Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Montag, 25. 12 23

25.12.23, 16:06
Keine Ahnung, wie viele hundert Jahre ich schon hierher komme. Ich laufe den steinernen Weg entlang, der sich zum Jugendhaus hin windet. Ich trete wie üblich mit dem Fuß gegen die Tür, ich habe noch ihren dumpfen, hölzernen Knall im Ohr, doch die Tür ist längst erneuert, und der Schließer funktioniert auch lange wieder. Etwas verdutzt suche ich den Knopf, der den Summer betätigt, überlege, ob ich meinen Finger auf dem leuchtenden Scanner noch versuchen solle, aber was hilft es, von einer Maschine gesagt zu bekommen, was ich längst weiß. Die Jugend ist vergänglich, und sobald man das weiß, ist sie vergangen. Ich trete in den Flur mit den glatten, schwarzen Fliesen. Ich werfe meine Jacke über einen Sessel, ich werfe ein Hallo in die Runde, und dazu einen Weihnachtsgruß, wie es sich gehört an Heiligabend. Ich trete an die Bar, ich spiele Tischkicker, ich lache mit Älteren, mit Jüngeren, mit selten und oft Gesehenen. Ich sehe durchs Fenster, wo ein Rettungswagen in eine Seitenstraße einbiegt, und das helle Blaulicht schlägt hart an die Stille. Eine Minute später ein Notarztwagen, und ich habe sofort die Alten im Kopf, die ich in dieser Gasse kenne. Für andere kann ich doch beten. Ich wende mich wieder dem Klackern des weißen Balles zu, der vom wilden Spiel Schrammen davonträgt und so erst zum Mittelpunkt des Spieles wird. Wir sind alle weiße Bälle. Man geht zum Rauchen vor die Tür, auch nach Mitternacht noch. Die Mädchen in ihren Kleidern auf den Sofas spielen Würfelspiele und trinken Sekt, und sie haben es nie anders gekannt, es ist ihnen keine Veränderung darin. Ich drehe meine Flasche auf der alten Bar und sinniere wie eh und je. Ich horche. Irgendeine Vorsorgeuntersuchung, großes Blutbild hier und da, the times they are a-changing. Und die Ärztin, lacht einer knitz, hat ihn nach dem Feierabendbier gefragt, ob er das denn jeden Tag tränke. Und er lacht weiter, wie er ihr erzählt hat, daß doch jeder Tag seinen Abend verdient habe, und daß die Wahrheit zwei- als einstellig sei. Er übertreibt nicht, das tun die wahren Trinker nie. Geseufzt hat sie, so lacht er weiter und klopft die neue Zigarettenschachtel auf den Kopf, wie man das so macht, damit der Tabak in den Röllchen bleibt. Dafür sieht das Blut noch ganz gut aus, und an irgendwas muß man ja sterben. Wir stoßen miteinander an, bevor er wieder vor die Tür geht, um noch eine in die Nacht zu rauchen, und er lässt mich an dieser Bar zurück, an der ich seit fünfundzwanzig Jahren lehne, in manchen Jahren viele, in anderen Jahren wenige Nächte, in manchen Nächten mit guten, in anderen Nächten mit bösen Gedanken. Das ist die Freiheit, denke ich, das ist die Freiheit, die ich meine. Nicht einfach gut, nicht einfach schlecht, es ist die Freiheit, sich gut und weh zu tun, es ist schlicht Freiheit. Ich nehme meine Jacke, noch warm von einer jungen Dame, die auf ihr im Sessel saß, werfe wieder meinen Blick in die Runde, wieder meinen Gruß, und vielleicht fahre ich dann doch einen Tick langsamer als sonst nach Hause, um mit meiner Freiheit vielleicht einmal niemandem wehzutun.
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