Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Sonntag, 20. 03 16

20.03.16, 14:06 | 'Heller als tausend Sonnen'
Was schön war. Pursuit of happiness.

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Lang geredet mit zwei hübschen Damen an der Bar. Überhaupt mal wieder hinter der Bar gestanden. Dort taue ich auf, dort tanze ich, dort singe ich am liebsten. Ich sollte eine Bar aufmachen, denke ich manchmal. Aber am nächsten Tag habe ich dann wieder mein Stimme gegen einen Kater eingetauscht und bin mir nicht mehr so sicher.

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Mit dem Vetter Holz gespalten im Wald. Nur die Bodenstücke waren noch übrig, die man allein nicht heben kann. Und ich da mit meiner Wut und meiner Verzweiflung und meinem Wissen, daß es eben doch helfen kann, zu wüten, statt nur wütend zu sein. Das mag männlich und überkommen sein, aber leiden mußten es nur die Hurgel, die abgesägten Stämme mit den riesigen Kalibern, und mein Rücken. Ich knie auf dem Boden im weichen Moos, angenehm kühl und erdtrocken, ich zwänge die Hände unter den Stamm und spanne mich, mache das, was den Menschen von der Maschine scheidet, ich rucke an, überlaste Muskeln, Gelenke und alles, es ist nämlich der Wille und die Wut und die Anstrengung, und als ich den Hurgel einige Zentimeter oben habe, hebe ich ein Knie, stelle den Fuß ab und stehe auf, mit einem gutturalen Geräusch, ohne jede Artikulation, ohne Aussage, ohne Gedanken, nur das Geräusch der Wut und der Kraft und der Anstrengung, und so verbringe ich den Tag, während der Vetter vor und zurück fährt, um den Spalter zu mir zu bringen, und ich rede den windischen Huren gut zu, wenn die knorrigen Äste und die Verwachsungen, die dem steilen Boden und dem starken Wind am Trauf widerstanden haben, auch dem Spalter mit seiner Hydraulik von achtzehn Tonnen widerstehen, Du wirst doch wohl, Du Drecksau, sage ich dann freundlich in meiner Umklammerung, die Hände an den Bedienhebeln, die Knie um den Stamm geklammert, und ich stelle mir kurz vor, meine Wut und Gewalt gälte einer Person, von der ich doch nur den Namen kenne und das Vorrecht Deiner Wärme, aber das ist mir dann doch zu archaisch, da ist zuviel Zivilisation in mir und der kleine Teufel Ironie, der mir auf den geschundenen Schultern sitzt und mir immer meine eigene Lächerlichkeit erklären muß, der grinst auch schon wieder, und dann hämmere ich mit der Axt einen Keil in das Holz, das knistert und knackt und sich widersetzt, bis es schließlich keinen Mucks mehr tut, bis meine weiten Schläge, mit ganzem Körper und ganzer Kraft geführt, auf einen elend federnden Keil treffen, der zittert und sich nicht rührt, daß mir der Griff in der Hand vibriert und die Axt abspringt, und ich stelle mich breiter, noch ziehender, spüre den Schwung und die Wut in den Händen, den Armen, Schultern, durch die Brust bis in den Bauch hinab, wo sich wieder ein solch wortloses Grollen Bahn bricht, bis mir die Schweißtropfen um die Ohren fliegen und der Vetter, dieser gemeißelte Mann, dieser schwellende Körper sagt, was ich für ein Gewaltigel sei, und da bricht der Stolz durch den Verstand, durch den Körper, die Hammerschläge nehmen an Wucht zu, als ob das noch möglich wäre, und ein Zittern geht durch den Stamm, und am Ende habe ich sie alle erlegt, mit zitternden Armen und versagender Stimme sitze ich im Heizraum und halte mich an einer Flasche Bier fest, und manchmal muß man das Lächerliche ja tun und die Wut um sich schlagen lassen. Ich kann meine Monster nicht immer halten, sie wollen rauben, morden und plündern, und wenn sie das im Holz tun, soll mir das recht und billig sein, denn mit der Kraft verschwindet die Spannung im Keil und im Scheiten der Stämme, und es bleiben die zitternden Arme, die schmerzenden Finger und der müde, runde Rücken, wie es denn ab und an sein muß. Hier sitze ich, ich kann nicht anders, und den ganzen Tag hat er geschwiegen und zugehört, und dann sagt er das Richtige, daß wir heute abend noch eins trinken werden, und er lacht und ich lächle müde, ein geschlagener Krieger, eine erneute Niederlage, aber tot, tot bin ich noch nicht, denn das Leben selbst widersteht dem Tod wie das Holz dem Scheit.

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Neben Dir auf der Liege, und alle Fragen gestellt, die wenigsten beantwortet, aber ich kann nicht mehr kombinieren und nicht mehr denken, und ich bin plötzlich wohlig und müde in Deiner Gegenwart, und dann liegst Du auf Deinem Handtuch in der Sauna, und ich sitze zu Deinen Füßen und schaue immer wieder zu Dir, über Deinen Körper hinweg, während wir flüstern. Plötzlich ist alles gut.

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Auf dem Sofa gegenübersitzend spiegeln wir unsere Bewegungen, halten unsere Bierflaschen, reden, lächeln. Wärme. Beim Abschied hältst Du mich sehr fest, von zu Hause aus schreibst Du Deinen Dank und Dein Lächeln.

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All den Freunden, die sich mein Klagen anhören, mein tief empfundener Dank.

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Die Post ist schnell, und in den Briefen sind unerwartet der neue Akku für das Telefon und die Dichtung. Ich trinke Kaffee gegen mein Zittern, verlache die Idee des Backups und fange an, das Telefon zu fönen. Ziehe die Abdeckung ab, tausche den Akku, und sogar die dünne Folie mit den eingearbeiteten Litzen bekomme ich getauscht und halbwegs sauber wieder eingeklebt. Ich föne die neue Klebedichtung wieder ein, das Telefon leuchtet freudig und hält jetzt hoffentlich wieder einen langen Tag durch. Auch wenn ich immer noch zu oft alte Dinge lese, Dein Bild anschaue, als dränge ein Gedanke zu Dir durch.

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Mein Vortrag funktioniert. Ich komme nur einmal ins Schwanken, aber die Hand in der Tasche rettet mich, und ich stammle mich so durch.

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Ich habe da einen Freund auf dem Fischland, und der ist nun in der Stadt. So stehe ich also irgendwo in einer Halle und prüfe einen Hydrostaten, einen Sportplatzrasenmäher, einen Sauger, und freue mich am Schmutz. Dann fahren wir zu mir, sitzen auf dem Sofa, trinken Bier bis in die tiefe Nacht, und dann frühstücken wir, bevor er die nächsten tausend Kilometer auf sich nimmt. Ich muß mal wieder ans Meer fahren, denke ich.

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Sonntagssonne.

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Lust zur Arbeit.

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Den Umbruch in Angriff nehmen.

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Hoffen, ohne zu pressen. Viel zu lernen.

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Daß es Dir gut geht.

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Irgendwo gelesen, daß Liebe nur durch Nichtgelingen groß wird. Vielleicht muß erfüllte Liebe klein sein?
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Dienstag, 12. 01 16

12.01.16, 11:56 | 'Heller als tausend Sonnen'
Ein Bild von einem endlosen Strand, eine sanfte Dünung, weißer Schaum auf den Wellen, ein Badetuch und lang ausgestreckt mit einer riesigen Sonnenbrille die Doktorin, erschöpft nach fünf Tagen ohne Dusche und Dach liegt sie da, fast so hell wie der Sand, das Haar wie immer zum Pferdeschwanz gebändigt und leuchtend in der Sonne, die dem Himmel mehr Blau gibt, als ich es mir vorstellen könnte im Regen und im Zwang, hier Buchstabe an Buchstabe zu reihen, Wissenschaftsmasturbation zu betreiben, und dann höre ich ihre Stimme aus einer kleinen Hütte, vom anderen Ende der Welt, und ihre Stimme ist Sonne und Wärme und Sand und Meer, daß auch hier der Regen aufhört und es hell werden darf.
# |  Rauchfrei | Gas geben

Montag, 21. 12 15

21.12.15, 09:45 | 'Heller als tausend Sonnen'
Es ist ein ganz neuer Tritt.

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Am ersten Werktag der Woche fahre ich von der Arbeit früh nach Hause, radle dann direkt zum Klettern. Wir sind nur zu dritt heute, und ab und zu berühren sich unsere Schultern, wenn wir scherzen. Dann lächelst Du, und in meinen Adern klopft und stürmt das warme Blut.

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Tags drauf fahren wir von der Arbeit direkt zu der Kneipe, in der wir uns immer treffen. Wir drei Doktoranden, von denen noch zwei Doktoranden sind. Wir waren schon einmal drei Doktoranden, von denen sind auch noch zwei Doktoranden, aber ganz anders. Es wird nicht besonders spät heute.

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Um vier muß ich raus. Duschen. Schwarz anziehen. Ich fahre dann durch die leeren Straßen mit dem Rad, dann mit der leeren Bahn. Mit der Zeit füllt sich die Bahn, und am Hauptbahnhof steht eine Frau, die sehr laut verkündet, daß sie nicht wieder für diesen Mann arbeiten wird. Sie läuft zu jedem, der sie ansieht, und verkündet das Gleiche wieder. Gelber Schein! ruft sie, und ich möchte sie trösten und sagen, daß sie keine Arbeit tun muß, die sie nicht ertragen kann. Aber zu mir kommt sie nicht.

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Fahrscheinkontrolle, Fahrscheinkontrolle. Da seid ihr also, sage ich stumm und zeige meinen Fahrschein vor. Gilt das ganze Semester über und macht mich in der Stadt sehr beweglich. Das mag ich sehr am Studieren, und vielleicht sollten gerade Netzkarten viel billiger sein, damit jeder eine haben kann.

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Ich stehe dann ganz weit draußen an einer Endhaltestelle im Regen, bis zwei gleißendweiße Lichter auf mich zuhalten. Ein gezähmter Diesel, ein warmer Sitz, und die erste halbe Stunde mümmle ich meine Brezel und schlürfe meinen Kaffee.

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Attention Assist, sage ich, als eine Kaffeetasse aufblinkt und ein Warnton so tut, als sei er eine ganze Orgel. Und ab da fahre ich. Ich werde nicht müde, wenn ich fahre, und das merkt wohl auch der Assistent und schweigt von da an.

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Ach, ehemalige Hauptstadt, Dich mag ich ja in der Ferne. Väterchen Rhein, der Lange Eugen, die Einbahnstraßen. Wir fahren nicht mehr in die alte, bekannte Wohnung, sondern ganz woandershin. Der Rhein ist weit weg. Der große Innenhof mit der vielen flatternden Wäsche fehlt mir. Und der Rhein, der auch. Am Parkplatz sitze ich noch im Auto, während der Senior draußen telefonieren möchte. Das Telefon ist aber noch ans Auto gekoppelt, sodaß ich höre und antworte und er etwas ratlos draußen steht und in sein Telefon schaut. Ich lasse die Scheibe herunter, und dann reden wir doch zu dritt. Mes amis! sagt sie, und dann kann alles nicht so schlimm sein.
Im Haus riecht es nicht sauber, sondern rein. Gewollt rein. Wir melden uns am Empfang an, und eine junge Frau mit rollendem R telefoniert kurz und freundlich. Wir finden hin, eine Birne über der Tür alarmiert, auch wenn sie ausgeschaltet bleibt.

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Eine Küchenzeile, ein großes Zimmer, ein kleines, das sie schnell schließt, weil es so unordentlich sei. Stattdessen parliert sie auf Französisch, und als der Senior fragt, wie es ihr geht, da winkt sie ab: Kannste Dir nicht ausdenken. Dann reden wir irgendwas, trinken Kaffee, und ich bin noch jung genug, um hier Gefangenschaft zu riechen statt Schutz und Pflege. So wenige Dinge hier, sagt sie, und erst da klingt sie traurig, so viel ist weg. Tassen, Bücher, Gegenstände. Sie hatten sich das anders vorgestellt, die zwei Schwestern, von denen jetzt noch eine am Leben ist. Dann erzählt sie ein wenig davon, wie ich dereinst zu Besuch war, und erst jetzt begreife ich, daß ich schlicht den gleichen Urlaub gemacht habe wie mein Senior, als er selbst zwölf gewesen war. Daß ich einen Hausschlüssel von ihnen bekam, und im Anschluß auch einen zu Hause. Sie lächelt knitz, da konnte dann ja keiner mehr was sagen. Vertrauensvorschuß, denke ich und lächle, nehme ihre beiden Hände. Und was für ein Trotzkopf Du warst! sagt sie, die einst eine ganze Schule geleitet hat, und wie Du mit Dir kämpfen mußtest, um zu gestehen, daß unser Restaurant viel besser war als dieser amerikanische Kram. Aber, sagt sie, und da schaut sie viel mehr den Senior an, den Kampf hat er gewonnen. Jedes Mal. Und ich denke daran, wie sich Menschen kümmern, wie sie Wege ebnen und Türen öffnen, und wie wenig ich selbst davon mitbekommen habe. Mit mir selbst beschäftigt, mit der Welt beschäftigt, mit den Büchern und mit Denken. Menschen lesen, denke ich, ist ja auch so ein Kampf, den ich nicht aufgeben darf.
Dann müssen wir weiter, und vorher machen wir ein Bild zusammen, und dann macht sie ihr erstes Selfie, mit achtundneunzig, ich werd bekloppt, lachen wir. Lebewohl, sage ich, und Adieu, und erst auf dem Flur spreche ich aus, daß ich mich kaum getraut habe, Auf Wiedersehen zu sagen, und daß sie das sicher bemerkt hat, denn ein Fuchs ist sie geblieben. Der Senior neben mir lächelt, hager und leicht gebückt ist er mittlerweile, und mit wundervollen Furchen im Gesicht. Alt werden ist nichts für Feiglinge, sagt er nur, und ich weiß nicht, wen von uns beiden er gerade tröstet.

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Dann eine andere Stadt, wir essen in einem Café komische Brötchen, denn zur Last fallen, das wollen wir beide nicht, da sind wir uns einig wie selten, das habe ich wohl von Dir geerbt, Papa. Und das stille Akzeptieren, wenn einer Links sagt, wo ich mir nicht sicher bin, ob es nicht doch nach rechts geht, oder vielleicht doch, aber eigentlich ist es egal. Dann machen wir beide immer einfach links, ganz still, und dann ist das wirklich egal, und seit wir uns abwechseln mit dem Links, da sind wir uns viel öfter einig, und das mag ich ja sehr.

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Dann ein großes Haus, eine Wohnung voller Teppiche, eine Grande Dame, auch sie schon siebenundneunzig, und ein Sekretär mit einer ledernen Unterlage, die ich herzen möchte. Wir nehmen nur einen Espresso, sagen einvernehmlich, daß wir unterwegs gut gegessen haben, nur keine Umstände bitte, Apfel und Stamm und so, und manchmal tut mir das sehr gut, zu wissen, wo ich herkomme und daß ich dort nicht alleine bin.

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Wir fahren die paar Meter zum Friedhof, treffen uns dort, wir sind sieben. Wir erzählen einander, wie gut besucht die Trauerfeier gewesen sei, und wie alt schon alle sind, und was es für eine Reise ist hierher. Die Kapelle ein Zelt. Die Urne glänzend und schön. Ist das alles, am Ende, habe ich vorhin gefragt, ein kleines Zimmer, Putzmittel, der Blick auf die Straße und der Knopf für die Lampe auf dem Flur? Ist das alles, und doch hat sie selbst während unseres Besuchs telefoniert, munter und mit rheinischem Akzent, der sofort wieder verschwand, als sie sich wieder an uns wandte. Ja, denke ich jetzt, vielleicht ist das alles, aber vielleicht ist das ja nur ein kleiner Teil, dieses Alles, und vielleicht zählt das Ganze viel mehr als Summe seiner Teile. Alt werden ist nichts für Feiglinge, denke ich, richte mich auf neben dem Senior und verbreite Wärme, soweit ich hinausreichen kann in diesen trüben Tag.
Der Priester fragt nach dem Namen und nach dem Geld für den Organisten, und so sind sie hier im Ruhrgebiet eben, denke ich, und dann klärt sich ja doch immer alles.
Die Liturgie, unsere wenigen dünnen Stimmen, und ich gebe mir Mühe mit der Litanei, die noch irgendwo sein muß in meinem Kopf, wenn mir schon der Ablauf so fremd bleibt. Es ist ein Ros' entsprungen, und bei dem Auslassungszeichen muß ich dann doch grinsen, und Du hättest das gemocht, das weiß ich, so gut kannten wir uns dann doch.
Ein Vaterunser noch, und erst da erkenne ich, daß wir heute katholisch sind, auch wenn das keine Rolle spielt, ich lasse das unterscheidende Wort sowieso immer still, daß man es hören kann, denn Blödsinn bleibt Blödsinn, und wenn einer Gebete anhört, dann hört er auch das. Überhaupt habe ich mit den frisch gespülten Füllern viel geschrieben in den letzten Tagen, an jedem Abend ein Blatt, einfach so, wie die Tinte aus der Feder flossen Gedanken aus dem Kopf, und wie die Buchstaben mit der feinen Feder schnörkelig und langsam schöner, gewandter, ziselierter werden, so wenden sich auch die Gedanken immer Dir zu gerade. Vielleicht denkst Du auch an mich gerade, wer weiß das schon.

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Wir treten nach draußen, dichter Niesel von allen Seiten. Einige Rosenkränze sind es, Maria voll der Gnaden, und irgendwo dazwischen die Bitte, daß es Dir gutgehen möge, und vielleicht verliert ja dieser Ablauf als Stütze seine Berechtigung, wenn er den Menschen so fremd wird, aber diese Bitte bleibt, die scheint universell zu sein und gut: Daß es Dir gutgehen möge.
Als Letzter weil Fernster und Jüngster lege ich meine Rose an das Grab - an die Blumen hat meine Mutter gedacht, wie sie auch sonst immer an alles denkt - und dann verabschiede ich mich:
Mach es gut, Tante Gisela.
Wherever you may roam.

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Ich habe das laut gesagt, glaube ich, aber das ist in Ordnung, und draußen auf dem Parkplatz schaue ich nach dem Senior, den ich so schlecht lesen kann, der nicht durch sein Äußeres dringt für mich, und ich erkenne darin das Bedürfnis, nicht zur Last zu fallen, und wenn ich das richtig erkannt habe, dann erkenne ich das auch an und sage nichts.
Man dankt uns für die weite Reise, für den Weg, den wir auf uns genommen haben, und wir schauen uns an und finden das genau gleich selbstverständlich, und ich murmle, daß sich das so gehört, und das meinen wir beide so.

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Dann sitzen wir oberhalb der Villa Hügel, und ich bekomme die Geschichte der Gegend erzählt, vom See und vom Sturm und von Hitler, und dann noch von der hamburgischen Bewerbung um die Olympischen Spiele, diesmal aus ganz anderer Perspektive. Ich esse Sachertorte und trinke Kaffee, schaue hinaus in den Regen und den Dunst, und das war dann der Abschied, denke ich. Und daß ich immer noch die Liste habe mit den Büchern, die ich bei euch gelesen habe, denn ich mag ja nichts vergessen, und deshalb schreibe ich und führe Listen, bis die Tinte verblasst. Das hättest Du gemocht, glaube ich, und Deine Stimme kann ich nicht aufschreiben, die merke ich mir einfach, solange ich kann, bis sie verblasst oder ich.

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Die Heimfahrt zieht sich, der Senior betritt zögernd meine kleine Wohnung. Er lobt das Regal, und das ist mir flüssiges Feuer, und heute kann ich alles, irgendwie. So lasse ich mich noch ein Stück mitnehmen, der Senior murmelt etwas von Verrückten, die hier parken, in einer Straße, die mir noch breit vorkommt, und ich lächle. Er stellt mich im Regen ab, ich schaue den Lichtern nach, und dann gehe ich um zehn vor zehn noch schnell einkaufen. Ich stelle mich einfach an die Kasse mit der schönsten Kassiererin, mit der lächelnden, und da mag die Schlange die längste sein, wie das immer ist, es sei mir recht so. Vielleicht ist es das, das Akzeptieren und das Beste draus machen, und sich dran freuen an dem, was die Umstände erlauben, und vielleicht ist das gar nicht nur das Alter, sondern das Leben, und alle Geschichten vom Erobern und vom Siegen sind Blödsinn, weil ja nichts erobert werden kann, was bleibt, von einem, der nicht bleiben kann. Ich vergesse, mein Gemüse zu wiegen, und die Kassiererin schaut mich an und lächelt und springt auf, wiegt und kommt zurück und lächelt immer noch und sagt kein Wort. Die Bierdose stopfe ich nicht in den Rucksack, sondern behalte sie in der Hand, und als die Frau hinter mir dran ist, mit ihrem beschmierten Haar und ihrer Wurst in Plastik, da habe ich die Dose schon aufgerissen, und so laufe ich durch den Regen zurück und trinke ein Bier auf Dich, und ich weiß, Du hättest milde gelächelt.

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Im Dunkeln finde ich noch eine Baumbibliothek und überlege kurz, welches Buch ich beitragen könnte, aber ich bin tropfnass und sehr sehr dunkel im Kopf. Ich koche noch, ich weiß nicht mehr, was, ich klingle noch beim Nachbarn, ich weiß nicht mehr, wie, und dann rede ich und bitte, und das kann ich ja erst, wenn ich so schlaff und müde und bar aller Spannung bin wie heute, wenn ich alles von mir und aus mir und mit mir gegeben habe, und vielleicht wirkt sie doch, die Litanei, und bevor ich dann ins Bett falle, schalte ich wenigstens noch den Herd aus und tippe einen Satz ins Telefon: Ich habe jetzt Internet, wir können den Tatort sehen.

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Am Morgen ein gelbes Gesicht mir roten Wangen, und eines mit Kußmund, und so springe ich auf und jubiliere, denn Freuen darf man sich immer, es gibt keine Pflicht zum Traurigsein. Hallo ihr alten, rheinischen Gene, ein bißchen hab' ich von euch, als Erinnerung, daß ich nicht zu preußisch werden möge und zu schwäbisch.

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Nach der Arbeit fahre ich direkt zum Klettern und freue mich schon, daß ich auf meiner Rundreise durch die ganze Stadt am Ende mein Fahrrad wiederhaben werde, daß seit gestern morgen da steht. Wie lang das her ist! Und dann werde ich ausgeladen, stehe am Bahnsteig in einem Dorf ganz weit außen, mit mir hundert andere, ein Unfall an der Bahn, um mich telefonierende und tippende Menschen. Wir alle zu spät.

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Angestrengtes und entspanntes Klettern, und erst ganz langsam weicht mir die Kraft. Schnell stark werden, das ist noch die Botschaft eines Lachenden, der längst in einer anderen Stadt wohnt, und den ich so gern zum Freund gehabt hätte. Dann fahren wir in die Stadt und essen Pizza, und ich bestelle Salat und verwirre den Kellner, der bei zwei Herren und einer Dame, zwei Pizzen und einem Salat etwas Unzutreffendes vermutet. Dann habe ich noch kein Geld, und der zweite Herr zahlt für mich mit, die Dame zahlt selbst, und so ist das heutzutage eben, möchte ich den armen Kellner trösten, der so recht nicht mehr weiß, was nun recht ist.

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Die Heimfahrt ein Pokerspiel, ein stummes, denn ich kenne diesen Teil der Stadt nicht. Ich zuerst? Nein. Wir sind nur noch zu zweit im Auto, und ich fahre ein Stück mit, und dann stehen wir vor Deiner Tür und ich falle in Deine Arme, als hätte ich keine Kraft mehr, und ich halte Dich fest, als hätte ich alle Kraft.

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Ein schneller Lauf zur Bahn, eine schnelle Radfahrt, ein schneller Gruß, und wahrscheinlich bin ich davor schon eingeschlafen. Ach nein, ich putze noch, auch wenn ich schon schlafe.

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Ein neuer Tag, und ich sage den Weihnachtsmarkt ab, auch wenn ich mich als Dein Gast hätte eintragen können, was mich gefreut hätte. Stattdessen fahre ich ins Büro und dann zum Einkaufen, und dann schneide ich Gemüse und Allerlei, dekoriere Teller, bis der Tisch platzt und ich keine Ahnung mehr habe, wo wir denn nun essen sollen, und ich sitze noch keine Sekunde, da lacht ihr durchs Fenster, und dann essen und trinken wir, ich trage ab und schenke nach, und dann spielen wir Kartenspiele, bis einer geht, und dann tanzen wir, bis wir allein sind, und dann frage ich, ob Du bleiben magst, aber soweit komme ich gar nicht, denn wir küssen uns und liegen schon im Bett.

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Und da bleiben wir dann für zweiunddreißig Stunden. Ich bringe Kaffee, ich koche Reste mit Käse, ich lüfte durch und wir duschen. Mehr nicht.

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Zwischendurch denke ich mir, das könne immer so sein. Viel tun, viel feiern, zwei Tage frei. Überhaupt frei. Ich arbeite ja immer und schiebe, was sich nicht abarbeiten lässt, auf den freien Tag, von dem dann nichts bleibt. Falsch, falsch, falsch, schelte ich mich, aber so recht kann ich mir in Deiner Wärme nicht böse sein. Du Schöne, sage ich immer wieder, und dann gebe ich Dir Dein Geschenk, das Du noch nicht öffnen darfst, und ich freue mich an Deiner Vorfreude und Neugier.

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Ich fahre Dich nach Hause, ich lade das Rad ein, ich fahre weiter, weil das einfach so ist, so war, sich ändern muß, und auf halber Strecke schon merke ich, daß es nicht bleiben wird, das Fahren, und doch trinke ich dann Kaffee und verbreite mein Glück, denn das ist auch ihres, und ich mag es nicht allein behalten, wo es jetzt wahr zu werden scheint.

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Ich putze durch, spüle ab und mache Ragout, ich rühre Béchamel, und manchmal verwundere ich mich ja selbst. Du kommst und hast eine Tasche dabei. Guter Plan, sage ich lächelnd. Ein besonderer Rotwein, für den ich beim Nachbarn einen Korkenzieher erbettle, in Wassergläsern, und dann Nachtisch auf einem einzigen Kissen, und ich notiere hier nur, was ich alles noch besorgen muß. Lange Bettwäsche, zefix. Heute Polizeiruf statt Tatort, und dann eben einer aus dem Archiv, einer mit Kühen, und als wir einen Verdacht haben, ziehe ich zwei Bücher aus dem Regal über uns. Die Laktation des Rindes, und Du sagst, daß Du Dich ein wenig vor mir fürchtest, aber Du lachst dabei, und alles ist gut.

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Ich bin Haushälter, ich bin Koch, ich bin Erziehungsberechtigter. Ich bin ein sehr großes Grinsen.

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Und ich bin schüchtern. Daran erkenne ich zwar, wie ernst es mir ist, aber körperliche Schüchternheit ist, nun ja. Wir lachen dann.

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Ich eröffne den Morgen mit Kaffee und Kuscheln, dann gehst Du duschen, während ich spüle und mich der Nachbar durch das Fenster beobachtet. Ich bin noch nackt, fällt mir auf. Hoppla. Ich winke trotzdem. Dann reicht es noch, mir die Zähne zu putzen, und ich erhasche einen schnellen Blick darauf, wie Du Dich ins Büro veränderst, mit zwei Tupfern Farbe, und dann schneide ich den Kuchen und bereite Plastikschüsseln vor, und irgendwie sind wir fertig und aus dem Haus, ein Kuss am Auto, ich am Bus, als wäre das Alltag. Ach, wäre das Alltag!

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Zumindest mein Schlafsack wird Dich begleiten, denke ich. Und mein Geschenk. Und dann denke ich, daß heute Sonnwend ist, und daß ich ziemlich viel von Deiner Sonne abbekommen habe, von Deiner Wärme, Deinem Strahlen. Ein Text fliegt durch den Äther zu Dir, einer zurück, der vorletzte Bürotag des Jahres beginnt.
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Mittwoch, 9. 12 15

09.12.15, 09:43 | 'Heller als tausend Sonnen'
"Du mußt doch nicht fragen," sagst Du, als wir vor Deinem Haus stehen. Ich halte Dich fest, ganz fest, und als ich die Straße hinab zur Bahn laufe, ist mir warm, ganz warm.
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Dienstag, 10. 11 15

10.11.15, 20:05 | 'Heller als tausend Sonnen'
Wenn nur eins bleiben soll von der vergangenen Woche, dann der Moment, als ich in der Sonne auf dem Spielplatz stehe und ein kleines blondes Mädchen durch das Laub schlurft, sich am Geräusch des trockenen Laubs erfreut und vor sich hin summt, eine ganz eigene Melodie. Irgendwann schaut sie auf aus ihrem leisen Spiel, schlendert zu mir und schiebt ihre kleine Hand in meine große. Ich nehme sie vorsichtig, mit ein wenig Luft, und diese Luft wird sehr warm. Wir laufen dann los, den anderen nach, und schlendern, schlurfen und rascheln vor uns hin. Sitzen dann vor der Eisdiele auf dem Boden der Fußgängerzone, schlecken Zimt und Engelsblau, und auf dem letzten Kilometer unseres langen Tages trage ich das müde Mädchen dann auf dem Arm, weil ihr die Knie wehtun, wenn sie auf den Schultern sitzen muß, und so legt sie stattdessen den müden Kopf auf meine Schulter und schläft, die Arme um meinen Hals geschlungen. Ich setze sie vorsichtig ab, als wir angekommen sind, und sie lacht schallend, springt auf und davon durch die Kinderschar.
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Sonntag, 6. 09 15

06.09.15, 18:20 | 'Heller als tausend Sonnen'
Ich sitze im Fond eines großen Autos, eingeklemmt zwischen zwei Kindersitzen, habe die Hände im Schoß gefaltet, mit zwei kleinen Händen darin, und auf jeder meiner Schultern ein kleiner, müder Kopf. Die Lichter am Straßenrand huschen vorbei, ich schaue nach draußen und denke an das unendliche Glück, das mit und wie Wärme übertragen wird.
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Mittwoch, 19. 08 15

19.08.15, 10:40 | 'Heller als tausend Sonnen'
Eine dieser Göttinnen ist sie; leuchtend und lächelnd und fürsorglich. Und sie vergleicht uns, wie wir da sitzen: den Freund, den sie geheiratet hat, und mich, den Springinsfeld, und ich merke ihr das Glück an, das die beiden sich haben, sich anlachen und auslachen, und daß sie ihm Trikots und Handschuhe kauft und ihm lachend das Knie in die Seite pressen kann, daß er kaum noch Luft bekommt. Und dann sitzen wir da am Tisch, während er den Junior zu Bett bringt, und sie fragt nach, wie es denn bei mir sei, und ob ich nicht einmal auch, und irgendwie wärmt mich das, daß sie, diese Schöne und Gute, daß sie denkt, ich müsse nur endlich wollen, und dann wäre alles gut.
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Montag, 1. 06 15

01.06.15, 18:36 | 'Heller als tausend Sonnen'

Mit Kindern radeln.
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Sonntag, 26. 04 15

26.04.15, 16:50 | 'Heller als tausend Sonnen'
Und wie ich gestern abend plötzlich begriff, in dieser Kneipe, in der Erdnüsse zum Werfen und Wunderkerzen zum Winken ausgeteilt werden, in der wir furchtbar viel Bier in unserer kleinen Ecke tranken, das mir ganz furchtbar an die Socken haute, während es auf der anderen Seite lediglich für wundervoll rote Wangen sorgte. Zwei Kinder, sagte sie zu mir. Mehr möchte ich meinem Körper nicht zumuten.

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Da fahre ich vor lauter Aufregung schon über eine rote Ampel, und dann sitzt der Aufregungsgrund auch noch im Auto neben mir und lacht und droht mir mit dem Zeigefinger. Da weiß ich schon mal was, ein Restaurant ganz in der Nähe, und dann sind sie doof da, lassen uns lange stehen, vergessen die Getränke und am Ende auch noch das Rückgeld. Da komme ich schon mal in die große Stadt, am Samstagabend, und suche mir die eine der drei Kletterhallen aus, in der dann ausgerechnet aufgrund eines Wettkampfes nicht geklettert werden kann. Da hetze ich dann, rieche noch komisch und sehe noch komischer aus, und dann hat der Aufregungsgrund noch Zeit, um sich die Haare zu machen, den Pullover zu wechseln, im Restaurant anzurufen und dieses brennende Leuchten in den Augen anzuknipsen. Ich schwitze in diesem ganzen Durcheinander, und dann sehe ich immer wieder die leicht schielenden Blicke der Angetrunkenen, zuerst zum Aufregungsgrund und dann zu mir, und dann werde ich ruhiger und unterbreche mich selbst nicht mehr die ganze Zeit, weil ich vor lauter Aufregung ja doch nur Blödsinn und.
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Mittwoch, 4. 02 15

04.02.15, 15:36 | 'Heller als tausend Sonnen'
Die Freundin, diese Menschenkennerin, diese lange und längste Studentin, die immer so über die Runden kommt mit ihrer Arbeit und ihrer Ausbildung und ihrer guten Laune, die beschreibt mich bei unserem Wiedersehen als den Menschen, der am kargsten von allen eingerichtet sei, mit einer Schlafhöhle statt des Wohnraumes. Ich widerspreche, sage, daß ich ein Sofa geschenkt bekommen habe, und sie schaut mich an und lacht. Das war schon da, als wir uns zuletzt gesehen haben, sagt sie, und lacht noch mehr, denn da fällt mir dann auch nicht mehr ein.
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