Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

08.10.13, 13:43 | 'Dying to say this to you'
Mich verrückt machen kann ich ganz prima. Mich verrückt machen lassen aber auch. Zefix.

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Ich stehe zu früh und fluchend am Bahnhof, nachdem ich den Koffer kilometerweit geschleift und gezerrt habe. Dann stehe ich zu früh am Flughafen. Planänderung, schreibt die Reisebegleitung. Und als sie dann endlich da ist, sucht sie ihren Reisepass. Langsam, in allen Fächern ihres riesigen Rucksacks. Sie lacht, als sie mich verzweifeln sieht, und für ihr Lachen verzweifle ich doch gern. Der Pass taucht auf, und in der Schlange am Schalter erzählt sie von den Hindernissen des Tages. Dein wildes Leben, denke ich dann, und ein wenig bedaure ich mein schwaches Leben. Es ist nicht voll, denke ich dann. Es braust nicht. Und dieses Gefühl werde ich von da an nicht mehr los.

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Der junge Mann am Schalter erklärt uns, warum er unsere Fluggesellschaft nicht mag. Es sind zu viele Kleber auf den Koffern, und die sind zu schwer zu kleben. Ich bin froh, nicht für eine Fluggesellschaft zu arbeiten, denke ich.

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Man muß sich diese zwei Wochen als einen einzigen Überschwang vorstellen. Dieses Lächeln zu sehen, auf dieses Lächeln hoffen zu dürfen, wenn sie sich nach mir umdreht. Mitleben, mit erleben zu dürfen.

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Sie schenkt mir ihren Fensterplatz, und ich fühle meinen Magen sinken, als wir abheben. Dann sehe ich die Heimat, dann die Alpen, nur wenige Wolken, und schließlich geht die Sonne unter. Alle anderen sehen sich Filme auf den Bildschirmen an. Sprachlos lächelnd drehe ich mich zu ihr. Sie schaut auf, trotz der Kopfhörer, und lächelt mich an. Schön, wie Du Dich freust. Ich kann nur nicken.

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Die Nacht am Flughafen. Ich lese lange, sie packt ihren Schlafsack aus und versucht, bequem zu schlafen. Ich sehe ihr zu, wie die kleine Hand sich ballt, an den Gelenken noch einen Ton brauner als an den Gliedern, als wäre diese wundervolle kleine Faust immer ein wenig schmutzig. Ich sehe in ihr schlafendes Gesicht, die kleine Nase, die weichen Lider und den Mund, der so breit und himmlisch lachen kann. Ich beschließe einfach, diesen Anblick nie zu vergessen. In der Nacht tritt jemand nahe heran. Sie erschrickt, ich springe auf. Der Mann erklärt mir, ich sähe böse aus. Ich sage ihm leise, daß er einen halben Meter von seinem Tod entfernt ist. In einer Hand habe ich ein Buch, auf dem große, rote Lippen abgebildet sind. Ihre Augen flattern, sie ist wach, regt sich im Schlafsack. Der Mann fliegt nach Afghanistan, er lädt uns ein. Das Land ist schön, sagt er.

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Im Morgengrauen döse ich ein wenig, auf meinen Rucksack gelehnt. Statt eines Schlafsacks habe ich ein Handtuch dabei und erzähle ein wenig vom Anhalter durch die Galaxis.

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Noch ein Flug, und noch ein Essen. Diesmal überrascht mich der Unterschied zwischen der Speisekarte - Who is in the kitchen today? - und den Portiönchen in Plastik schon nicht mehr so sehr. Trotzdem esse ich gewohnheitsmäßig noch auf. Beim Rückflug werde ich das schon nicht mehr tun. Gewöhnung.

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Bei der Einreise werden wir getrennt befragt. Wohin, was tun? Ich höre ihre einstudierten Antworten, und dann meine eigenen. Wir wechseln Geld, machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Eine Angestellte bedient den Automaten für uns. Hebräisch macht hilflos. Unbedingt das Ticket mitnehmen, wurde uns eingeschärft, und so machen wir schon einen Fehler weniger.

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Ich frage nach dem richtigen Bahnsteig, und im Zug sehe ich eine halbe Stunde aus dem Fenster. Ödnis. Zerstörung. Halboffene Müllkippen. Trostlosigkeit in Staub und Dürre. Ich frage noch einmal, und die beiden Damen gegenüber sind sich sicher, daß wir falsch sind. Eine dritte Dame sagt, wir seien richtig, und ein Soldat in der Reihe neben uns hilft mit seinem Streicheltelefon weiter. Dann fragen uns alle, wo wir her sind. Alle waren schon in Deutschland. Alle freuen sich, daß wir hier sind. Das bleibt jetzt so, für fast zwei Wochen.

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In Benjamina komplimentiert man uns aus dem Zug. Meine Nachricht ist nicht angekommen, weil ich die internationale Vorwahl vergessen hatte. So wird durch die uns abholende Schwiegermutter die ganze Familie aktiviert, bis uns schließlich meine Schulfreundin, mein Engel, anruft. Was macht ihr für Blödsinn? fragt sie, und dann steht schon die Schwiegermutter vor uns, wir tragen die Koffer zum Auto und steigen ein.

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Am Eingang zum Kibbuz ein riesiges Rolltor, ein Wachposten in einem Häuschen. Vor dem Haus ein Garten mit Kräutern, und sie erzählt uns, daß wir davon pflücken sollen, wenn wir frischen Tee trinken wollen.
Die Wohnung ist klein, das Schlafzimmer ist der obligatorische Schutzraum. Vor der Tür liegt eine Matratze, ein niedriger Tisch. Ich lege mich hin, die Begleitung lässt mich, und als ich einschlafe, denke ich noch, daß ich gar nicht schlafen müsste.

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Der Mann mit dem großen weißen Lachen weckt mich, der Hund hat mir schon das Gesicht gewaschen, die Begleiterin sitzt da mit ihrer riesigen Kamera in den Händen und einem Lachen im Gesicht. Wir spazieren am Strand entlang, durch Sand und Muscheln und Strandlilien. Wir springen in die Wellen, ich schmecke Salzwasser.

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Wir fahren auf einen Berg, an einem Kuhstall vorbei, in ein kleines arabisches Dorf. Im Restaurant sind wir die einzigen Gäste. Eine Karte gibt es nicht. Einmal alles, bitte, und dann biegt sich der Tisch. Tausend Teller, Schüsseln, alles unbekannt und köstlich. Ich bin überfressen und glücklich, schaue aus dem großen Fenster zum Meer.

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Ich biete der Begleiterin das Schlafzimmer an, aber in dem kleinen Wohnzimmer stehen sich zwei Sofas gegenüber. So schlafen wir also, ich an der Tür, neben unseren Koffern. Zwischen uns ein niedriger Tisch, den ich ein wenig verschiebe, um sie sehen zu können. Gute Nacht, sage ich als letztes, und Guten Morgen sage ich als erstes am nächsten Tag.

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Die Scherze über mein Atmen, meinen totenstarren Schlaf, die wohlmeinende, gutmütige Stichelei von jemandem, der mich schlafen sieht.

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Ich setze Wasser auf, pflücke uns Tee, wir frühstücken draußen auf der Matratze fremde Früchte, im Schneidersitz nebeneinander, und ab und zu schaue ich nach unten, ob sich nicht doch unsere Beine berühren mögen. Aber ich weiß ja nicht einmal, ob man Kakis schälen muß.

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Die Zeitverschiebung hat uns durcheinander gebracht. Vorhergesagt war eine Stunde, im Flugzeug wurde noch eine weitere angezeigt. Am Bahnhof war ich mir nicht mehr sicher. Am Abend war ich verwirrt. Also stehen wir jetzt am nächsten Morgen eine Stunde zu früh vor dem Auto. Wir lachen und pflücken uns auf dem Rückweg noch einen Tee.

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An Jerusalem vorbei in die Negev. An einem Beduinendorf kehren wir um.

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Die Stadtführung in Jerusalem hält ein Professor. Geschichte. Er ist frei von Religion und kann wunderbar erklären. Ich fotografiere hebräisches Graffiti, das Grab König Davids mit dem Mülleimer davor, und die ganzen Zelte, die für das Sukkot-Fest aufgebaut wurden. Auf den Ölberg dürfen wir nicht, weil vor einigen Tagen ein Polizist erschlagen wurde. Die Bewaffneten sind aufmerksam, aber entspannt, und ich merke, wie mich Waffen anstrengen.

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Nicht viel los in der Stadt. Ungewöhnlich sei das, sagt der Führer, und mir ist das alles noch voll genug. Wir essen und folgen dann dem Kreuzweg. In die Grabeskirche. Durch ein Stadttor voller Male von irgendwelchen Patronen.

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In einem kleinen Laden kaufen die Damen allerhand. Der Händler möchte die Begleiterin heiraten. Ich grinse ihn an, und wie am Flughafen einmal muß ich versichern, daß wir kein Paar sind. Beißt.

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Love is like two fish and five loaves. Always too little until you start to give it away. T-Shirts, die man tragen könnte.

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Wir fahren raus aus der Stadt, hoch zur Universität. Von dort sieht man die Wüste. In die fahren wir nun. Kamele am Straßenrand. Gärtnereien. Restaurants. Tankstellen. Vor Jericho ein rotes Schild, das alle Israelis vor dem Betreten warnt. Am Kreisverkehr kehren wir um.

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Wir sitzen im Auto, während der Engel durch ein Tor mit einem Bewaffneten redet. Das Auto lässt man hier laufen, der Klimaanlage wegen.

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Im Nirgendwo eine Polizeistation mit Straßenkontrolle. Ein Parkplatz. Wir sind am Toten Meer. Wir baden und bewundern den Grund aus versteinertem Salz. Ich treibe ab nach Jordanien. Die Sonne geht unter. Wir waschen uns an einer kleinen Süßwasserquelle in der Nähe, und dann werden wir auch schon unterhalten. Jemand spielt Gitarre. Er heißt Dani und lädt uns auf einen Kaffee ein. Spät in der Nacht legen sich die Damen auf die Matte in ihre Schlafsäcke. Sie sind zwanzig Meter entfernt, ich spüre ihre Nähe noch. Dani und ich sitzen am Feuer, trinken Whiskey und reden vom Leben. Er war lange in Deutschland, und dann kam er zurück. Dachte übers Leben nach. Entschied sich. Heiratete und machte. Er erzählt von seiner Tochter, die in der Schule plötzlich keine Freundin mehr hat. Wie ihn das reißt. Everything is bullshit, sagt er. But you have to love this bullshit. Dann erzählt er von seiner deutschen Freundin. Crazy, sagt er liebevoll. Aber Crazy with diploma. Das gefällt mir, sage ich, und beginne von der Begleiterin zu erzählen. Sag es ihr, fordert er. Aber nicht jetzt. Und er sagt uns, was wir für ein Glück haben, mit dem halbleeren Jerusalem und der einzigen Nacht am Toten Meer ohne Moskitos. Wir stoßen an, stochern im Feuer, und irgendwann verabschiede ich mich und laufe zu den Damen. Sie regen sich ein wenig im Schlaf, ich wecke sie. Wir packen zusammen und verschwinden noch im Dunkeln.

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Ein Parkplatz. Ich schmiere mich auf Befehl mit Sonnencreme ein und setze einen Hut auf. Dann entern wir die Burg. Ich schwitze oben, aber das darf man in der Wüste. Wir sitzen auf den alten Festungsmauern. Die Sonne geht auf über Masada. Wir schauen uns um, sehen die Befestigungen der Römer, die Geschichten von gestern noch im Ohr. Hier haben sich die hilflos Verzweifelten umgebracht. An einem Ort, von dem man nicht mehr flüchten kann. Der ein Fluchtort hätte sein sollen. Keine Flucht vor dem Flüchten. Mal drüber nachdenken, Texaner, denke ich, als ich in der aufgehenden Sonne sitze.

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Den Rückweg nehmen wir im Laufschritt, die Begleiterin und ich, und sind ebenso schnell wie die Seilbahn. Auf dem Weg stoppt uns ein älteres Paar. Gebt uns ein wenig von eurer Energie, sagen sie, und ich bin lachend stolz, mit diesem Riesenfunken Energie in Form der Begleiterin unterwegs zu sein.

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In der Wüste eine Schlucht. Von irgendwo ein Wasserfall. Wir stellen uns darunter, waschen uns, kühlen uns ab. Wir laufen durch einen Dschungel, den man aus der Entfernung nicht sehen kann. Das Versteckte in der riesigen Wüste macht das Grün so besonders. Der Wechsel von der trockenen zur feuchten Hitze. Wir essen Datteln und klettern auf den Felsen herum, bis man uns erklärt, daß das verboten ist.

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Wir fahren durch besetztes Gebiet. Die Westbank. Ich erinnere mich an die eindringliche Frage am Flughafen: Westbank? Nein. Golan? Nein. Ägyptisches Grenzgebiet? Nein. Die Gastgeberin ist müde, also wechseln wir. Ich fahre langsam, ab und an überholt uns ein Geländewagen mit Pritsche. Ich weiche vorsichtig auf den breiten Standstreifen aus, weil mir die Beifahrerin erzählt, daß Streitigkeiten im Straßenverkehr ab und zu mit Waffen ausgetragen werden. Dann erzählt sie, die Ärztin, von denen, die bei Kontrollen angeschossen werden, und ich überlege, wo ich meinen Reisepass habe und warum mein Führerschein in Deutschland bleiben mußte. Ich habe zwar kein Problem mit Englisch, aber eines mit Waffen und eines mit meiner großen Klappe. Nach zwei Stunden wechseln wir wieder. Driving in Israel is great fun, schreibt der Reiseführer. Soso.

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Eine riesige römische Stadt. Ein Theater, Bäder, und ich merke, wie übersättigt ich von Rom bin. Von dem Rom, das sich so perfekt in alle Welt dupliziert hat, daß mich die größten Säulen nicht mehr beeindrucken können.

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Wir sitzen am See Genezareth und schauen auf die trüben Wellen. Schmutz ist überall, und Müll auch. Die Hitze und der Staub lassen es noch schlimmer aussehen, auch wenn man uns sagt, daß die Hitze schon nachgelassen hat und der Staub eben von einem langen Sommer zeugt.

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In einem Kibbuz übernachten wir in winzigen Wohnung einer Junggesellin. Wir kennen sie nicht, aber sie ist nicht da. Freundlich sind sie hier, und dann nehmen uns andere auf, auf ihre Terrasse im ersten Stock, wo sie Sofas stehen haben. Wir streicheln den Hund, denn Hunde hat es hier so viel wie Gastfreundschaft und Kaffee, und reden von operierten Nasen, von Ärzten und allem anderen. Lachen mit Fremden, Lachen mit Freunden.

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Dies ist die Nacht, die wir in einem Bett verbringen. Die Begleiterin möchte an der Wand liegen. Du mußt nicht bitten, sage ich. Du sollst nicht bitten müssen.
Ich liege lange wach. Höre, daß auch sie wach liegt. Im Morgengrauen ein Rasensprenger draußen. Vögel zwitschern. Ich weiß nicht recht, was ich mir erhoffe. Ich weiß nicht recht, wie ich das bekommen soll.

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Wir fahren nach Norden. Laufen durch eine Wüste, fallen fast in eine Schlucht. In der Wüste stehen Eukalyptusbäume, und man erzählt uns die Geschichte, wie man daran die syrischen Stellungen erkennen und vernichten konnte. Ruinen und Stacheldraht. Immer wieder explodieren hier Kühe auf Minen, heißt es. Ein Ausflugsziel. Wir laufen in der Schlucht am Bach entlang. Schwimmen durch die kleinen Tümpel, steigen über Leitern. Am Ende ein Becken und ein riesiger Wasserfall. Nie bin ich lieber geschwommen, und nie habe ich eine Badehose weniger vermisst. Ich freue mich so, daß ich kaum mehr reden kann. Wasser trinken, werde ich ermahnt. Wasser trinken. Als ob ich vor lauter Grinsen noch schluckfrei schwimmen könnte.

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Es gibt eine Pflanze hier, die nur ein dicker Stengel ist. Sie blüht langsam, über Wochen, von unten nach oben.

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Die Drusen sind eine Glaubensgemeinschaft, die ihren Glauben geheim hält. Aber jeder weiß, daß sie keine Steuern zahlen. Wir besuchen einen Markt, und ich bin angenehm überrascht. Freundlich, mit Spaß und unaufdringlich. Die Damen bringen einen Verkäufer so durcheinander, daß er ihnen die ganzen Sonnenbrillen fast schenkt. Ich kaufe eine Badehose, weil die alte nach sechzehn Jahren nun endlich ausgedient haben soll. So will es die Begleiterin.

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Wir kaufen Baklava, wir kaufen Nüsse, wir kaufen allerhand Obst und Gemüse.

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In den Golanhöhen ist es geradezu kühl. Man könnte abends zumindest an einen Pullover denken. Wir passieren eines der bekannten Tor, ein Wachhäuschen, und dann laufen wir durch eine Apfelplantage. Davon lebt der Kibbuz hier, sagt unsere Gastgeberin, und wir füllen uns die Taschen mit den Äpfeln, die übrig sind von der Ernte. Auf dem Heimweg ein Donnern, die Erde bebt kurz. Das ist mehr als Gewehrfeuer, sagt sie. Wir sind etwa vier Kilometer von der Grenze entfernt.

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Im Haus gibt es einen Holzofen, hohe Decken und den obligatorischen Schutzraum. Wir feiern das Schabbatdinner und zerreden die Nacht. Ich beschreibe mich als glücklichen Menschen, sage ich, und in diesem Moment glaube ich das. Ich versuche, Heimat zu erklären, und wie ich sie gerade verliere. Daß ich glaube, keine Heimat mehr finden zu können. Nichts Gleiches mehr. Es hat nichts mit dem ersten Mal zu tun, murmle ich noch, aber inzwischen bin ich sehr müde. Lass von mir ab, bitte ich, und das tut sie dann.

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In der Nacht raschelt es im Schlafsack neben mir. Die Begleiterin dreht sich, kratzt sich die Moskitostiche. Im Halbdunkel sehe ich ihren Schopf, der mit jeder Bewegung verwildert. Ich erinnere mich ans Streicheln.

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Wir fahren zur Grenze. Ein Gedenkstein mit Stimme. Verfallende Panzer. Die letzte Linie, der weiteste Panzer. Minenfelder. Ruhe in Syrien. Die Israelis behandeln Syrer, die es bis zur Grenze schaffen. Sobald sie wieder laufen können, gehen sie zurück. Ein Dorf in der Nähe ist Ruine. Sie haben es nicht wiederaufgebaut. Der Berg im Norden trägt ein paar Wolken. Skifahren kann man dort im Winter, höre ich, und das reißt mich los von den alten Schützengräben und den beiden ineinander verkeilten, kettenlosen Panzern. Da ist kein Blut mehr.

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Wir suchen Gita. Wir schreiben nach Kirgistan, und eine Minute später staubt ein Auto heran. Kommt mit uns, winkt einer, und wir zwängen uns an Kühen vorbei, an einer Kläranlage zum Felsen.

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Wegfindung mit Frauen ist schwierig, denke ich. Nicht, weil Frauen anhalten, um über den Weg zu sinnieren. Sondern weil sie es dort tun, wo keine Abzweigung ist.

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Die Begleiterin steigt und erschreckt mich. Sie ist schwach. Sie hat Angst. Sie hat mir vorhin ein Bild gezeigt, vom Radeln in den Bergen, und ich fragte sie nach dem zweiten Rad. Wir waren zu zweit, sagte sie, und ich frage nicht weiter. Steige die Route, auch wenn das Seil zu kurz ist und mir die Expressen nicht reichen. Gibt so Tage, da steigt man einfach.
Wir suchen Kürzeres, Leichteres und wechseln den Standort. Zwei Mädchen reißen sich durch einen wilden Überhang.
Immer am oberen Umlenker kann ich das Meer sehen.

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Auf dem Rückweg fällt ein großer Stein hinter uns zu Boden. Zwei Meter, denke ich, und bin der einzige, der nicht erschrickt. Nichts zu verlieren heute.

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Noch ein Markt, und wir treffen einen Engländer, der uns von einer Windelmaschine erzählt. Wir essen einen Fladen, den eine alte Frau wirft und auf einem heißen Blech brät. Sie lacht nur, als wir sie fragen, ob man das lernen kann.

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Am Abend kommen wir zurück. Begrüßen den Hund. Ich brauche Musik, setze die Kopfhörer auf und laufe singend an den Strand. Steige dann im Dunkeln aus dem Meer, singe immer noch. Die beiden Mädchen, die aus der Dunkelheit auftauchen, kichern. Als ich ins Bett gehe, ist es schon ruhig. Die Begleiterin scheint zu schlafen.

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Ein Tag am Strand, mit Surfbrett und Flossen. Wir schwimmen zu einem Wrack vor der Küste, sammeln Muscheln, und abends kocht die Begleiterin. Joggen am Strand. Bouldern an den Felsen. Lange Läufe mit dem Hund. Wir lernen "ken" und "lo", "nachon" und "chve", und immerhin mit Hunden können wir uns verständigen. Wir sitzen immer wieder auf der Terrasse, wohin das WLAN reicht, und ich sehe zu, wie die Nachrichten auf die Begleiterin einstürmen. Sie scheint nicht hier zu sein, denke ich manchmal.

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Man empfiehlt uns einen Wanderweg, und auf der Fahrt dahin bekommen wir erklärt, wie Deutsche einem Plan folgen. Nur so halb, nur bis zum ersten Ungeplanten, und so folgen wir dem Weg auch, klettern über Steine, schwitzen uns in einer Stunde durch den Dreistundenplan. Wieder zurück auf den Berg, statt uns abholen zu lassen, und an einer Bushaltestelle melden wir uns mit einem neuen Plan.

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Ich kann keine Schilder lesen und keine Fahrpläne. Der erste Busfahrer erklärt uns, wir müssten den zweiten Bus nehmen. Zehn Minuten später kommt derselbe Busfahrer wieder. Nehmt den dritten, sagt er dann. So landen wir am Busbahnhof und stellen fest, daß grüne Busse nichts kosten. Und, daß jeder Bus eine andere Uhrzeit anzeigt. Aber das hatten wir ja schon, und meine Verwirrung trage ich ja zum Markte der allgemeinen Erheiterung.

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In Haifa ist es schmutzig. Ein Zentrum finden wir nicht. Stattdessen stolpere ich über einen Araber, der Deutsch spricht und aus der Bibliothek kommt. Er zeigt mir ein Buch: Hans Fallada, Kleiner Mann - was nun? Ich grinse, und er zeigt uns die Stadt. Hat in Deutschland studiert und freut sich, mit uns reden zu dürfen. Am Strand verlassen wir ihn und suchen das Krankenhaus, um die Gastgeberin abzuholen. Wir werden kontrolliert von einem Bewaffneten, der unsere Rucksäcke durchsucht. Das Krankenhaus wurde erst vor einigen Jahren durch Beschuss schwer beschädigt. Vorstellen kann ich mir das nicht, und durch meine Schusseligkeit landen wir in der Notaufnahme, von wo uns ein freundlicher Sicherheitsmann zum Café bringt. Aroma, sage ich gehorsam den Namen der Franchise-Kette auf, und er lacht. In einer deutschen Notaufnahme hat noch nie einer gelacht, wenn ich kam.

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Am Abend plagen sie Kopfschmerzen. Ich bringe Wasser und Tee, und als ich sie zu lange mitleidig anschaue, wird sie böse. Ich lasse sie schlafen und setze mich nach draußen.
Ich setze mich zum Mann der Gastgeberin auf die Terrasse. Diesem Soldaten mit seinen klaren Meinungen und Ansichten, mit seiner Einsicht in Personen und seiner Ehrlichkeit. Das wird nichts werden, glaubt er, und ich stimme ihm zu. Seine Frau schimpft mit ihm, daß er hilfreich oder still sein soll. Aber Ehrlichkeit schätze ich sehr. Ich streichle den Hund, schicke Grüße in die Heimat und verabschiede mich auf meine Matratze vor der Tür. Spät setzt sich die Begleiterin zu mir, und wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann diesen verschlafenen, schmerzenden Kopf auf meiner Schulter. Ich habe keinen Wunsch frei.

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Noch ein Tag mit Surfbrett und Strand und Hund und Muscheln. Am Nachmittag kaufen wir ein, für die Gastgeberin und für die daheim. Ich schreibe keine Postkarten, ich weiß keine Adressen und keine Adressaten. In der Reihe mit dem unendlichen Gemüse, das hier wächst, fragt mich einer irgendwas, und schon sind wir am Reden, bis die Begleiterin mich zur Kasse zerrt, mit meiner leeren Tüte in der Hand, und sie lacht über meine Hilflosigkeit, daß ich mit ihr lachen muß.

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Den Abend zerrede ich mit der Begleiterin. Sie erzählt von der Familie, den Brüchen, all dem, was sie schon gemacht hat. Plötzlich bin ich eifersüchtig auf einen, der jetzt in Zürich lebt, weil sie Fernbeziehung sagt, und auf einen, mit dem sie ein Haus renoviert hat, weil sie von seinen Katzen redet. Sie will hier nicht bleiben, und ich schlucke leise und sage, daß sie mir fehlen wird. Daß ich ihr nicht raten kann. Daß ich befangen bin. Ich glaube, daß Du dort glücklicher sein wirst, sage ich ehrlich, und dabei reißt irgendwas in mir. Ich kann Dich nicht glücklich machen. Nicht hier, nicht irgendwo.

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Menschen werden nicht geliebt, weil sie schön sind
Sondern weil sie eine eigene Welt in sich tragen
Und je größer ihre Welt ist
Umso mehr
Wird man sie lieben
Das ist mir
In Erinnerung geblieben.

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Ich erzähle von Amerika. Von Ohio. Daß ich nicht weiß, ob es eine Flucht ist. Daß ich nicht flüchten mag. Daß ich nicht weiß, ob es mir helfen würde. Ich werde Dich besuchen, sagt sie, und ich frage mich, woraus ein Feuer sein muß, daß ein Meer nicht reicht, es zu löschen.

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Mit dem Mann der Gastgeberin werfe ich ein paar Frisbees, mache ein paar lachende Klimmzüge. Mein erster Moskito, denke ich, als ich einen roten Fleck in der Hand habe, und eine halbe Stunde später bin ich zerstochen, als wäre ich in einem Bienennest gesessen. Nicht davor, nicht danach. Die Begleiterin erscheint mit dem Hund, und ich sage ihr, daß auch dieses Bild, der Hund und sie ineinander verschlungen auf den warmen Holzdielen der Terrasse, mich nicht mehr verlassen darf.

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Wir geben unsere letzten Schekel aus für Schokolade. Und dann noch einmal für ein Eis, weil wir die Werte der Münzen nicht verstanden haben. In dem kleinen Laden lachen sie über uns, und wir schlecken draußen wie die Kinder.

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Ich stehe in den Wellen, die Begleiterin reitet auf dem Surfbrett. Ein Regenschleier zieht über uns weg. Ich spüre kühles Regenwasser im warmen Meer. Dann gehen wir duschen und packen.

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Tel Aviv ist das Chaos. Die Altstadt ist schön, der dauernde Flohmarkt schon geschlossen. Wir essen mit Freunden, die uns Bilder aus dem Urlaub zeigen. Wir sind noch in unseren Bildern, und dazu gehört auch, daß ich an Toiletten ohne Piktogramme immer die falsche erwische. Der Tisch lacht. Wir schlendern durch die Stadt, bis sie uns zum Flughafen bringen. Hope to see you soon, sage ich. Dann verjubeln wir die paar letzten Schekel, die dann immer doch noch da sind, für teure Souvenirs. Baklava, Datteln, Kekse.

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Die Kontrollen bei der Ausreise reichen durch alle meine getragenen Socken, selbst durch die Schuhsohlen hindurch. Meine Hosen muß ich öffnen, darf sie aber anlassen. Immer wieder schaue ich zur Begleiterin am Tresen gegenüber. Dann zeigen wir noch unsere Kameras, ich erkläre, wie ein Kletterseil funktioniert und wozu man Expressen braucht, und dann sind wir am Flugzeug.

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Ein Morgen in Istanbul. Wieder lese ich, während die Begleiterin schläft, den Rucksack als Kopfkissen. Ich kaufe eine Flasche Whiskey, um Kleingeld für eine Flasche Wasser zu bekommen. Wir stromern umher, sehen uns Lampen an. Du hast keine Ahnung, sagt sie, und ich nicke.


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Das war jetzt genug Urlaub, sind wir uns einig.

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Als das Flugzeug in Deutschland ausrollt, beginnt ihr Telefon zu piepsen. Sie tippt, es piept, und dann sind wir schon in der Bahn. Ich würde gern noch etwas sagen, denke ich. Bin aber froh, daß ich nichts sagen kann. Eine Umarmung durch Koffer und Rucksäcke. Ich bin allein. Sie ist unterwegs. Ihre Welt retten, ihre Welt weiterdrehen. Vor habe ich nichts.

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Ich gieße Blumen und setze mich ins Auto. Rufe an. Ich komme mit, haltet den Bus auf! Schon im Bus will ich zurück. Ich kann das nicht wegtrinken. Ich kann das nicht wegsingen. Ich kann das nicht wegarbeiten und nicht wegdenken. Du bist irgendwie in mich eingedrungen, und nun ziehst Du Dich zurück. Zeigst dem nächsten einen Abglanz dessen, wie schön ein Leben sein kann. Aber wer könnte der Sonne böse sein, die weiterzieht, um irgendwo aufzugehen, und hier Dämmerung hinterlässt? Es muß doch irgendwo dunkel werden, damit es anderswo hell werden kann, und wer wollte da die Gestirne verfluchen?

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Ich schlafe zwei Nächte nicht. Stehe stumm vor dem Haus meiner Eltern. Nehme Pakete in Empfang, überlege mir Dinge, die mich füllen könnten. Tröpfchenweise. Besser als nichts. Wie die Wärme, die der Tag hinterlässt. Besser als nichts.

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Jetzt schlafe ich wieder alleine ein. Es ist dunkel und still. Keine Vögel. Kein Gute Nacht. Kein Guten Morgen. Einsamkeit. Lange sitze ich vor dem Telefon. Mir fällt nichts ein.

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Einige Bilder nach dem klick

Rauchzeichen




ueblich   |   08.10.2013, 14:35   |  
Uff.

Wissen Sie was? Versteh einer die Frauen.

texas-jim   |   08.10.2013, 15:05   |  
Vielleicht fange ich erst mal ganz klein damit an, mich selber zu verstehen.

ueblich   |   08.10.2013, 15:30   |  
Jedenfalls: Sie gehen da hin, wo's wehtut. Das könnte helfen.

texas-jim   |   08.10.2013, 15:48   |  
Manchmal glaube ich, die Hoffnung ist am schlimmsten.

ueblich   |   08.10.2013, 16:52   |  
Aber ohne --? Das wollen Sie doch auch nicht.

texas-jim   |   08.10.2013, 17:01   |  
Im Gegenteil - ich hätte gern mehr als Hoffnung. Etwas, auf dem ich besser stehen kann.

nemorosa   |   08.10.2013, 19:22   |  
(Was ich nicht weiß: Kann sie Ihnen nicht mehr geben, oder weiß sie nicht, daß Ihnen Hoffnung nicht reicht?)
-- Ich frage mich solche Dinge; heißt nicht, daß Sie mir das erklären müssen.

texas-jim   |   08.10.2013, 19:59   |  
Das gilt es herauszufinden, auch für mich.
Mitrauchen
 

g.   |   10.10.2013, 07:00   |  
„einen Engländer, der … von einer Windelmaschine erzählt“ habe ich noch nie getroffen. Wahrscheinlich ist eine Windelmaschine ein turmhohes Gerät mit riesigen hölzernen Flügeln – an den Enden mit Plüschtieren besetzt, dass die Windel akkurat um das Baby wickelt?

texas-jim   |   10.10.2013, 10:35   |  
Ein überaus witziger Quatschkopf, der mich innerhalb einer Stunde ziemlich an die Wand gequatscht hat, war das. Und die Maschine beschrieb er als fünfzig Meter lang, voller Technik, Überwachung und Sensoren, mit einem ganzen Team zur Wartung und zur Verbesserung, alles frisch aus Amerika, voller Enthusiasmus war das, man hatte ihm die Maschine bei einem Vorstellungsgespräch so beschrieben, bis er gefragt hatte, was diese tolle Maschine denn nun herstellen würde: Windeln. Sehr schön.
Mitrauchen
 

hora sexta   |   12.10.2013, 00:48   |  
Du gehörst da nicht hin. Mit Verlaub.

Und dem Geliebtwerden wegen Welt und je desto, dem widerspreche ich hier mit Erregung und reite dabei ein Prinzip, jawohl, weiß ich.

texas-jim   |   14.10.2013, 16:04   |  
Wohin gehöre ich nicht, und wohin gehöre ich dann? Ich weiß es nicht, und ziellos mag ich mich nicht.

Es ist ein schönes, ein tröstliches Lied, und daß es das nicht besser und nicht wahrer macht, mag wohl so sein. Ich suche ja so gern Gründe.
Mitrauchen
 


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