... Vorwärts fahren
22.10.06, 15:29 | 'Minimaler Blauanteil'
"Brich ihm nicht leichtfertig das Herz. Ich habe das getan. Und es hat lange gedauert, das zu kitten."
I don´t want you to take care of me.
(Nachtrag: Ich werd noch erwachsen, wenn das so weitergeht: Angerufen, um Zurückhaltung gebeten, Schreikrampf niedergerungen, geplaudert, gegen Tischbein getreten, gelacht, aufgelegt. Hexenmädchen, rothaariges.
"Du bist so unbedarft." - Genau das will ich hören, sonntagnachmittags, bei Kaffee und Bewerbungsschreiben. Ich bin nicht niedlich! Ich bin nicht unbedarft. Ein bißchen vielleicht.
Und als sie darauf bestand, ihre Meinung kundtun zu dürfen, habe ich nicht einmal gesagt, daß ihre Meinung vielleicht un-wicht-ig ist. Ich habe nichts verboten, ich habe gebeten. Behalte Deine Meinung für Dich, bitte. Oh, ich hätte mich aufnehmen sollen, mein Vater hätte Tränen in den Augen gehabt. Konfliktlösung galore! Und small talk. Und überhaupt. Und das Tischbein war zuvor schon krumm. Der Zeh nicht so.)
#
Erste Semesterwoche. Sprachkurs angemeldet. Ich renne also durch den Turm in der Stadtmitte. Philosophen, Architekten, Lehrerinnen. Sehen besser aus als die Ingenieure, haben vermutlich mehr Sex und auch sonst mehr vom Leben. Sagt man ja so, heutzutage. Dafür hat unsere Cafeteria abends bis elf geöffnet. (Ha! Poor me, poor engineers.)
Aber das nur kolportiert, ich bin weder mit den Öffnungszeiten der Cafeteria, noch mit den sexuellen Gewohnheten der anderen vertraut, und umgekehrt. Im ersten Stock sitzen zwei Damen an einem Tisch und verkaufen die Anmeldekarten. Ich erbettle mir ihren einzigen Kugelschreiber. Sie geben ihn mir nur, weil ich sowieso zu ihnen zurück muß - die Karte wieder abgeben. Flugs trage ich meinen Kurs und die Alternative (Kurs Mech.A und Kurs Mech.B - Ich war schon immer mehr B als A. Oder so.) ein und bringe Karte und Schreiber zurück. Eine der beiden Damen sortiert die Karten ein. Sie liest mein Gekritzel (Blockschrift! Großbuchstaben!) und sagt grinsend: "Maschinenbau, ja? Die wissen wenigstens, was sie wollen."
- Wollen sollen oder sollen?
Ich verhaspele mich schon in Gedanken, griene und sage nix. Wäre ich Architekt, hätte ich nach ihrer Telefonnummer gefragt. Wäre ich Philosoph, hätte ich sie schon. Wäre ich aber Lehrerin, bliebe mir der Sprachkurs erspart. Never mind.
#
Der geknickte Telefonmast. Auspuff krumm, Halter für Arbeitsscheinwerfer krumm, Kotflügel vorne rechts auch krumm.
Später heißt es nur "Bohey - ich hätte gedacht, es knallt mehr."
Rege ich mich eigentlich mehr oder weniger auf, wenn solche Mißgeschicke mir passieren?
#
Ich bekomme Kurznachrichten vom Format "Lust auf Kaffee und Kuchen?"
Von einem Mann.
Der Kuchen entpuppt sich als Torte, der Kaffee als frisch. Lucky me.
#
Herbstfreizeit. Auch so ein Unsinn mit Kindern. Vorbereiten am Freitagabend. Stromkabel auf Spatentiefe. Zweiter Spatenstich, es raucht und blitzt, beim Nachbarn gehen die Lichter aus. Der Freund dreht beinahe durch, der Notdienst vom Stromversorger grinst nur. Im Blech des Spatens klafft eine Zahnlücke, fingerdick.
Während wir warten, hole ich vom Metzger einen Leberkäswecken. Der Metzger schließt hinter mir zu. Der Freund dreht vollends durch.
Ich schenke ihm meinen angebissenen Wecken.
#
Mein Kleiner steckt seine Zunge in ein Mädel. Nett sieht sie aus, sie redet feurig, sofern sie grade mal den Mund frei hat, und sie trinkt eine Menge scharfes Zeug. Sie trägt einen Ring durch eine Augenbraue und keine roten Haare. Es ist erst kurz nach eins.
Hat er also was gelernt. Ich bin stolz.
#
Friend of former days, heute ist er allein da. Jack Daniel´s, wie in alten Zeiten. Seine Augen schimmern. "Tennessee", sage ich, und "Hannes". Das Trinken ist noch da, nur den Spaß, den hat er verloren. So steht er auch da, verloren. Ich gehe rüber zu ihm, er legt einen Arm um meine Schultern, alkoholschwer hängt er an mir. Wir singen, gröhlen. Er brüllt. Lass es raus, denke ich. Hier schadet es niemandem. Er reckt die Faust in die Luft, bevor er aufs Sofa sinkt und einschläft. Friend of former days.
#
KTM SX 125, die zwei alten Hasen des Moto-Cross. Der vetter und ich, querfeldein. Zweitaktknattern. Stehend fahren wir nebeneinander, grinsen uns an.
Während der Hinfahrt sitze ich hinten in seinem Cabriolet, und schlafe, den Kopf an einer Schulter. Auf dem Rückweg fahre ich, BMW Dreizwanzig, nur das Getriebe ist zu kurz.
#
Die Rinder der Gräfin auf der Straße. Wir fangen sie ein, ich richte den Zaun wieder her. "Ist Dein Auto geländetauglich?" fragt sie. Ha!
Die Spaziergänger starren uns an, als wir den Feldweg entlangfahren. Sie winkt. Sonntagnachmittags auf Feldwegen ist eben Freundlichkeit gefragt.
Wir schießen in den Hof, und ich zucke zusammen, als die Gräfin meinen Kofferaumdeckel zuknallt. Sie schleift die schwere Batterie zum Haus und ist weg. Ihre Mutter steht in der Tür. "Möchtest Du rein?" fragt sie und verschwindet. Verdutzt bleibe ich draußen stehen und komme mir vor wie ein Paket. Die Gräfin taucht wieder auf und zerrt mich ins Haus. "Nun stell Dich nicht so an, Du Schaf." In der Eingangshalle bleibe ich wieder stehen. "Äh", mache ich, und drehe mich auf der Stelle. Klingt fast wie "mäh". Ich bin verwirrt.
Der ältere Herr vor mir, ganz alte Schule, gibt mir die Hand und fragt "Das ist also Dein Freund?" - "Nein", ruft sie, und hört nicht, daß ich ganz leise "Gerne" sage. Der Herr zwinkert mir zu. "Wird schon", sagt er und klopft mir auf die Schulter. Sie ist längst mit der Batterie des Weidezaungeräts verschwunden. Ich eile ihr nach, durch eine hohe Tür, und stehe im Freien. Allerdings nicht allein, ungefähr zweihundert Leute starren mich an. Das hatten wir doch heute schonmal. Möglichst energisch gehe ich über den Hof, in Jogginghosen (von den Dornen an der Weide zerrissen) und Hemd (von der rostigen Drahtlitze schmutzig). Naja, wenigstens Schuhe habe ich an, und die Hände in den Taschen. Mit den Schuhen bin ich gestern Moto-Cross gefahren, fällt mir ein. Und die Hände in den Taschen waren neben Telefon und Schlüsseln wohl doch zuviel - die Tasche reißt, und ich klaube meine Habseligkeiten vom Boden auf. Die zweitausend Leute scheinen sich verzehnfacht zu haben. Kunstausstellung, schnaube ich, während ich in Richtung Werkstatt flüchte. Die ist abgeschlossen, und ich fast am Heulen. Endlich, die Gräfin taucht wieder auf, den Schlüssel zwischen den Zähnen, die Batterie in den Händen. Die zwanzigtausend Leute schauen nicht mehr belustigt, sondern mißbilligend. Ich klemme die Batterie ans Ladegerät und setze mich daneben. Ich will nie wieder raus aus dieser Werkstatt. Die sollen alle weg, da draußen. Lachend zieht mich die Gräfin zurück über den Hof. Ich verneige mich vor den zweihunderttausend Leuten, bevor ich im Haus verschwinde. Der ältere Herr ist weg und ich habe mich für heute auch zu Genüge blamiert.
Das Navi zeigt "Straße ohne Namen", als ich losfahre.
#
Zum ersten Mal mit Navigationsgerät gefahren. Die Landschaft ist auf farbige Flächen reduziert, sie dreht sich um den eigenen Standpunkt. Ist das jetzt eine unvollkommene oder eine vervollkommnete Darstellung?
Es funktioniert hervorragend, die Bogenstrasse in Esslingen ist einfach zu erreichen. Daß ich stattdessen in die Römerstrasse hätte fahren sollen, kann man dem Navi nun wirklich nicht anlasten. Irgendwo auf dem Weg von einem Telefon zum anderen ging da wohl einiges schief. Und daß ich die Abfahrt nur verpasst habe, weil ich gleichzeitig telefoniert, auf dem Navi herumgetippert und dem freundlichen Polizisten auf dem Standstreifen zugenickt habe, dafür kann das Navi auch nichts.
Das Navi ist wohl das "Alle Wege führen nach Rom" der Neuzeit. Biegt man mal eben falsch ab, wird einfach eine neue Strecke angezeigt, die genauso zum Ziel führt. Es gibt keine Fehler, nur Umwege. Navis sind toll.
Außer sie fallen von der Windschutzscheibe in den Beifahrerfußraum. Und als ich über die Kreuzung brettere, geradeaus statt links, während ich am Kabel nach dem Apparat angle, ist das der einzige Irrweg des Tages, den ich dem Gerät anlasten kann.
#
Eine Hochzeit wie im Film. Da wird ein Brautstrauß geworfen und ein Hochzeitswalzer getanzt. Es gibt Platzkarten. Ich komme, wie immer, zu spät für die Kirche, aber gerade recht zum Essen. Während der Ansprache des Bräutigams schleiche ich zu meinem Platz. Der befindet sich an einem der quadratischen Tische, die viel zu groß sind, als daß man sich unterhalten könnte, ohne sich auf den Tisch zu legen. An jeder Seite sitzt ein Pärchen, mich haben sie, politically correct, irgendwo als Dritten dazugesetzt, damit ich nicht alleine sitzen muß. Da sitzen wir nun und halten uns gegenseitig für oberflächlich. Sie mich, weil ich nur von Zweitaktern und zwanzigtausend Umdrehungen quasseln kann, und ich sie, weil sie ihre Verliebtheit so nach außen tragen, die Hand auf dem Knie, besitzergreifend, und weil wir letztendlich kein anderes Thema finden als die Mineralwassermarke, die man hier bekommt.
Ich setze mich zu meinem Vater und halte die Klappe. Noch ein Motorrad, und er wird mich für unzurechnungsfähig erklären lassen. Kann ich da meinen Führerschein behalten? Ich stelle mich also, weil es keine Bar gibt, draußen an die Theke, bis es sich schickt, den schönsten Tag im Leben der anderen zu verlassen, ohne ihn zu beschädigen.
#
Vierzig Minuten und zwei Kurznachrichten später laufen wir gemeinsam hinaus zu den Junioren. Ich bin zuhause, dort, ich tanze, trinke, lache. Sie lehnt sich an mich, zwei Finger in meinen Gürtel gehakt.
Doch für den Unterschied zwischen gemeinsam und alleine auf einem Fest ist es heute zu spät. Morgen, vielleicht.
#
Der Ober am Büffet zeigt mir die Fleischsorten: "Rind, Kalb, Schwein, Pute, Wildschwein und Reh", verkündet er lautstark.
- "Von jedem eins", sage ich verschämt und verstecke das Fleisch unter einem Berg Spatzen und Kartoffelgratin. Der Ober wankt.
Ich übergieße alles mit Bratensoße und balanciere den Teller langsam zu meinem Platz. Der Ober ist verstummt. Und das Kalb war offensichtlich schon in Rente.
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Und daß ich in vorauseilendem Gehorsam sogar daran gedacht hatte, meine schwarzen Schuhe mitzunehmen, falls meine Mutter sich an den braunen Schuhen zu schwarzer Hose und schwarzem Hemd stören sollte, das ist mal wieder niemandem aufgefallen.
I don´t want you to take care of me.
(Nachtrag: Ich werd noch erwachsen, wenn das so weitergeht: Angerufen, um Zurückhaltung gebeten, Schreikrampf niedergerungen, geplaudert, gegen Tischbein getreten, gelacht, aufgelegt. Hexenmädchen, rothaariges.
"Du bist so unbedarft." - Genau das will ich hören, sonntagnachmittags, bei Kaffee und Bewerbungsschreiben. Ich bin nicht niedlich! Ich bin nicht unbedarft. Ein bißchen vielleicht.
Und als sie darauf bestand, ihre Meinung kundtun zu dürfen, habe ich nicht einmal gesagt, daß ihre Meinung vielleicht un-wicht-ig ist. Ich habe nichts verboten, ich habe gebeten. Behalte Deine Meinung für Dich, bitte. Oh, ich hätte mich aufnehmen sollen, mein Vater hätte Tränen in den Augen gehabt. Konfliktlösung galore! Und small talk. Und überhaupt. Und das Tischbein war zuvor schon krumm. Der Zeh nicht so.)
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Erste Semesterwoche. Sprachkurs angemeldet. Ich renne also durch den Turm in der Stadtmitte. Philosophen, Architekten, Lehrerinnen. Sehen besser aus als die Ingenieure, haben vermutlich mehr Sex und auch sonst mehr vom Leben. Sagt man ja so, heutzutage. Dafür hat unsere Cafeteria abends bis elf geöffnet. (Ha! Poor me, poor engineers.)
Aber das nur kolportiert, ich bin weder mit den Öffnungszeiten der Cafeteria, noch mit den sexuellen Gewohnheten der anderen vertraut, und umgekehrt. Im ersten Stock sitzen zwei Damen an einem Tisch und verkaufen die Anmeldekarten. Ich erbettle mir ihren einzigen Kugelschreiber. Sie geben ihn mir nur, weil ich sowieso zu ihnen zurück muß - die Karte wieder abgeben. Flugs trage ich meinen Kurs und die Alternative (Kurs Mech.A und Kurs Mech.B - Ich war schon immer mehr B als A. Oder so.) ein und bringe Karte und Schreiber zurück. Eine der beiden Damen sortiert die Karten ein. Sie liest mein Gekritzel (Blockschrift! Großbuchstaben!) und sagt grinsend: "Maschinenbau, ja? Die wissen wenigstens, was sie wollen."
- Wollen sollen oder sollen?
Ich verhaspele mich schon in Gedanken, griene und sage nix. Wäre ich Architekt, hätte ich nach ihrer Telefonnummer gefragt. Wäre ich Philosoph, hätte ich sie schon. Wäre ich aber Lehrerin, bliebe mir der Sprachkurs erspart. Never mind.
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Der geknickte Telefonmast. Auspuff krumm, Halter für Arbeitsscheinwerfer krumm, Kotflügel vorne rechts auch krumm.
Später heißt es nur "Bohey - ich hätte gedacht, es knallt mehr."
Rege ich mich eigentlich mehr oder weniger auf, wenn solche Mißgeschicke mir passieren?
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Ich bekomme Kurznachrichten vom Format "Lust auf Kaffee und Kuchen?"
Von einem Mann.
Der Kuchen entpuppt sich als Torte, der Kaffee als frisch. Lucky me.
#
Herbstfreizeit. Auch so ein Unsinn mit Kindern. Vorbereiten am Freitagabend. Stromkabel auf Spatentiefe. Zweiter Spatenstich, es raucht und blitzt, beim Nachbarn gehen die Lichter aus. Der Freund dreht beinahe durch, der Notdienst vom Stromversorger grinst nur. Im Blech des Spatens klafft eine Zahnlücke, fingerdick.
Während wir warten, hole ich vom Metzger einen Leberkäswecken. Der Metzger schließt hinter mir zu. Der Freund dreht vollends durch.
Ich schenke ihm meinen angebissenen Wecken.
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Mein Kleiner steckt seine Zunge in ein Mädel. Nett sieht sie aus, sie redet feurig, sofern sie grade mal den Mund frei hat, und sie trinkt eine Menge scharfes Zeug. Sie trägt einen Ring durch eine Augenbraue und keine roten Haare. Es ist erst kurz nach eins.
Hat er also was gelernt. Ich bin stolz.
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Friend of former days, heute ist er allein da. Jack Daniel´s, wie in alten Zeiten. Seine Augen schimmern. "Tennessee", sage ich, und "Hannes". Das Trinken ist noch da, nur den Spaß, den hat er verloren. So steht er auch da, verloren. Ich gehe rüber zu ihm, er legt einen Arm um meine Schultern, alkoholschwer hängt er an mir. Wir singen, gröhlen. Er brüllt. Lass es raus, denke ich. Hier schadet es niemandem. Er reckt die Faust in die Luft, bevor er aufs Sofa sinkt und einschläft. Friend of former days.
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KTM SX 125, die zwei alten Hasen des Moto-Cross. Der vetter und ich, querfeldein. Zweitaktknattern. Stehend fahren wir nebeneinander, grinsen uns an.
Während der Hinfahrt sitze ich hinten in seinem Cabriolet, und schlafe, den Kopf an einer Schulter. Auf dem Rückweg fahre ich, BMW Dreizwanzig, nur das Getriebe ist zu kurz.
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Die Rinder der Gräfin auf der Straße. Wir fangen sie ein, ich richte den Zaun wieder her. "Ist Dein Auto geländetauglich?" fragt sie. Ha!
Die Spaziergänger starren uns an, als wir den Feldweg entlangfahren. Sie winkt. Sonntagnachmittags auf Feldwegen ist eben Freundlichkeit gefragt.
Wir schießen in den Hof, und ich zucke zusammen, als die Gräfin meinen Kofferaumdeckel zuknallt. Sie schleift die schwere Batterie zum Haus und ist weg. Ihre Mutter steht in der Tür. "Möchtest Du rein?" fragt sie und verschwindet. Verdutzt bleibe ich draußen stehen und komme mir vor wie ein Paket. Die Gräfin taucht wieder auf und zerrt mich ins Haus. "Nun stell Dich nicht so an, Du Schaf." In der Eingangshalle bleibe ich wieder stehen. "Äh", mache ich, und drehe mich auf der Stelle. Klingt fast wie "mäh". Ich bin verwirrt.
Der ältere Herr vor mir, ganz alte Schule, gibt mir die Hand und fragt "Das ist also Dein Freund?" - "Nein", ruft sie, und hört nicht, daß ich ganz leise "Gerne" sage. Der Herr zwinkert mir zu. "Wird schon", sagt er und klopft mir auf die Schulter. Sie ist längst mit der Batterie des Weidezaungeräts verschwunden. Ich eile ihr nach, durch eine hohe Tür, und stehe im Freien. Allerdings nicht allein, ungefähr zweihundert Leute starren mich an. Das hatten wir doch heute schonmal. Möglichst energisch gehe ich über den Hof, in Jogginghosen (von den Dornen an der Weide zerrissen) und Hemd (von der rostigen Drahtlitze schmutzig). Naja, wenigstens Schuhe habe ich an, und die Hände in den Taschen. Mit den Schuhen bin ich gestern Moto-Cross gefahren, fällt mir ein. Und die Hände in den Taschen waren neben Telefon und Schlüsseln wohl doch zuviel - die Tasche reißt, und ich klaube meine Habseligkeiten vom Boden auf. Die zweitausend Leute scheinen sich verzehnfacht zu haben. Kunstausstellung, schnaube ich, während ich in Richtung Werkstatt flüchte. Die ist abgeschlossen, und ich fast am Heulen. Endlich, die Gräfin taucht wieder auf, den Schlüssel zwischen den Zähnen, die Batterie in den Händen. Die zwanzigtausend Leute schauen nicht mehr belustigt, sondern mißbilligend. Ich klemme die Batterie ans Ladegerät und setze mich daneben. Ich will nie wieder raus aus dieser Werkstatt. Die sollen alle weg, da draußen. Lachend zieht mich die Gräfin zurück über den Hof. Ich verneige mich vor den zweihunderttausend Leuten, bevor ich im Haus verschwinde. Der ältere Herr ist weg und ich habe mich für heute auch zu Genüge blamiert.
Das Navi zeigt "Straße ohne Namen", als ich losfahre.
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Zum ersten Mal mit Navigationsgerät gefahren. Die Landschaft ist auf farbige Flächen reduziert, sie dreht sich um den eigenen Standpunkt. Ist das jetzt eine unvollkommene oder eine vervollkommnete Darstellung?
Es funktioniert hervorragend, die Bogenstrasse in Esslingen ist einfach zu erreichen. Daß ich stattdessen in die Römerstrasse hätte fahren sollen, kann man dem Navi nun wirklich nicht anlasten. Irgendwo auf dem Weg von einem Telefon zum anderen ging da wohl einiges schief. Und daß ich die Abfahrt nur verpasst habe, weil ich gleichzeitig telefoniert, auf dem Navi herumgetippert und dem freundlichen Polizisten auf dem Standstreifen zugenickt habe, dafür kann das Navi auch nichts.
Das Navi ist wohl das "Alle Wege führen nach Rom" der Neuzeit. Biegt man mal eben falsch ab, wird einfach eine neue Strecke angezeigt, die genauso zum Ziel führt. Es gibt keine Fehler, nur Umwege. Navis sind toll.
Außer sie fallen von der Windschutzscheibe in den Beifahrerfußraum. Und als ich über die Kreuzung brettere, geradeaus statt links, während ich am Kabel nach dem Apparat angle, ist das der einzige Irrweg des Tages, den ich dem Gerät anlasten kann.
#
Eine Hochzeit wie im Film. Da wird ein Brautstrauß geworfen und ein Hochzeitswalzer getanzt. Es gibt Platzkarten. Ich komme, wie immer, zu spät für die Kirche, aber gerade recht zum Essen. Während der Ansprache des Bräutigams schleiche ich zu meinem Platz. Der befindet sich an einem der quadratischen Tische, die viel zu groß sind, als daß man sich unterhalten könnte, ohne sich auf den Tisch zu legen. An jeder Seite sitzt ein Pärchen, mich haben sie, politically correct, irgendwo als Dritten dazugesetzt, damit ich nicht alleine sitzen muß. Da sitzen wir nun und halten uns gegenseitig für oberflächlich. Sie mich, weil ich nur von Zweitaktern und zwanzigtausend Umdrehungen quasseln kann, und ich sie, weil sie ihre Verliebtheit so nach außen tragen, die Hand auf dem Knie, besitzergreifend, und weil wir letztendlich kein anderes Thema finden als die Mineralwassermarke, die man hier bekommt.
Ich setze mich zu meinem Vater und halte die Klappe. Noch ein Motorrad, und er wird mich für unzurechnungsfähig erklären lassen. Kann ich da meinen Führerschein behalten? Ich stelle mich also, weil es keine Bar gibt, draußen an die Theke, bis es sich schickt, den schönsten Tag im Leben der anderen zu verlassen, ohne ihn zu beschädigen.
#
Vierzig Minuten und zwei Kurznachrichten später laufen wir gemeinsam hinaus zu den Junioren. Ich bin zuhause, dort, ich tanze, trinke, lache. Sie lehnt sich an mich, zwei Finger in meinen Gürtel gehakt.
Doch für den Unterschied zwischen gemeinsam und alleine auf einem Fest ist es heute zu spät. Morgen, vielleicht.
#
Der Ober am Büffet zeigt mir die Fleischsorten: "Rind, Kalb, Schwein, Pute, Wildschwein und Reh", verkündet er lautstark.
- "Von jedem eins", sage ich verschämt und verstecke das Fleisch unter einem Berg Spatzen und Kartoffelgratin. Der Ober wankt.
Ich übergieße alles mit Bratensoße und balanciere den Teller langsam zu meinem Platz. Der Ober ist verstummt. Und das Kalb war offensichtlich schon in Rente.
#
Und daß ich in vorauseilendem Gehorsam sogar daran gedacht hatte, meine schwarzen Schuhe mitzunehmen, falls meine Mutter sich an den braunen Schuhen zu schwarzer Hose und schwarzem Hemd stören sollte, das ist mal wieder niemandem aufgefallen.
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