Dieseldunst
I'd rather be a forest than a street.
Donnerstag, 4. 10 18

04.10.18, 20:52 | 'Heller als tausend Sonnen'


Herbst auf der Alb. Und es war ein Juchzen und Freuen in der Luft.
# |  2 RauchzeichenGas geben


Deutschland Direttissima III
04.10.18, 11:30 | 'Single Trails'
Morgens mache ich Bilder, mittags möchte ich ankommen. Dabei komme ich nicht an, ich kann ja nur in Etappen fahren. Die Zahl, die mir die Luftlinie zum Ziel anzeigt, sinkt nur langsam ab, und manchmal führen auch die Straßen nicht in Richtung meiner Heimat. Wenn doch einmal die gerade Linie auf meiner Karte genau in Richtung des roten Pfeiles steht, dann freue ich mich sehr und möchte das am liebsten allen erzählen. Allein, meist ist da niemand.



Und wie das württembergische Wappen hierher kommt, ist ein Rätsel, das ich einfach so stehenlasse. Ich mache ein Bild davon, dann radle ich weiter, aber ich grabe nicht drum herum. Das fällt mir viel später erst auf, wie mir vieles erst immer später auffällt. Manchmal fallen mir Liedzeilen ein, die ich dann ein Weilchen vor mich hin singe - es ist ja niemand da außer mir: Die Zeit heilt alle Wunder, singe ich, und zwischendurch Lalala.



Immer wieder Hege und Pflege, und es wundert mich noch, daß mich das wundert, denn das ist doch der Normalzustand für mich. Und die roten Pflöcke vom Vermessen, die von baldigem Baubeginn künden.



Oft denke ich an die Menschen und die Zeit und die Arbeit, die es gekostet haben muß, diese wilden Straßen und Wege anzulegen. An die vielen Räder, die die Steine glattgeschliffen und die Furchen in die Oberfläche gedrückt haben. Ein Weg, eine Straße, das Normalste meiner Welt, sie sind nicht einfach da, sie müssen angelegt und erhalten werden.



Es ist immer noch früher Morgen, die Schatten sind noch lang, der Tau hebt sich als klammer, feuchter Dunst, weicht dann der Sonne und der Klarheit. Ich habe seit meinem Aufbruch keinen Menschen gesehen. Im Kopf habe ich immer die Pegelstände meiner beiden Wasserflaschen und den kargen Rest Nahrung im Rucksack. Jede Gelegenheit nutzen, denke ich. Und sinkende Laune ist immer Hunger.



Aber auch immer: Treten. Einfach weiter treten.



Die Wälder hier sind ungewohnt. Sie sind eben, sie tragen keinen Pelz von Dickicht, sind hoch und licht. Und überall reife Früchte. Es riecht nach Zwetschgen in unterschiedlichen Reifegraden und Verfallsstadien. Reife und Verfall gehen ja ineinander über, sind untrennbar verbunden. Dran denken, versuche ich mir einzuprägen, wenn Du alt bist. Dann fällt mir ein, daß ich alt und älter werde, jeden Tag. Reife und verderbe. Wie schrecklich. Dann, einige Tritte später: Wie schön.



Neige Dein Haupt, kleiner Mensch, der Du zu groß geworden bist!



Schnelle Radwege, auf denen meine groben Reifen Geräusche machen, langsam rattern und schnell surren. Mein rechter Oberschenkel zieht ab und zu, als würde er krampfen wollen, und vom Entlasten zwickt es dann im linken Knie. Krämpfe rechts, Zwicken links, und vielleicht bin ich halt doch Deutschland, denke ich, weil ich ja auch vor mir selbst nur kalauern kann.



Dann überquere ich die Elbe. Grenzübertritt. Bahnlinien, Flüsse, Autobahnen. Die ganzen Verkehrswege sind für mich nun Hindernisse, und so bin ich auf meinem einsamen Weg vielleicht den Tieren näher als den Menschen.

Wasser habe ich noch genug, die rote Flasche ist noch im oberen Träger, denn nur die weiße ist dicht genug, um unten hängen zu können. Es ergibt sich ein Rhythmus daraus, den ich einfach befolge. Zweckmäßig. Irgendwann lande ich mit leeren Flaschen in einem leeren Dorf, aber vielleicht auch an einem anderen Tag. Jetzt schon fängt die Zeit zu fließen an. Ein Kind spielt auf der Straße und schaut mir mit großen Augen nach. Ich biege auf den Friedhof ein, finde dort allerdings nur eine Pumpe am Brunnen. Streife umher, finde die neuesten Gräber mit Inschriften aus dem Jahr zweitausendunddreizehn. Denke dann an Leichensäfte und fülle meine Flaschen am Brunnen. Hier kein Bild, das eiserne Gitter quietscht schwer, als ich es hinter mir zuziehe. Ruht nur, sage ich leise.



Noch einmal die Elbe also, nachdem ich fast auf ihrer Ostseite geblieben wäre. Sie verzweigt sich hier, und vorher habe ich wohl nur einen Seitenarm überquert. Größe ohne Verhältnis, schwer einzuschätzen. Man braucht Maßstäbe im Kopf. Elberadweg, und ich befrage kurz sogar die Suchmaschine, mag aber ihrer Empfehlung nicht folgen. Lieber der dünnen Linie in Richtung Heimat. Ich mag ja Symbole, und über die Tage wird mir klar, wie richtig das ist. Das ist meine Richtung. Heimat. Ich freue mich schon auf den ersten Blick auf die Alb, kann mir mein Jubeln schon ausmalen. Und es bestätigt sich, was ich mir gedacht habe: Heimwärts radelt es sich leichter.

Die Brücke ist lang, der Fußweg sehr schmal, die Dielen alt und zum Teil gebrochen. Zum Glück kommt kein Zug, ich wäre wohl vor Schreck übers Geländer gefallen.



Der Duft von Silageballen. Herrjeh, da war ich ja schon erwachsen, und doch schon so lange her, daß ich diese Auffrischung brauche, um die Erinnerung auftauchen zu lassen. Ich rieche das gärende Gras, höre die ratschende Folie an ihren Spannrollen abgleiten, fühle den Karton, den ich hektisch zerreiße, um die Folienrollen zu wechseln. Was einen halt so prägt, denke ich. Selbstbildnis als Zugtier, und immer wieder der lachende Spruch aus meiner Heimat: Mit den Dummen treibt man die Welt um. Darin nichts Böses, nur lächelnde Selbsterkenntnis.



Plattenwege, industrialisiert, Fortschritt. Die Platten so klein, ich weiß gar nicht, ob sie vor Ort gegossen oder angeliefert worden sind. Ich denke mir daneben die riesigen Fertiger, die heute Autobahnen bauen, und die kleinen, schwitzenden Menschen daneben.



Wer auch immer diese Wege kartiert hat und wozu, darüber denke ich lang nach. Und freue mich mehr an der Nutzung, daran, daß ich sie zur Verfügung habe, bei mir. Diesen Weg wäre ich ohne Karte nicht gefahren, und sonst auch alles anders. Ach, zuviel Symbolik.



Der Tag endet im Nichts, vor dem größten Nichts Deutschlands, das ich mühsam in der Sonne auf dem kleinen Bildschirm erkenne. Ich bekomme es mit der Angst zu tun vor dem Nichts, biege ab entlang einer Bahnlinie, und die Heimatzahl steigt sogar wieder. Dann ein Zimmer, Klamotten waschen, ein teures Bier am Bahnhof, der leere Stadtsee, meine klackenden Schuhe auf dem Teer, leere und dunkle Fenster, ein Bett, ein früher Wecker.
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