Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Freitag, 26. 04 13

26.04.13, 20:30 | 'Heller als tausend Sonnen'
Ich sitze da und zerbeche mir den Kopf über Momentenverhältnisse, sehe mit einem Auge nach draußen, als das Telefon vor mir brummt. "Ich hatte Dir doch mal erzählt, und da hatten wir uns gedacht, und Maultaschen", sprudelt es aus dem Hörer, und ich bin verdutzt. Keine Momentenverhältnisse. Eine Stunde, höre ich mich sagen.
Fünf Minuten später sitze ich auf dem Rad, und das Telefon zählt die Minuten herunter. Ich wechsle den Rucksack gegen die Tasche und vertraue der Computerkarte. Bloß keine Bahnen bei dem Wetter, bei der Hektik, und auch mal neue Wege radeln. Und wenn nicht jetzt, wann dann?
So holpere ich über Kopfsteinpflaster auf einen Radweg. Biege in die Talabfahrt ein. Lasse mich kilometerweit treiben, trete nur gewohnheitsmäßig ein wenig mit. Die Häuser verschwinden, ich bin im Wald. Doch wieder ein Häuschen hier und da. Irgendwann kreuze ich die Straße, den kleinen Bach, das Grün, und mir ist, als würden sich fünfstöckige Gebäude auf mich stürzen. So schnell ist man hier in der Stadt. Die Luft wird schwül und schlecht, die Straße vierspurig, der Radweg ein Gehsteig. Mit Menschen. Mit Stühlen, Abfallkörben, Hindernissen.
Irgendwo biege ich ab, stehe vor einer Kirche, an der ich schon hundert Mal vorbeigefahren bin. Ich läute.
Durch das Tor, durch einen Hinterhof. Darin das Eisenlager einer Schlosserei, und ein Paradies riesiger Maschinen. Ich lehne mein Rad an. Noch eine Tür. Die hölzerne Treppe knarzt.
Eine zusammengewürfelte Küche mt Dusche. Auf dem Balkon hängt Wäsche. Der Hund begrüßt mich beiläufig, aber so ein Knochen ist ja auch was Feines. In der Küche ist es warm. Kurze Hosen und Hut, denke ich. Ausgefranste Hosen und eine Weste. Ein geblümtes Sommerkleid, luftig und leicht. Aus allen Töpfen dampft es, und man drückt mir ein Glas in die Hand.
Sie steht auf dem Balkon, drückt an einer Tube, an der der Hund begeistert schleckt. Sie kiekst vor Lachen, ihr Kleid leuchtet in der tiefen Abendsonne. Der Hund ist begeistert, und wenn ich eine Kamera wäre, ich wäre für dieses Bild gemacht.
Sie zeigen mir Fotos. Ich sehe mich im Flur um. Bunte Griffe an einer Wand. Gegenüber ein überbordender Kalender. Der Hund wuselt, und neben dem Kalender hängt ein Portrait von Bob Dylan mit meiner Frisur. Highway 61, denke ich, und "Hey Bob!", weil das hinter mir mal einer gegröhlt hat, auf dem einzigen Konzert des Meisters, das ich je besucht habe. Ich trage Teller ins Esszimmer. Töpfe. Vorsicht, heiß! und Danke.
Dann stehe ich ein wenig verloren herum und freue mich am Holzboden, der unter meinen Schritten knarrt. Spanische Musik, und ich knarre im Takt mit den Dielen. Denke ganz kurz über Momentenverhältnisse nach.
Wir setzen uns, und ich bekomme Maultaschen, die selbst hier schon in der Zeitung waren.
Ein beiläufiger Griff zu Blazer und Lippenstift, der Tisch ist schon abgeräumt. Ich bin überflutet von Bildern, von einer ganzen Welt, von mehr einer Welle aus Eindrücken, die meine Sinne nicht auf einmal schlucken können, und als ich das sage, lächeln sie alle. "Gehen wir."
Ich schiebe mein Rad, und irgendwie immer laufe ich auf der falschen Seite. Sehe mich um, wie einer kurz in eine Bar stürmt, durch ein offenes, bodentiefes Fenster, und lachend begrüßt wird. Ich sehe mich um, als wir in eine Unterführung einbiegen, mit einem wundervoll gebogenen Weg für alles, was keine Treppen kann. Fahr schon, sagen sie, und ich sause mit quietschenden Bremsen hinunter und wieder hinauf. Dann werde ich still und langsam, bis sie sich nach mir umdreht. Lacht und mich heranwinkt. Ich kenne mich nicht aus, sage ich, und meine das auch so. "Wir sind schon da", lachen sie, und tatsächlich.
Es ist ruhig und leer heute abend, denn es ist warm draußen. Wir haben die Wahl, sage ich, und Eistee, sagt einer. Und dann schwitzen wir die Maultaschen wieder heraus, und es ist überhaupt nicht schade drum. Liegen auf den Matten, bäuchlings, einander gegenüber ausgestreckt, Arme und Beine in der Luft. "Jetzt boxen" schallt es, und da patschen Hände gegen meine, bis ich die Arme vor lachen nicht mehr oben halten kann. Ich bin besiegt, und sie biegen sich vor Lachen an diesem Spiel, das jetzt alle ausprobieren.
Wir bringen noch die Flaschen zurück, und ich mache Bocksprünge mit dem Rad, weil ich das neulich so gesehen habe und weil mir das heute so gefällt. Auf dem Heimweg singe ich vom Jokerman, der zur Nachtigall tanzt, während die Vögel zum Mond fliegen oder so ähnlich. Und Bob Dylan lächelt, während ich mich daran freue, langsam sein zu dürfen, und überwältigt.
# |  2 RauchzeichenGas geben