ein Stück des trüben Tages auf, schmecken den Sommer des anderen, und ich glaube wirklich, daß ein Traum die Süße im bitteren Tankstellenkaffee sein kann. Aufgewärmt gehe ich, und verfroren komme ich schließlich an. Und vielleicht erreiche ich auch mich, irgendwann, bevor ich erfriere.
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