Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 29. 10 06

29.10.06, 17:09 | 'looking at the world over the rim of my tea cup'
Die Frau an der Stange. Mehr Applaus als die beiden Mädchen. Ich grinse und applaudiere.

Amateurs & Professionals.

"Du kannst mich anrufen. Ich weiß aber nicht, ob ich rangehen werde."

"Wir müssen dringend mal wieder richtig einen saufen."

"Weißt Du, Du bist voll in Ordnung. Ich denke schon lange nicht mehr schlecht von Dir."

Wasserblaue Augen und schwarze Locken. Bauerntochter, Landgewächs. Die schönsten Blumen wachsen nicht in Gärten. Sie lernt die Daten ihres neuen Traktors, um sie mir aufzuzählen, schön an ihren wundervollen Fingern, die sie nacheinander mit der anderen Hand aufstellt. Sie schimpft mit mir, wenn ich sie, im freien Flug, mal wieder nicht gesehen habe, nicht zurückgegrüßt und nicht gewunken.
"Weißt Du", sagt sie zu mir, "mein Vater will immer, daß ich einen Bauern mitbringe."
- Und? frage ich.
"Nö", sagt sie.
- Dann werde ich wohl eine Zeitungsannonce schalten müssen.
Sie wirft den Kopf zurück und lacht. "Du?"

Der Ingenieursrocker mit Kutte und sechzehnjähriger - ja, was? Freundin? Gespielin? Egal. Schnaps aus Bechern, Bier aus Flaschen.
Werde ich überhaupt vierzig?

Ruhig geht er durch die Halle, der Freund meines Onkels. Das Haar sauber gescheitelt, in Hemd und Jeans. Er langweilt sich hier und hat sich doch gezwungen, am Samstagabend auszugehen. Raus aus dem großen Haus, das er jetzt allein bewohnt. Die Läden sind immer zu, der Garten immer gepflegt. Die Gartenstühle standen das ganze Jahr über gestapelt an der Wand. Graue Haare bekommt er langsam, sehe ich. Und frage mich, was denn übrigbleibt, wenn man allein ist. Wenn man alles hat, und alles verliert? Müßte es nicht für jeden eine Gnade geben? Irgendeine?

Die glücklichsten Menschen, die ich kenne, sind selbständig. Sie arbeiten sonn- und feiertags, Tag und Nacht, und müssen sich am Ende anhören, daß sich beim Finanzamt niemand eine Achtzigstundenwoche vorstellen kann. Hilflos stehen sie dann da, in ihren nie getragenen Anzügen, und rollen die Papiere in der Hand. Und hören sich an, was sie alles tun sollen und bezahlen müssen dafür, daß sie arbeiten. Man sieht, wie sie aufatmen, wenn sie hinauskommen an die frische Luft. Um weiterzumachen.
Und wir streiten uns um Fünfunddreißigstundenwochen, nur um dann zuhause zu sitzen und nicht zu wissen, was tun. Wir schaffen uns künstliche Zeitfresser, abseits alles Wesentlichen und hoffen, daß wir nicht am Ende fünf Minuten nachdenken müssen. Aus Langeweile.

Müßte es nicht etwas dazwischen geben?

Zwischen dem Reifen des Wickelgerätes und einem Golf-Kotflügel gab es letztens leider nichts mehr. Treffsicherheit sind Gummistreifen auf dem Lack, aber ohne Kratzer. Millimeterarbeit, grinse ich heimlich, weil es nunmal passiert ist und Heulen eben nicht mehr hilft. "Du...mich", sagt sie, und "viel zu schnell."
- Ich sage nichts, warte nur ab, was ihr noch so alles einfällt. "Und die Frau Sowieso, die hat das alles gesehen."
- Ich schreibe meinen Namen und meine Nummer auf einen Fetzen Papier, den ich ihr gebe, und steige wieder auf mein Möhrchen, Rauch und Lärm zurücklassend. Last time Fünffünfzehner, für dieses Jahr.

Samstagnachmittag, Pflügen im "Säufeld". Das Telefon klingelt: "Siehst Du mich?"
- Du hast Deine Rundumleuchte noch an, sage ich.
- "Verdammt", und die Leuchte erlischt. Wir telefonieren dann noch eine halbe Stunde, einen Kilometer voneinander entfernt in Sichtweite, durch Glas und Rauch und Lärm getrennt. Vielleicht sollte man Menschen nur klimatisiert begegnen.
"Ich muß dann mal weiter", sagt er, klappt die Schurre hoch und biegt auf die Hauptstraße ein. Ich werde wohl noch ein Stündchen Arbeit haben.
Immer wieder hupt es von der Straße her. Die Stammtischbesucher kann ich zählen nacheinander, es ist kurz vor fünf. Die Grüße tun gut, ich lasse die Arbeitsscheinwerfer kurz aufleuchten. Ich komme nach, heißt das. Sobald ich hier fertig bin.
Aber das wissen die.

An der Kasse bekomme ich Dollars, "für die Mädchen."
Ich darf sie aber auch gegen Mineralwasser eintauschen. Sie kennen mich hier.

Das rhythmisierte Leben, vier zu drei in Tagen. Neun zu eins in Leben. Leider keine SI-Einheit, Leben. Tage schon. Was sagen Tage schon aus? Einen Tagesfüllgrad sollte es geben. Und die Idee, daß im Winter einfach die Stunden kürzer, kostbarer sind, die gefällt mir sehr.

Die Invalidenbank.
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29.10.06, 13:38 | ''S isch wia bei de Maedle au'
Ich kannte Schulbuben, die waren weniger aufgeregt als ich. Daß ich dann auch prompt alles falsch gemacht habe, so in einer Minute zwanzig, könnte man fast unausweichlich nennen. Oder Dummheit.

Nun gut, fahre ich eben vorbei. Ich war gerade in der Gegend, werde ich sagen, und hilflos herumstehen, die Arme herabhängend, bis sie mich angrinst und anfängt zu reden, die Stille zu durchdringen und mich aufzutauen. Ich habe den längsten Sommer der Welt geschenkt bekommen, um mit ihr auf den Stufen vor dem Haus zu sitzen und zu bräkeln, sie anzuschauen, wenn sie sich zurücklehnt und in die Sonne blinzelt. Ich habe keinen Grund, mich zu beklagen. Mehr Glück gibts eben nicht, das Maß ist voll. Vorschüsse und Überschüsse haben wir nicht, das Leben ist schließlich kein Pfandleihhaus. Der Wetterbericht meldet erste Schneefälle fürs Wochenende, ich baue den Pflug an und schmiere den Salzstreuer.
Ich fahre einen Umweg, um bei ihr vorbeizuschauen. Der Hof ist leer, und ich schmettere mein Telefon aufs Armaturenbrett. Is someone getting the best of you?

Sie hat "Danke" gesagt, am Telefon. Trotz Grantigkeit und "Du schon wieder". Es klang ganz leise, ein gehauchter Kuss, der noch garnicht weiß, daß er mehr ist als ein Atemzug an der Wange, wenn man sich verabschiedet. Ich halte mich daran fest, ziehe mich daran hoch.
Weil ich ein letztes Wort hätte sagen sollen. Ich komme, hätte ich sagen sollen. Warte auf mich.
Schade, habe ich stattdessen gesagt, und man konnte die Stille aus dem Hörer tropfen hören.
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