Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.

12.03.08, 11:45 | 'Highway 61 revisited'
Und nach einem Blick auf die Speisekarte wurde mir klar, daß in dieser Wirtschaft einfach keine Gäste sitzten konnten.
Entweder, so dachte ich mir, habe ich zehntausend Jahre Inflation verschlafen, was in meiner Welt sehr wohl möglich ist (die letzte Preiserhöhung fand ein halbes Jahr nach der Einführung des Euro statt: Wir saßen beisammen, im Schein einer Kerze, weil die Autobatterie beim Laden und der Verantwortliche noch nicht eingetroffen war, der Ofen knackte und glühte, weil das untere Türchen offen war, und so manche alte Batterie den Weg hinein gefunden hatte, nur um beim Verlassen des Ofens den Deckel so lustig zu lupfen, und das alles hatte dem Schamott sicher nicht gutgetan, aber so waren wir damals eben, Material war Material und ersetzbar, weil wir erfinderisch waren; wir saßen also zusammen und stellten fest, daß wir an einer Kiste Bier zehn oder zwölf Euro hatten (Halbe oder Pils), und daß beide um die zwölf Euro kosteten. Fünfundzwanzig Mark! Fast. Und weil wir uns alle so erwachsen vorkamen, mit den Fünfzigern vor der Tür und den ölverschmierten Arbeitskleidern, da machten wir keine halben Sachen, da schlugen wir auf, das Bier ein Euro, und das Spezi gleich mit, auch wenn die Kiste Spezi keine zwölf Euro kostete - wer das Zeugs säuft, solls auch bezahlen. Und wir waren groß und erwachsen und konnten uns das leisten, und schlußendlich war es ja unser eigenes Geld, ob im Hosensack oder im Kässchen, das - wie die Batterie - noch beim Verantwortlichen lag. Solang machten wir eben Hiebe auf einem kleinen Blöckchen, und legten den Zettel unter die Bar, wenn wir gingen. Und die Kasse funktionierte, und immer, wenn der Maßkrug auf der Theke voll war mit Kronenkorken, zwischen den Fingern zusammengedrückt - freihändig, mit Daumen und Zeigefinger - da gab es eine Kiste aufs Haus, von uns für uns, und irgendwann auch mal ein Hüttenfest mit Strom aus hintereinandergehängten Kabeltrommeln, und noch eins in der Gärtnergarage, mit der Sechseckbar, und dann noch eins in einem "Gütle", einem Schrebergarten, aber das alles ginge jetzt zu weit.
Jedenfalls: Den Sprung von einer Mark auf einen Euro, den haben wir mitgemacht, und das wars dann auch.)
Oder ginge anderen genauso, daß niemand außer uns beiden da war: Keiner sieht es ein, drei Euro für ein Radler. Aber das kanns nicht sein, das ist es nicht, oder waren Sie seit 1976 mal in einer Disco?
Was es denn nun war, das habe ich nicht herausfinden können, bei vierunddreißig Euro für zwei Essen und zwei Getränke, da habe ich dann auch keine Lust mehr, dem Wirt irgendwas zu erklären. Und kommen Sie mir bloß nicht damit, daß es bei Ihnen teurer sei - interessiert mich nicht, will ich nicht wissen, da geh' ich nicht hin, da bleib' ich hier. Und ich erzähle das ja alles nur, weil mir gestern wieder unsere eigene Preiserhöhung ins Gedächtnis kam, die den Mißtrauen gegen jeden fremden Preis begründete, und die uns erwachsen machte, so ein ganz klein wenig.

Rauchzeichen




mark793   |   12.03.2008, 12:22   |  
Manchmal habe ich das Gefühl, mein Umfeld empfände es als geradezu obszönen Fauxpas, wenn ich dieses Thema überhaupt anschneide. Mein Bruder (Diplom-Volkswirt) versucht mich mit dem Totschlagargument "gefühlte Inflation" in die Meckererecke zu stellen, meine Frau guckt mitleidig, wenn ich thematisiere, zu welchen Preisen wir vor der Euro-Umstellung mittags essen waren. Bin ich jetzt ein alter Sack, der vom Krieg und der Währungsreform anno 48 erzählt, nur weil ich mir beim Blick auf die Essensrechnung (zwei Personen in einem Normalo-Lokal in Dü-Dorf) mit Blick auf die Endsumme von über 40 Euro manchmal den Gedanken nicht verkneifen kann: "Für die älteren unter uns der Hinweis: Das warn mal rund achtzich Mack."...

comma   |   12.03.2008, 22:41   |  
von wegen "gefühlte inflation"! das war eine gigantische geldentwertung: das dm-gehalt wurde in euro ausgewiesen, also halbiert; die preise kurzfristig auch, erreichten aber schnell wieder das ursprüngliche niveau, nur das euro-zeichen hinter den ziffern blieb. eine zeitlang verdoppelten die leute die beträge, um sich der relation zu vergewissern, aber auch das ließ bald nach.
heute bestellte ich z.b. wein, nix besonderes, die flasche zu 9 eus. zufällig hatte ich noch einen alten prospekt da: 4.95 (dm/ damals). damit wäre der reallohn praktisch gevierteilt.

texas-jim   |   23.03.2008, 16:19   |  
Ich dachte immer, Wein würde mit dem Alter wertvoller?
Mitrauchen
 

kleinesf   |   14.03.2008, 11:02   |  
Die Mittelschicht erodiert rasant.

kleinesf   |   20.03.2008, 14:13   |  
34 Euro? Also zwei Cappucini, oder?

texas-jim   |   23.03.2008, 16:19   |  
Schweinebraten, Kalbsschnitzel, ein Radler, ein Wasser.
Mitrauchen