... Vorwärts fahren
18.01.06, 20:27 | 'Warten aufs Christkind'
Ehrlich gesagt bin ich kein besonders ehrlicher Mensch. Und gerade heute... - Moment, was habe ich eben gesagt?
Ich wollte eigentlich nur über Anrührkaffee schreiben, und nicht über das große Paradoxon meines Lebens. Das hätte auch weniger mit Ehrlichkeit als mit einem gebrochenen Rückenwirbel und einem gestörten Verhältrnis zu Autoritäten und bezahlter Arbeit zu tun. Zur Sache tut es im Übrigen auch nichts. Deshalb lassen wir das, und schleichen uns mit dem Zeigefinger an den Lippen auch an der Frage vorbei, ob diese Geschichte jetzt ehrlich erstunken und erlogen sein könnte oder einfach nur zwischen allen Stühlen sitzt.
Ich sitze also in dieser Vorlesung, in der wir wie immer nur zu dritt sind, in diesem Institut, das keinen Kaffeeautomaten besitzt, in dieser Stadt, die... und so weiter, ad infinitum. Und ich habe Kaffee dabei. Ein Thermoskännchen, das ich mir zuvor aufgebrüht habe, mit Milch aus quaderförmigem Papier und Zucker aus einer Plastikdose. Und mit diesem Anrührkaffee, dem billigsten. Ich mag den sogar.
Als ich auspacke und mein Tässchen sorgsam zum ersten Mal fülle, werde ich belächelt. "Hast Du auch eine Stulle dabei?" Eine was? Ich bin Schwabe, versteht das doch endlich! Ich rede nicht, sondern ich "schwätze", ich kenne kein Präteritum, dafür eine nichtabgeschlossene Vorvergangenheit, ein Ultraplusquamperfekt, sozusagen. Und ich habe keine Stulle, sondern ein Vesper. Mit Wurst, Käse und dem korrekt schwäbischen, zischendem "sch". Ich lache mit und packe es eben auch aus. Das Gelächter versiegt. Das waren wohl dreißig Yards für mich, oder von mir aus das 1:0 in der ersten Minute.
Nach zwei Stunden Mathematik mit vollkommen neuen Einblicken in die Welt der unendlichdimensionalen Räume, die aber immer noch kleiner sind als die nichtabzählbaren, unendlichdimensionalen Räume, geht es mir genauso wie dem geneigten Leser zu diesem Zeitpunkt. Gelangweilt klappe ich den Kiefer herunter und gähne.
Mein Nebensitzer kann sich nur noch mit Mühe auf seinem Stuhl und im dreidimensionalen Raum halten. Er überwindet sich und fragt nach einem Schluck Kaffee. Und ich bin ja kein Unmensch. (Bitte hier die dramatische Pause einfügen, in der ich drohend den Blick schweifen lasse, falls es jemand wagen sollte, zu grinsen.) Ich schenke ihm das letzte Tässchen ein, aus purem Mitleid, und weil das Koffein aus mir herausschwappen würde, wenn ich den Rest selber trinken müsste. Ich zittere nur ein ganz klein wenig, als ich ihm den Göttertrank reiche und dabei sage: "Nehmet, und trinket alle davon. Dies ist..." Leider haben weder ich noch mein Nebensitzer in der Kirche besonders aufgepasst, deshalb verliere ich den Faden und der Kommilitone den Sinn des Scherzes. Ich schaue wieder nach vorn zu den riesigen Vektorräumen, die der Beamer flach an die Wand presst.
Blondie, so nenne ich den Kollegen für mich, quatscht mich an, und ich beschließe, ihn Blödie zu taufen. "Der ist gut. Was ist das für eine Sorte?" Eigentlich möchte ich zu ihm sagen: "Blödie," möchte ich sagen, "Blödie, hier ist Dein Schild." Leider habe ich keines mehr dabei und möchte auch diesen uralten Witz nicht erklären müssen. Sobald ich meine Klappe halten muß, überkommt mich der unwiderstehliche Drang, jemandem die Augen auszukratzen, oder einfach in eine Ecke zu gehen und verrückt zu werden. Im Sinne meiner geistigen und seiner körperlichen Gesundheit sage ich also etwas. "Das sind sechzig Prozent Antarctica und dreißig Prozent Sambuca. Ganz edle Mischung. Gibts nur in diesem kleinen Laden am Galgenberg." Hats hier so einen Berg? Unwichtig, ich bin mittendrin und nicht mehr aufzuhalten. "Den importiert der Kamerad persönlich und schwarz wie die Nacht. Wächst auf den Kokafeldern als Zwischenfrucht, um den Boden frisch zu halten. Das ist aber noch nicht das Wesentliche," philosophiere ich, und versinke in meinem eigenen unendlichen Vektorraum, in dem weder Phantasie noch Dummheit Grenzen gesetzt sind. "Das Wesentliche ist," - ich kann fast nicht mehr vor Lachen - diese großen Augen! Wie er in die Tasse starrt! Er vergöttert den Dampf aus der Tasse, er scheint im Kopf aufzuschreiben, was ich da vor mich hinquatsche. Ich bin Dein Herr und Meister, dummy mode on, Gehirn nach /dev/null, bitte. "Ja?" flüstert er. Ich starre ihn an, weil er es gewagt hat, mich zu unterbrechen. Ich starre ihn an, und er verstummt. "Die Milch," sage ich. "Das ist Milch von mir zuhause. Und der Zucker ist Bruchzucker, direkt aus dem Zuckerbruch quasi. Bekommt man eigentlich nie. Meine Schwester fährt dort Bagger, und..." Ich nehme ihm die Tasse aus der Hand und schraube sie wieder auf die Thermoskanne. "Ich muß jetzt los, Blödie. Erinnere mich bitte nächste Woche an Dein Schild."
Ich wollte eigentlich nur über Anrührkaffee schreiben, und nicht über das große Paradoxon meines Lebens. Das hätte auch weniger mit Ehrlichkeit als mit einem gebrochenen Rückenwirbel und einem gestörten Verhältrnis zu Autoritäten und bezahlter Arbeit zu tun. Zur Sache tut es im Übrigen auch nichts. Deshalb lassen wir das, und schleichen uns mit dem Zeigefinger an den Lippen auch an der Frage vorbei, ob diese Geschichte jetzt ehrlich erstunken und erlogen sein könnte oder einfach nur zwischen allen Stühlen sitzt.
Ich sitze also in dieser Vorlesung, in der wir wie immer nur zu dritt sind, in diesem Institut, das keinen Kaffeeautomaten besitzt, in dieser Stadt, die... und so weiter, ad infinitum. Und ich habe Kaffee dabei. Ein Thermoskännchen, das ich mir zuvor aufgebrüht habe, mit Milch aus quaderförmigem Papier und Zucker aus einer Plastikdose. Und mit diesem Anrührkaffee, dem billigsten. Ich mag den sogar.
Als ich auspacke und mein Tässchen sorgsam zum ersten Mal fülle, werde ich belächelt. "Hast Du auch eine Stulle dabei?" Eine was? Ich bin Schwabe, versteht das doch endlich! Ich rede nicht, sondern ich "schwätze", ich kenne kein Präteritum, dafür eine nichtabgeschlossene Vorvergangenheit, ein Ultraplusquamperfekt, sozusagen. Und ich habe keine Stulle, sondern ein Vesper. Mit Wurst, Käse und dem korrekt schwäbischen, zischendem "sch". Ich lache mit und packe es eben auch aus. Das Gelächter versiegt. Das waren wohl dreißig Yards für mich, oder von mir aus das 1:0 in der ersten Minute.
Nach zwei Stunden Mathematik mit vollkommen neuen Einblicken in die Welt der unendlichdimensionalen Räume, die aber immer noch kleiner sind als die nichtabzählbaren, unendlichdimensionalen Räume, geht es mir genauso wie dem geneigten Leser zu diesem Zeitpunkt. Gelangweilt klappe ich den Kiefer herunter und gähne.
Mein Nebensitzer kann sich nur noch mit Mühe auf seinem Stuhl und im dreidimensionalen Raum halten. Er überwindet sich und fragt nach einem Schluck Kaffee. Und ich bin ja kein Unmensch. (Bitte hier die dramatische Pause einfügen, in der ich drohend den Blick schweifen lasse, falls es jemand wagen sollte, zu grinsen.) Ich schenke ihm das letzte Tässchen ein, aus purem Mitleid, und weil das Koffein aus mir herausschwappen würde, wenn ich den Rest selber trinken müsste. Ich zittere nur ein ganz klein wenig, als ich ihm den Göttertrank reiche und dabei sage: "Nehmet, und trinket alle davon. Dies ist..." Leider haben weder ich noch mein Nebensitzer in der Kirche besonders aufgepasst, deshalb verliere ich den Faden und der Kommilitone den Sinn des Scherzes. Ich schaue wieder nach vorn zu den riesigen Vektorräumen, die der Beamer flach an die Wand presst.
Blondie, so nenne ich den Kollegen für mich, quatscht mich an, und ich beschließe, ihn Blödie zu taufen. "Der ist gut. Was ist das für eine Sorte?" Eigentlich möchte ich zu ihm sagen: "Blödie," möchte ich sagen, "Blödie, hier ist Dein Schild." Leider habe ich keines mehr dabei und möchte auch diesen uralten Witz nicht erklären müssen. Sobald ich meine Klappe halten muß, überkommt mich der unwiderstehliche Drang, jemandem die Augen auszukratzen, oder einfach in eine Ecke zu gehen und verrückt zu werden. Im Sinne meiner geistigen und seiner körperlichen Gesundheit sage ich also etwas. "Das sind sechzig Prozent Antarctica und dreißig Prozent Sambuca. Ganz edle Mischung. Gibts nur in diesem kleinen Laden am Galgenberg." Hats hier so einen Berg? Unwichtig, ich bin mittendrin und nicht mehr aufzuhalten. "Den importiert der Kamerad persönlich und schwarz wie die Nacht. Wächst auf den Kokafeldern als Zwischenfrucht, um den Boden frisch zu halten. Das ist aber noch nicht das Wesentliche," philosophiere ich, und versinke in meinem eigenen unendlichen Vektorraum, in dem weder Phantasie noch Dummheit Grenzen gesetzt sind. "Das Wesentliche ist," - ich kann fast nicht mehr vor Lachen - diese großen Augen! Wie er in die Tasse starrt! Er vergöttert den Dampf aus der Tasse, er scheint im Kopf aufzuschreiben, was ich da vor mich hinquatsche. Ich bin Dein Herr und Meister, dummy mode on, Gehirn nach /dev/null, bitte. "Ja?" flüstert er. Ich starre ihn an, weil er es gewagt hat, mich zu unterbrechen. Ich starre ihn an, und er verstummt. "Die Milch," sage ich. "Das ist Milch von mir zuhause. Und der Zucker ist Bruchzucker, direkt aus dem Zuckerbruch quasi. Bekommt man eigentlich nie. Meine Schwester fährt dort Bagger, und..." Ich nehme ihm die Tasse aus der Hand und schraube sie wieder auf die Thermoskanne. "Ich muß jetzt los, Blödie. Erinnere mich bitte nächste Woche an Dein Schild."
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