Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 12. 10 06

12.10.06, 18:56 | 'Nachdenken im Dativ'
Die Schnecke an der glatten Silowand. Unbeirrbar kriecht sie senkrecht nach unten, von der Sonne beschienen. Pfeif auf den Sinn, straight forward. Ihre Spur glitzert. Ein Reifen schrammt an der Mauer entlang, hinterlässt dunkle Streifen Gummi auf der glänzenden Bitumenschicht. Die Schnecke ist weg.

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Der Vergleich mit meinem Vater: leader of the gang. Umzüge. Internat. Fernsehen. Wut. Kaffee & Schokolade. Krimis & Kurzgeschichten. Rückzug ins Selbst, Ablehnung des Körperhaften. Kasteiung: Rauchen & Schlafentzug. Ausschlafen & Genuß der Morgensonne. Ähnlich, aber vollkommen verschieden.

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"Wir machen morgen eine Exkursion. Der Zuckerrübentag ist eben eine Pflichtveranstaltung, deshalb fahre ich noch hin."
Könntest Du mich vorher noch heiraten? Heute abend? Jetzt gleich? Und wir gingen die breiten Treppen nach oben, ich trüge Dich über die Schwelle und am Morgen schaute ich Dir beim Aufwachen zu.

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Ich war ganz kanpp davor, in einer Stadt geboren zu werden. Dann bekam meine Mutter den Bauplatz geschenkt, als Erbteil. Mein Vater übernahm das Büro. Er saß fest. Ob alles anders hätte kommen können mit städtisch nicht zu kanalisierenden Energien, ohne freien Blick und freie Luft, ohne die Bekanntschaft wirklich freier Menschen, neunzig Jahre Weisheit? Schmerzt ihn der Verzicht? Technischer Ausschuß Sportverein statt Kunst am Bau. Ein Bauerntrottel statt eines kulturell interessierten Weltenbummlers. "Du mußt raus", hat er immer gesagt. Und "Fahr doch nach London, wenn Dich das Archiv interessiert. Oder ans Nordkap. Das wolltest Du früher." Wer hat mir Zettel an die Tür geheftet, daß wer sich selbst suche, dies in der Welt tun müsse? Wer hat mit Begeisterung jede Regung, jedes Zucken wahrgenommen und gefördert, daß ich, weiß der Himmel warum, nicht einmal mehr zu atmen gewagt habe? Die Uni war der letzte Kompromiss. Ich bereue die Freiheit, akademische, die ich nie wollte. Weil Zielsetzung zur Freiheit gehört. Und weil einfach so weiterzumachen oder abzuwarten, bis es vorbei ist nicht zählt als Ziel. Ich bräuchte keines, wäre ich nicht frei, akademisch. Würde es mir fehlen?
Fehlt mir denn der Verzicht, die selbstgewählte Enge, die irgendwie mit der landschaftlichen Weite zusammenhängt? Hätte ich mich darauf gestürzt, die Welt umzukrempeln, oder hätte ich nur zu kiffen angefangen? Warum muß nur ich die kurzen Wege gehen? Die peer group, die Arbeit, die Liebe, das Leben sind zu Fuß erreichbar. Alle anderen fahren so weit, big city life, hin und zurück, und klagen so garnicht darüber. Pendeln ist was Furchtbares, sag es doch, Schwesterherz! Dir zuliebe würde ich auf Benzin umsteigen.
Meine Engstirnigkeit war stärker.
Und ich konnte früher viel besser nachdenken.

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Pflügen ist Kunst. Silowalzen ist Kunst. Ich wäre doch so gern Künstler. Des Könnens wegen.

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Bayerisches Kulturradio, all day long. Sonst kein Sender rauschfrei. "Volk", höre ich, "Deutschland" und "Russland" mit rollendem R. Der Anrufer wird abgewürgt.
Die beiden Experten im Studio sind sich so schrecklich einig. Russland dies, Deutschland das. Phrasen über Machtpolitik und Geldmengen. Präsident Putin besucht Bayern. "Die Beziehungen zwischen Bayern und Russland reichen...", "...wird von einer Trachtenkapelle empfangen...", "...zeigte sich erfreut über die farbenfrohen...", "...Autobahn gesperrt...", "...Abend im Gasthof mit Zitherspiel." Der Zitherspieler darf am Telefon vorspielen und den Witz mit "Zither" und "zittern" aufsagen. Und die dreißig Minuten Verspätung wegen des Spaziergangs in Dresden sind schon am späten Nachmittag vergeben und vergessen.

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Ich komme hierher, einen oder zwei Tage im Jahr. Wie fühlt es sich an, dort eingesperrt zu sein? Umgekehrt bin vielleicht ich eingesperrt, in einer Kabine aus Glas und Kunststoff, mit gefilterter Luft und redigierter Information. Außensicht, Innensicht, der Sprung von innen nach außen, und das eigene Innen verschwindet. Ich kann mein eigenes Innen nicht von außen sehen, ich bin immer der Kerl, der in nassen Schuhen auf dem Silo steht und an der Folie zerrt, während die Autofahrer immer die Autofahrer sind, die ihre Köpfe nach mir drehen, bevor sie vorbei sind; ich bin immer der Kerl, der vom Fahrersitz herabsieht, während die Menschen stehen, der in ihr Blickfeld bricht und in einer Rauchwolke wieder verschwindet.

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Ein Mädchen auf einem Quad pfeift an mir vorbei, raus aus dem Dorf, über die Wiesen und Felder, unter dem blauesten Himmel, den die Alb hergibt. Letztes Jahr war sie noch klein und ruhig, hielt den Blick gesenkt und die Hände auf den Knien. Heute halb erwachsen, Wildfang; ich möchte nicht in der Haut ihrer Jungs stecken. Was wohl in dem Bauwagen hinterm Silo alles passiert? Erstes Bier, erster Kuss, Dorfjugend galore.
Der nächste Kipper deckt mich bis zum Hals ein. Und ich fahre, vor und zurück, auseinanderschieben und ebenziehen, wieder vor, wieder zurück, bis das Silo wieder gleichmäßig von Reifenspuren durchzogen ist.

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Ich fahre mit, am Abend. Wir rauchen gemeinsam, lassen spärlich ein paar Worte fallen. Biogas, Neunundsechzigzwanzig oder neunundsechzigzwanzig-S. Abschiebewagen, Plattformwaage. Xenonscheinwerfer, ich werd nicht mehr.
"Das wäre mein Ding", sagt er, und ich bewundere ihn irgendwie. Denn was wäre meines?
# |  Rauchfrei | Gas geben


12.10.06, 11:34 | 'looking at the world over the rim of my tea cup'
5 Dinge, die ich nicht habe, aber gerne hätte: (wird fortgesetzt) (via)
# |  Rauchfrei | Gas geben


12.10.06, 11:24 | 'Public preview'
Und wenn wir dereinst herausfinden sollten, warum Menschen ihren Rasen mähen, dann kommen wir dem Geheimnis der, nunja, dem Geheimnis jedenfalls, ein Stückchen näher. Aber wollen wir das?
(Ordnung ist Selbstähnlichkeit und Symmetrie. Hat nix mit Schönheit zu tun.)
# |  Rauchfrei | Gas geben