Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 1. 08 16

01.08.16, 19:40 | 'Der Vollstaendigkeit halber'
Kurz bevor ich offiziell zum Mittdreißiger werde, habe ich noch schnell Dinge eingekauft, von deren Notwendigkeit ich bisher nicht überzeugt war. Als da wären ein Klostein und ein Mikrofasertuch für die Reinigung von Fensterscheiben. So geht erwachsen, fürchte ich, auch wenn ich von Klosteinen in Zukunft wieder Abstand nehmen werde. Riechen komisch. Mikrofasertücher sind dafür prima. Und eine weitere Premiere ist der Erwerb einer Flasche Geschirrspülmittel. Nun, nicht der Erwerb an sich, aber der rechtzeitige, denn mit der alten Flasche sind noch etwa zwei Spülgänge möglich. Sonst gab es immer einige Tage ohne Spülmittel. Und einmal, da hatte ich diese Idee mit dem Vorrat. Kaufe drei, dann hast Du zwei in Reserve. Gedacht, getan, ein Mann, ein Wort, drei Flaschen Spülmittel, und nach ein paar Tagen war mir dann auch klar, woher der Schleim im Küchenschrank nur kommen konnte: Die Flaschen waren nicht dafür geeignet, liegend gelagert zu werden, weil nicht ganz dicht. Nun ja. Dafür habe ich dreierlei Sorten Kettenöl vorrätig. Das beschreibt mich ganz gut, fürchte ich. Auch mit Mitte dreißig, und Erwachsenwerden ist ja sowieso optional, sage ich immer. Und immer, wenn ich das sage, seufzt die Doktorin zustimmend. Ich weiß auch nicht, warum.
# |  1 RauchzeichenGas geben


01.08.16, 17:18 | 'Egalitaeten'
Unruhig, rastlos.

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Man lobt mich am Telefon, und gemeinsam übergehen wir dem Umstand, daß ich abgelehnt habe. Man habe sich leider anders entschieden, heißt es, und in solchen Momenten wirken auch große Unternehmen sehr menschlich.

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Auf dem Heimweg zum traditionellen Konzert, das den Beginn der Sommerferien begleitet, ein Anruf, und dann sitze ich wie immer auf irgendeinem Traktor und zwinge Gras in eine Form. Es wird spät, es wird wieder früh, und ich bin müde, schmutzig und verschwitzt. Es ist nicht, wonach es aussieht, denke ich später, als ich gefragt werde, sondern es ist ganz ganz großer Spaß. Es ist die Arbeit, die mich so ermüdet, wie ich es mag.

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Schnelles Vorbereiten. Kuchen, Gemüse, Kartoffeln in Folie.

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Kein Kuß zur Begrüßung, und ich merke langsam, wie mich das belastet.

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Schweigen.

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Ein kleines Boot, wir sind zu zweit, und einer muß ja Kapitän sein. Ich versuche, stumm zu genießen, und irgendwann versuche ich nur noch, stumm zu bleiben. Innere Emigration kann ich.

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Wir ziehen die Boote am Wehr vorbei. Ich bin der einzige, der das Ziehen gewöhnt ist, denke ich. Die Doktorin sitzt als Ausgleichsgewicht im Boot - Gewöhn Dich nicht dran, rufe ich ihr zu, und die Leute lachen.

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So verbringe ich den Abend.

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Den Sonntag verbringen wir zu zweit.

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Grillen auf dem Balkon. Wie ich mich an Gemeinsamkeit gewöhne. Nur ganz selten noch wird mir alles zuviel, und dann verziehe ich mich an den einzig stillen Ort.

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Zwei Folgen einer alten Serie. Später Schlaf.

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Wie dösig und verkuschelt ich am Morgen sein kann.

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Sich einschleichende Rituale: Ich reinige den Spiegel, weil ich hier nur eine Handzahnbürste habe und für die Schaumspritzer verantwortlich bin. Ich reinige die Terrasse und räume den Grill weg. Ich putze die Kaffeemaschine. Bevor ich gehe, schnappe ich mir die von ihr gewaschenen weil naß dort vergessenen Kletterhosen. Ich bin gespannt.
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Donnerstag, 28. 07 16

28.07.16, 17:40 | 'Rage within the machines'
Quervergleiche von heimtückisch Ermordeten mit der Anzahl von Verkehrstoten, mit der Zahl an Krebstoten durch das Rauchen. Zu denen, die vor Jahren in Winnenden ums Leben gekommen sind, hat doch auch keiner gesagt, sie wären immerhin nicht vom Bus überfahren worden. Was denkt ihr euch eigentlich mit solchen Vergleichen? Erzählt ihr den Opfern einer Vergewaltigung, die ja mit neuen Gesetzen erst besser geschützt werden sollen, auch, daß sie sich ja nicht so anstellen sollen, immerhin seien sie ja nicht im Straßenverkehr umgekommen? Da sterben ja auch Fußgänger und Radfahrer, weil sie eben nicht durch eine Armlänge Blech um sie herum geschützt werden. Und vermutlich gibt es dort auch mehr Verletzte als durch Vergewaltigungen, ich weiß es nicht. Also alles gut, kein Grund zu Veranlassung, nur ich könnte das Kotzen kriegen, wenn ich so eine herablassende und menschenverachtende Argumentation ausgerechnet von denen lesen muß, die sonst den Mund vor lauter Empathie und Menschlichkeit kaum mehr schließen können.
# |  8 RauchzeichenGas geben

Mittwoch, 27. 07 16

27.07.16, 19:22
Eine der lauten, rauchigen und rotweinduftenden Stimmen meiner Kindheit ist verstummt. Ein großer Mann warst Du, in einem großen Haus, mit einer freundlichen Familie, und ich war ein ängstliches Kind damals. Jahrelang war die Familienweihnacht drei- und vierteilig, und sie fing stets bei euch an, in dem riesigen Wohnzimmer, nachdem mich das hohe Treppenhaus schon völlig hatte verstummen lassen. Deine Frau, die Patentante meiner Mutter, haben wir schon begraben, und eine Deiner Töchter auch. Zwischendrin hast Du mich ab und zu weggeschickt, mit einem der Kleintransporter Deiner Firma, Deines Geschäftes, Deines Lebens. Unterlagen hektisch in die große Stadt fahren, oder ein Sofa in ein anderes Bundesland. Einen der größeren Laster hatte ich mal, als ich der Königin der Dreikaiserberge einen Maien gesteckt habe. Ich habe Dir nie ein Bild davon gezeigt, denn ich habe selbst keines davon, aber ich weiß noch um meinen Stolz, daß da ein Schlüssel war, den ich von Dir bekam, und wie Du laut und bärig gelacht hast dabei, denn wir waren alle mal jung, und wir haben alle mal Maien gesteckt. Wenn Du Pfarrer werden magst, hast Du immer gesagt, denn einen Pfarrer bräuchte diese Familie noch, dann finanziere ich Dein Studium, und ich glaube Dir heute noch, Du hättest genau das getan. Stattdessen bin ich Ingenieur geworden, und als ich einmal schlecht finanziert war, da habe ich bei Dir gearbeitet, auf dem Hof Gerüstteile geputzt, eingerüstet und abgerüstet, mit Farbe gespielt und auf der Heimfahrt im Bus geschlafen. Ich saß da mit Männern, die kaum Deutsch konnten, die mich freundlich aufgenommen haben, die mir von der Notwendigkeit des Lernens mehr erzählt haben, als ich aus der Schule mitgenommen habe. Sie hatten ebenso rauhe und große Hände wie Du. Sie kamen aus aller Herren Länder, und sie alle haben Dich verehrt. Weil Arbeit eint, weil Arbeit ein Ziel war, und weil Du das immer selbst hattest, dieses Ziel. So saßen wir kurz beim Mittag in der kleinen Kammer mit unseren staubigen, trockenen Händen, und abends fuhren wir zu Deinem Haus, um den Lohn abzuholen, wie sich das gehörte. Da saß dann Deine Frau im Büro, und oft dröhnte Dein Lachen durch eine der vielen Türen. So habt ihr mich alle geprägt, ihr Alten, und besonders Du mit Deinem Vorbild, mit Deinem Mitnehmen, mit Deinem Leben. Einmal, da waren wir gemeinsam auf einer Baustelle, weil einer fahren mußte mit Deinem geliebten alten Bus, und das Maßband halten fürs Aufmaß und alles eintragen in einer langen Liste in der Sommerhitze einer wuselnden Baustelle. Verstanden habe ich die schnellen Überschläge nicht, aber bewundert habe ich Deine Erfahrung, Dein Wissen und Deinen Auftritt. Ja, hast Du gepoltert, in diesem Container, wo der Bauleiter saß, habt ihr denn euren Leuten nichts zu trinken? Gibt es sowas? Und dann hast Du mich losgeschickt, mit fünfzig Euro, sauren Sprudel für alle Mann, weil Du immer wolltest, daß es allen gut geht, weil Du immer alle gleich gut behandelt hast, weil keiner Mangel leiden sollte, wo er doch eine Arbeit zu tun hatte. Daß Du als einer der Alten schon immer und jederzeit ein Förderer der Jungen warst, das haben selbst die Zeitungen in den Nachrufen geschrieben, und die Jungen selbst haben Dich als ihren größten Unterstützer bezeichnet. So hast Du Dich an der Jugend gefreut und an den Enkeln, die kleinste gerade im Kindergarten, hast sie, hast uns alle geliebt, auch wenn wir nur noch auf unsere eigene, schwäbische Art verwandt waren, mit wenig Blut und ganz viel Herz und Seele. Fünfundachtzig Jahre hat Deine Kraft gereicht, mit all der Arbeit, all dem, was man im Leben so einstecken muß, wenn man sich nicht versteckt. Und versteckt hast Du Dich niemals.
Manchmal, wenn ich am späten Abend zu meinen Eltern nach Hause komme, da kann ich euch noch hören, meinen Vater und Dich in seinem Büro, ihr zwei Lauten, ihr zwei Eifrigen, über Pläne gebeugt, jahrzehntelang in dichten Rauch gehüllt, dann einige Zeit nicht mehr. Irgendwann bist Du nur noch mit einem kleineren Bus gekommen, warst Seniorchef, da wären andere längst in Rente gewesen, und irgendwann nur noch zur Terrassentür hereingekommen, weil Du zu Kaffee und Kuchen kamst und für die Naht an einem neuen Hemd, statt für Bauten und Pläne und Politik. Ich habe Dir viel zugehört, und ich habe viel von Dir gelernt, von Deinen großen Händen und Deiner lauten, rauchigen Stimme, die nun schweigen darf. Hab Dank.

Hab Dank und mach es gut, Onkel Kurt.
Wherever you may roam.
(7.4.1931 - 24.5.2016)
# |  Rauchfrei | Gas geben


27.07.16, 18:33 | 'Heller als tausend Sonnen'
Ich frage mich, murmelst Du so leise, daß ich mehr Deinen Atem auf meiner Brust spüre als ich Deine Stimme hören kann, ich frage mich, wie ich nur ohne Dich schlafen kann, und ich streiche Dir das Haar aus der Stirn und sage, daß Du das ja überhaupt nicht mehr können mußt.
# |  Rauchfrei | Gas geben